Protokoll der Sitzung vom 20.11.2015

(Beifall CDU und SPD)

Bereits vor einiger Zeit hatten wir hier beschlossen, dass wir gern jedes halbe Jahr einen Bericht der Landesregierung zur Unterbringungssituation der Flüchtlinge haben möchten. Ebenso möchten wir einen Bericht zur Umsetzung der Maßnahmen des Flüchtlingspaktes haben. Wir möchten gern - so ist unser Antrag konzipiert -, dass zukünftig jedes halbe Jahr auch über die Fortschritte im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Ausländer berichtet wird, um die Maßnahmen der Landesregierung eng zu begleiten und möglicherweise auch eigene Vorschläge mit einzubringen. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Wir freuen uns sehr, wenn die regierungstragenden Fraktionen diesen Antrag mittragen. Ich bitte deshalb das Präsidium, den Antrag zu einem eigenständigen Antrag zu erklären.

Ich hoffe sehr, dass wir möglichst schnell von der Landesregierung hören, dass wir endlich Konzepte haben, die den Bedürfnissen der unbegleiteten minderjährigen Ausländer gerecht werden, auch was ihre Unterbringung anbelangt. Denn, wie gesagt, all das kommt nicht überraschend, sondern es war bereits Anfang des Jahres absehbar. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, FDP und Angelika Beer [PI- RATEN])

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel, Absolventen des Regionalen Berufsbildungszentrums Wirtschaft in Kiel mit angehenden Medienkaufleuten und die Wählergemeinschaft in Brokdorf. - Seien Sie alle uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank an

(Astrid Damerow)

Sie, liebe Frau Ministern Alheit, für den vorliegenden Bericht.

(Beifall Lars Winter [SPD])

Der Schutz von unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern ist uns allen ein großes Anliegen. Da bin ich mir ganz sicher. Nach dem neuen Bundesgesetz werden erwachsene Flüchtlinge jetzt auf die Bundesländer verteilt. Das ist für das Kinder- und Jugendwohl bestimmt nicht immer die beste Lösung. In einer idealen Welt würde dies nicht erfolgen. Allerdings waren die Zustände in einigen Städten und Stadtstaaten gerade auch für Kinder und Jugendliche, die nach der Flucht zu uns gekommen sind, nicht mehr hinnehmbar. Deswegen halte ich diese Verteilung für eine pragmatische Lösung, die den Umständen geschuldet ist.

Nun gilt es, die Herausforderung anzunehmen. Die Kinder und Jugendlichen sind hier. Es handelt sich um eine besonders verletzliche Gruppe, um die wir uns besonders kümmern müssen. Wir müssen jetzt hier in Schleswig-Holstein die bestmöglichen Strukturen schaffen, damit sie hier ankommen und das, was sie an Traumatisierungen zum Teil erlebt haben, hinter sich lassen können, damit sie hier eine Schule oder eine Kita besuchen und irgendwann auch erfolgreich integriert werden können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für dieses Jahr werden in Schleswig-Holstein insgesamt 2.500 Kinder und Jugendliche nach ihrer Flucht bei uns erwartet. Dass so viele auf einmal kommen beziehungsweise schon da sind, ist - da gebe ich Ihnen recht, liebe Kollegin - eine besondere Herausforderung. Es fehlen wie überall im Bereich der Flüchtlingspolitik ausreichende Wohnungen und Fachkräfte, die sich um die Kinder und Jugendlichen kümmern.

