Protokoll der Sitzung vom 10.06.2016

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beherrschenden Themen des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2015 sind die Reaktionen politischer Extremisten auf die deutsche Asylpolitik sowie die Beschreibung der Gefährdungslage durch den Islamismus. Der islamistische Terrorismus stellt gegenwärtig die größte Gefahr für die innere Sicherheit dar. Die Anschläge von Paris im Januar und November 2015 und im März 2016 in Brüssel haben gezeigt, dass es auch in Europa jederzeit zu islamistisch motivierten Anschlägen kommen kann.

Dass auch Deutschland im Zielspektrum islamistisch motivierter Terroristen liegt, belegen die jüngsten Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen drei syrische Staatsangehörige. Die Männer sollen nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand im Auftrag der Führung des sogenannten Islamischen Staats einen Anschlag auf die Düsseldorfer Altstadt geplant haben.

Auch in Schleswig-Holstein sind solche weichen Ziele vorstellbar. Deshalb hat die Verfassungsschutzbehörde derzeit insbesondere dschihadistische Kleinstgruppen und Einzelpersonen im Blick. Der Verfassungsschutz und die Polizeibehörden haben zahlreiche Aufklärungsmaßnahmen ergriffen, um konkrete Verdachtsmomente ausräumen oder erhärten zu können.

Im Mittelpunkt des Interesses der Sicherheitsbehörden stehen dabei in Deutschland aufgewachsene Islamisten, die sich radikalisiert haben, so wie Dschihadisten, die gegebenenfalls als Flüchtlinge getarnt einreisen.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Beobachtung des Salafismus. Die Anhänger dieser Szene locken vor allem Jugendliche und junge Erwachsene mit professioneller Propaganda insbesondere im Internet an und versuchen, sie für ihre rechtsextremistischen Vorstellungen zu vereinnahmen. Darüber hinaus versuchen Salafisten, massiv Einfluss auf muslimische Flüchtlinge zu nehmen, um diese für ihre verfassungsfeindliche Ideologie zu gewinnen. Dies führt letztlich zu einer Zunahme des salafistischen Spektrums im Land. So ist das salafistische Personenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr um 70 auf nunmehr 300 Personen gestiegen, und diese Entwicklung setzt sich fort.

Die verschärfte Bedrohungslage schlägt sich auch in den Zahlen der islamistisch motivierten Straftaten nieder. Diese nahmen von acht Fällen 2014 auf insgesamt 27 Straftaten im vergangenen Jahr zu. In drei von diesen 27 Fällen wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten geführt, die im Zusammenhang mit dschihadistisch motivierten Ausreisefällen in den Dschihadgebieten Syrien und Irak stehen.

In zwei weiteren Fällen hat die Staatsanwaltschaft wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, dem sogenannten Islamischen Staat, ermittelt, wobei sich die Verdächtigen lediglich zum IS bekannt haben, sie waren nicht aktiv an terroristischen Handlungen beteiligt.

Im Bereich des nicht religiös motivierten Ausländerextremismus liegt der Beobachtungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes nach wie vor auf der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, und den türkischen Rechtsextremisten, der ÜlkücüBewegung. Beide Beobachtungsobjekte beziehen ihre politischen Themen aus der Türkei und importieren die dortigen Konflikte nach Deutschland.

Das beherrschende Thema der rechtsextremistischen Szene ist nicht erst seit dem vergangenen Jahr die Anti-Asyl-Agitation. Die große Zahl aufgenommener Flüchtlinge und die hohe abstrakte Gefahrenlage durch den Islamismus versuchen die Rechtsextremisten zu nutzen, um einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Dabei findet der Rechtsextremismus der Gegenwart in Schleswig-Holstein bislang nicht auf der Straße statt. Es gibt derzeit

auch keine Hinweise auf eine Solidarisierung breiter Bevölkerungsschichten mit bekennenden Rechtsextremisten.

