Protokoll der Sitzung vom 13.06.2012

(Beifall FDP und CDU)

Lassen Sie uns bei der Wirtschaft bleiben. Unter der Regierung Albig muss jeder sein wirtschaftliches Wachstum bremsen, auch die Tourismusbranche. Auf Seite 26 des Koalitionsvertrages heißt es:

„Wir werden im Dialog mit den Akteuren die schleswig-holsteinische Bäderregelung auf ein ausgewogenes Ausnahme-Regel-Verhältnis zurückführen.“

Soll das heißen, dass der bisher von der Großen Koalition unter Beteiligung der SPD beschlossene Kompromiss unausgewogen war? - Wieder scheinen sich einzelne Akteure durch diesen Satz im Ko

(Wolfgang Kubicki)

alitionsvertrag verewigen zu wollen und die Konsequenzen ihres Handelns nicht zu bedenken.

Ich bitte die Regierung, die außerhalb des Parlaments geäußerte Kritik zur Kenntnis zu nehmen, den Betroffenen zuzuhören, wie Sie das angekündigt haben, und nach einem Gespräch mit eben jenen Ihre getroffene Entscheidung nochmals zu überdenken. Die Auswirkungen auf Schleswig-Holstein wären aus meiner Sicht verheerend. Eine Änderung der Regelung hätte viele Verlierer und keine Gewinner. Eine geringere Attraktivität der Urlaubsdestination hätte auch Auswirkungen auf das lokale Gastronomie- und Hotelleriegewerbe. Für einen wesentlichen Teil unserer Touristen gehört der Sonntagsbummel zum perfekten Urlaub genauso dazu, wie ein gutes Glas Wein und ein leckeres Essen. Das kann man gut finden oder auch nicht, aber es ist nicht zu ändern. Wenn den Urlaubern der Sonntagseinkauf verwehrt wird, werden sie künftig einen Bogen um unser Land machen und ihren Urlaub anderswo verbringen.

Im Hinblick auf die Äußerungen der Kirche, die beim Vorstoß zur Neuordnung der Bäderregelung ihre Freude bekundete, möchte ich darauf hinweisen, dass die Vernichtung von Arbeitsplätzen und Existenzen kein Gebot christlicher Nächstenliebe ist.

(Beifall FDP und CDU)

Es ist nicht zu erwarten, dass die Kirchenbänke sich füllen, wenn die Läden sonntags geschlossen bleiben.

Herr Meyer, als Wirtschaftsminister und Vorsitzender des deutschen Tourismusverbandes sind Sie gezwungen, bei diesem Thema der wirtschaftspolitischen Vernunft und nicht der Symbolpolitik die Vorfahrt zu gewähren. Symbolpolitik - ich hoffe, dieses Wort wird Ihre Regierungszeit nicht derart begleiten, wie es Ihre bisherige Arbeit auszeichnete. Großen Symbolen folgen große Enttäuschungen. Das wäre die passende Beschreibung des Ergebnisses.

Herr Ministerpräsident, Sie haben bei Ihren Ministern eine 10-prozentige Kürzung angeordnet, damit die Regierung auch bei sich selbst den Rotstift ansetzt. 100.000 € wollten Sie damit einsparen. Da Sie aber zugleich einen Staatssekretärsposten mehr geschaffen haben, wurde aus den 100.000 € schnell eine rote Zahl. Täuschen Sie sich nicht: Die Bürgerinnen und Bürger werden diese Maßnahme nicht vergessen.

(Beifall FDP und CDU)

Verantwortung scheuen und Forderungen gegen andere erheben, Fremdverwaltung statt Selbstgestaltung - das ist die Maßgabe Ihrer Finanzpolitik. Da wird in poetischen Tönen auf die Bundesregierung verwiesen, diese müsse die Kosten der Unterkunft für SGB-II-Bezieher vollständig übernehmen Kostenpunkt 8,7 Milliarden €. Diese müsse sich stärker an den Schulkosten beteiligen, am besten vielleicht auch gleich die bundeseinheitliche Schule einführen. Da soll die Bundesregierung massiv die Steuern erhöhen, damit das Land seinen Rot-Grünen-Konsolidierungs- und Wachstumskurs beginnen kann. 600 Millionen € verspricht man sich für das Land. Herr Dr. Stegner hat diese Zahlen noch einmal heute hier genannt.

