Protokoll der Sitzung vom 23.08.2012

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Franzen, das war eine interessante Vorstellung. Das, was die CDU im Wahlkampf gemacht hat, war so konkret, dass es schon unredlich war. Frau Franzen, Sie haben mit Ihrer Jugendorganisation vor Gymnasien in Kiel gestanden und gesagt: Auch diese Schule wird schließen. Das war so konkret, dass es wirklich unredlich war. Diese Linie haben Sie über den gesamten Wahlkampf hinweg durchgezogen. Das war unglaublich!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Frau Franzen, dass Sie und die Union mit einem Beteiligungsprozess im Rahmen des Schulgesetzes fremdeln, ist klar, denn Sie haben zwei große Schulgesetznovellen durchgezogen, ohne dass Sie wirklich mit den Leuten gesprochen haben. Sie haben das am Kabinettstisch ausgedealt. Das ist nachvollziehbar. Wir wissen insbesondere im Zusammenhang mit G 9, dass es durch die CDU keine Befragung der Beteiligten gegeben hat, sondern dass es relativ lange gedauert hat, bis es zu einer Einigung zwischen Christian von Boetticher und Wolfgang Kubicki gekommen ist. Wolfgang Kubicki hat in der Frage der G-9-Schulen gewonnen. Das war aber nicht Ihre eigene Einsicht, und das war auch nicht ein Ergebnis des Dialogs mit den Schulen.

Frau Franzen, am 8. September 2012 beginnt der Dialogprozess. Das ist ein Auftakt. Wir betreten damit Neuland, weil die alte Landesregierung sich in diesem Bereich keinen Millimeter bewegt hat. Daher gestehen Sie uns hier bitte einen kleinen Zeitraum zu.

Es macht mich wirklich wahnsinnig: Sie stellen sich hier hin und sagen, der Vertretungsfonds mit 12 Millionen € wäre nicht auskömmlich. Frau Franzen, hören Sie bitte zu: Seit der Regierungsübernahme im Jahr 2005 haben Sie jährlich 12 Millionen € im Vertretungsfonds gehabt. Sie persönlich haben im Oktober hier gestanden und keine Kritik an der Unterrichtsversorgung laut werden lassen. Das war im letzten Oktober. Sie haben gesagt: Wir müssen uns über die Qualität unterhalten, aber es kommt nicht auf jede Unterrichtsstunde an. Das kann man im Plenarprotokoll nachlesen. Erst im Januar haben Sie plötzlich entdeckt, dass wir im Zusammenhang mit dem Thema Unterrichtsausfall ein Problem haben könnten. Die 12 Millionen €, die Sie jetzt kritisieren, haben Sie die ganze Zeit durchgewunken. Dass die Erhöhung des Vertretungsfonds stattgefunden hat, hat damit zu tun, dass Sie einen Kompromiss mit der FDP schließen mussten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das war nicht po- pulistisch!)

Jetzt so zu tun, als wäre dies Ihre ureigenste Erkenntnis und als hätte Sie die Erkenntnis im Januar oder Februar geküsst, trifft nicht zu. So war das nicht.

Ich bin heute so richtig drauf: Es ist eine Unverfrorenheit, von der Ministerin nach nicht einmal 100 Tagen das zu erwarten, was Sie - und ich spreche nur von den letzten zweieinhalb Jahren - nicht vorgelegt haben, nämlich ein Konzept gegen den Unterrichtsausfall.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ihre Antwort in den letzten zweieinhalb Jahren war, 600 Stellen zu streichen, anzukündigen, dass 3.650 Stellen bis 2020 verzichtbar sind, und den Lehrern Mehrarbeit aufzudrücken. Die Arbeit auf weniger Schultern zu verteilen, führt nicht dazu, dass der Vertretungsfonds weniger in Anspruch genommen wird.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das war Ekkehard der Schreckliche!)

- So weit möchte ich gar nicht gehen. In jedem Fall war das nun wirklich kein Konzept.

Diese Koalition hat gesagt: Wir wollen einen ersten Entwurf für ein solches Unterrichtsausfallkonzept noch in diesem Jahr vorlegen. Wenn wir ein solchen Konzept vorlegen, dann müssen wir Antworten auf drei Fragen finden: Da ist zum einen die Frage des Vertretungsfonds, also der Krankheits

(Martin Habersaat)

ausfälle, und somit die Frage, wie man hierfür passgenaue Lösungen finden kann.

Frau Franzen, Sie haben so getan, als ob die Beanspruchung des Vertretungsfonds im März massiv gewesen wäre und die Mittel zu dieser Zeit stark abgerufen worden wären. Ich habe die Zahlen im Ministerium erfragt und monatsweise abgelegt. Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, dann wird deutlich, dass der Anstieg bei der Inanspruchnahme des Vertretungsfonds nicht ab März, sondern ab August letzten Jahres zu verzeichnen ist. Das war, als Sie 300 Stellen gestrichen haben. Seitdem wird der Unterrichtsfonds stärker abgefragt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das gehört zur Wahrheit dazu. Trotzdem muss man schauen, ob es bei der Abfrage des Vertretungsfonds aufgrund Ihrer Neuregelungen regionale Unterschiede gibt.

