Protokoll der Sitzung vom 22.03.2017

Bericht und Beschlussempfehlung des Ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Drucksache 18/5272

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich zunächst der Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, der Abgeordneten Barbara Ostmeier, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Ihnen heute den Schlussbericht des Ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode vorstellen zu dürfen. Der Untersuchungsausschuss hatte den Auftrag zu untersuchen, ob es in der Kinderund Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof, die diverse Teileinrichtungen im Kreis Dithmarschen unterhielt, zu Beeinträchtigungen oder Gefährdung

des Wohls der in diesen Einrichtungen untergebrachten Kinder und Jugendlichen gekommen war, wie Jugendämter und Heimaufsicht mit bekannt gewordenen Vorgängen umgegangen sind und ob die beim Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung angesiedelte Heimaufsicht in dieser Zeit ihrer Aufsichtsfunktion ordnungsgemäß nachgekommen war.

Am 17. November 2015 wurde der Ausschuss vom Parlament beauftragt. Die Einsetzung des Untersuchungsausschusses erfolgte auf der Grundlage eines von diesem Haus einstimmig gefassten Beschlusses.

Im Vorfeld war es im Frühsommer 2015 zu einer verstärkten Presseberichterstattung über die Zustände in den sogenannten Friesenhof-Einrichtungen gekommen. Es war von freiheitsentziehenden Maßnahmen sowie von der Anwendung entwürdigender Erziehungsmethoden die Rede. Anfang Juni 2015 entzog die Heimaufsicht zweien dieser FriesenhofEinrichtungen die Betriebserlaubnis. Nachdem erste Versuche einer Aufarbeitung der näheren Umstände im Sozialausschuss unternommen worden waren, gelangte der Landtag einhellig zu der Auffassung, dass die Vorgänge im Friesenhof sowie die Ausübung der diesbezüglichen staatlichen Heimaufsicht einer umfassenden Aufklärung durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bedurften.

Meine Damen und Herren, diese im Raum stehenden Vorwürfe haben uns alle schwer erschüttert. Es war kaum vorstellbar, dass so etwas in SchleswigHolstein vorkommt. Wenn man die Schlagzeilen und die Berichterstattung am Rande der Ausschussarbeit mitverfolgt hat, so konnte man den Eindruck gewinnen, es sei nur um die Frage der Suche einer oder eines Schuldigen gegangen. Aber das ist zu kurz gesprungen. Das wird weder dem wirklich umfassenden Einsetzungsbeschluss noch der intensiven und äußerst konstruktiven Arbeit dieses Ausschusses gerecht. Allein der uns vom Parlament aufgegebene Untersuchungszeitraum, beginnend von 2007 bis August 2015, macht dieses deutlich.

Thematisch gab der Einsetzungsbeschluss den Auftrag, drei Komplexe für diesen Zeitraum zu untersuchen. Der Erste hat die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof mit ihren diversen Teileinrichtungen zum Gegenstand. Der zweite Komplex untersucht Aufbau und Struktur beim Landesjugendamt, von der Heimaufsicht ergriffene Maßnahmen in Bezug auf den Friesenhof sowie das Zusammenwirken mit den weiteren Akteuren der Kinderund Jugendhilfe, insbesondere auch den entsenden

(Angelika Beer)

den und örtlichen Jugendämtern. Im dritten Komplex finden Sie schließlich die Schlussfolgerungen, die der Ausschuss aus seiner Untersuchung zieht.

Mit seiner Konstituierung am 29. September 2015 nahm der Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf. Seitdem fanden insgesamt 62 Sitzungen statt, davon 35 nicht öffentliche Beratungssitzungen. 27 Sitzungen dienten der Beweisaufnahme. Im Verlauf der Beweisaufnahme, die am 30. November 2015 begann und am 6. Februar 2017 abgeschlossen wurde, vernahm der Untersuchungsausschuss insgesamt 37 Zeugen und hörte drei Betroffene an. Eine Zeugin und eine weitere Betroffene haben sich mit Blick auf die gegen sie geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Das hatte der Untersuchungsausschuss zu respektieren. Die Betroffene und die Zeugin konnten deshalb nicht zur Sache gehört werden.

Außerdem gab der Ausschuss zwei schriftliche Sachverständigengutachten in Auftrag. Die Sachverständigen haben dem Untersuchungsausschuss ihre Gutachten jeweils in öffentlichen Sitzungen auch mündlich erläutert. Die schriftlichen Gutachten, die der Untersuchungsausschuss bereits in seinem Internetauftritt veröffentlicht hat, sind dem Schlussbericht im Anhang beigefügt.

Schließlich hat der Ausschuss in großem Umfang Aktenmaterial und Schriftsätze beigezogen und ausgewertet. Das Aktenverzeichnis des Ausschusses umfasste bei Abschluss der Beweisaufnahme 220 laufende Nummern, die beigezogenen Aktenstücke hatten einen Gesamtumfang von 40.000 Seiten.

