Aber auch da muss es darum gehen, gute Ansätze zu finden, um diese jungen Leute - meistens sind es ja junge Leute - auf dem richtigen Weg zu halten oder sie zurückzuholen. Das kann zum Beispiel auch durch den Ausbau der Präventionsangebote geschehen.
Ich danke der Landesregierung für ihren Bericht, der zeigt, dass wir weiter wachsam sein müssen. Klar ist: Die größte Gefahr geht von rechts aus, auch wenn der Demokratiefeind an der einen oder anderen Stelle vielfältiger und agiler geworden ist. Deshalb liegt der Schwerpunkt ganz klar auf der Bekämpfung des Rechtsextremismus, aber auch auf der Stärkung der demokratischen Kultur. Demokratie ist nichts Selbstverständliches, sie muss jeden Tag neu erkämpft, gelebt und erstritten werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Tobias von Pein, ich schließe mich deinen Einschätzungen und Ausführungen vollumfänglich an, ich muss das nicht alles wiederholen. Ich werde meinen Schwerpunkt ganz anders setzen und so, wie es Ihnen, Frau Kollegin Nicolaisen, nicht gefallen wird.
Die Debatten um den Verfassungsschutzbericht laufen nach einem Muster ab, das sich jährlich wiederholt. Je nach Parteicouleur wird dann entweder die eine oder die andere der drei Hauptbestrebungen rechts, links, religiös motiviert - als besonders gefährlich akzentuiert. Nicht selten wird der Vorwurf erhoben, die einen seien auf dem rechten Auge blind, die anderen auf dem linken Auge blind, und die Gefahren eines politischen Islamismus würden auch verharmlost. Es wird munter heruminterpretiert, spekuliert, es werden Schlüsse gezogen, Patentrezepte ausgetauscht, Forderungen nach mehr Personal, Material und mehr Datenaustausch erhoben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich muss zugeben, dass ich dieses Ritual zunehmend als unbefriedigend empfinde, obwohl ich auch zugeben muss,
dass ich mich in der Vergangenheit natürlich sehr häufig und sehr stark daran beteiligt habe. Denn: Was uns die Berichte tatsächlich über die Lage in Schleswig-Holstein verraten, auf welcher Faktengrundlage sie beruhen, ob man für die vorliegenden Ansammlungen von Erkenntnissen wirklich 120 Leute braucht, was die da genau machen, was aus Geheimschutzgründen alles nicht im Bericht steht, in welchem Verhältnis die allgemeine Recherchearbeit aus öffentlich zugänglichen Quellen einerseits und die Arbeit mit nachrichtendienstlichen Mitteln andererseits steht, welche Rolle VLeute spielen: All das bleibt bei unseren jährlichen Betrachtungen merkwürdig unterbelichtet.
Ich muss Ihnen sagen: Ich bin jetzt im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Friesenhof. Da habe ich hören müssen, dass in der Vergangenheit für die 1.000 Einrichtungen, die es in diesem Lande gibt, vier Leute zuständig waren. Inzwischen waren es sechs und sind jetzt acht. Irgendwie kam mir da eine gewisse Disproportionalität in den Sinn, als ich diese Zahlen verglichen habe.
Dies ist umso bemerkenswerter, als es nach dem Aufdecken des NSU im Dezember 2011 eigentlich eine gravierende Zäsur hätte geben müssen.
Die zweite Frage: Halten Sie es für angemessen, die Überwachung von Einrichtungen der Jugendpflege mit der Überwachung von terroristischen Aktivitäten oder terroristischer Bewegungen - sowohl von rechts oder von links wie auch extremistischer Art - zu vergleichen? Halten Sie diesen Vergleich für angemessen?
