Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Fraktionsvorsitzende, der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Entsetzen über die kriminellen Taten in der Silvesternacht in Köln, Hamburg und weiteren deutschen Großstädten sitzt tief. Unser Mitgefühl gilt allen Opfern.

Diese Vorgänge haben uns noch einmal vor Augen geführt, dass es auch in unserem Land viele Menschen gibt, vor allem Frauen, die sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen. Wer Angst hat, auf der Straße belästigt zu werden, geht nicht mehr vor die Tür. Wer Angst hat, schränkt sich in seiner richtiger wäre wohl: in ihrer - persönlichen Freiheit ein. Das ist eine erschreckende Wahrheit über unsere Gesellschaft.

Sexualisierte Gewalt darf kein Tabuthema sein, sondern muss diskutiert und bekämpft werden. Sie ist allerdings in unserer Gesellschaft alles andere als neu. Viele Menschen sind wütend und fühlen sich vor Angriffen von Kriminellen nicht genügend beschützt. Diese Kriminellen haben nur eine Antwort verdient: die volle Härte des Rechtsstaats mit schneller Aufklärung und konsequenter Verurteilung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Bei Kriminalität und Gewalt gibt es für uns null Toleranz, und wir verschweigen auch nicht, dass unter den Tätern offenkundig viele Asylbewerber waren. Transparenz ist erforderlich, alles, auch Verharmlosung der Vorgänge, schadet.

Das klare Zeichen, das wir ein solches Verhalten nicht dulden, ist auch eine humanitäre Verpflichtung gegenüber den Flüchtlingen, die hier Schutz suchen und friedlich leben wollen.

Warum diskutieren wir die Vorgänge im Schleswig-Holsteinischen Landtag? Weil das ein neues Phänomen von öffentlich begangener massenhafter Gewalt gegen Frauen ist, sodass auch neue Konzepte erforderlich sind? Ja, das ist ein Grund. Die geltenden Sicherheitskonzepte der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung werden überprüft werden müssen, besonders dahin gehend, wo Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum verbessert werden können. Dafür brauchen wir wohl nur in wenigen Bereichen eine Ausnahme, nicht gleich neue Gesetze, aber ausreichend Polizei.

Übrigens, Herr Kollege Günther, muss unsere Polizei nicht von der Kette gelassen werden, wie Sie das formuliert haben. Was ist das eigentlich für eine Vorstellung von Rechtsstaat? Wir haben eine Bürgerpolizei, die für das Recht steht und gute Arbeit leistet. Solche Arten von Anfeuerung aus dem Parlament braucht sie so nötig wie einen Kropf.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem diskutieren wir aber darüber, weil viele Köln als Gelegenheit für eine politische Zeitenwende sehen. Die einen rufen: „Endlich darf man einmal etwas gegen Ausländer sagen!“ Als ob die, die so tun, das nicht schon längst getan hätten. Andere hoffen, dass endlich der Punkt gekommen sein könnte, Frau Merkel zur Umkehr der humanitären Flüchtlingspolitik zu bewegen beziehungsweise zu zwingen. Bei aller Kritik an der Bundeskanzlerin: In der Auseinander

(Präsident Klaus Schlie)

setzung mit Herrn Seehofer stehen wir nun wirklich nicht an der Seite der CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die schlimmste Zeitenwende ist aber die Instrumentalisierung der Kölner Vorgänge durch Rechtsextremisten und Rechtspopulisten. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was das Thema sexualisierte Gewalt angeht - noch einmal: das ist kein neues Thema in Deutschland -, bin ich froh, dass die Union ihre Blockadehaltung beim Sexualstrafrecht aufgegeben hat, die so lange bestand, als es noch um deutsche Ehemänner ging und noch nicht um Flüchtlinge. Immerhin tragen Sie jetzt eine Verschärfung des Sexualstrafrechts mit, die die Koalition und Heiko Maas schon im Sommer vorgeschlagen haben. Der simple Kern lautet: Ein Nein muss reichen; nicht die Ausführung von Gewalt, sondern die Ankündigung reicht - finde ich. Das muss geändert werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aber nach Köln schlug die Stunde der Populisten und Vereinfacher, die wegen einiger Krimineller nun alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen. Einfache Antworten sind weder wahr noch bieten sie Lösungen.

