Protokoll der Sitzung vom 22.08.2012

In Schleswig-Holstein wurden 2010 - das sind die Zahlen, die uns gemittelt vorliegen - 18 Millionen € an Entschädigungen für abgeregelten Strom ausgezahlt. Wenn wir jetzt die installierte Leistung ausweiten, indem wir 1,5 % der Landesfläche zur Windeignungsgebieten erklären und der Netzausbau nicht in die Puschen kommt, wird dieser Betrag deutlich ansteigen. Dies, meine Damen und Herren, muss offen und deutlich als Problem und als Herausforderung benannt werden. Ich habe ja bereits die anvisierten Planungszeiträume vorgetragen, die nicht akzeptabel sind. Auch wenn wir es schaffen, da jetzt den Turbo reinzukriegen, muss ehrlich gesagt werden: Ja, wir werden aufgrund der vorliegenden Planungsdaten mit erhöhten Abschaltungen zu rechnen haben. Und: Nein, ich und diese Regierung sind nicht bereit, das einfach so hinzunehmen.

Deswegen ergreifen wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Wir haben die Planfeststellungsbehörde neu und hoffentlich effektiver aufgestellt. Wir beziehen die Industriebetriebe als große Stromverbraucher in unser Lastmanagement ein. Wir überprüfen die parallele Nutzung von Ersatzleitungen, um damit bestehenden Leitungen mehr Kapazität

(Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume Dr. Robert Habeck)

zu ermöglichen. Wir forcieren den Einsatz von neuen Netztechnologien, eine leistungsfähige Beteiligung, ein Echtzeitmonitoring zum Auslastungsgrad der Netze. Außerdem brauchen wir mehr Klarheit über den Umfang von Abregelungen und Entschädigungen, um zielgenau mit unseren Maßnahmen einsetzen zu können. Schließlich brauchen wir auch lokale Systeme, um vor Ort abgeregelten Strom sinnvoll nutzen zu können. All das betreiben wir mit Hochdruck.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem aber sind wir dabei - und das ist das Entscheidende -, mit den Betroffenen unbürokratisch und schnell die beste Lösung für den Bau der neuen Leitungen vor allem entlang der Westküste, dann schließlich aber auch in Ost-Holstein zu finden. Die sich daran anschließende logische Frage lautet also: Soll man aufgrund dieser Herausforderungen die Energiewende aussetzen? Und die Antwort ist: Nein.

Wir kämpfen gegen jede Kilowattstunde, die nicht ins Netz aufgenommen wird. Aber lassen Sie mich auch die Verhältnisse klarstellen. Schleswig-Holstein erhält durch die EEG-Einnahmen nur aus den Vergütungen 1 Milliarde € jährlich. Dazu kommen all die Wertschöpfungsketten, die wir hier im Land aufgebaut haben: Innovationen in der Technik, Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze. Demgegenüber beträgt der Anteil der nicht erbrachten Arbeit im Stromnetz am bundesweiten Gesamtaufkommen 0,02 % und belastet damit einen Vierpersonenhaushalt bundesweit mit 0,02 ct. im Monat. Selbst wenn wir deutlich mehr Strom nicht aufnehmen können, wogegen wir ankämpfen, erwächst daraus kein starkes Argument, die Energiewende nicht umzusetzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Damit bin ich bei der zweiten Frage, der Frage des Netzausbaus und der Bürgerproteste. Meine Damen und Herren, nach vielen Gesprächen im Land und einer Kaskade von kommenden Gesprächen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten kann ich sagen: Weder die Energiewende noch der Netzausbau werden durch die Bürgerbeteiligung grundsätzlich infrage gestellt.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, es gibt lokale Betroffenheiten, und die kann ich oft nachvollziehen, und es gibt natürlich wie immer Totalverweigerung, die ich nicht gut nachvollziehen kann, aber auch zur Kenntnis nehme.

Meine Damen und Herren, ich habe mich an den Bundeswirtschaftsminister gewandt und ihn gebeten, uns wie in Niedersachsen die Möglichkeit einzuräumen, auch 380-kV-Leitungen als Test erdzuverkabeln. Seine Antwort liegt seit vorgestern auf dem Tisch, und sie ist negativ. In aller Deutlichkeit: Etwas anderes habe ich und hat, ich glaube, niemand von uns hier im Parlament und bei den Bürgerinitiativen gesagt: Selbst wenn Philipp Rösler anders entschieden hätte, hätte es sich höchstens um kurze Teilstücke für Erdverkabelung gehandelt; denn die Technik ist noch nicht ausgereift. Deswegen werden die 380-kV-Leitungen als Freileitungen geplant und gebaut werden. Das steht nach der Entscheidung von Rösler endgültig fest. Und trotzdem wird die Energiewende nicht an den Bürgern und Bürgerprotesten scheitern, weil ohne Netzausbau die Alternative am Ende ist: Wiedereinstieg in die Hochrisikotechnologie Atom oder klimaschädliche fossile Kraftwerke oder CCS und CO2-Verpressung.

