Protokoll der Sitzung vom 20.07.2016

Meine Damen und Herren, ich eröffne die 44. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Erkrankt sind die Abgeordneten Anke Erdmann und Christopher Vogt. Wir wünschen ihnen gute Genesung.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Der Schleswig-Holsteinische Landtag trauert um die ehemalige Abgeordnete Marliese Alfken, die am 12. Juli im Alter von 82 Jahren verstorben ist.

Marliese Alfken ist nach dem Besuch der Höheren Handelsschule und ihrer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin in der freien Wirtschaft tätig gewesen. Sie trat 1974 wegen der Ostpolitik Willy Brandts in die SPD ein. Noch im selben Jahr wurde sie Mitglied ihres SPD-Kreisvorstands. Von 1981 bis 1987 gehörte sie außerdem dem SPD-Landesvorstand an.

1978 zog Marliese Alfken in den Stormarner Kreistag ein und blieb dessen Mitglied bis zu ihrer Wahl in den Landtag. Von 1988 bis zum Ende der 12. Wahlperiode im Mai 1992 und dann erneut von Oktober 1992 bis 1996 arbeitete sie - in bewegten Zeiten - in diesem Hause als Mitglied der SPDLandtagsfraktion.

Marliese Alfken, die auch wohnungsbaupolitische Sprecherin ihrer Fraktion war, wirkte vor allem im Wirtschaftsausschuss mit, aber auch in den Ausschüssen für Bildung, für Umwelt und im Eingabenausschuss. Darüber hinaus war sie in der 12. Wahlperiode Mitglied des Ausschusses Kommunaler Investitionsfonds sowie des Landeswahlausschusses.

Auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag blieb Marliese Alfken eine hoch engagierte Frau, die sich von klaren Werten leiten ließ, die Position bezog und sich vor allem vor Ort für andere starkmachte.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag erinnert sich in Dankbarkeit und voller Respekt an seine frühere Abgeordnete Marliese Alfken. Unsere Gedanken sind bei ihrer Familie.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch derjenigen gedenken, die vor wenigen Tagen in Nizza und Würzburg dem blindwütigen Hass zweier Verbrecher zum Opfer gefallen sind, die in unserer Mitte Angst schüren wollten, um die Gesellschaften Europas zu spalten und die uns alle einenden Werte von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz zu vernichten - Grundprinzipien, die im Übrigen auch vielen Menschen aus der sogenannten arabischen Welt so erstrebenswert sind, dass sie zu uns kommen. Auch gegen sie, die vor dem Joch des Islamismus geflohen sind, richten sich die hinterhältigen Anschläge dieser Tage. Dies dürfen und wollen wir nicht vergessen.

Meine Damen und Herren, wir trauern um die vielen Toten. Wir fühlen mit den Verletzten, denen wir rasche und vollständige Genesung wünschen. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen, deren Schmerz wir nur erahnen können. Wir stehen in Solidarität an ihrer Seite, und wir stehen in Verbundenheit an der Seite unserer französischen Freunde.

Ich bitte Sie, einen Moment innezuhalten im Gedenken an unsere verstorbene Kollegin Marliese Alfken sowie an die Opfer der Anschläge von Nizza und Würzburg. - Sie haben sich erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, heute ist der 20. Juli, ein ganz besonderer Tag für die Demokratie in Deutschland.

Ich freue mich, dass ich an diesem Tag wieder einem Kollegen gratulieren darf. Der Kollege Lars Winter hat sich entschlossen, uns zu verlassen und Bürgermeister von Plön zu werden. - Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP hat im Wege der Dringlichkeit folgenden Antrag vorgelegt:

Gefahren durch religiös motivierter Gewalt abwenden

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/4469

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich lasse über den Dringlichkeitsantrag Drucksache 18/4469 abstimmen. Es gilt das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 123. Sitzung (neu) - Mittwoch, 20. Juli 2016 10273

Wer die Dringlichkeit bejaht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 5, 9, 11, 13, 14 A, 15, 23, 32, 51, 52, 53, 57 und 58 ist eine Aussprache nicht geplant. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 14, 19, 20, 21, 26, 28, 29, 35, 38, 41, 42, 43, 48 und 60. Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 4 und 30 - Gesetzentwurf und Anträge zur Krankenhausfinanzierung -, die Punkte 6, 39 und 46 - Staatsvertrag und Anträge zur Ausstattung und zur Personalsituation der Polizei -, die Punkte 10 und 17 - zweite Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung der Verfassung, Änderung der Präambel -, die Punkte 12, 49 und 54 - Gesetzentwurf und Anträge zur Windenergienutzung -, die Punkte 16 und 56 - Gesetzentwurf und Bericht zur Energiewende und zum Klimaschutz -, die Punkte 22 und 25 - Anträge zu den Handels- und Investitionsabkommen TTIP und CETA -, die Punkte 31 und 36 - Freie Nutzbarkeit von Mobilitätsinformationen -, die Punkte 37 und 59 - Finanzierung des A-20-Tunnels vollständig aus Bundesmitteln sicherstellen und Aufstellung des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr - sowie die Punkte 47 und 50 - Integration in Schleswig-Holstein und Wohnortzuweisung für Flüchtlinge.

