Protokoll der Sitzung vom 22.08.2012

(Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume Dr. Robert Habeck)

grenzen, und ich will nicht, dass die Energiewende zu einem sozialen Problem wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich will aber auch keine Scheinheiligkeit in der Debatte. Alles in mir wehrt sich dagegen, wenn börsennotierte Großkonzerne vor den teuren Strompreisen warnen, diejenigen, die sowieso von der EEG-Umlage ausgenommen sind und damit den Preis für die Endkunden hochtreiben.

Die öffentliche Debatte um die Preisentwicklung der Energiekosten ist hitzig, und sie ist sehr aktuell. Dabei wäre eine sachliche Diskussion angezeigt. Von 2006 auf 2011, also in den letzten fünf Jahren, stieg der Strompreis in Deutschland um 6,5 ct pro kW/h. Die EEG-Umlage hat sich von 2009 auf 2011 von 1,1 ct pro kW/h auf 3,6 ct pro kW/h verdreifacht. Das wurde im Wesentlichen durch den Anstieg der Solarenergie verursacht. Weitere Steigerungen im Herbst sind prognostiziert. Wir werden darüber hier im Oktober wahrscheinlich erneut beraten, vielleicht auch in anderen Runden. Aber der Strompreisanstieg ist nicht allein mit dem EEG zu begründen, und die Stromkosten - darauf sei einmal hingewiesen - haben einen eher geringen Anteil an den Haushaltsausgaben. Im Vergleich zu den Ausgaben für Wärme haben sie sogar einen deutlich geringeren Anteil. Sie betragen 2,2 % des Durchschnittshaushalts. Die EEG-Umlage beträgt das ist dann der Beitrag, den der Haushalt im Moment leistet - 0,3 % der durchschnittlichen Haushaltsausgaben.

Es gibt also in Deutschland Armut, aber die EEGUmlage ist nicht der Grund dafür.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wenn diejenigen, die gegen eine Börsensteuer sind und gegen eine Vermögensabgabe, mit Krokodilstränen vor den sozialen Kosten der erneuerbaren Energien warnen, dann sollte man gewarschaut sein.

(Zuruf Abgeordneter Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir haben bereits jetzt starke Impulse im EEG zur Kostensenkung und Degression. Dennoch sollten wir zukünftig im EEG-Mix noch stärker auf die effizienten EE-Technologie setzen - die effizienten! und damit vorrangig auf die On-shore-Windenergie.

(Beifall Abgeordneter Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das kann man nicht laut genug und vor allen Dingen nicht oft genug in Richtung Berlin sagen. Wenn wir preiswerten erneuerbaren Strom wollen, dann wollen wir Strom aus Schleswig-Holstein. Onshore-Windenergie ist der Kostensenker bei den erneuerbaren Energien. Wir haben es einmal nachgerechnet. Wir produzieren hier an guten Windstandorten für etwa 5,9 ct pro kW/h. Würde man OnshoreWindparks - das wäre immer noch die günstigste Form der Energieerzeugung - im Süden aufstellen, bei den schwächeren Windeignungsgebieten, die die dort haben, läge der Preis bei 9 bis 10 ct pro kW/h. Hinzu kämen Gebühren für den Netzausbau, etwa 1 bis 1,5 ct pro kW/h. Selbst wenn man alles zusammenrechnet, ist die Energie aus Schleswig-Holstein der Kostensenker im Konzert der Erneuerbaren.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Hätten wir bundesweit einen Energiemix wie in Schleswig-Holstein, wäre die EEG-Umlage um 3 ct billiger.

Unsere Erneuerbaren sind also nicht das Problem, sondern sie sind die Lösung. Das sage ich ausdrücklich in Richtung Peter Altmaier.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Deckelung von Wind-Onshore im Norden macht die Energiewende teurer, und sie ist falsch.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir müssen weiterhin festhalten, dass die Preise des Stroms aus Atom und Kohle nie die Wahrheit über ihre wahren Kosten ausgesagt haben. Legt man staatliche Förderungen und Subventionen sowie die nicht eingerechneten sozialen und ökologischen Kosten auf die Stromkosten um, sind schon heute Wind und Wasser günstiger als Atom und Kohle.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Abgeordneter Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Zweitens trägt die Energiewende dazu bei, uns von teurer werdenden Energieimporten unabhängig zu machen. Sie dient deshalb grundsätzlich der Versorgungssicherheit und letztlich auch der Preisstabilität. Denn eines ist doch klar: Die Preise für Öl, Gas und Kohle werden mittel- und langfristig an

(Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume Dr. Robert Habeck)

steigen. Die Erzeugungskosten für Wind und auch Sonnenstrom werden sinken. Wer also auf fossile Brennstoffe statt auf Erneuerbare setzt, setzt auf die Vergangenheit.