Vielmehr bietet das Internet mit seinen verschiedenen sozialen Medien heute die Plattform für massenhaft radikale Äußerungen. Die Schwelle zur Strafbarkeit wird dabei nicht selten überschritten. Durch den großen Umfang der Veröffentlichungen ist es dem Verfassungsschutz aber nur eingeschränkt möglich, das Personenpotenzial zu beschreiben, bei dem diese Agitation auf fruchtbaren Boden fällt. Mittelfristig ist eine weitere Verschärfung der rechtsextremistischen Bedrohungslage zu erwarten. So stieg die Zahl der zweifelsfrei dem Rechtsextremismus zuzuordnenden Personen bereits im Berichtsjahr im Vergleich zu 2014 um über 21 % von 1.070 auf 1.300 Personen an.

Auch die politisch motivierten Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund nahmen zu. 2015 registrierten die Sicherheitsbehörden insgesamt 640 Straftaten, das sind 201 mehr als 2014, darunter 38 Gewalttaten, 17 mehr als 2014.

Nicht zuletzt wegen des Verbotsverfahrens war der Blick im vergangenen Jahr dabei deutlich auf die NPD gerichtet. Deren Mitgliederzahl nahm zwar leicht von 130 auf 140 Personen zu, organisatorisch bleibt diese Partei aber weiterhin hier bei uns im Lande schwach. Mit der sogenannten Identitären Bewegung und der Reichsbürgerbewegung sind außerdem zwei verfassungsfeindliche Bestrebungen aktiv gewesen, die in Schleswig-Holstein noch eher klein sind. Da die Identitäre Bewegung ihren rechtsextremistischen Hintergrund verschleiert und die Reichsbürger rigoros gegenüber staatlichen Institutionen auftreten, stellen sie aber eine für die Zukunft nicht zu unterschätzende Gefahr dar.

Linksextremisten traten im Berichtsjahr etwas häufiger als in den Vorjahren in Erscheinung. Insgesamt ist ihre Präsenz gegenwärtig aber als mäßig einzustufen. Auch hier gab es eine Zunahme der politisch motivierten Straftaten von 178 im Jahre 2014 auf 200. Darunter waren 23 Gewalttaten gegenüber sechs im Jahr 2014. Ursächlich hierfür waren Großveranstaltungen wie etwa die G-7-Außenministerkonferenz im April 2015 in Lübeck. Darüber haben wir hier auch gesprochen. Die Zahl der Linksextremisten war im Berichtsjahr leicht rückläufig. Sie ging von 680 Personen auf 670 Personen zurück. Darunter befinden sich unverändert 310 gewaltbereite Aktivisten. - Soweit die wesentlichen Auszüge aus dem vorliegenden Bericht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion hat Frau Abgeordnete Petra Nicolaisen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht lang her, dass im Zuge der Debatte um die Vorwürfe gegenüber befreundeten Nachrichtendiensten

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie? Befreun- det?)

auch hier im Hause die deutschen Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendienste verteufelt und sogar für überflüssig gehalten wurden.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

Heute sind diese Stimmen weitgehend verstummt.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein!)

Das Erstarken von Extremisten aller Couleur macht deutlich - der Minister hat es ausgeführt -: Leistungsfähige Verfassungsschutzbehörden sind für die Sicherheit unserer offenen Gesellschaft unerlässlich. Das gilt für unser Landesamt, für den Verfassungsschutz. Das gilt aber auch für die übrigen deutschen Dienste, die daran arbeiten, uns vor Feinden von innen und außen zu schützen.

Die Vorlage des Berichts 2015 bietet mir dann einmal die Gelegenheit, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

(Beifall Wolfgang Kubicki [FDP])

des Landesamtes herzlich für ihre wichtige Arbeit zu danken.

(Vereinzelter Beifall)

Dies gilt insbesondere für das Jahr 2015, in dem auch an dieser Stelle die Herausforderungen dramatisch gewachsen sind. Insbesondere die Flüchtlingssituation hat dazu beigetragen. Extremisten von ganz rechts versuchen, über dieses Thema an Boden zu gewinnen, bislang Gott sei Dank weitgehend erfolglos. Die Reaktion aus dem linksextremen Spektrum hat nicht lange auf sich warten lassen. Auch hier sind steigende Aktivitäten zu verzeichnen.