- Zu Ihrer ersten Frage: Natürlich arbeitet ein Geheimdienst klandestin. Darum ist er ein Geheimdienst. Die Frage ist aber, über was reden wir dann überhaupt, wenn er so verdeckt arbeitet? Wir wissen dann eben nichts. Wir ziehen ganz viele Schlüs
se, stellen Erwägungen an, und schließen uns den Einschätzungen des Verfassungsschutzberichts entweder an oder bezweifeln sie. Aber unsere Grundlage dafür ist im Grunde genommen nicht gegeben. Das ist genau das, was ich problematisiere.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich sage nicht, dass die Heimaufsicht und die Arbeit des Verfassungsschutzes identisch ist. Das wäre natürlich völliger Quatsch. Ich sage nur: Das eine erfordert Personal, das andere aber möglicherweise auch. Da besteht vielleicht eine gewisse Disproportionalität. Die stelle ich erst einmal als Frage in den Raum. Ich will mehr darüber wissen!
Es war Konsens des Abschlussberichts des entsprechenden Untersuchungsausschusses des Bundestages im August 2013, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder - und ich zitiere jetzt - „unbestreitbar versagt“ hätten. Dieser Konsens bestand übrigens parteiübergreifend, von der Linken bis zur CDU/CSU. Die Analysen seien falsch und grob verharmlosend gewesen, mit fatalen Unterschätzungen und Bagatellisierungen des Gefahrenpotenzials des Trios.
Der Abschlussbericht hat eine Reihe von Forderungen aufgestellt. Ich erspare Ihnen wegen des Zeitablaufs jetzt, das im Einzelnen darzulegen. Es scheint mir aber so, als sollte die dringend nötige Grundsatzdiskussion über Rolle, Aufgaben und Instrumente einer Verfassungsschutzbehörde nicht nur hier, sondern auch in anderen Bundesländern und im Bund nicht angemessen bearbeitet werden. Der Auftritt des Chefs des Bundesamts für Verfassungsschutz, Maaßen, vorgestern vor dem NSAUntersuchungsausschuss des Bundestages, spricht in dieser Hinsicht Bände.
Lassen Sie mich daher über ein Eckpunktepapier der Grünen-Bundestagsfraktion vom 10. Mai 2016 unter dem Titel „Mehr Sicherheit durch Rechtsstaatlichkeit“ berichten. Es befasst sich umfassend mit Polizei, Nachrichtendiensten und selbstverständlich auch mit den Verfassungsschutzbehörden. Es zieht in einer zunächst radikal anmutenden Lösung auch die Konsequenzen aus den Erfahrungen der Untersuchungsausschüsse zum NSU in Bund und Ländern.
Das Papier fordert eine echte Zäsur beim Verfassungsschutz: Anstelle des Verfassungsschutzes soll ein neues, unabhängiges Institut zum Schutze der Verfassung und der Demokratie menschenfeindli
che Bestrebungen beobachten und analysieren. Gerade beim Beispiel Rechtsextremismus, so wird dort behauptet, seien Wissenschaft und engagierte Zivilgesellschaft regelmäßig viel besser über die Entwicklungen informiert, als es das Bundesamt ist. Gegenüber der Polizeiarbeit klar begrenzte Aufgaben mit Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sollen in ein neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr überführt werden.
Hans-Peter Bull, Innenminister in Schleswig-Holstein von 1988 bis 1995, genießt in diesem Hohen Haus zu Recht einen sehr guten Ruf. Er hat schon im September 2013 einen radikalen Reformvorschlag vorgelegt.
„Die Ämter von Bund und Ländern sollen zu einem wissenschaftlichen Institut schrumpfen und ihre operativen Aufgaben an die Polizei abgeben.“
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der aktuelle Verfassungsschutzbericht dokumentiert für das Vorjahr Entwicklungen im Bereich des Extremismus, die durchaus Anlass zur Sorge und zu er
höhter Wachsamkeit geben. Was die Zahlen im Bereich des Rechtsextremismus wie des Linksextremismus betrifft, hat Herr Minister Studt vorhin in seinem Redebeitrag die wesentlichen Stichpunkte genannt und auch mit Angaben vorgetragen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur ergänzen, dass zumindest außerhalb unseres Bundeslandes beziehungsweise in anderen Bundesländern im Vorjahr auch eine Tendenz zutage getreten ist, die jedenfalls für den Fall, dass das Schule machen sollte - durchaus auch Anlass zur Sorge bietet, nämlich, dass sich Extremisten von rechts außen und links außen in bestimmten Situationen vereint gegen die Polizei wenden, so, wie das in Sachsen im Ort Heidenau der Fall gewesen ist, als die Polizei dort eigentlich zum Schutz einer Flüchtlingsunterkunft im Einsatz war.
