Protokoll der Sitzung vom 21.11.2013

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Daten sammeln ist aber auch gefährlich, wenn dies durch einen Rechtsstaat, der idealerweise die Grundrechte seiner Bürger schützt, passiert. Kein noch so guter Staat kann garantieren, dass sich Unbefugte nicht seiner Datensammlung bemächtigen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Die Regierung der USA hätte das zum Beispiel von Bradley Manning und Edward Snowden lernen können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Militär- und Geheimdienstakten zur Veröffentlichung bestimmt waren. Trotzdem haben sie das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

(Uli König [PIRATEN]: Überraschung!)

In der Abwägung mag es nun noch angehen, dass wir zentral erfassen und speichern, wer der Halter welches Fahrzeugs ist und dies mit einem pseudonymen Nummernschild kenntlich machen. Aus diesen Daten kann man aber auch schon Rückschlüsse, zum Beispiel zu den Vermögensverhältnissen, ziehen. Wer aber an Maut-Brücken erfasst und speichert, wer wann wo gewesen ist, sammelt Daten, mit denen Menschen, wenn sie in falsche Hände geraten, zum Beispiel erpressbar sind.

(Beifall PIRATEN)

Das halten Sie eventuell für weit hergeholt, aber vielleicht ist der Halter ja dort unterwegs, wovon seine Partnerin gar nichts erfahren soll. Was ist Ihnen Ihre Ehe wert?

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kollege Kubicki, dem einen mehr, dem anderen weniger. In einem „Zeit“-Interview hatten Sie einmal etwas zum Thema Ehe gesagt. Sie wollten nicht nach Berlin gehen, um Ihre Ehe nicht zu gefährden. Das hat sich seit dem Interview offensichtlich geändert.

Erpressbar ist man aber auch mit Daten, die nichts mit Straftaten zu tun haben. Grund können der Besuch eines Psychiaters, persönliche Schulden, eine Suchtproblematik, eine versteckte Beziehung oder eine schwere Krankheit sein.

(Beifall PIRATEN)

Selbst eine lästerliche SMS über einen Kabinettskollegen oder einen engen Mitarbeiter birgt das Potenzial, großen Schaden anzurichten. Das ist gerade in der Politik so. Man kann dies ins Lächerliche ziehen, aber ich biete Ihnen einen Service an: Geben Sie mir Ihr E-Mail- oder Ihr Handy-Passwort, und ich finde mit großer Sicherheit Informationen, die Sie nicht auf Facebook finden wollen. Das ist ungeachtet dessen, dass Sie hier alle sicherlich keine Straftäter sind.

Schon J. Edgar Hoover, der jahrzehntelang Direktor des FBI war, wusste, dass Informationen eine ungeheure Macht darstellen. Er hatte deshalb große Teile der amerikanischen Regierung durch persönliche Informationen in der Hand. Was glauben Sie, warum sich die NSA für Merkels Handy interessiert hat; aus Gründen der Terrorbekämpfung? - Vermutlich glaubt das nicht einmal Herr Pofalla. Herr Röttgen könnte hier vielleicht eine andere Meinung haben, aber okay. Wenn sich die Menschen nicht sicher sein können, dass ihre Parlamente, Regierungen und Entscheidungsträger nicht durch gesam

(Dr. Kai Dolgner)

melte Informationen erpressbar sind, dann ist das der Anfang vom Ende der Demokratie.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Um nicht in billigen Antiamerikanismus abzugleiten, sage ich: Es gibt durchaus unappetitlichere Geheimdienste und Regierungen auf der Welt als die NSA und die USA.

(Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP])

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bernstein?

Ja, gern.

Lieber Kollege Dr. Dolgner, Ihre Ausführungen, die Sie gerade machen, sind nachvollziehbar. Ihre Position dazu ist bekannt. Was genau hat das jetzt mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun?

- Wie viele Minuten habe ich für die Beantwortung?

Ihre Redezeit ist abgelaufen, aber die Antwort dürfen Sie natürlich ausführlich geben.

Meinen letzten Absatz möchte ich gern auch noch darbringen.

Herr Dr. Bernstein, die ganze Rede soll zeigen, dass man dann, wenn man Vorratsdaten speichert, davon ausgeht, dass nur Befugte Zugriff auf die gesammelten Daten haben. Bei der Vorratsdatenspeicherung wird immer gesagt, man habe nur mit richterlicher Anordnung Zugriff auf die gesammelten Daten. Sie haben gerade gezeigt, dass das, was ich eingangs sagte, notwendig ist. Wir müssen uns auch mit einem anderen Aspekt beschäftigen: Wer Daten sammelt, der muss eine Antwort auf die Frage haben, was passiert, wenn Unbefugte Zugriff auf die Daten bekommen.

(Beifall PIRATEN)

Wenn Sie den Missbrauch von hochsensiblen Daten sicher verhindern wollen, dann dürfen Sie die Daten gar nicht erst sammeln.

