Protokoll der Sitzung vom 22.03.2017

(Beifall PIRATEN)

Der nächste Friesenhof-Untersuchungsausschuss droht uns, wenn wir nicht mehr Verantwortung übernehmen wollen.

Ich will noch einmal daran erinnern: Es gibt 3.500 Kinder mit einer sogenannten milieufernen Erziehung. Wir haben eben schon gehört, dass das alles andere als gut ist. 3.000 Kinder aus Schleswig-Holstein können milieunah erzogen werden. Das sind Zahlen, die der Runde Tisch festgestellt hat. Wir müssen etwas dagegen tun, dass milieufern erzogen wird, auch vor dem Hintergrund, dass es den Kindern nichts nützt und dass wir gar nicht genug überwachen können.

(Beifall PIRATEN)

Insoweit heißt es also auch noch einmal, Verantwortung zu übernehmen und genau hinzuschauen, ob wir diesen Umstand nicht verändern können.

Wir müssen klar sagen: Das Land hat versagt, nicht irgendeine Person, nicht irgendeine Regierung, sondern das Land insgesamt.

(Beifall PIRATEN)

Es führt auch keine politische Ideologie und keine andere Begründung daran vorbei, dass unter der Aufsicht des Landes Kinder und Jugendliche eingesperrt wurden, ihrer Freiheit beraubt und psychisch

(Wolfgang Dudda)

wie physisch misshandelt worden sind. Dafür ist das Land verantwortlich, denn dem Land sind diese Kinder ja anvertraut worden.

Im Friesenhof waren Türen und Fluchtwege verschlossen, die Fenster waren nicht nur vergittert und verschlossen, sie waren teilweise sogar verschraubt. Das bezeugt unzweideutig einen dauerhaften Einschluss der Mädchen, die ohnehin schon nach dem Konzept frühestens nach einem halben Jahr Ausgang hatten, sofern sie ihn sich verdient hatten. Wer angesichts dessen ernsthaft in Abrede stellen will, dass die Kinder und Jugendlichen im Friesenhof eingesperrt, mithin de facto geschlossen untergebracht waren, kann nicht ernsthaft von einem Aufklärungsinteresse bei sich selbst sprechen; dem geht es nur darum, Verantwortung abzuschieben.

(Beifall PIRATEN)

Bemerkenswerterweise gibt es Bundesländer, in denen das Landesjugendamt konsequenter vorgehen kann. Es wird auch konsequenter vorgegangen, obwohl dort das gleiche Bundesrecht gilt. Wenn man sich mit deren Amtsleitern unterhält, erfährt man, wenn dort in einer Einrichtung die Fachkräftequote nicht stimmt, bekommt der Träger eine Frist von maximal vier Wochen, um entweder die Zahl der Fachkräfte der Anzahl der betreuten Kinder anzupassen oder umgekehrt die Zahl der betreuten Kinder der Anzahl der Fachkräfte. Dort gilt: Ein Unterschreiten der Fachkräftequote ist Kindeswohlgefährdung. Stellt ein Träger dies nicht ab, sind nach Auffassung anderer Landesjugendämter die Voraussetzungen für den Entzug einer Betriebserlaubnis gegeben. Es wird also andernorts konsequenter gehandelt und konsequenter wahrgenommen.

(Beifall PIRATEN)

Deren rechtliche Einschätzung deckt sich übrigens bemerkenswert gut mit der einschlägigen Kommentierung von Professor Dr. Wiesner und Herrn Mörsberger, die sich in ihrem Kommentar sogar auf die bisherige Rechtsprechung beziehen.

Das wiederum passt nahtlos damit zusammen, dass man die Schadensersatzentscheidungen wegen eines unberechtigten Widerrufs der Betriebserlaubnis vergebens sucht. Es gibt solche Entscheidungen nicht. Solche waren auch unserem Landesjugendamt nicht bekannt. Denn dort diskutierte man zwar auch anhand einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, ob man im Fall Friesenhof die Betriebserlaubnis widerrufen könne, allerdings ging es in der Entscheidung nicht etwa um Kinderheime, sondern - Zynismus pur - um eine Pelztierfarm. Diese

Entscheidung sollte Rat geben, ob man einen Regress zu befürchten hätte oder nicht.

