Protokoll der Sitzung vom 26.09.2013

Frau Pauls, gestatten Sie eine weitere Frage der Frau Abgeordneten Damerow?

Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, das Thema des jetzigen Tagesordnungspunktes lautet “Verantwortlichkeiten für Minderheiten bei der Europäischen Kommission verbindlich regeln, Europäische Bürgerinitiative unterstützen und Arbeit der FUEV in Schleswig-Holstein sichern”?

- Da stimme ich Ihnen zu.

Dazu komme ich im Folgenden.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das Thema ist Ih- nen unangenehm, das ist klar! Schämen soll- ten Sie sich! - Zuruf CDU: Sie müssen schon Suggestivfragen stellen! - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Pauls und niemand sonst.

(Birte Pauls)

Generell - da bin ich wieder bei der Kollegin Damerow - würde ich mich sehr freuen, wenn wir zu einer gemeinsamen Minderheitenpolitik im Sinne der Minderheiten zurückfinden würden.

(Vereinzelt Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die SPD jedenfalls unterstützt die FUEV weiterhin in ihrem Bestreben, die Bürgerinitiative doch noch auf den Weg zu bringen, um so den Minderheiten in Europa und der sprachlichen sowie der kulturellen Vielfalt zu ihrem juristischen, politischen und moralischen Recht zu verhelfen. Ich freue mich sehr, dass neben den europäischen Sozialdemokraten Christel Schaldemose aus Dänemark und Ulrike Rodust auch unsere Minderheitenbeauftragte Renate Schnack das Ansinnen der FUEV jetzt aktiv unterstützt. Es ist gut, dass die Gespräche bereits laufen.

Die autochthonen nationalen Minderheiten sind Brückenbauer zwischen den Kulturen in ihren jeweiligen Nationalstaaten. Sie setzen sich mit ihrer Arbeit gegen Nationalismus und für Verständnis in Europa sowie für friedliche Lösungen ein. Das genau ist Aufgabe, das genau ist die Arbeit der FUEV. Meine Partei ist sehr stolz darauf, dass diese wichtige europäische Arbeit in und aus SchleswigHolstein heraus geleistet wird. Wir können hier mit vielen positiven Entwicklungen weiterhin europäische Vorbildfunktion übernehmen. Deswegen finden wir es sehr wichtig, dass die FUEV in Flensburg bleibt.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade in dieser Zeit, in der nationalistische Ideen in Europa leider wieder stärker in den Vordergrund rücken, ist die Arbeit der FUEV und der Beitrag der Minderheiten zu mehr Toleranz und Verständnis dem anderen gegenüber von enormer Bedeutung für ein friedliches Zusammenleben in Europa. Die Minderheiten sind es, die entscheidend dazu beitragen, die europäische Idee in Zeiten der Krise wieder zu stärken. Diese Minderheiten in Europa, die den europäischen Gedanken tragen, brauchen aber auch mehr Aufmerksamkeit für ihre Anliegen.

In Europa - Jette hat es bereits gesagt - sind 100 Millionen Menschen Mitglied einer autochthonen Minderheit. Jeder siebte EU-Bürger ist Angehöriger einer Minderheit. Ich finde, diese Zahlen machen absolut deutlich, dass wir endlich eine verbindliche, eine wirklich verbindliche Verantwortlichkeit für

die Minderheiten in der Europäischen Kommission brauchen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Für uns von den Regierungsfraktionen war es eine große Enttäuschung, als vor etwa zwei Wochen die EU-Kommission die Europäische Bürgerinitiative für Minderheitenschutz abgelehnt hat. Das zeigt aber umso deutlicher, wie richtig und wichtig der von uns vorgelegte Antrag ist. Mehr als 40 Millionen Menschen in der EU die Zahlen variieren etwas - gehören einer Minderheit an. „Einheit in Vielfalt“, so lautet das Motto der Europäischen Union. Der Schutz und die Rechte von Minderheiten sind wichtige Grundpfeiler der Europäischen Union. Bezüge finden sich dazu in den Gründungsverträgen und natürlich auch in der im Jahre 2000 verabschiedeten Charta der Grundrechte. Dennoch gibt es Defizite bei der Verwirklichung dieser Rechte. Wir sind hier in SchleswigHolstein vielleicht weiter als anderswo. Wir haben zum Beispiel - darauf bin ich auch stolz - die Minderheitenrechte in unserer Landesverfassung verankert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das aber nicht überall so; denn Diskriminierung von Minderheiten ist leider in vielen Regionen Europas der Tagesordnung. Da muss man beispielsweise nur nach Osteuropa schauen und sich einmal ein bisschen näher mit der unerträglichen Diskriminierung der Sinti und Roma auseinandersetzen.