(Beifall SPD und PIRATEN)

Wir können uns lange darüber unterhalten, was hochsensible Daten sind. Es ist aber blauäugig, anzunehmen, dass man alles sammeln darf, solange man nur einen Richtervorbehalt dazu vorsieht. Herr Manning und Herr Snowden haben Daten veröffentlicht, die gesammelt worden sind, jedoch nie zur Veröffentlichung bestimmt waren. Das ist hoffentlich der Fall. Ich gehe davon aus, dass der amerikanische Geheimdienst ein paar eigene Sicherheitsvorkehrungen hat. Deshalb ist es wichtig, zu verstehen, dass man gewisse Daten erst gar nicht sammeln sollte.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Wenn man eine Infrastruktur schafft, um auf diese Daten zuzugreifen und diese über das Internet zugänglich macht, ohne dass die Provider dies kontrollieren können, dann wissen Sie nicht, ob zum Beispiel das BKA oder Hacker, die von einer Regierung beauftragt wurden, Zugriff nehmen, um zu sehen, wo Daten von Politikern, Anwälten oder sonstigen Entscheidungsträgern sind, die man sich zunutze machen könnte. Sie können das nicht garantieren. Der Provider kann das übrigens auch nicht feststellen. Das heißt, wir schaffen die Infrastruktur, diese Daten auch noch abzugreifen. Das, was Herr Hoover sich mühsam zusammensammeln musste, packen wir auf ein Tablett. Davor setzen wir ein Schloss und garantieren, dass dieses Schloss - abgesehen von den Befugten - von niemandem geöffnet werden kann. Dieses Schloss ist in der Vergangenheit mehrfach aufgemacht worden, und es wird auch in Zukunft aufgemacht werden. Das sollte man bedenken, bevor man sagt, diese Daten sollen gesammelt werden.

(Beifall SPD, PIRATEN und SSW)

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Sie haben die Zeit weiterlaufen lassen? - Ich war immer noch bei der Beantwortung der Frage.

Nein, wir haben die Uhr erst wieder angestellt, als Herr Dr. Bernstein sich wieder hingesetzt hatte und zufrieden war.

Ich würde mich sehr freuen, wenn auch die Mehrheit des Europäischen Parlamentes dies endlich begreifen und die entsprechende Richtlinie verändern oder aufheben würde.

(Dr. Kai Dolgner)

(Beifall PIRATEN)

Herr Dr. Bernstein, Sie müssten auch dafür sein, dass diese Richtlinie aufgehoben wird, denn Sie haben gesagt, Sie wollen dies national regeln. Das können wir momentan aber nicht. Das heißt, nach Ihrem Redebeitrag müssten Sie ebenso für die Aufhebung der Richtlinie sein. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PIRATEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeitsund Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers ermöglichen. Auch steigt das Risiko von Bürgern, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass gegeben zu haben. Darüber hinaus verschärfen die Missbrauchsmöglichkeiten, die mit einer solchen Datensammlung verbunden sind, deren belastende Wirkung. Da die Speicherung und die Datenverwendung nicht bemerkt werden können, ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus-bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, was eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.

Mit diesen Worten begründete das Bundesverfassungsgericht 2010 die Verfassungswidrigkeit der 2007 eingeführten Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall PIRATEN)

Keines dieser Worte hat an Gültigkeit verloren. Ein diffus-bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins; das ist ein Ausdruck, der in Anbetracht der Enthüllungen von Edward Snowden eine ganz neue Dimension erreicht. Als das Bundesverfassungsgericht 2010 zudem forderte, die sogenannte Überwachungsgesamtrechnung im Auge zu behalten, hat sich niemand vorstellen können, wie sehr diese aus allen Nähten platzen würde. Das Verfassungsge

richt schreibt vor, dass einzelne Maßnahmen nicht nur für sich genommen verhältnismäßig sein müssen, sondern dass die Summe aller Überwachungsmaßnahmen zusammen keine Totalüberwachung der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen darf. Die überwachungspolitische Belastung der Bürgerinnen und Bürger hat die Grenze des Zumutbaren längst überschritten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Es ist unsere Aufgabe, dies wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mehr Datenschutz und weniger wirkungslose Sicherheitsgesetze sind unsere Antwort. Die Vorratsdatenspeicherung erfolgt anlasslos und willkürlich. Sie verstößt so eklatant gegen die im Grundgesetz verankerte Unschuldsvermutung und damit gegen eine der wichtigsten Grundlagen unseres Rechtstaats. Wenn die Vorratsdatenspeicherung eingeführt würde, könnten wir das Kommunikationsgeheimnis und das Recht auf Privatsphäre komplett aus unserer Verfassung streichen.

Das war 2010 so, und so ist es auch heute noch. Darum haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag eindeutig gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Es ist an der Zeit, alles in unserer Macht Stehende zu tun und dafür zu sorgen, dass die Große Koalition in Berlin keine Koalition der großen Überwachungsmaßnahmen wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Es ist deshalb gut, dass der absurde Vorschlag von Innenminister Friedrich zur Nutzung von Mautdaten zu Sicherheitszwecken vorerst gestoppt wurde.