Ja, es gibt negative Erfahrungen mit Flüchtlingen über die angesprochenen Vorgänge hinaus. Es kommen Menschen zu uns, die anders sozialisiert sind. Es verhalten sich auch manche so, wie wir das nicht wollen und dulden können. Es gibt auch schlimme Gewalttaten gegen Frauen, die von Flüchtlingen in unserem Land begangen werden. Für uns ist doch eines selbstverständlich: Unser Menschenbild ist im Grundgesetz fest verankert. Unsere Leitkultur sind die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Das gilt auch für Fragen der Gleichstellung. Und daran haben sich alle zu halten; das ist keine Frage.

Pauschalisierungen helfen in keinem Fall weiter, auch in diesem Fall nicht. Flüchtlinge sind keine besseren Menschen, weil sie Schlimmes erlebt haben. Unsere Solidarität gilt all denen, die vor Krieg, Verfolgung und Elend in Deutschland Schutz suchen und nicht verdient haben, in Misskredit gebracht zu werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Unsere Solidarität gilt ausdrücklich nicht den wenigen, die in Deutschland Straftaten begehen und dafür rechtskräftig verurteilt werden. Diese Menschen sind hier nicht willkommen. Bei Gewaltkriminalität kennen wir keine Toleranz. Das gilt konsequent und für alle und unabhängig von der Staatsbürgerschaft.

Es ist allerdings auch sehr ärgerlich, wenn sich unsere Polizei mit Vorgängen befassen muss, die auf Gerüchten und falschen Anschuldigungen beruhen, wie wir von der Landespolizei hören.

Zu den Silvester-Ereignissen gibt es noch viele offene Fragen zu den Tätern. Die Öffentlichkeit hat Anspruch darauf, dass nichts verharmlost wird und es volle Transparenz über die Umstände und den Tathergang gibt.

Die politische Antwort ist klar, sie steht in unseren Gesetzen. Es greifen die Regelungen im Strafgesetzbuch, im Aufenthaltsgesetz und auch im Asylgesetz. Unser Recht gilt überall in Deutschland und für jeden. Wir haben einen handlungsfähigen Rechtsstaat und eine unabhängige Justiz, die unsere Gesetze durchsetzt. Wir wollen schnelle Verfahren, aber nicht kurzen Prozess. Straftaten werden ohne Ansehen der Person - verfolgt und bestraft.

Das heißt übrigens auch, dass bei rechtskräftig verurteilten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern von bestehenden Rückführungsmöglichkeiten konsequent Gebrauch gemacht wird. Aber ich füge hinzu: Asylrecht ist Menschenrecht. Eines wird nicht geändert: Es wird keine Auslieferungen in Länder geben, wo Folterknechte oder Henker auf diese Menschen warten. Die müssen dann ihre Strafe in deutschen Haftanstalten verbüßen. Daran werden wir nichts ändern.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am schlimmsten aber - das muss ich Ihnen ehrlich sagen -, und nicht nur gegenüber den Opfern, ist für mich aber, dass die Ereignisse von Köln geradezu zum Freudenfest für die politische Rechte in Deutschland geworden sind. Rechtspopulisten und Rechtsextreme hetzen, spielen mit den Ängsten der Menschen, und versuchen, mit vermeintlich einfachen Antworten auf Stimmenfang zu gehen. Unsere Antwort lautet: Haltung bewahren und die Gesellschaft zusammenhalten - gegen Hetzer und rechte Brandstifter, die die Welle der Verunsicherung und Empörung reiten.