Der vorliegende Schlussbericht ist das Ergebnis einer verantwortungsvollen und teilweise minutiösen Aufarbeitung des umfangreichen Aktenmaterials sowie von Zeugenvernehmungen. Dabei war sich der Ausschuss darüber einig, ein möglichst transparentes Verfahren zu gewährleisten - auch dieses immer vor dem Hintergrund, einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten, frühzeitig Handlungsbedarfe aufzuzeigen und zum Wohle insbesondere der Kinder und Jugendlichen nicht erst bis zum heutigen Tag damit zu warten, Teilergebnisse und Ergebnisse bekanntzumachen. So konnten Zeugenvernehmungen weitestgehend öffentlich erfolgen, und die vom Ausschuss in Auftrag gegebenen Gutachten wurden dementsprechend ebenfalls frühzeitig der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Auf rund 840 Seiten zuzüglich der Anhänge liegt dem Parlament nunmehr der Schlussbericht vor.

Wie ich zu Beginn bereits andeutete, lässt sich das Ergebnis nicht mundgerecht in einer Schlagzeile zusammenfassen.

Gerade aufgrund des breit angelegten und von allen Fraktionen des Landtags mitgetragenen Untersuchungsauftrags haben wir zahlreiche Erkenntnisse gewinnen können. In allen drei Untersuchungskomplexen gab es durchaus weitgehend Übereinstimmung hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen, bei denen sich diverse Vorwürfe - beispielsweise Isolation, körperliche und verbale Übergriffe oder der Mangel eines effektiven Beschwerdesystems leider teilweise bestätigt haben.

Differenzen gibt es eher auf der Ebene der rechtlichen Bewertung. Dies wird im Bericht transparent dargelegt. Allen Unterschieden in der Bewertung zum Trotz dürfte eines für alle feststehen: Für die Zukunft muss es darum gehen, Fehlentwicklungen, wie sie hier zu beklagen sind, so früh wie möglich zu erkennen und abzustellen.

Lassen Sie mich aus der Fülle der Empfehlungen zwei herausgreifen, die für mich als Vorsitzende besonders bedeutsam erscheinen. Der Friesenhof hat in seinen Konzepten einen Personenkreis von vorwiegend weiblichen Menschen im Alter von acht bis 18 Jahren mit teilweise traumatisierenden Erfahrungen körperlicher oder sexueller Gewalt beworben, die sich im Grenzbereich zwischen Jugendhilfe, Strafvollzug und Psychiatrie bewegen. Der Ausschuss empfiehlt ausdrücklich die weitere Klärung des Umgangs mit dieser schwierigen Zielgruppe.

Insbesondere die detaillierte Aufarbeitung der räumlichen, personellen und wirtschaftlichen Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof und die Bewertung der geltenden pädagogischen Konzepte haben hier deutlich Handlungsbedarf aufgezeigt. Jugendämter suchen für die hier angesprochene Zielgruppe oft lang und händeringend nach Einrichtungen, die ihnen diese sogenannten schwierigen Jugendlichen abnehmen, die sonst keiner mehr nehmen will. Wir müssen alle hellhörig bleiben, wenn der vom Ausschuss beauftragte pädagogische Sachverständige in diesem Zusammenhang gar von einer „unheilvollen Allianz“ zwischen den Einrichtungen und den belegenden Jugendämtern spricht.

Genau in diesen Kontext fällt die nächste, dringende Empfehlung des Ausschusses: Der Ausschuss empfiehlt die Vermeidung der wohnortfernen Unterbringung.

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

(Barbara Ostmeier)

Wie wir wissen, stammte keine der im Friesenhof Betreuten aus dem Kreis Dithmarschen, denn dieser hat die Einrichtung seit 2007 selber nicht mehr belegt. Wir haben demgegenüber festgestellt, dass insbesondere zahlreiche Kinder und Jugendliche aus anderen Bundesländern im Friesenhof untergebracht waren. Die Untersuchung hat ganz klar aufgezeigt, dass diese wohnortferne Unterbringung die entsendenden Jugendämter stärker herausfordert. Deswegen muss zukünftig sichergestellt werden, dass die Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen sämtlichen Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe verstetigt werden, insbesondere zwischen den entsendenden Jugendämtern, dem örtlichen Jugendamt und der Heimaufsicht beim Landesjugendamt.

Auch die Beschulung von Kindern und Jugendlichen aus den anderen Bundesländern in stationärer Heimunterbringung ist ein nach wie vor ungelöstes Problem, bei dem wir weiterhin genau werden hingucken müssen.

Unabhängig von einer seit Längerem geforderten Klarstellung der Rechtslage auf Bundesebene müssen wir als Land alles nur Mögliche tun, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Bezogen auf die Aufsicht über Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen ist der frühstmögliche Ansatzpunkt das Verfahren über die Erteilung der Betriebserlaubnis. Der Ausschuss ist sich einig, dass gerade die Konzeption von Einrichtungen, die die dargestellte sogenannte schwierige Zielgruppe ansprechen, möglichst detailliert sein und konkrete Handlungsanweisungen für den Umgang mit Konfliktsituationen und für Krisenfälle enthalten muss. Darauf kann bereits im Betriebserlaubnisverfahren geachtet und hingewirkt werden.