Wer das rechnet, stellt schnell fest: Wer den Ländern diese Einnahmebasis ermöglichen möchte, müsste die Mehrwertsteuer um fünf Prozentpunkte erhöhen. Dabei hätte der Bund zeitgleich geringere und nicht höhere Steuereinnahmen zu befürchten. Diese Politik ist selbst in der sozialistischen Utopie nicht möglich, und das wissen Sie auch. Es kann nicht sein, dass Sie im Wahlkampf die Verantwortung im Land anstreben, um sie anschließend an den Bund weiterzureichen. Einen Steuermann und keinen Frühstücksdirektor braucht dieses Land, Herr Ministerpräsident.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Insgesamt scheint sich die Koalition mit den Realitäten der Schuldenbremse, des Fiskalpaktes und der finanzwirtschaftlichen Situation nicht auseinandersetzen zu wollen. Es geht vor allem um das MehrGeld-Ausgeben. Konsolidierung - damit möchte sich die Schleswig-Holstein-Ampel nicht beschäftigen, sondern lieber finanzpolitische Früchte der Vorgängerregierung ernten und einen Ein-JahresHaushalt einbringen. Andererseits wäre man nämlich gezwungen, bereits jetzt Einsparungen vorzustellen und die wackelige Mehrheit bereits jetzt auf die Probe zu stellen. Lieber noch etwas in den Versprechungen des Wahlkampfes schwelgen, statt sich den Realitäten der Regierungsverantwortung zu stellen; es hat nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, wenn Sie heute soziale Wohltaten beschließen und deren Kosten künftigen Generationen in Rechnung stellen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Die Einhaltung der Schuldenbremse liegt in der Verantwortung des Landtages. Wir werden darauf achten, dass die Schuldenbremse weder aufgeweicht noch von ihr abgewichen wird. Wir werden Sie bei Bedarf an die Verfassung erinnern.

(Wolfgang Kubicki)

Apropos Verfassung. Die hätten Sie bei den Koalitionsverhandlungen schon beachten sollen, auch wenn es, wie wir wissen, dem Kollegen Dr. Stegner gelegentlich schwerfällt. Auf Seite 58 Ihres Koalitionsvertrages heißt es unter anderem:

„Der SSW stellt die zweite stellvertretende Ministerpräsidentin …“

Sie haben mich, alle anderen Fraktionsvorsitzenden und den Präsidenten gestern darüber unterrichtet, dass Sie die Ministerin für Justiz, Europa und Kultur, Frau Anke Spoorendonk, zur zweiten stellvertretenden Ministerpräsidentin bestellten.

Ein Blick in Artikel 26 Abs. 2 der Landesverfassung hätte Sie vor einer solchen Formulierung bewahrt. Dort heißt es:

„Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident wird vom Landtag ohne Aussprache gewählt. Sie oder er beruft und entlässt die Landesministerinnen und Landesminister und bestellt aus diesem Kreis für sich eine Vertreterin oder einen Vertreter.“

Herr Ministerpräsident, Sie haben gar nicht die Befugnis, eine zweite stellvertretende Ministerpräsidentin zu bestellen. Vielleicht wäre es doch ratsamer gewesen, Innen- und Justizministerium von einer Juristin oder einem Juristen führen zu lassen.

(Beifall FDP und CDU - Zuruf Abgeordneter Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Sie mögen das für eine Petitesse halten, Herr Kollege Dr. Stegner, ich halte die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für zwingend notwendig, wenn man sich als Ministerpräsident des Landes auch auf die Verfassung des Landes vereidigen lässt.