Zumindest ein Problem ist das Anwachsen des salafistischen Spektrums. Darauf hat der Minister in seiner Rede vorhin auch Bezug genommen. Ich möchte dazu sagen: Es ist weniger die Zahl der Angehörigen dieser entsprechenden Gruppierung oder die Zahl der bisher registrierten Straftaten. Das vermischt sich vielmehr mit einem weiteren Problem, nämlich der Zahl der Rückkehrer aus dem Einflussbereich des Islamischen Staates, aber auch der Anzahl von Gefährdern, die im Rahmen der aktuellen Flüchtlingsbewegung die Gelegenheit genutzt haben, nach Deutschland zu kommen, unter Umständen auch nach Schleswig-Holstein, und die sich in diesem Kontext ergebenden Gefahren im Bereich des Terrorismus.
Die ungeregelte Grenzöffnung, die mit der Entscheidung der Bundeskanzlerin Anfang September vorigen Jahres verbunden war und die in zahlreichen Fällen unterlassene Identitätsklärung haben hier zu Risiken geführt, mit denen Verfassungsschutz und Polizei heute erhebliche Probleme haben. Im April dieses Jahres hat etwa der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sehr deutlich gemacht, dass es hier Versäumnisse und frühere Fehleinschätzungen auch bei seiner Behörde gegeben hat. Eine Nutzung der Flüchtlingsströme durch den IS habe man zunächst für „weniger wahrscheinlich“ gehalten. Ich zitiere noch einmal aus dem Bericht in der „Welt am Sonntag“:
In diesem Zusammenhang problematisierte Herr Maaßen dann auch den Umstand, dass 70 % der Flüchtlinge keine gültigen Pässe vorlegten, und er
äußerte die Sorge, dass sich gefährliche Personen bereits unter falscher Identität im Lande befänden.
Der Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch, hat nach einem Bericht des „Handelsblatts“ am 4. Juni 2016, also vor wenigen Tagen, davon gesprochen, in Deutschland befänden sich derzeit knapp 500 Islamisten, „denen die Sicherheitsbehörden die Begehung eines Anschlags zutrauen“. - 500 Personen!
Anders als manche unserer Nachbarn in der Europäischen Union haben wir in Deutschland bislang Glück gehabt, dass geplante Anschläge rechtzeitig verhindert werden konnten oder wegen fehlerhafter Vorbereitung misslungen sind. Da wir uns aber nicht darauf verlassen können, dass dieses Glück uns auch in Zukunft treu bleibt, müssen die zuständigen Behörden im Bereich der inneren Sicherheit vor allem durch bessere personelle, aber auch durch die erforderliche sächliche Ausstattung in die Lage versetzt werden, den gestiegenen Herausforderungen bei der Terrorabwehr im ganz Allgemeinen und bei der Bekämpfung des Extremismus gerecht werden zu können. Dazu gehört auch die Vernetzung von Datenbanken wie des Schengener Informationssystems für Fahndung und des Visa-Informationssystems, aber auch des Informationssystems EURODAG zur Speicherung von Fingerabdrücken von Flüchtlingen.
Nicht zielführend wäre dagegen eine massenhafte anlasslose Überwachung aller Bürger, und zwar nicht nur deshalb, weil damit Bürgerrechte in unvertretbarer Weise verletzt würden, sondern auch deshalb, weil ein solcher Ansatz ohne Sinn und Verstand Personalkapazitäten verschlingen würde, die man besser auf das Aufspüren
und Verfolgen der bereits bekannten und durch gutes nachrichtendienstliches Handwerk erkennbaren Gefährder ausrichten sollte.