Drittens. Ja, die Stromkosten steigen, und, ja, die Energieumlage steigt auch, und der Umstieg auf die Erneuerbaren hat seinen Preis. Aber bei den gegenwärtigen Stromkosten ist das eigentliche Problem - eigentlich ein Skandal -, dass der gesunkene Börsenpreis nur zum Teil an die Kundinnen und Kunden weitergegeben wird, während die EEGUmlage dick auf den Rechnungen ausgewiesen wird und als Begründung für jede Preiserhöhung herhalten muss. Die Strombeschaffungskosten für die Stromversorger sind nach den Berechnungen der Bundesnetzagentur 2010 um 3 ct geringer als die Preise, die an die Verbraucher weitergegeben werden.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Würden die Stromversorger den preissenkenden Effekt auch der Erneuerbaren an der Börse an die Verbraucher weitergeben, wäre ein erheblicher Teil der EEG-Umlage wieder eingespielt.

Wieso die Strompreise hoch sind, verrät ein Blick auf die Geschäftsbilanzen der Konzerne, die - nach dem Schock von Fukushima kurz eingebrochen jetzt wieder deutlich nach oben gehen. E.ON und RWE machen Milliardengewinne und haben das für das erste Halbjahr dieses Jahres auch ausgewiesen. Die Kunden zahlen aber trotz dieser Gewinne mehr als vor einem Jahr. Kein Schelm, wer da einen Zusammenhang sieht!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD und SSW)

Trotz dieser Gewinne wollen die großen Vier einen zweistelligen Milliardenbetrag als Entschädigung für den vorzeitigen Atomausstieg.

All das zeigt: Wir haben noch immer keinen funktionierenden Strommarkt in Deutschland. Wir haben am Strommarkt Verhältnisse wie an unseren Tankstellen. Und ich werde mich, diese Landesregierung wird sich dafür einsetzen, dass auf den Stromrechnungen nicht allein die EEG-Umlage wie bisher ausgewiesen wird, sondern auch der Einfluss der Börsenpreise, damit Klarheit entsteht, dass die Erneuerbaren den Strompreis an der Börse senken.

Schließlich der eigentlich selbstverständliche, aber keineswegs selbstredende Hinweis, dass die billigste Kilowattstunde diejenige ist, die nicht verbraucht worden ist. Eine Kennzeichnungspflicht

für den Energieverbrauch sollte für alle elektrischen Geräte wie PCs, Handys, Flatscreens, Spielkonsolen - oder was auch immer - genauso wie für Kühlschränke und Waschmaschinen Anwendung finden. Stromsparen ist leicht zu realisieren und kostet fast nichts, und eine kostenlose Energieberatung ist eine gute Hilfestellung dafür.

Der Verbraucher - das geht jetzt an uns alle - kann heute von Hunderten von Anbietern Strom bestellen. Wenn wir über hohe Strompreise klagen, dann klagen wir auch zu einem großen Teil über uns selbst. Wir klagen über unsere Trägheit, die uns in der teuren Grundversorgung bleiben lässt. Unverständlicherweise fragen wir bei Strom nicht, was wir sonst bei allen Dingen des täglichen Einkaufs tun: Wo kostet es eigentlich am wenigsten? Beim Wechsel des Stromanbieters sind mehr Einsparungen möglich, als jeder Anstieg der Kosten durch das EEG bereits ausgemacht hat. Man kann Ökostrom heute für 200 € billiger pro Jahr beziehen als in der Grundversorgung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, dass wir heute überhaupt in der Lage sind, die Energiewende zu wollen und zu wagen, dass wir ein Industrieland ohne nuklearen und fossilen Strom denken und versorgen können, dass die erneuerbaren Energien keine Tüfteleien im Hinterhof mehr sind, sondern eine echte industrielle Perspektive, liegt am Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das EEG ist das Herz der Energiewende. Dieses Gesetz hat das Fundament für einen Strukturwandel gelegt, der alle Erwartungen übertroffen hat.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wenn wir heute in die nächste Stufe der energiepolitischen Debatte einsteigen, dann nicht, weil das EEG nicht funktioniert hätte, sondern weil es über die Maßen gut funktioniert hat. Das EEG ist allerdings keine Heilige Schrift, und deshalb muss es immer wieder überprüft werden. Es wird ja auch immer wieder überprüft. Es muss nur anständig überprüft und mit fairen Argumenten analysiert werden.

Wir werden zum Beispiel perspektivisch dazu kommen müssen, mit dem EEG stärker den Beitrag zum Gesamtsystem und weniger einzelne Anlagen zu vergüten. Verschiedene Energie- und dann Speicherträger werden sich gegenseitig komplementieren müssen, und das wird gefördert werden müssen. Was wir jetzt also brauchen, sind Mechanismen, die

(Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume Dr. Robert Habeck)

sicherstellen, dass der Strom ständig verfügbar ist und die Versorgungssicherheit garantiert ist.