In Neumünster hat jetzt eine Modelleinrichtung zur Inobhutnahme von 60 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen die Arbeit aufgenommen. Mit der Einrichtung der zentralen Erstaufnahme werden diese jetzt endlich aus der völlig überfüllten Erstaufnahmeeinrichtung herausgeholt. Ich kann aus Sicht von uns Grünen sagen: Das ist der richtige Ansatz, und das ist eine pragmatische Lösung. Liebe Ministerin, liebe Staatssekretärin, herzlichen Dank an Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch dafür, dass Sie angepackt und das einfach gemacht haben. - Herzlichen Dank!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben besondere Erfahrungen gemacht. Das macht sie besonders schutzbedürftig. Sie haben in ihren Herkunftsländern und auf der Flucht mitunter extrem traumatische Erlebnisse gehabt. Manche von ihnen haben ihre Eltern unter schlimmen Bedingungen verloren. Das alles wird sie ein Leben lang begleiten. Deswegen ist es wichtig, dass wir alle gemeinsam alles tun, damit sie hier gut ankommen und sich bei uns gut aufgenommen fühlen.

Auch das müssen wir hier ganz offen ansprechen: Vor dem Sozialministerium und den Kommunen liegt nun die Mammutaufgabe, Schleswig-Holstein strukturell so aufzustellen, dass wir diesen besonderen Bedürfnissen gerecht werden. Erfolgreich haben sich vor Ort Initiativen gegründet. Auch das müssen wir von dieser Seite aus unterstützen. Es ist unter den gegebenen Bedingungen zwangsläufig so, dass die Bedarfslage dazu führt, dass im Moment vorübergehend nicht alle Standards eingehalten werden. Vielen Dank, auch darüber sind wir durch den Bericht informiert worden.

Unser Ziel muss allerdings sein, dass die Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, die Unterbringung, die Versorgung und die Betreuung bekommen, die sie brauchen. Ich begrüße ganz ausdrücklich den Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Wir werden ihm gern zustimmen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin, vielen Dank für den Bericht. Frau Kollegin Damerow hat es bereits dargestellt, er wurde eigentlich von Frau Staatssekretärin Langner am 12. November im Sozialausschuss gegeben. Wir hatten uns da sehr gefreut, dass wir jetzt in der Realität angekommen sind, nämlich dass die selbst gesetzten Standards an dieser Stelle so nicht weitergeführt werden können und dass wir in den Kommunen dringend eine Entlastung brauchen.

Meine Damen und Herren, nicht ohne Grund hat der Bund entschieden, dass ab dem 1. November 2015 die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge

(Dr. Marret Bohn)

oder Ausländer nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden sollen. Das hatte insbesondere den Hintergrund, dass besonders belastete Bundesländer hier eine Entlastung erfahren sollen.

Frau Ministerin, Sie haben die Zahlen freundlicherweise genannt. Ich möchte an dieser Stelle feststellen: Bundesweit gibt es 24.000 unbegleitete minderjährige Ausländer. Davon sind 2.400 bereits in Schleswig-Holstein, und täglich kommen mehr. Der Königsteiner Schlüssel verlangt von uns, dass wir 3,4 % aufnehmen. Das wäre rein rechnerisch eine Anzahl von knapp 1.900 unbegleiteten minderjährigen Ausländern.

Wir haben - wie Sie selbst gesagt haben - 2.400. Das heißt, auch Schleswig-Holstein befindet sich in einer ganz besonderen Situation, und zwar dadurch, dass wir Transitland sind. Schon bevor die große Flüchtlingswelle auf uns zugekommen ist, wussten wir, dass wir hier bestimmt auch Jugendliche aus den Zügen herausgeholt haben, die auf dem Weg nach Skandinavien waren. Unsere Einrichtungen der Jugendhilfe haben schon vorher darüber geklagt und gesagt, dass sie an dieser Stelle Unterstützung brauchen.

Frau Ministerin, ich würde von Ihnen gern wissen, wie Sie es sich konzeptionell vorstellen, dass wir zukünftig mit den Transitreisenden umgehen, die wir immer noch aus den Zügen herausholen und die eigentlich auf dem Weg zu ihren Familien nach Skandinavien sind. Unser Anliegen sollte doch eigentlich sein, die Familienzusammenführung zu befürworten und zu unterstützen. An dieser Stelle fehlen mir eine Aussage und ein Konzept.