Im Ältestenrat wurde vereinbart, die zweite Lesung des Gesetzentwurfes zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften, Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 18/3500, noch in die Tagesordnung aufzunehmen. Ich schlage Ihnen vor, den Punkt als Tagesordnungspunkt 14 A in die Tagesordnung einzureihen. Weiterhin wurde im Ältestenrat vereinbart, den Punkt der Sammeldrucksache der 44. Tagung hinzuzufügen.

Weiterhin liegt Ihnen mit der Drucksache 18/4460 ein interfraktioneller Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung des Landtages vor. Ich schlage vor, den Punkt als Tagesordnungspunkt 52 A in die Tagesordnung einzureihen und darüber am Freitag ohne Aussprache abzustimmen. Widerspruch sehe ich nicht. Dann werden wir so verfahren.

Anträge zu einer Fragestunde oder zu einer Aktuellen Stunde liegen nicht vor.

Wann die Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorlie

genden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen der 44. Tagung.

Wir werden heute und morgen jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen; am Freitag ist keine Mittagspause geplant. Ich bitte, das für Ihre eigene Planung zu berücksichtigen. Ich höre keinen Widerspruch; dann werden wir so verfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf der Besuchertribüne begrüße ich Seine Exzellenz, den Erzbischof von Hamburg, Herrn Dr. Stefan Heße. Sehr geehrter Herr Erzbischof, herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ihnen und Schwester Maria Magdalena ein herzliches Dankeschön auch für die ökumenische Andacht heute Morgen!

Meine Damen und Herren, weiterhin begrüßen wir auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler des Marion-Dönhoff-Gymnasiums aus der wunderschönen Stadt Mölln, gestatten Sie mir diese Bemerkung. - Herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ein bisschen Lokalpatriotismus muss sein.

(Heiterkeit - Zuruf SPD: Aber nur in Ma- ßen!)

- Immer in Maßen!

Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf:

Nach dem Referendum Großbritanniens Schleswig-Holstein in der EU

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/4401

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe, das ist einstimmig bei denjenigen, die den Arm hochbekommen, der Fall.

Ich erteile dann für die Landesregierung dem Ministerpräsidenten Torsten Albig das Wort. - Sie haben das Wort, Herr Ministerpräsident.

(Präsident Klaus Schlie)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Brexit-Votum im Vereinigten Königreich macht uns deutlich, dass wir an einer Stelle in Europa, in der europäischen Debatte stehen, an der sich die Frage stellt: „Wo, Europa, willst du eigentlich hin?“ Quo vadis, Europa? Was ist unsere Vorstellung als Europäerinnen, als Europäer von der Entwicklung dieses Kontinents?

Bei dem Totengedenken hat der Herr Landtagspräsident gerade angesprochen, dass wir in diesem Europa erleben, wie sich immer mehr, gerade am populistischen Rand, auf den Weg machen, all das infrage zu stellen, was in den letzten 70 Jahren gewachsen ist, und auf der anderen Seite Millionen Menschen aus anderen Welten gerade dieses Europa eben nicht nur wegen seiner ökonomischen Wohlfahrt, sondern auch wegen seines festen Wertekonstrukts als Ziel nehmen, um dort Leben wieder zu beginnen - ein Europa, das offensichtlich für viele Menschen in der Welt so attraktiv ist, dass sie größte Mühsal auf sich nehmen, um sich in diese Richtung zu bewegen, weil sie dort, auf einem Kontinent, der sich auch den Grundwerten der Französischen Revolution verschrieben hat und sie lebt, Heimat und Zuflucht zu finden hoffen.

Es ist ein Kontinent, der aber auch durch seine Herausforderungen, die aus nicht zu Ende geführter Einigung abgeleitet werden, zerrissen ist. Am südlichen Rand dieses Europas herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit in erschreckender Höhe, die viele junge Menschen zweifeln lässt, ob dieses Europa wirklich ihr Europa ist; 40, 50, 60 % der jungen Menschen - auch am östlichen Rand Europas finden wir ähnliche Zahlen. In der Mitte, in Deutschland: Wohlfahrt, was das angeht, jedenfalls im Vergleich, wenn wir aber nach Spanien oder nach Portugal oder Richtung baltische Staaten blicken, finden wir dort eine Jugendarbeitslosigkeit in erschreckender Höhe.

Ein Europa, das immer noch keine Antwort auf die Herausforderungen der Finanzmärkte gegeben hat. Wir können schon erahnen, wie sich die nächste Krise der Euro-Gemeinschaftswährung abzeichnet. Sie ist teilweise schon in den Bilanzen der italienischen Bankhäuser - jedenfalls dem Grunde nach zu finden.

Ein Europa, das im Augenblick keinen Weg findet, die möglicherweise notwendige Operation am offenen Herzen durchzuführen und seine Institutionen zu reformieren und seinen Geist zu entwickeln, um mit 27 oder 28 Chirurginnen und Chirurgen diese