Damit komme ich zur Versorgungssicherheit. Denn diese, die Versorgungssicherheit, und die Stromnetzstabilität stehen durch die schwankenden Einspeisungen der Erneuerbaren vor neuen und großen Herausforderungen. Im vergangenen Winter - auch das gehört zur Eröffnungsbilanz quasi dazu; da war ich noch nicht Minister - ist nach einem Kurzschluss nur unter Aufbietung aller Kaltreserven ein Blackout im norddeutschen Raum verhindert worden. Ursache dafür ist, dass sich die Anlagen abschalten, wenn das Netz ausfällt. Das tun vor allen Dingen ältere Anlagen. Auch deshalb muss repowert und nachgerüstet werden. Dafür sind - wenn es geht, noch vor der Bundestagswahl - weitere gesetzliche Schritte dringend notwendig und geboten.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus leistet die Fertigstellung der Freileitung Krümmel-Görries einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit und Netzstabilität besonders für Hamburg und das Hamburger Umland. Weiterhin wurden, um einen rechtzeitigen Informationsfluss zwischen den Betreibern der verschiedenen Stromspannungsebenen zu gewährleisten, ein Berichtskaskadensystem ein- und Notfallübungen durchgeführt.

Weitere umfassende Schritte zur Versorgungssicherheit sind notwendig. Sie lauten: regionaler und internationaler Netzausbau - ich spreche vom NORD.LINK-Kabel; die Planfeststellungsunterlagen sind vor einem Monat hier eingegangen; wir werden wahrscheinlich 2018 das NORD.LINK-Kabel bauen können -, Stromeinsparung und Lastmanagement, Speicher-, Ausgleichs- und Reservekapazitäten, dann durch fossile Kraftwerke, vornehmlich Gaskraftwerke.

Und diese Reihenfolge ist eine bewusste Prioritätensetzung. Also erst die anderen Schritte, erst die Einsparung, erst das Netz und dann gegebenenfalls Zubau von weiteren fossilen Kraftwerken, nicht umgekehrt und schon gar nicht Förderung eines zweiten Kraftwerksparks, der dann ebenfalls auf die Stromrechung geschlagen wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich komme zur Frage des Netzausbaus, der ja hier im Lande brennende Aktualität hat. Ohne Netzausbau keine Energiewende. Ich will deshalb abschließend auf folgende Aspekte eingehen: Können wir das Netz schnell ge

nug ausbauen, und werden wir Abschaltungsverluste durch den Ausbau der Erneuerbaren bekommen, und, wenn ja, in welcher Dimension? Wird die Energiewende an den Bürgerprotesten scheitern, und sollen wir die Energiewende vom Ausbau der Netze abhängig machen? Ich glaube, das sind die drei Fragen, die im Moment mit dem meisten Schaum vor dem Mund diskutiert werden, die aber auch die größte Relevanz haben.

Meine Damen und Herren, 2010 hatten wir, weil das Stromnetz nicht aufnahmefähig genug war, Abregelungen von erneuerbaren Energieanlagen in ganz Deutschland mit einem Prozentwert von 0,3 ct. des EEG-Stroms und einem Euro-Gegenwert von etwa 40 Millionen €. Dass ich die Zahlen nicht genauer liefern kann, liegt daran, dass sie so miserabel erfasst sind. Das ist nicht transparent geregelt, und das ist eines der Dinge, die man ändern muss. Das gilt vor allem für die Debatte, die jetzt ansteht.

Zahlen für 2011 liegen noch nicht vor. Aber man kann ahnen, dass nach derzeitigem Stand der Analyse die Abschaltungskosten für 2011 bundesweit noch einmal hochgegangen sind und auch in Schleswig-Holstein erheblich gestiegen sind, vor allem im Nordwesten. 2012 hingegen scheint sich dann die Situation für uns etwas entspannt zu haben, unter anderem deshalb, weil die Leitung Breklum-Flensburg nach einem Jahrzehnt Planungsund Bauzeit endlich fertig wurde.

In Schleswig-Holstein wurden 2010 - das sind die Zahlen, die uns gemittelt vorliegen - 18 Millionen € an Entschädigungen für abgeregelten Strom ausgezahlt. Wenn wir jetzt die installierte Leistung ausweiten, indem wir 1,5 % der Landesfläche zur Windeignungsgebieten erklären und der Netzausbau nicht in die Puschen kommt, wird dieser Betrag deutlich ansteigen. Dies, meine Damen und Herren, muss offen und deutlich als Problem und als Herausforderung benannt werden. Ich habe ja bereits die anvisierten Planungszeiträume vorgetragen, die nicht akzeptabel sind. Auch wenn wir es schaffen, da jetzt den Turbo reinzukriegen, muss ehrlich gesagt werden: Ja, wir werden aufgrund der vorliegenden Planungsdaten mit erhöhten Abschaltungen zu rechnen haben. Und: Nein, ich und diese Regierung sind nicht bereit, das einfach so hinzunehmen.