Festzustellen ist ganz klar, das hat auch Frau Kollegin Damerow gesagt, Schleswig-Holstein weiß schon länger um die Problematik. Wir sind nicht wirklich vorbereitet. Die Kommunen sind nicht vorbereitet worden. Wenn wir jetzt mehr Flüchtlinge aufnehmen, als wir es nach dem Kontingent müssten, möchte ich gern von Ihnen wissen, ob Sie sich dafür einsetzen, dass uns der Bund auch mehr Geld gibt, als wir es nach dem Königsteiner Schlüssel bekommen, und ob Sie dafür sorgen, dass die Kommunen, die mehr Jugendliche aufnehmen, als sie eigentlich müssten, auch mehr Geld dafür bekommen, denn darum dreht sich letztlich alles. Es fehlt das Geld, somit können keine Personen eingestellt werden, es können keine Räume angemietet werden und so weiter.

Ich bin völlig bei Ihnen. Natürlich sollen sich die Jugendhilfemaßnahmen und alles, was wir für die

jungen Flüchtlinge tun, generell am Kindeswohl orientieren. Ich möchte auch keine Unterscheidung zwischen Kindern aus unserem Bundesland und Kindern aus anderen Bundesländern machen. Sie müssen gut untergebracht sein, und sie müssen gut versorgt werden.

Wir wissen doch nicht: Was haben diese jungen Menschen auf ihrem Weg auf der Flucht alles erlebt, wie traumatisiert sind sie, und wie können wir diese jungen Menschen auffangen? Vieles wird sich erst zu einem späteren Zeitpunkt abbilden. Von daher ist es meiner Fraktion und mir persönlich ganz wichtig, dass wir die Jugendlichen dort unterbringen, wo sie einen guten Zugang zu medizinischer Versorgung und zu psychologischer Betreuung haben und wo sie einen guten selbstständigen Zugang zu den Schulen und DaZ-Zentren finden, um den Weg in unsere Gesellschaft zu finden. Wir brauchen natürlich gut ausgestattete Jugendämter, die die Jugendlichen im Rahmen ihrer Vormundschaft begleiten können. Dafür müssen wir die Jugendämter in den Kommunen daher finanziell und personell unterstützen, damit sie qualitativ gut ausgestattet sind, um diese Aufgabe zu erfüllen.

(Beifall FDP und Astrid Damerow [CDU])

Ich wünsche mir, dass es mehr von solchen Erfolgsmeldungen gibt, wie ich sie heute aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Wentorf gehört habe. Dort ist es für ein Kind nach einem Jahr Flucht in dem Glauben, dass seine Eltern nicht mehr leben, während auch die Eltern glaubten, dass ihr Kind nicht mehr lebt, zu einer glücklichen Familienzusammenführung gekommen. - In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, vereinzelt SPD und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Für die Piratenfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren Bericht. Gestern haben wir noch sehr kontrovers über Flüchtlingspolitik diskutiert, und das ist gut so. Ich denke aber, heute ist es uns allen sehr wichtig, dass wir weiterkommen in der Frage: Wie kümmern wir uns um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen, und wie können wir das

(Anita Klahn)

besser machen? Ich werde versuchen, ohne die Abkürzung umAs auszukommen, weil für mich die Problematik zu ernst ist, als dass ich minderjährige Ausländer oder jugendliche Flüchtlinge als umAs bezeichnen möchte.

(Vereinzelter Beifall CDU und FDP)

Es sind Kinder und Jugendliche, die nach wochenlanger Flucht quer durch Europa bei uns eintreffen und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Sie wissen nicht, wo ihre Eltern und ihre Verwandten sind. Es ist gerade gesagt worden: Oft wissen sie nicht einmal, ob ihre Eltern und Verwandten in den Wirren des Krieges den Fluchtweg geschafft haben oder ob sie getötet wurden. Werte Kolleginnen und Kollegen, um diese Kinder und Jugendlichen wollen und müssen wir uns kümmern. Sie bedürfen eines besonderen Schutzes.