Sicher werden also am Ende nicht alle glücklich sein. Aber alle sollen dann wenigstens wissen, dass es ein faires, transparentes und offenes Verfahren gab und dass jeder andere Trassenverlauf schlechter abgeschnitten hat.

Meine Damen und Herren, der Netzausbau wird erst recht nicht am Naturschutz scheitern, siehe Wattenmeer, wo es gelang, im Einvernehmen und mit Entgegenkommen der Naturschutzverbände eine Trasse für die Seekabel zu finden mitten durch den Nationalpark. Das soll erst mal einer nachmachen. Hier in Schleswig-Holstein kann sich also Philipp Rösler anschauen und sehen, dass er Unrecht hat, wenn er von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken will, indem er wieder auf den Naturschutz zeigt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Der Netzausbau muss laut Gesetz dem Tempo der Erneuerbaren folgen. Dass er das bisher nicht tat, ist erstens das Versäumnis der Vergangenheit und zweitens kein Zufall. Vor dem Unbundling - das wird man mindestens sagen können -, der Entflechtung von Erzeugung und Netzbetrieb, wurde der Netzausbau absichtlich verzögert, weil weniger Windstrom mehr Atomstrom bedeutete. Der unterlassene Netzausbau sollte die Energiewende verhindern. Wir würden dieser Strategie nachträglich zum Erfolg verhelfen und sie nachträglich adeln, wenn wir sie uns jetzt, nachdem die Energiewende endlich beschlossen ist, zu eigen machten.

(Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume Dr. Robert Habeck)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Jetzt - ich bin sehr froh, das sagen zu können - sind TenneT und E.ON dabei, die Verzögerungen von damals aufzuholen, und zwar mit gutem Willen, glaube ich, und im Lichte der Erkenntnis, dass sie hier in unserem Land die Chance haben, einmal zu zeigen, dass sie es können und dass sie es wollen. Bremsen wir sie doch nicht dabei. Denn Verzögerungen holt man nicht auf, indem man das Tempo vom Langsamsten bestimmen lässt, sondern indem man dem Langsamsten auf die Beine hilft und ihm auch mal Feuer unter den Mors macht.

Meine Damen und Herren, die Energiewende ist kein grünes, kein rotes, kein schwarzes, blaues oder gelbes Projekt, sondern sie ist längst zu einem gesellschaftlichen Projekt geworden. Das ist sie gerade und vor allem in Schleswig-Holstein, dem Land der erneuerbaren Energien, dem Land, das meerumschlungen durch den Klimawandel bedroht ist wie kein zweites in der Bundesrepublik, dem Land, in dem sich die Konfliktlinien der Energiepolitik wie Brokdorf, Krümmel, Brunsbüttel, Kohlekraftwerksneubau oder nicht, CO2-Verpressung kreuzen wie in keinem zweiten, aber auch dem Land, das der ökologischen Bedrohung kontern kann mit einer verheißungsvollen, ökologisch verträglichen und ökonomisch ertragreichen und erfolgreichen Perspektive. Die Erneuerbaren sind der Wachstumsmotor einer neuen Wirtschaft. Die Energiewende hat einen gewaltigen ökonomischen Hebel. Sie ist der Jobmotor für dieses Land, sie ist der Jobmotor der Gegenwart und der Zukunft.

Inzwischen gibt es eine auch hier im Haus parteiübergreifende Erkenntnis: Die Energiewende ist die Jahrhundertchance für Schleswig-Holstein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wer sie schlechtredet oder die Argumente nicht zur Kenntnis nimmt, der redet Schleswig-Holstein schlecht.

Schleswig-Holsteins Energie ist erneuerbar. Das ist ein normativer Satz. Aus diesem folgen alle Arbeitsaufträge für mich, für die Landesregierung, für dieses Parlament. Die Verantwortung dafür kann uns niemand abnehmen, aber die Verantwortung dafür soll uns auch niemand abnehmen.

(Starker, lang anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Landesregierung hat die angekündigte Redezeit um viereinhalb Minuten überschritten. Diese Redezeit steht nun auch allen anderen Fraktionen zur Verfügung, sie muss aber nicht in Anspruch genommen werden.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Abgeordneter Johannes Callsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allgemein wie immer, dünn wie immer, ideologisch überladen wie immer; Herr Dr. Habeck, etwas Freundlicheres kann ich zu dieser Regierungserklärung nicht sagen.

(Widerspruch SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Regierungserklärung hat den einzigen Zweck, zu überdecken, dass Sie bisher nichts in die Suppe zu bröckeln haben - weder zur Energiewende noch zu einem anderen Thema.