(Minister Stefan Studt)

Als brandgefährliche neue Bedrohung ist der religiös motivierte Extremismus aktuell in den Vordergrund getreten und bildet den Schwerpunkt der Tätigkeit des Landesamtes. Islamistischer Extremismus fordert vielfach die Aufmerksamkeit der Verfassungsschützer: junge Menschen, die sich aufmachen wollen, weil sie in ihrer Verblendung den IS unterstützen möchten, Menschen, die teilweise mit Kampferfahrung aus den IS-Gebieten zurückkommen und eine Bedrohung darstellen. Prävention, die dazu beiträgt, dass sich junge Menschen in einer Krisensituation eben nicht selbst radikalisieren oder für Rattenfänger der Islamisten ansprechbar sind, gewinnt rasant an Bedeutung.

Alle weiteren Aufgaben des Landesamtes bleiben dabei natürlich auch weiterhin bestehen. Andere Extremisten mit Verbindung ins Ausland, Spionageabwehr und Schutz der heimischen Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund ist der beschlossene personelle Aufwuchs absolut notwendig und keinesfalls üppig. Wir werden sehr genau im Auge behalten, ob weitere Kräfte erforderlich sind, um alle Aufgaben des Landesamtes zu erfüllen.

Aus all diesen Aufgaben möchte ich eine noch einmal besonders hervorheben: Der Bericht führt aus ich zitiere -:

„4 Wirtschaftsspionage

Nach wie vor widmet eine Vielzahl von Unternehmen diesem Thema nicht die notwendige Aufmerksamkeit und verkennt die Gefahren, die damit einhergehen.“

Unser Landesamt hat sich 2015 auf mehreren großen Veranstaltungen und über 20 direkten Beratungen von Unternehmen dafür eingesetzt, dass das wirtschaftliche Know-how unserer Unternehmen bestmöglich gegen Wirtschaftsspionage geschützt ist. Ich habe den Eindruck, dass es vielen Unternehmen nicht ausreichend bewusst ist, mit welchen schutzwürdigen Geschäftsgeheimnissen sie umgehen, und dass sie somit Opfer von Wirtschaftsspionage werden können. Ich möchte gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Land deshalb ausdrücklich ermuntern, an unser Landesamt für Verfassungsschutz heranzutreten und sich beraten zu lassen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Tobias von Pein.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Ich habe es hier immer betont und betone es auch diesmal ganz deutlich: Demokratieförderung ist Präventionsarbeit, um allen demokratiefeindlichen Meinungen in der Gesellschaft zu begegnen; denn wer weiß, wie und wo er sich für die Gesellschaft einsetzen kann, wird viel weniger auf die Idee kommen, zu antidemokratischen Mitteln zu greifen. Wir reden heute über den Nährboden. Leider ist der Nährboden, auf dem dieses Gefährdungspotenzial entsteht, viel näher bei uns, als es uns lieb sein kann; denn diese Phänomene wie Rassismus, Angst vor dem vermeintlich Fremden, Antisemitismus und so weiter entstehen in der Mitte der Gesellschaft und treffen dort leicht auf Zustimmung. Die Welt ist nun einmal kein Hufeisen, deshalb setzt Prävention auch in der Mitte an und schützt so auch vor einem Abwenden von Demokratie.

Was im Bereich der Extremismus-Prävention und Opferberatung in diesem Land geleistet wird, ist großartig. Das ist nämlich immer zuerst Arbeit, um Demokratie zu fördern und ihren Feinden zu begegnen. - An dieser Stelle einen herzlichen Dank an alle, die sich dafür einsetzen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Petra Nicolaisen [CDU])

Darum soll es eigentlich immer gehen: Demokratie stärken. Warum stelle ich das so voran? - Weil ich versuchen will, ein positives Bild zu zeichnen und ein bisschen Hoffnung zu verbreiten, denn wir brauchen das angesichts der wirklich schrecklichen Entwicklungen im letzten Jahr und auch in diesen Monaten. Über 1.000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im vergangenen Jahr - über 1.000! -, ein paar auch bei uns.