Der Abschlussbericht darf nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass er einen Schlusspunkt setzen wolle. Vielmehr will er weitere Denkanstöße mit der Zielsetzung liefern, die Situation der Heimkinder dauerhaft zu verbessern. Der Bericht markiert daher keinen Abschluss, sondern will einen Beitrag zu einer Diskussion leisten, die unbedingt in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden sollte.

Dies ist aus meiner Sicht ein gemeinsamer Grundgedanke, der die gesamte Ausschusstätigkeit getragen hat. Dementsprechend war die Zusammenarbeit im Ausschuss von einer äußerst sachlichen und konstruktiven Atmosphäre geprägt. Dafür danke ich den beteiligten Kolleginnen und Kollegen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen.

An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, mich darüber hinaus bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung zu bedanken, die den Ausschuss in allen Belangen stets tatkräftig unterstützt haben, auch wenn die Sitzungen teilweise bis spät in den Abend gingen.

(Beifall)

Stellvertretend möchte ich mich insbesondere bei Frau Dr. Riedinger vom Wissenschaftlichen Dienst und beim Geschäftsführer, Herrn Göllner, bedanken. Ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer stets ausgewogenen Begleitung haben wir es zu verdanken, dass hier ein gut fundierter und nachvollziehbarer Abschlussbericht vorliegt.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, abschließend bitte ich den Landtag, den Abschlussbericht zur Kenntnis zu nehmen und den Untersuchungsauftrag für erledigt zu erklären.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PIRATEN)

Vielen Dank für den Bericht. - Gibt es dazu Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Frau Abgeordneten Katja Rathje-Hoffmann von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich zuallererst bei all denen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass dieser Untersuchungsausschuss seine Arbeit so reibungslos verrichten konnte. Ganz besonders möchte ich mich bei Frau Dr. Riedinger und Herrn Göllner bedanken, die sehr viel Geduld mit uns hatten und ohne die wir hier heute nicht stehen würden. Was sie geleistet haben, ist wirklich sehr beachtlich. Ihnen gebühren unser Dank und unsere Anerkennung dafür, dass sie so gut durchgehalten haben.

(Beifall)

Mit dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss hat endlich eine Aufklärung über die Situation der Heimkinder in Schleswig-Holstein stattgefunden. Ich möchte daher festhalten: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss war wichtig, notwendig und hat gewirkt.

(Barbara Ostmeier)

(Beifall CDU und Wolfgang Dudda [PIRA- TEN])

Die Untersuchung der Vorfälle im Friesenhof hat zu einer merklichen Verbesserung der Situation der Heimkinder im Land geführt. Betreute, die sich vorher wie vergessene Kinder fühlten, haben nun Mut geschöpft und vertrauen nunmehr darauf, dass uns ihre Bedürfnisse am Herzen liegen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat im Hinblick auf den Umgang mit Betreuten Missstände aufgedeckt und erheblichen Verbesserungsbedarf festgestellt.

(Beifall CDU)

Wir haben die Pflicht, Kindern, die in Obhut genommen werden, den bestmöglichen Schutz zu geben. Dafür tragen wir Verantwortung. Das Ministerium muss dafür sorgen, dass die marktwirtschaftlichen Bedürfnisse der privaten Träger nicht über dem Schutz der Kinder und Jugendlichen stehen.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Wir als Staat müssen dafür sorgen, dass die Heimaufsicht die Kinder berät und regelmäßig die ordnungsgemäße Betreuung der Kinder und Jugendlichen überprüft. Mit „regelmäßig“ meine ich an dieser Stelle nicht: alle paar Jahre.

Für uns steht fest: Im Friesenhof ist es zu erheblichen Gefährdungen des Kindeswohls gekommen. Dazu die drei wichtigsten Punkte.

Erstens. Die Zustände im Friesenhof sind erst durch das Zusammenspiel von individuellen und strukturellen Fehlern in der Heimaufsicht möglich geworden. Ich bin mir sicher, dass sie durch ein gewissenhafteres und mutigeres Vorgehen des Ministeriums hätten verhindert werden können.

(Beifall CDU)

Zweitens. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass bereits die Konzeption des Friesenhofs mangelhaft war. Die Heimaufsicht hätte gar nicht erst eine Betriebserlaubnis für die Einrichtung erteilen dürfen. Sie hätte das Konzept vielmehr kritisch hinterfragen müssen. So hätte man schon früh erkennen können, dass im Friesenhof Konzepte angewendet wurden, die von naiven pädagogischen Annahmen geprägt waren und überwiegend aus allgemeinen Versprechungen bestanden. Hätte eine ordnungsgemäße Prüfung stattgefunden, wäre auch aufgefallen, dass die Konzeption ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die Betreuten aufwies.

Drittens. Viele der vom Friesenhof angewandten sogenannten pädagogischen Methoden sind untragbar. Dieses Gefährdungspotenzial hat sich im Friesenhof zulasten der betreuten Kinder und Jugendlichen ausgewirkt. Jugendliche brauchen klare Grenzen, aber Taktiken wie extremer Strafsport, der selbst bei der Bundeswehr verboten ist, überschreiten diese Grenzen ganz eindeutig und haben für mich keinen Platz in Einrichtungen.