Warum aber geht anderswo in Deutschland, was bei uns nicht geht? - Ganz einfach: Das geht, weil man dort den Kinderschutz nicht in Wahlkampf- oder sonstige wohlfeile Sonntagsreden schreibt, sondern ganz konkret in Erlasse und Dienstanweisungen geschrieben hat, die haarklein umzusetzen sind. In Schleswig-Holstein hingegen zieht sich etwa Frau Ministerin Alheit darauf zurück, zwei Gutachter hätten dem Sozialministerium bescheinigt, alles richtig gemacht zu haben. Das allerdings ist eine unzulässige Verkürzung und teilweise auch eine Umkehrung der gutachterlichen Ergebnisse. Tatsächlich hat Professor Dr. Schrapper festgestellt: Gerade in dieser letzten Etappe - damit meint er die Zeit ab Januar 2015 - wird „deutlich, dass das Handeln der ‚Heimaufsicht‘ … nicht ausreichend ‚rechtssicher‘ in der Auslegung und Konkretisierung des gesetzlichen Handlungsrahmens einer ‚Heimaufsicht‘ gemäß §§ 45 ff SGB VIII gestaltet werden konnte.“

Professor Dr. Wiesner und Herr Mörsberger haben anlässlich der Erläuterung ihres Gutachtens wiederholt betont, dass ihre Aussage, die Heimaufsicht habe sich im Rahmen des rechtlich Möglichen gehalten, explizit nicht bedeute, dass nicht noch mehr möglich gewesen wäre. In einem Interview der „taz“ zu dem im Untersuchungsausschuss erstatteten Gutachten wurde Herr Mörsberger gefragt, ob er das Vorgehen der Heimaufsicht als juristisch korrekt bewerten und sogar Vorwürfe gegen die Einrichtung in Zweifel ziehen würde. Dies verneint er ausdrücklich und stellt fest:

„Im Nachhinein spricht viel dafür, dass ein früheres Intervenieren besser gewesen wäre.“

(Beifall PIRATEN - Zuruf Peter Eichstädt [SPD])

Dabei muss man anmerken, dass keiner der beiden Gutachter näher darauf eingeht, wie verriegelt und verschlossen sich gerade das Mädchencamp Nanna wiederholt präsentiert hatte. Dass sich Wiesner/ Mörsberger sogar in offenem Widerspruch zu ihrer eigenen, bereits vorhin erwähnten Kommentierung zum SGB VIII gesetzt haben, als sie trotz unzweifelhaft festgestellter dauerhafter und teils massiver Unterschreitung der Fachkräftequote keine frühzeitige Kindeswohlgefährdung im Friesenhof erkennen wollten, habe sicher nicht nur ich als überraschend empfunden.

(Beifall PIRATEN)

(Wolfgang Dudda)

Die Antwort auf die Frage, warum unsere Heimaufsicht nicht tätig geworden ist, habe ich vorhin schon angedeutet: Nach übereinstimmender Bekundung aller Mitarbeiter der Heimaufsicht und auch der Aktenvermerke befürchtete man, dass ein Entzug der Betriebserlaubnis einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten könnte und in der Folge das Land von Frau Janssen mit riesigen Schadensersatzforderungen überzogen würde. Das hat auch Frau Katja Rathje-Hoffmann angeführt.

Da ist der Punkt, wo ich sauer werde, wenn nämlich finanzielle, wirtschaftliche Erwägungen stärker berücksichtigt werden als das Kindeswohl, läuft hier etwas falsch und ist etwas nicht richtig. Das ist hier über Jahre hinweg so geschehen.

(Beifall PIRATEN, CDU und FDP)

Nach einem Aktenvermerk der sozialpädagogischen Mitarbeiter will man seit 2011 erkannt haben, dass der Friesenhof etwas Besonderes im negativen Sinn ist. Bereits im Herbst 2014 regte der zuständige Sachbearbeiter an, über einen Entzug der Betriebserlaubnis nachzudenken. Doch unternahm man nichts, weil man meinte, nicht hinreichend sicher ausschließen zu können, dass das Land regresspflichtig gemacht wird.

Noch etwas hat mich zutiefst erschreckt: Dass es im Friesenhof unter den Augen des Landesjugendamts möglich war, alle dort untergebrachten Kinder und Jugendliche über viele Monate hinweg in der Einrichtung einzusperren, ihre Briefe und Telefonate zu kontrollieren und sie nach Gutdünken einzubehalten oder auch abzubrechen. Alle teils deutlichen und auch fachkundigen Hinweise wurden zwar bearbeitet, nicht aber ernsthaft verfolgt. Nur bei zwei der Mädchen, die in all den Jahren untergebracht waren, hatte ein Richter geprüft und verfügt, dass sie unter freiheitsentziehenden Bedingungen untergebracht werden dürfen.