Als wir als SPD-Landtagsfraktion vor ungefähr genau einem Jahr eine Reise nach MecklenburgVorpommern gemacht haben, habe ich mitangeregt, dass wir uns Rostock-Lichtenhagen ansehen und auch nach Anklam fahren. In Anklam waren wir in einem Demokratiezentrum analog zu den Beratungsstellen gegen rechts bei uns. Das war ein beeindruckender Besuch, es war für viele meiner Kollegen und für mich auch erschreckend anzusehen, wie sich dieses Zentrum quasi versteckt hat und uns gleichzeitig erzählt wurde, dass um die Ecke der nationale Treffpunkt inklusive Bürgerbüro der NPD offen und mitten in der Stadt sichtbar ist. - Das ist Deutschland im Jahr 2015/2016. Das ist natürlich an sich ein großes Problem und wird in Mecklen

(Petra Nicolaisen)

burg-Vorpommern auch sehr engagiert bekämpft und bearbeitet.

Unser Besuch in Lichtenhagen war ebenfalls sehr bewegend, obwohl es ein sehr sonniger Tag war und man es nicht so wirklich gesehen hat: Kaum zu glauben, dass in diesem heute friedlichen Wohngebiet einmal eine Hetzstimmung gegen Flüchtlinge herrschte. Allerdings war damals auch kaum vorstellbar - wir reden ja über eine Sache, die wir vor einem Jahr gemacht haben -, dass es so etwas in Deutschland noch einmal geben kann - im Juni 2016.

Und jetzt sind wir im Juni 2016 und noch einmal: Über 1.000 Angriffe im letzten Jahr, und es hält noch immer an - eine krass ansteigende Anzahl von Opfern, Opfern von Hetze, offenem Rassismus, Anfeindungen, Gewalt, auch Angriffe auf Ehrenamtliche, Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker gibt es. Nun sind wir eine harte Wortwahl gewöhnt, doch wir merken alle doch, dass sich diese Gesellschaft irgendwie verändert hat und verroht ist. Auch ich bekomme Zuschriften und Rückmeldungen, die man unter rechtspopulistisch und diskriminierend subsumieren kann. Es gibt einen steigenden Hass, steigende Kompromisslosigkeit, steigenden so könnte man auch sagen - Meinungsfundamentalismus. Darüber haben wir hier auch schon diskutiert. Ich fürchte, wir müssen das noch häufiger machen.

Der vorliegende Verfassungsschutzbericht belegt, dass es einen zunehmenden Rechtsextremismus gibt. Zwar sind die organisierten Neonazis in Schleswig-Holstein erfolglos. Das hat etwas darüber hinweggetäuscht, dass es für Rechtsaktivitäten viele Anknüpfungspunkte gibt. Um es klar zu sagen: Auch wer rassistisch handelt oder aufgrund einer wie auch immer gearteten nationalistischen Motivation aktiv wird und Einzeltäter ist, ist rechtsextrem.

Der aufkeimende Rechtsextremismus ist ein Nährboden hierfür, und Rechtspopulisten sind die geistigen Brandstifter dieser traurigen Entwicklung. So ist das personelle Potenzial dramatisch, um 21 %, angestiegen. Das ist keine Überraschung. Die Zahl der Straftaten ist hierzulande sogar um 45 % gestiegen. Wir sehen also: ein trauriger Höhepunkt der letzten Jahre.

Auch die Aktivitäten im Bereich des religiösen Fanatismus sind weiterhin Grund zur Sorge. Die Sicherheitsbehörden arbeiten aber gut. Diese antidemokratischen Tendenzen sind gefährlich für das friedliche Zusammenleben.

(Beifall SPD und Burkhard Peters [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber auch da muss es darum gehen, gute Ansätze zu finden, um diese jungen Leute - meistens sind es ja junge Leute - auf dem richtigen Weg zu halten oder sie zurückzuholen. Das kann zum Beispiel auch durch den Ausbau der Präventionsangebote geschehen.