Protokoll der Sitzung vom 17.02.2016

Liebe Katja Rathje-Hoffmann, meine Zwischenfrage, die ich vielleicht etwas angefasst gestellt habe, habe ich deswegen gestellt, weil ich glaube, dass es genau der falsche Weg ist, einfach nur den Sozialvertrag I in ein Landeswohlfahrtsgesetz umzuwidmen. Vielmehr müssen wir uns die grundsätzlichen Fragen stellen: Was erwarten wir von den Landeswohlfahrtsverbänden? Welche Aufgaben sollen sie erfüllen? Mit wie viel Personal müssen diese Aufgaben erfüllt werden? Welches Budget braucht man hierfür?

(Beifall Peter Eichstädt [SPD])

Das würde ich nicht an einem Sozialvertrag I festmachen wollen. Ja, Kollege Baasch, dieser ist gekürzt worden. Haben Sie die Kürzung aber zurückgenommen? - Sie haben die Kürzung nicht zurückgenommen.

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

Lassen Sie uns an dieser Stelle ganz generell darüber reden, wie wir das vernünftig miteinander auf den Weg bringen.

Lieber Kollege Dudda, ich widerspreche Ihnen ungern, aber an dieser Stelle haben Sie etwas übersehen in unserem Änderungsantrag. Es ist mitnichten eine Nuance, die dort geändert werden soll, sondern es ist die prinzipielle Frage, wieviel sozialpolitischen Gestaltungsspielraum das Parlament erhalten soll. Schauen wir uns einmal den Etat des Sozialministeriums an. Der Einzelplan 10 ist heute nichts anderes mehr als eine Zahlbarmachung von gesetzlich vorgegebenen Leistungen. Außerdem hängen noch Personalkosten hinten mit dran.

Wenn wir ein Landeswohlfahrtsgesetz schaffen, das nicht eins zu eins dem Sozialvertrag I entspricht, das dem Sozialgesetzgeber Land, also uns, mehr politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum lässt, dann haben wir eine ganz andere Qualität der Diskussion. Das wäre im Übrigen nicht nur im Sinne einer wunderbaren Streitkultur über einzelne Maßnahmen, sondern dann ginge es auch darum, welche sozialpolitische Leitlinie dieses Land in Zukunft verfolgen wird.

Deswegen finde ich die Debatte hochinteressant und hochspannend und würde sie ungern von Anfang an darauf beschränken, ob es 2 Millionen €, 2,5 Millionen € oder wieviel auch immer sind und ob die Mittel dynamisiert sind.

(Lars Harms)

Am Ende möchte ich noch etwas Versöhnliches sagen, liebe Freunde von der Union. In der vergangenen Legislaturperiode konnten Ihnen die Kürzungen im Sozialbereich nicht weit genug gehen. Offensichtlich haben Sie jetzt eine andere Auffassung. Das finde ich schön.

(Beifall FDP und Lars Harms [SSW] - Zuruf Tobias Koch [CDU])

- Herr Koch, ganz vorsichtig!

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ganz vorsichtig, Herr Kollege! Ich will Ihnen ausdrücklich zugutehalten: Die Probleme, die Niedersachsen mit dem Gesetz hat, haben Sie definitiv vermieden.

Herr Abgeordneter.

Insofern liegt uns eine sinnvolle Beratungsgrundlage vor. - Ich bin am Ende, liebe Frau Präsidentin, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Und die Großzügigkeit des Präsidiums.

Das Wort für die Landesregierung hat nun die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung, Kristin Alheit.

Danke schön, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es ist zwar schon von allen gesagt worden, aber ich will auch aus Sicht der Landesregierung ganz deutlich unterstreichen: Unser Sozialstaat ist ohne die Freie Wohlfahrtspflege schlechterdings nicht denkbar. Die Wohlfahrtsverbände sind verlässliche Garanten unverzichtbarer Dienstleistungen, innovative Antreiber von Erneuerungen, die veränderte Bedarfslagen in der Bevölkerung früh wahrnehmen und früh aufgreifen.

Die Menschen können sich in unserem Land auf die Verbände verlassen. Das Land kann sich auf die Verbände verlassen. Selbstverständlich müssen sich umgekehrt auch die Verbände auf das Land verlassen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb hat diese Landesregierung von Anfang an klargemacht, dass die kurzsichtige Kürzungspolitik auf Kosten sozialer Anliegen ein Ende haben muss, mit der meiner Ansicht nach die Vorgängerregierung mehr zerschlagen als effektiv eingespart hat. Davon waren in der vergangenen Legislaturperiode die Wohlfahrtsverbände direkt betroffen, so im Bereich der Suchthilfe und beim Freiwilligen Sozialen Jahr.

Wir haben das rückgängig gemacht. Mit 300.000 € wurden Kürzungen bei Suchthilfe und dezentraler Psychiatrie kompensiert, die wir seit 2015 für innovative Leuchtturmprojekte wieder zur Verfügung stellen. Auch die Kürzungen beim Freiwilligen Sozialen Jahr haben wir zurückgenommen. Bereits seit dem Haushaltsjahr 2013 liegt der Haushaltsansatz wieder bei 950.000 €.