Denn auch wenn es tatsächlich pädagogische Rechtfertigungen für solche Einrichtungen geben sollte - was ich zu bezweifeln wage -, sind sie nur rechtmäßig, wenn ein Richter nach Prüfung des Falles und Begutachtung des Kindes oder der Jugendlichen den Einsatz erlaubt.

(Beifall PIRATEN)

Diesen Aufwand ersparte der Friesenhof den Jugendämtern, die ihn belegten. Das Landesjugendamt nahm das hin. Das ist das Fazit dieses Ausschusses.

Alle Untersuchungsausschüsse, alle Runden Tische und alle Gesetzesinitiativen bleiben wirkungslos,

wenn wir nicht bereit sind, den Schutz und das Wohl der unter unserer Aufsicht untergebrachten Kinder an oberste Stelle zu setzen. Solange wir uns das und die Fehler, die gemacht wurden, nicht komplett eingestehen, wird der Friesenhof kein Einzelfall bleiben.

Ich danke der Kollegin Ostmeier noch einmal für den Einstieg in ihrer Rede, dass das hier ein Anstoß ist und kein Abschluss und wir auch künftig hinschauen müssen. Ich danke noch einmal allen und möchte zum Abschluss sagen, bevor wir uns ausruhen: Der Anstoß für die ganze Geschichte hier kam aus Hamburg. Wir waren dazu nicht in der Lage. Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Für die Kollegen und Kollegin des SSW erteile ich nun Herrn Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch ich möchte mich sowohl bei der Vorsitzenden, Barbara Ostmeier, als auch beim stellvertretenden Vorsitzenden, Jürgen Weber, bedanken. Mein Dank gilt auch dem Geschäftsführer, Herrn Göllner, und Frau Riedinger. Ich schließe mich auch dem Dank an alle Mitarbeiter der Fraktionen für eine gute Arbeit an.

(Beifall)

Der Untersuchungsausschuss ist ein wichtiges Instrument unserer parlamentarischen Demokratie. Er ermöglicht es der Opposition, aktiv zur Aufklärung von eventuell politischem Fehlverhalten einer Regierung beizutragen. Das ist gut so. Denn alles, was das Parlament an Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung wahrnehmen kann, stärkt die Demokratie.

Demokratie darf natürlich auch etwas kosten. Was aber nicht geht, ist die Nutzung eines Untersuchungsausschusses zur parteipolitischen Profilierung. Das wäre Missbrauch von Steuergeldern.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hatten den politischen Auftrag, die Vorgänge rund um den Friesenhof zu untersuchen und unsere Schlüsse daraus zu ziehen, und zwar in dieser Reihenfolge. Diesen Auftrag habe ich nach bestem Wissen und Gewissen versucht abzuarbeiten. Die

(Wolfgang Dudda)

politische Aufklärung und das Wohl der jungen Leute standen dabei für mich immer im Mittelpunkt.

Dass an den Vorwürfen der Opposition gegenüber der Ministerin nichts dran war, wurde schnell klar. Die Ministerin hatte, nachdem ihr die Vorfälle bekannt wurden, beeindruckend schnell und mit umfassenden Maßnahmen reagiert.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Vorgänge im Friesenhof selbst betrifft, hätte auch ich mir am Ende der Untersuchung mehr Erkenntnisse gewünscht. Insgesamt können wir aus den uns bisher vorliegenden Erkenntnissen nur punktuelle und in vielen Fällen keine eindeutigen oder abschließenden Feststellungen treffen. Vor allem scheint es mir nicht angebracht zu sein, sich aus unterschiedlichen und teilweise widersprechenden Aussagen und Akten nur die Informationen herauszupicken, die einem in das politische Konzept passen.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass die Opposition das in ihren Bewertungen zum Abschlussbericht teilweise macht, entspricht in Teilen auch deren Arbeitsweise im Ausschuss selbst. Wie weit der Anspruch der Opposition, zu einer glaubwürdigen Aufklärung beizutragen, und seine Umsetzung auseinandergelaufen sind, möchte ich an drei Beispielen deutlich machen.

Erinnern wir uns an den Juli 2015: Wenige Tage, nachdem die Opposition ihre Absicht zur Einrichtung eines PUA öffentlich gemacht hat, stellt Frau Rathje-Hoffmann, CDU, in ihrer Pressemitteilung vom 7. Juli 2015 hierzu fest: