Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/4194 (neu)
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das sehe ich nicht. Ursprünglicher Antragsteller war die FDP-Fraktion. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Von den Alliierten aus den Konzentrationslagern befreit und in der noch jungen Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt und eingesperrt.
- Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. - Das war allein in Westdeutschland für rund 50.000 homosexuelle Männer Realität in der noch sehr jungen Demokratie.
Diese Männer wurden strafrechtlich verfolgt, sie wurden gesellschaftlich geächtet, sie wurden verurteilt, ihre Familien und Existenzen oft vernichtet: Alltag für homosexuelle Männer in der Bundesrepublik der 50er- und 60er-Jahre.
Die meisten von ihnen, die heute noch leben, leiden immer noch; die meisten leiden still. Sie konnten nie das Leben führen, das sie sich wünschten. Viele von ihnen waren und sind bis heute gebrochene Menschen. Sie wurden gedemütigt.
Auf der Grundlage eines Strafrechtsparagrafen aus dem Jahr 1872, der zur Nazi-Zeit - 1935 - noch einmal verschärft wurde, hat man diesen Männern ihre Würde genommen. Was ihnen angetan wurde, kann nicht wiedergutgemacht werden.
2002 beschloss der Bundestag eine Gesetzesänderung, die alle in der Nazi-Zeit erfolgten Verurteilungen für nichtig erklärte. Männer, die nach dem Krieg auf derselben gesetzlichen Grundlage verurteilt wurden, sind dagegen bis heute nicht rehabilitiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können heute - ich habe das nicht nur der Plenardebatte zum gleichen Gegenstand am 11. Dezember 2014 entnommen, sondern auch der gemeinsame Antrag unterstreicht das - gemeinsam, alle Demokraten miteinander, mit der vollständigen Rehabilitierung dieser Männer endlich den Versuch unternehmen, ihnen zumindest ihre Würde wiederzugeben.
Zugleich soll der heutige Beschluss auch ein klares und unmissverständliches Versprechen für Gegenwart und Zukunft sein, dass die Würde des Menschen unantastbar und sie zu achten und zu schützen die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, dass das, was wir in Artikel 1 Absatz 1 unseres Grundgesetzes stehen haben, in dieser gewachsenen Demokratie von heute für alle Menschen gelebt wird.
Die Geschichte des § 175 Strafgesetzbuch der Bundesrepublik ist dabei durchaus interessant. Ich will, weil ich auch von Parteifreundinnen und Parteifreunden immer wieder gebeten wurde, noch einmal deutlich sagen: Ja, der § 175 Strafgesetzbuch galt ausschließlich für Männer.
Mit der Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 1969 kurz vor Ende der Großen Koalition von Bundeskanzler Kiesinger wurde der § 175 zum ersten Mal in der Bundesrepublik geändert. Homosexualität unter erwachsenen Männern über 21 Jahre war zum ersten Mal keine Straftat mehr.
Am 23. November 1973 führte dann das Kabinett Brandt II in einer sozial-liberalen Koalition eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts durch. Der entsprechende Abschnitt im Strafgesetzbuch wurde von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ umbenannt. Ebenso wurde der Begriff der Unzucht gegen den der sexuellen Handlung ersetzt. In § 175 blieb nur noch der Sex mit Minderjährigen als qualifiziertes Merkmal zurück, wobei man das sogenannte Schutzalter von 21 auf 18 Jahre absenkte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, bei all dem Leid, bei all der Verletzung der Menschenwürde, die insbesondere die - so darf ich sie einmal nennen - sehr alten homosexuellen Männer, die an Lebensjahren reichen homosexuellen Männer in der Bundesrepublik Deutschland erleben mussten und die ihnen widerfahren ist, ist das heute trotzdem ein guter Tag, weil der Schleswig-Holsteinische Landtag in Eintracht - komplett über alle Fraktionsgrenzen hinweg - ein deutliches Signal sendet - nach
dem Gutachten der Antidiskriminierungsstelle, das die vollständige Rehabilitierung fordert, die das auch ganz deutlich sagt; - wegen der mir nicht mehr verbliebenen Zeit will ich nicht weiter darauf eingehen - und deutlich macht, dass in diesem Fall auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine vollständige Rehabilitierung bestehen.
Ich komme zum Ende. - Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein richtiges Signal, wenn wir heute die Bundesregierung bei ihrem angekündigten Vorhaben unterstützen, diesen Menschen ihre Würde zurückzugeben. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist ein sehr schöner Moment, in dem wir uns gemeinsam zu diesem Antrag im Schleswig-Holsteinischen Landtag bekennen, und ich freue mich sehr darüber. Bereits im Dezember 2014 hat sich der Landtag Schleswig-Holstein mit diesem Thema auseinandergesetzt und mit Mehrheit den Beschluss gefasst, sich auf Bundesebene für die Aufhebung dieser Urteile einzusetzen.
Die CDU-Fraktion hat sich damals mit einem Änderungsantrag in die Debatte eingebracht. Auch damals forderten wir die volle politische, gesellschaftliche und sozial-ethische Rehabilitierung. Wir haben uns ausdrücklich dem Beschluss zur Bundesratsinitiative aus dem Jahr 2012 angeschlossen. In der Rehabilitierung und Anerkennung waren und sind wir uns ja auch alle einig, da besteht hier kein Unterschied zwischen den Parteien. Der Bundesrat hat im vergangenen Jahr einen neuen Beschluss zu diesem Thema gefasst. Neben der Entschädigung soll jetzt auch die Aufhebung der Urteile erfolgen, und das wird auch Zeit.
Wie Sie sicherlich alle wissen, ist dies bisher der strittige Punkt in der Debatte. Dabei stellt sich die Frage: Kann man nachträglich Urteile aufheben, die
aufgrund einer damals rechtsgültigen Gesetzeslage gefällt wurden? Im vergangenen Jahr haben sich die Justizminister der Länder mit diesem Thema beschäftigt und den Beschluss zu einer Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer von Strafverfolgung wegen homosexueller Handlungen gefasst. Die explizite Aufhebung der Urteile ist dort jedoch nicht enthalten.
Wir sind uns ohne Frage einig: Die strafrechtliche Verfolgung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung nach 1945 - für die Zeit davor sind sie schon rehabilitiert worden - ist eine Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen. Sie ist so gravierend, dass Rehabilitierung und Entschädigung sein müssen. Die nach 1945 weiter erfolgte Stigmatisierung und Kriminalisierung dieser Menschen sind aus heutiger Sicht erfreulicherweise ein klarer Verstoß gegen das freiheitliche Menschenbild.
Auch in Zukunft müssen wir uns weiterhin für die Bekämpfung von Diskriminierung und Anfeindung aufgrund der sexuellen Orientierung einsetzen. Da der Bundesjustizminister im Mai angekündigt hat, durch sein Haus einen Gesetzentwurf vorlegen zu lassen, gehe ich davon aus, dass es jetzt zu einer schnellen Umsetzung kommen wird und wir noch einen Abschluss in dieser Legislaturperiode erreichen müssen.
Wir freuen uns, dass wir diesen gemeinsamen Impuls nach Berlin schicken können, auch um die Ernsthaftigkeit dieses Ansinnens noch einmal zu dokumentieren. Der Bundesrat sagt, es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten, wie die Aufhebung der Urteile erfolgen kann. Wir wünschen daher, dass bei der Erstellung der Gesetzentwürfe genau geprüft wird, welche der Möglichkeiten eine rechtssichere Aufhebung der Gerichtsurteile durch die Legislative möglich macht. Dabei hilft auch das Gutachten der Antidiskriminierungsstelle. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein homosexueller Mann zu sein und seine Homosexualität zu leben, war in der Bundesrepublik unter wechselnden Tatbestandsvoraussetzun
gen bis 1994 strafbar - das ist gerade einmal 22 Jahre her! Das nun vorliegende Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt es endlich schwarz auf weiß: Hier ist Unrecht geschehen, und dies ist zu entschädigen.
Der von den Nazis 1935 verschärfte Straftatbestand § 175 Reichsstrafgesetzbuch war nach der Gründung der Bundesrepublik übernommen worden. Das hatte zur Folge, dass Homosexuelle weiterhin verfolgt und verurteilt wurden. Heiner Garg hat es gesagt: Das waren in der Zeit von 1949 bis 1969 50.000 Menschen, 50.000 Verurteilungen. Auch in der 1948 gegründeten DDR wurde die Kriminalisierung Homosexueller fortgesetzt, zwar in weniger scharfer Form, sodass das Verurteilungsrisiko in der DDR niedriger war, aber das ist doch völlig unerheblich bei der Feststellung, dass beide Staaten hier nicht wiedergutzumachende Schuld auf sich geladen haben.
Die Straftatbestände § 175 der Bundesrepublik sowie der DDR waren von Anfang an verfassungswidrig und verletzten die Menschenwürde.
Alle hierzu gefällten Urteile sind Unrecht, und deshalb sind wir verpflichtet, und es ist das Mindeste, was wir heute tun können, die Opfer zu rehabilitieren, sie um Entschuldigung zu bitten und Entschädigung anzubieten.
Wer sich dem entgegenstellt, verletzt meines Erachtens die Würde der Opfer erneut, und das ist aus meiner Sicht absolut inakzeptabel.
Umso stärker möchte ich hervorheben und mich bei allen Fraktionen dieses Landtags bedanken, dass von Schleswig-Holstein ein ganz klares und unzweifelhaftes Signal ausgeht, wir mit einer Stimme sprechen und unsere Haltung ganz klar zum Ausdruck bringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren: Schleswig-Holstein steht zu seiner Verantwortung sowohl für vergangenes als auch für zukünftiges Handeln. Die Anerkennung und Entschädigung der Opfer ist mehr als der Versuch einer Wiedergutmachung. Wir wollen und müssen zeigen, dass wir die Erklärung der Vereinten Nationen, die jede Art der Dis
kriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität verurteilen, mit allem Nachdruck umsetzen. Wir wollen und müssen zeigen, dass wir Vorbild und in unserer Haltung gegen jede Art von Diskriminierung unerschütterlich sind.
Ich nehme ganz bewusst Bezug auf aktuelle Äußerungen von AfD-Abgeordneten. Wir müssen aktuellen homofeindlichen Tendenzen von AfD, PEGIDA und Co. gemeinsam couragiert und laut entgegentreten.
Wer Homosexuelle ernsthaft ins Gefängnis stecken will, weil sie eine Gefahr für unsere Gesellschaft sein sollen, sollte zum Arzt gehen, aber nicht in die Politik!
Wir wollen eine gerechte Gesellschaft, die frei von Diskriminierung ist, die bereit ist, geschehenes Unrecht anzuerkennen und Opfer zu rehabilitieren. Die Zeit dafür ist überfällig.