(Beifall Wolfgang Baasch [SPD])

Die Kürzungen um rund 100.000 € zulasten der Jugendlichen-Freiwilligenarbeit haben wir ebenfalls korrigiert.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich finde, ich gebe genug Gelegenheit zum Klatschen.

Mit dem Sozialvertrag I haben die Wohlfahrtsverbände gesicherte und ungekürzte Zuwendungen für einen Zeitraum von vier Jahren erhalten und damit eine sehr beachtliche Planungssicherheit gewonnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die gute Zusammenarbeit gilt es auch für die Zukunft weiterzuentwickeln. Darüber sind wir auch mit den Verbänden einig und in einem vertrauensvollen Gespräch. Das gilt auch für eine gesetzliche Regelung, über die mehr Klarheit, mehr Transparenz und Sicherheit für alle Beteiligten geschaffen werden kann. Allen Beteiligten ist aber auch klar, dass eine Neuregelung durchdacht sein und juristischen Prüfungen standhalten muss. Ich muss sagen, dass der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion dies leider vermissen lässt. Ich finde es richtig, von den Erfahrungen anderer zu profitieren. Dann muss man aber auch die Probleme zur Kenntnis nehmen und nicht hoffen, dass das anderswo nicht auf den Prüfstand gestellt wird und glatt durchgeht.

(Dr. Heiner Garg)

(Zuruf Tobias Koch [CDU])

- Ich erkläre es gleich noch einmal. Hierbei haben wir offenbar schlicht eine andere juristische Einschätzung.

Der von der CDU vorgelegte Gesetzentwurf entspricht fast eins zu eins dem niedersächsischen Gesetz zur Förderung der Freien Wohlfahrtspflege. Daran ändern unserer Ansicht nach die Abweichungen bei Kranken- und Pflegeversicherungsleistungen sowie bei den Leistungen in der Wiedereingliederungshilfe nichts Substanzielles.

Sie wissen, das niedersächsische Gesetz wird derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt. Gerügt wird ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Regelungen. Zur Feststellung der Europarechtswidrigkeit stehen -

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das steht im Ge- setzentwurf doch gar nicht mehr drin!)

- Wir halten die vorgeschlagenen Änderungen für substanziell. Wir würden ein wahnsinnig großes Risiko eingehen, wenn wir auf der Grundlage eines solchen Gesetzes Auszahlungen vornehmen würden. Diese müssten nämlich gegebenenfalls zurückerstattet werden.

Deswegen ist es entscheidend, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. In meinem Haus wird ausgesprochen offen betrachtet, wie das Verfahren ausgeht. Ein Gesetz mit entsprechenden Risiken auf den Weg zu bringen, halte ich für viel zu riskant. Das ist eine Unsicherheit, die wir den Verbänden angesichts der weitreichenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben, nicht zumuten wollen.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Dr. Garg?

Ja.

Frau Ministerin, ich gehe davon aus, dass Ihnen auf jeden Fall aufgefallen ist, dass in dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion für Schleswig-Holstein die Links zu den Sozialgesetzbüchern V, IX, XI und XII gerade nicht enthalten sind und damit die Grundlage für die Unsicherheit, die

Sie soeben formuliert haben, entfallen ist. Daher muss ich sagen: Ob abgeschrieben oder nicht - die Fehler aus Niedersachsen hat die Union hier gerade nicht gemacht. Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie auf einer Basis argumentieren, die zwar bei einer Kritik an Niedersachsen zutreffend wäre, aber auf Schleswig-Holstein und den Entwurf der Union definitiv nicht zutrifft.

(Beifall FDP und CDU)

- Ich sagte es schon im Zusammenhang mit den Zwischenrufen: Wir haben schlicht eine andere juristische Einschätzung. Aber wir werden sehen, wer recht hat. Ich kann nur davor warnen, ein solches Risiko einzugehen. Ich werde noch auf einige andere handwerkliche Defizite, die der Gesetzentwurf aus unserer Sicht hat, aufmerksam machen.

Der Gesetzentwurf kann zum Beispiel eine Doppelförderung nicht ausschließen. Eine Definition von Ausschlusssachverhalten fehlt. Es wird nicht nachvollziehbar dargelegt, woran die Angemessenheit von Finanzmitteln und deren Erhöhung zu bemessen ist. Zudem fehlen Angaben darüber, was mit jenen Mitteln geschehen soll, die nicht unmittelbar in die sozialen Maßnahmen fließen.

Mir ist allerdings noch etwas aufgefallen - dazu will ich abschließend noch ein paar Worte sagen -: Der Gesetzentwurf nimmt keine angemessene Würdigung des Ehrenamtes vor. Dessen professionelle Unterstützung ist aber wesentlicher Bestandteil von Verbandsarbeit und muss daher bei der Förderung der Wohlfahrtspflege immer mitgedacht werden. Geschieht dies nicht, blenden wir einen Kernbereich dieser Verbandsarbeit aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der vorgelegte Entwurf ist meiner Ansicht nach handwerklich nicht genug durchdacht und muss noch einmal richtig überarbeitet werden. Er birgt juristische Unsicherheiten, die nach meinem Verständnis nicht den Verbänden aufgelastet werden dürfen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 18/3809 sowie den Änderungsantrag Drucksache 18/3877 federführend dem Sozialausschuss

(Ministerin Kristin Alheit)