(Beifall CDU und FDP)

Wir, die CDU und die vorherige Landesregierung, hatten und haben einen Plan mit dem klar definierten Ziel, bis 2020 die Energiewende in SchleswigHolstein sozialverträglich, ökologisch und ökonomisch sinnvoll umzusetzen. Ich bin sicher, dieser Ansatz wäre für unser Land besser gewesen als Ihr Fabulieren und Ihr Aktionismus. Herr Minister, Ihre Regierungserklärung ist nichts anderes als eine Ansammlung von ideologisch beeinflussten Vorstellungen und Wunschträumen, wie wir sie von Ihnen bereits aus den vergangenen Jahren kennen. Es waren keine neuen Ideen dabei. Es gab keine neuen Visionen für unser Land, die - wie von Ihnen angekündigt - unser Land voranbringen sollen.

(Beifall CDU und FDP)

Wenn Sie sagen, Sie wollen Schleswig-Holstein zum Vorreiter der Energiewende machen, dann sage ich: Das sind wir bereits, weil die alte Landesregierung sehr schnell und umsichtig unsere Positionen im Standortwettbewerb der erneuerbaren Energien ausgebaut hat. Wir waren es, die die Ausweitung der Windeignungsflächen vorangebracht haben.

(Serpil Midyatli [SPD]: Ja?)

(Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume Dr. Robert Habeck)

- Frau Kollegin, ich bin noch bei einem ganz anderen Thema. Ich weiß, dass Sie auf Stichworte reagieren. Lassen Sie mich aber bitte weiter ausführen.

Wir waren es, die die Ausweitung der Windeignungsflächen vorangebracht haben. Es waren nicht die SPD und die Grünen.

(Beifall CDU)

Das geschah aus Überzeugung, weil es Sinn macht, Windstrom dort zu produzieren, wo der Wind auch weht.

(Wortmeldung Abgeordneter Detlef Mat- thiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Ich komme aber noch zu Ihnen, Herr Kollege. Ihre Aufgabe, also die Aufgabe der neuen Landesregierung, wird es sein, gemeinsam mit der Bundesregierung und den anderen Bundesländern einen Masterplan für die Energiewende zu erarbeiten, denn die Energiewende kann nur gemeinsam von Bund und Ländern vollzogen werden.

Damit komme ich zu einem Thema, das uns auch hier im Haus oft bewegt hat und von dem ich der Überzeugung bin, dass es keine Fraktion in diesem Haus in Schleswig-Holstein will. Das ist das Thema CCS. Sie, SPD, Grüne und SSW, haben den Menschen vor der Wahl vorgemacht, ein Totalverbot sei möglich. Sie sind mit dieser Forderung sowohl in der SPD als auch bei Ihren rot-grünen Parteifreunden im Bundesrat kläglich gescheitert.

(Beifall CDU)

Stattdessen ist eine Länderklausel herausgekommen, die leicht hinter dem zurückbleibt, was die CDU-geführte Landesregierung schon verhandelt hatte. Das, was Sie jetzt als große Neuerung ankündigen, nämlich das Landesgesetz mit dem Totalverbot, ist nichts anderes als das, was von uns schon vorgesehen war.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Dr. Habeck, ich habe mir gestern noch einmal Ihr großartig angekündigtes 100-Tage-Programm angesehen. Dort steht zum Thema Energiewende, dass die Zuständigkeiten in einem Ministerium gebündelt werden sollen, um diese Energiewende mit Schwung voranzubringen. Dass die wichtige Landesplanung trotz dieser Ankündigung in der Zuständigkeit der Staatskanzlei geblieben ist, liegt wahrscheinlich daran, dass man sich bei den Sozialdemokraten doch nicht in allen Bereichen über den Tisch ziehen lassen wollte, wie das bei Infrastrukturprojekten schon geschehen ist.

(Beifall CDU)

Wie man die Bürger frühzeitig einbindet, mussten Sie schmerzhaft am Beispiel der Windeignungsflächen von Schwarz-Gelb lernen. Herr Kollege Matthiessen und Herr Dr. Habeck, was haben Sie uns im Mai nicht noch alles dahin gehend erklären wollen, wie man die Ausweisung schneller umsetzen kann.

(Zurufe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie haben uns einen Plan in Form einer Pressemitteilung zukommen lassen und darin verlauten lassen, wir würden auf der Bremse stehen. Nichts von alledem hat sich als wahr herausgestellt. Es hat sich auch nicht herausgestellt, dass Sie Ihren eigenen Plan hätten umsetzen können, denn auch Sie mussten feststellen, dass die Bürger zweimal beteiligt werden müssen und dass das Verfahren, wie wir es durchgeführt haben, schnell, rechtssicher und vor allem bürgerfreundlich war und ist.

(Beifall CDU - Serpil Midyatli [SPD]: Schnell?)