Alles, was gerade bei dem anhaltenden Zustrom dieser Gruppe durch das Sozialministerium vorgestellt und als Notmaßnahme angeordnet wurde, können und müssen wir tragen. Für uns ist es aber auch wichtig zu unterstreichen, dass dies eine Zwischenlösung ist. Auch wenn die Ministerin nicht zuhört, will ich doch darauf hinweisen, dass es noch Probleme gibt. Als wir uns mit den sozialen Diensten in Neumünster zusammengesetzt haben, haben wir festgestellt, dass es durch die Struktur der Erstaufnahmeeinrichtungen und durch den massenhaften Zustrom von Flüchtlingen durchaus vorgekommen ist, dass dort viele unbegleitete Jugendliche und Kinder längere Zeit untergebracht wurden, als sie es eigentlich sollten, und dass auch die Zahlen nicht stimmig waren, was sicherlich auch daran liegt, dass sich einige dieser Jugendlichen dann, wenn sie stark und kräftig genug sind, wieder auf den Weg machen, ohne dass sie registriert worden wären. Das zeigt, wie viel Sensibilität wir brauchen.

Ich halte es für gut, dass die Jugendämter jetzt endlich in die Lage versetzt werden, im Bedarfsfall junge Menschen an andere Kreisjugendämter abzugeben. So kommt es zu Entlastungen, zum Beispiel in Neumünster. Sie haben es ja erwähnt. Das Modellprojekt dort wird natürlich von uns unterstützt, und wir können nur hoffen, dass die strukturellen und finanziellen Mittel reichen, um dieses Modellprojekt nicht nur als Vorzeigeprojekt stehen zu lassen, sondern auch woanders umzusetzen.

Die gemachten Vorschläge werden, wie gesagt, auch von uns getragen. Wir unterstützen auch den Antrag der CDU-Fraktion. Wir wünschen uns, dass in dem Bericht tatsächlich auch immer das Ziel be

nannt wird: Wie weit sind wir in der Umsetzung, um die vorübergehenden Verschlechterungen der Standards baldmöglichst wieder aufheben zu können?

Die individuelle Betreuung muss gewährleistet sein; das ist für uns nicht verhandelbar. Denn viele dieser Flüchtlinge sind traumatisiert. Wir wollen im Moment nicht darüber streiten, möglichst auch grundsätzlich nicht, ob sechs oder acht Flüchtlinge in einem Zimmer schlafen. Ich glaube, das ist nicht das entscheidende Kriterium für diese Menschen. Vielmehr müssen die Sorge um die Seele und die Unversehrtheit an erster Stelle stehen. Deswegen müssen die medizinische und auch die seelische Versorgung sichergestellt werden, diese Versorgung darf nicht reduziert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht muss es Ziel aller Maßnahmen sein, dass wir die Familien der unbegleiteten Flüchtlinge wiederfinden. Hier muss es eine unbürokratische Zusammenarbeit mit dem Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes geben, das über die notwendige Kompetenz verfügt. Auch die Bundesregierung muss ihre Haltung zum Familiennachzug überprüfen. Ich appelliere an alle, an uns, an die verschiedenen Parteien, an die Regierung, an die verschiedenen Landesregierungen, dem, was in Berlin gerade im Print ist, den Nachzug von Familien zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für zwei Jahre zu verbieten, entgegenzutreten. Das kann nicht sein.

(Beifall PIRATEN)

Das ist ein grundsätzlicher Eingriff in die Grundrechte der Familien, insbesondere natürlich der Jugendlichen, aber auch der Eltern.

Wie soll man sich das vorstellen? Die Eltern sind noch in Syrien, und die Jugendlichen befinden sich irgendwo in Deutschland in irgendeiner Unterkunft, und man verweigert den Nachzug und damit das Zusammenkommen der Familie. Das ist unmenschlich und darf nicht Praxis werden.