(Beifall FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns jetzt bei der Bildungspolitik verweilen. Was wurde in Ihrer Zeit noch von Einbeziehung, Grünen Tischen und Dialog geredet? - Man dürfe keine Entscheidung im Vorhinein treffen, sondern müsse gemeinsam mit den Beteiligten an Lösungen arbeiten. Kaum an Machtverhandlungen beteiligt, werden die alten Grundsätze über Bord geworfen. Da wird der rot-grüne Wille der Dänenampel den anderen aufgedrängt. Da werden das Y-Modell abgeschafft, die Wahlmöglichkeiten der Schulkonferenzen aufgehoben und die abschlussbezogenen Klassen an Gemeinschaftsschulen gestrichen. Zum Runden Tisch wird nur noch eingeladen, um die eigene Übermacht zu demonstrieren. Oder wollen Sie hier heute

erklären, dass, wenn sich die Mehrheit der Beteiligten dafür entscheidet - wie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein -, dass an Gymnasien wieder G 9 angeboten werden soll, Sie das auch so umsetzen wollen? Wollen Sie das heute so erklären, oder sagen Sie den Menschen: Ihr müsst daran gar nicht mehr teilnehmen, euer Wille interessiert uns nicht?

Eine ausgestreckte Hand hinzuhalten, aber die andere Hand zur Faust zu ballen, um den Menschen im Zweifel damit zu dokumentieren, man könne damit auf den Tisch hauen, ist nicht der Dialog, den sich die Menschen unter Ihrer Ankündigung vorstellen.

(Beifall FDP und CDU)

Seien Sie wenigstens so ehrlich zu sich selbst und geben Sie zu, dass der Runde Tisch ein öffentlichkeitswirksames Oppositionsinstrument war, nicht mehr und nicht weniger. Ehrlichkeit würde auch Ihrer Bildungspolitik gut anstehen. Geben Sie zu, dass Sie das zweigliedrige Schulsystem zutiefst ablehnen. Geben Sie zu, dass Sie die Gymnasien lieber heute als morgen schließen würden. Geben Sie zu, dass Sie die Gymnasien in die Gemeinschaftsschule integrieren wollen, dass das gemeinsame Lernen bis zum Abschluss Ihr Nonplusultra in der Bildungspolitik darstellt. Scheuen Sie doch nicht die Auseinandersetzung genau in dieser Frage, wenn Sie die besseren Argumente haben. Versuchen Sie, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Einheitsschule gut für sie ist und das Gymnasium abgeschafft werden muss. Mit der Stufenausbildung bei Lehrern geben Sie doch die gewünschte Richtung bereits vor.

Lassen Sie uns zu dem zweiten wichtigen landespolitischen Thema kommen: Innere Sicherheit. Den Menschen im Land wird angst und bange, wenn sie sehen, welche Vorstellungen Sie zur Inneren Sicherheit formuliert haben. Da wird an einem 120 Jahre alten Gefängnis festgehalten, als ob das wirtschaftliche Wohl und Wehe einer ganzen Region, ja des gesamten Landes an 69 Haftplätzen und 35 Mitarbeitern des allgemeinen Vollzugsdienstes hängt. Da soll nun ein zweistelliger Millionenbetrag in die Justizvollzugsanstalt Flensburg fließen, damit diese den gesetzlichen Standards überhaupt erst wieder entspricht.

Dabei ist das Projekt weder aus Gründen fehlender Kapazität noch sicherheitspolitisch erforderlich, geschweige denn regionalpolitisch unerlässlich. Auch die interessante Frage, wie dieses Projekt finanziert wird, beantwortet der Koalitionsvertrag: aus dem

(Wolfgang Kubicki)

Budget des neuen Ministeriums für Justiz, Kultur und Europa. Da bei Europa keine nennenswerten Kürzungen möglich sind und bei der Kultur Einsparungen ausgeschlossen wurden, muss die Justiz die Gerichte und die Staatsanwälte sowie der Vollzug an anderer Stelle - zurückstecken, damit der SSW ein völlig unbegründetes Regionalprojekt befördern kann. Viel Spaß auf dieser Reise, Herr Ministerpräsident.