Zwar ist es in erster Linie in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, für die Verwirklichung von Minderheitenrechten in ihren Hoheitsgebieten zu sorgen. Aber nicht alle Mitgliedstaaten werden dieser Verantwortung in gleicher Weise gerecht. Besonders betroffen sind auch staatenlose Angehörige von Minderheiten, beispielsweise die Roma. Die EU darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen und alles den Mitgliedstaaten überlassen. Was

auf EU-Ebene gesetzgeberisch und politisch möglich ist, muss auch getan werden.

Wir Grüne sehen es auch als einen großen Fortschritt an, dass es seit April 2012 möglich ist, das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative zu nutzen. Wir freuen uns, dass von diesem Instrument bereits Gebrauch gemacht wird. Zurzeit laufen 17 registrierte Verfahren dazu.

Wir haben hier im Landtag vor Kurzem über eine andere Europäische Bürgerinitiative gesprochen, nämlich die Initiative „Wasser ist ein Menschenrecht“. Diese Initiative war erfolgreich. Durch sie ist erreicht worden, dass die EU-Kommission Abstand von Plänen genommen hat, im Zuge der Reform des Vergaberechts einer Privatisierung der Wasserversorgung den Weg zu bereiten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Das Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, sich einzumischen. Es zeigt auch, dass die Menschen in Europa in der Lage sind, sich über Nationalstaatsgrenzen hinweg zu verbünden und für gemeinsame Interessen gemeinsam auf europäischer Ebene einzutreten. Ich fände es sehr wünschenswert, wenn es bald noch mehr Beispiele erfolgreicher Initiativen gäbe.

Damit komme ich zum eigentlichen Antrag zurück. Die EU-Kommission begründet die Ablehnung der Bürgerinitiative zu Minderheiten damit, dass die Kommission keine gesetzgeberische Kompetenz in dem Bereich habe. Richtig ist, dass die Kommission keine Initiative aufgreifen kann, die nicht in den Kompetenzrahmen der EU fällt. Richtig ist aber auch, dass die Vorschläge der Bürgerinitiative für Rechtsakte jeweils mit konkreten Verweisen belegt sind. Man sollte hier nicht nur eine juristische Debatte führen, sondern das politische Ziel ins Zentrum stellen.

(Beifall Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Wir unterstützen das Anliegen der Initiative weiterhin voll und ganz. Eines ist, denke ich, jetzt auch schon klar: Die jetzige Kommission kann natürlich nicht über die Zusammensetzung der zukünftigen Kommissionen entscheiden und auch keinen Vorstoß für die Schaffung eines EU-Minderheitenkommissars oder einer -kommissarin machen. Das müssten schon die Mitgliedstaaten tun. Wir Grüne wollen, dass sich die Bundesrepublik auf europäischer Ebene für einen EU-Kommissar für Minderheitenschutz einsetzt.

Als Flensburger und als Teil der dänischen Minderheit freue ich mich natürlich, dass das Generalse

kretariat der FUEV seinen Sitz in dieser Stadt hat. Die FUEV macht - das hat die Kollegin WaldingerThiering gerade schon ausgeführt - eine für Europa außerordentlich wichtige Arbeit. In ihr sind über 80 Minderheitenorganisationen aus 32 europäischen Staaten vertreten. Die Aktivitäten reichen also auch weit über die Grenzen der Europäischen Union hinaus. Die Zusammenarbeit der Minderheiten unter dem gemeinsamen Dach der FUEV ist ein wichtiger Beitrag für die Verständigung und den kulturellen Austausch der verschiedenen Volksgruppen in Europa. Es hat eine positive Ausstrahlung auch in die Mehrheitsgesellschaft. Wir sollten froh und dankbar darüber sein, dass diese tolle Organisation hier bei uns in Schleswig-Holstein, in Flensburg, ihren Sitz hat. Das wollen wir weiter unterstützen. Das ist der zweite Teil unseres Antrags. Ich kann nur bitten, dass Sie dies im Sinne der parteiübergreifenden Minderheitenpolitik unterstützen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Minderheitenpolitik ist in der Europäischen Union zweifellos ein schwieriges Thema, weil die Stellung und der Schutz nationaler Minderheiten in einigen Mitgliedstaaten der EU bei Weitem noch nicht so gesichert sind wie bei uns in Deutschland, speziell in Schleswig-Holstein und in seinem nördlichen Nachbarland Dänemark.