(Dr. Ralf Stegner)

Ja, wir sind entsetzt über die Taten von Köln; aber in Deutschland brennt auch jede zweite Nacht eine Flüchtlingsunterkunft, was viele gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Wir sollten nicht vergessen: Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der alle Menschen schützt - alle, die, die neu hier sind, und die, die schon lange hier leben -,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

einen Staat, vor dessen Gerichten alle gleich behandelt werden und der Asylbewerbern schnell sagt, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Das ist die Aufgabe unseres Bundesinnenministers, und da setzt die Kritik an der Frau Bundeskanzlerin an: Das ist nicht in Ordnung gebracht worden, die Verfahren dauern zu lange, und der Datenaustausch funktioniert nicht. Das sollte geändert werden - dann wären wir deutlich weiter - und nicht jeden Tag ein neues Gesetz gefordert werden.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wer bleiben kann, den müssen wir gut integrieren. Wir machen Politik für alle Menschen im Land, nicht nur für die Geflüchteten. AfD und Co wollen die Gesellschaft mit dem Ruf spalten: Seht mal, was die ausländischen Männer mit unseren deutschen Frauen tun! - Ich sage Ihnen: Wenn solche Kampagnen Erfolg haben, dann werden wir uns noch nach den Zeiten unseres liberalen Rechtsstaates und unserer Demokratie zurücksehnen.

Deswegen gilt für uns: Wir müssen die Gesellschaft zusammenhalten; wir brauchen eine Kampagne des anständigen Deutschlands. Gesellschaftlicher Zusammenhalt funktioniert nur mit Solidarität und nicht mit Ausgrenzung. Die Folge von Köln darf nicht sein, dass sich die politische Rechte in deutschen Landtagen breitmacht.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN - Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann muss man sich Ihnen auch in Fernsehdebatten stel- len und darf sie nicht ausschließen!)

Alles, was dazu führt, dass die Leute es einfacher haben, ist verantwortungslos. - Herr Kollege Garg, Sie werden mir nicht vorhalten können, dass ich das nicht tue.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Aber die Kollegin Dreyer!)

- Ja, aber wir sitzen hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Herr Kollege, und darüber reden wir hier!

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Lassen Sie mich reden, wie ich will, und reden Sie, wie Sie wollen, Herr Kollege, Sie machen das ja ohnehin.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Sie müssen hier nicht lärmen! Nutzen Sie Argumente, wenn Sie welche haben.

(Anita Klahn [FDP]: Abwarten!)

Weder sollte es einen Wettlauf mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten geben, was die Inhalte angeht, noch dürfen die Symbolthemen der Rechtspopulisten hochgespielt werden, weil man hofft, durch AfD-Sitze in Landtagen progressive Mehrheiten zu verhindern. Und die, die nicht wählen gehen, müssen wissen, dass sie Mitverantwortung tragen, wenn die Feinde der Demokratie aufgrund einer Wahlbeteiligung in die Parlamente gelangen und die Regierungsbildung beeinflussen.

Unser Staat ist stark und handlungsfähig. Wir haben hier weder eine „Lügenpresse“ noch „Systemparteien“ noch darf man hier nicht seine Meinung sagen. All das darf man, und wir sollten nicht so tun, als sei das anders.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Unser Gemeinwesen ist solidarisch und hält zusammen. Wir schützen die Menschen vor Gewalt und Kriminalität. Wir nehmen Herausforderungen positiv an, ohne Konflikte zu verschweigen. Wir pauschalisieren nichts, sondern sind bereit, für schwierige Fragen komplexe Antworten zu entwickeln.

Die Herausforderungen durch die hohen Flüchtlingszahlen sind hoch, und die Schwierigkeiten auch. Ja, Deutschland kann nicht alle Probleme der Welt alleine lösen; aber wir können einen wichtigen Teil schaffen, wenn wir gemeinsam anpacken, uns nicht entmutigen lassen und europäische und internationale Solidarität nicht abschreiben.

Wir müssen in allen Belangen konsequent sein. Wir sollten aus den schlimmen Vorgängen von Köln die richtigen Konsequenzen ziehen. Die lauten: null Toleranz bei Gewalt, egal wie sie begründet wird, egal wer sie verübt. Das ist verboten, das wollen wir nicht, und das wird hier konsequent geahndet.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Lars Harms [SSW])