(Beifall FDP und CDU)

Der Nutzen von 35 Beschäftigten des Justizvollzugsdienstes und 69 Häftlingen steht in keinem Verhältnis zu den Kürzungen bei der Inneren Sicherheit für 2,8 Millionen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner. Hier wurde wieder frei nach dem Motto gehandelt: partielle Parteiinteressen vor Landesinteressen. So kann man einen Ortsverband, aber kein Land führen. Wenn jemals der Begriff „lobbyistische Politik“ eine Grundlage hatte, dann, Frau Spoorendonk und der SSW, bei der Durchsetzung der Forderungen des SSW.

(Beifall FDP und CDU)

Nicht nur, dass Sie bei der inneren Sicherheit das falsche Lied anspielen, nein, Sie geben mit Ihren Entscheidungen auch noch einen völlig falschen Takt vor. Sie wollen für die Polizeibeamten eine Kennzeichnungspflicht einführen. Darüber haben wir hier seit Jahren sehr ausführlich - auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Gewerkschaft der Polizei - diskutiert. Mit dieser Maßnahme erwecken Sie den Eindruck, als ob unsere Bürger vor der Polizei geschützt werden müssten. Dass bei 7.000 Polizeibeamten einzelnen Fehlverhalten vorgeworfen werden kann, ist nicht verwunderlich. In unserem Rechtsstaat wird das anstandslos geahndet. Man kann aber doch nicht alle 7.000 Polizeibeamte deswegen unter Kollektivhaftung stellen.

Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in unserem Land leisten eine hervorragende Arbeit. Sie haben das heute noch einmal betont, und dem schließe ich mich an. Sie riskieren jeden Tag ihr Leben im Dienst für unser Land und haben es nicht verdient, von Ihnen unter Generalverdacht gestellt zu werden.

(Beifall FDP und CDU)

Ich muss betonen - weil die Piraten und andere, die noch nicht im Parlament waren, es nicht wissen -, dass die FDP-Fraktion unter meiner Führung seit 1992 in fast allen Debatten für eine größtmögliche Transparenz auch in diesem Bereich eingetreten ist. Sie müssen aber auch ein wenig zur Kenntnis neh

men, dass schon heute Polizeibeamte, die sich in Großlagen wiederfinden beziehungsweise dort zum Einsatz kommen, sehr subtilen Bedrohungen - das gilt auch für ihre Familie – ausgesetzt sind. Dieses Konfliktpotenzial nimmt zu. Ich warne alle Beteiligten dringend davor, so zu tun, als müssten wir unbeteiligte Dritte schützen, aber unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte von dieser subtilen Einwirkung auf sie selbst nicht.

(Beifall FDP und CDU)

In der Tat hat es einen Grund, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte der Sondereinsatzkommandos beziehungsweise der GSG 9 beispielsweise mit verdecktem Gesicht agieren. Auch hat es einen Grund, dass Menschen, die des Terrorismus Verdächtige dem Bundesgerichtshof überstellen, mit verdecktem Gesicht operieren und man darauf verzichtet, sie zu kennzeichnen. Denn selbstverständlich ist klar, dass sie und ihre Familien ansonsten entsprechenden Bedrohungslagen ausgesetzt sind.

Noch einmal: Ich spreche ausschließlich von Großlagen und nicht darüber, wie ein normaler Polizeibeamter im normalen Streifendienst vor Ort den Menschen gegenübertritt. Es geschieht heute schon, dass die meisten Namensschilder an ihren Revers haben.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir sprechen aber nicht von Namens- schildern!)

Die Zusammenstellung Ihres Ministeriums, Herr Dr. Habeck, zeigt, wie unfreundlich das Klima bereits in den Koalitionsverhandlungen gewesen sein muss, auch wenn Sie heute hier wahrscheinlich anderes erklären wollen. Hier hat die SPD späte Rache für die verhinderten Verkehrsprojekte geübt. Sie haben das als neuer Energiewendeminister zu spüren bekommen. Zwar haben Sie die Energiereferate aus dem Wirtschaftsministerium bekommen, nicht aber die essentiell wichtigere Planungsabteilung aus dem Innenministerium. Ohne diese Abteilung ist die Energiewende aber nicht möglich. Der Ausbau der Energienetze, die Novellierung des Windkraftanlagenerlasses und die Umsetzung des Landesentwicklungsplans - nichts davon fällt in ihre Zuständigkeit.