Dabei hat sich die EU aber selbst in Sachen Minderheitenschutz große Verpflichtungen auferlegt, nämlich in ihrer eigenen Grundrechtecharta und ebenso in den Kopenhagener Kriterien zur Aufnahme neuer Mitglieder. Allein dieser hohe Rang, den der Schutz autochthoner nationaler Minderheiten für die Europäische Union durch selbst auferlegte Verpflichtungen eingenommen hat, begründet die Forderung, dass Minderheitenpolitik auch in der Arbeit der EU-Kommission in Brüssel einen eigenen Platz, eine eigene „Adresse“ haben muss.

Die Zahl der Kommissionsmitglieder ist - das mag man generell durchaus kritisieren - derzeit so groß wie die Zahl der Mitgliedsländer. Da ist es dann auch in praktischer Hinsicht durchaus machbar und möglich, dass ein Mitglied der EU-Kommission mit

(Rasmus Andresen)

dem Themengebiet „Nationale Minderheiten“ beauftragt wird, entweder als eigenes Ressort oder als wichtiger Teil eines Ressorts mit mehreren Aufgabenfeldern, etwa - eine von mehreren Möglichkeiten - im Bereich der Zuständigkeiten, die die Kultur oder die Sprachenvielfalt in der Europäischen Union betreffen. Das sind ja Themengebiete, die durchaus Berührungspunkte zum Minderheitenthema aufweisen.

Meine Fraktion stimmt dem vorliegenden Antrag zu.

Ich möchte aber mit Blick auf das, was Frau Pauls hier in die Debatte eingebracht hat und was ich mit Blick auf die Gemeinsamkeit bei dem eigentlichen Thema für sehr unglücklich halte, doch noch Folgendes feststellen: Ich weise ausdrücklich zurück, dass es in Schleswig-Holstein quasi ein Sakrileg sein soll, wenn Bürger ihr verfassungsmäßiges Recht in Anspruch nehmen und vor dem Landesverfassungsgericht den Umfang der wahlrechtlichen Privilegierung des SSW infrage stellen.

(Beifall FDP und CDU)

Das hat ja auch der Ministerpräsident gestern in seiner Rede ansatzweise so eingeführt, als sei das eine Majestätsbeleidigung, wenn das irgendjemand machen wolle. So können wir über Minderheitenpolitik nicht diskutieren. Das ist eine Art der Herangehensweise, die eher dazu geeignet ist, die Einigkeit bei diesem Thema, die ja doch in weitem Umfang in diesem Hause besteht, infrage zu stellen. Ich will deshalb ausdrücklich kritisieren, was Frau Pauls hier an Misstönen eingebracht hat.

(Beifall FPD und CDU)

Noch eine Anmerkung dazu. Natürlich hat der SSW als Fraktion das Recht, die gleichen parlamentarischen Optionen und Operationsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen wie jede andere Fraktion, selbstverständlich auch einschließlich der Regierungsbeteiligung. Das hat niemand von uns infrage gestellt. Aber wenn Sie das tun, dann müssen Sie wissen, dass die Konsequenz ist, dass Sie sich auch mit all Ihrem Wirken und Handeln dem öffentlichen politischen Diskurs stellen müssen, das heißt, mit dem, was Sie machen, auch im Zweifelsfall in der Kritik sind.

Diese Kritik kann durchaus den Umfang der Forderung von Minderheiten betreffen. Das ist ja auch ein Ergebnis einer erfolgreichen politischen Klientelpflege und Lobbytätigkeit. Das stellt niemand infrage. Aber man kann das Ausmaß durchaus kritisch beleuchten.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung?

Nein, im Moment nicht. - Sie können nicht für Ihr politisches Handeln den Anspruch päpstlicher Unantastbarkeit und Unfehlbarkeit stellen. Das geht nicht.

(Serpil Midyatli [SPD]: Das tun sie doch gar nicht! - Beifall SSW)

- Ich sage nur vorsorglich: Nach dem, was Frau Pauls hier in die Debatte eingebracht hat, sehe ich die Tendenz,

(Serpil Midyatli [SPD]: Wer misst denn hier mit zweierlei Maß?)