Ein zweiter Punkt, um den wir uns kümmern müssen, ist die Frage von Vakanzen. Das heißt, dass Schulen zwar Stellen zur Verfügung haben, diese aber nicht besetzen können, weil das Fachpersonal nicht da ist. Das hören wir immer wieder, und das ist vor allem im ländlichen Raum bei Mangelfächern ein Problem. Die Antwort, die der ehemalige Minister Klug in der Debatte im Februar über die Bildungsqualität gegeben hat, war, dass er gefragt hat: Wie viele Mathematiklehrer bilden wir aus und wie viele machen Examen? - Das ist nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist: Wie viele bleiben hier? - Wir haben unter Herrn Minister Dr. Klug festgestellt, dass in diesen Jahren nur 20 bis 30 % der Lehrer unbefristete Stellen bekommen haben. Es ist klar, wohin diese Lehrer gehen. Sie bleiben nicht in Schleswig-Holstein. Für diesen Bereich brauchen wir ein Konzept.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ja, wir können auch über die Zeit nach dem Krieg reden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie lange brauchen Sie, um Lehrer auszubilden?)

- Die Frage der Ausbildung ist nicht die Frage, Herr Kubicki. Die Frage ist: Welche Angebote machen wir den Lehrern, um zu erreichen, dass sie bleiben? Ein dritter Punkt ist die Frage des strukturellen Defizits. Das strukturelle Defizit ist von der GEW errechnet worden. Der Minister wollte diese Zahlen eigentlich nicht nachrechnen. Das strukturelle Defi

zit der Schulen bezieht sich darauf, wie viele Lehrkräfte die Schulen tatsächlich erwarten und brauchen und wie viele Stellen wir ihnen tatsächlich zuweisen. Das strukturelle Defizit, das die GEW allein im Rahmen der Grundversorgung festgestellt hat, beläuft sich auf 1.500 Stellen. Wir alle wissen, dass strukturelle Defizite nicht von heute auf morgen abzubauen sind. Auch hier brauchen wir einen Stufenplan. Diese Regierung hat gesagt: Wir wollen eine ehrliche Eröffnungsbilanz. Diese wird in das Konzept mit einfließen.

Wir werden also nach Hessen und nach Bayern gucken und sehen, was man von den dortigen Vertretungsregelungen ableiten kann. Wir sorgen dafür, dass es zum 1. Februar zusätzliche Planstellen gibt. Wir sorgen dafür, dass die Vertretungsfondsmittel auch wirklich in den Schulen ankommen, denn das ist bei der momentanen Regelung, wie man den Zahlen entnehmen kann, überhaupt nicht ersichtlich. Frau Franzen, ich möchte Sie bitten: Gestehen Sie uns einen Bruchteil der Zeit zu, die Sie dazu verwandt haben, nichts zu tun.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja, ein Jahr!)

Ich glaube, es war in der Januar-Debatte, als Sie hier gesagt haben, dass seit 2004 kein ehrlicher Umgang mehr mit dem Thema Unterrichtsausfall stattgefunden hat. Sie sagten dies eigentlich als Spitze gegen Herrn Stegner. Ab 2005 sind Sie in der größten regierungstragenden Fraktion gewesen. Seit 2005 haben Sie also dazu beigetragen, dass der Unterrichtsausfall nicht ehrlich ausgewiesen wurde. Ihre Vorwürfe und die ganze heutige Debatte sind ein Bumerang für Sie. Frau Ministerin Wende, ich freue mich auf die Zusammenarbeit, und ich freue mich auf die Wende in der Bildungspolitik.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt PIRA- TEN)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir gestehen Ihnen im Maximum gern eineinhalb Jahre zu, wenn Sie davon ausgehen, dass die FDP zweieinhalb Jahre an der Regierung war und versuchen musste, 20 Jahre aufzuarbeiten. Frau Erdmann, das ist in dieser kurzen Zeit nicht wirk

(Anke Erdmann)

lich möglich. Das sage ich Ihnen als Antwort auf Ihren emotionalen Vortrag.

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Sie haben emotional auf die CDU/FDP-Regierung Ihre Worthülsen prasseln lassen. Ich sage ehrlich, ich hätte von der Ministerin nach dem, was im Wahlkampf alles angekündigt und versprochen worden ist, mehr erwartet.

(Beifall FDP)

Frau Wende, die Schultüte, die Sie uns präsentieren, ist in der Tat ein tiefes dunkles Loch. Ich habe das schon einmal gesagt. In diesem tiefen dunklen Loch verschwinden Schulfrieden, Elternwille und Eigenständigkeit und Wahlfreiheit der Schulen bei G 8 und G 9 sowie bei der Art der Differenzierung. Im Ergebnis bestätigen Sie die Ausführungen der „Dithmarscher Landeszeitung“, die wir gestern lesen konnten, und betonen immer wieder, dass Sie ein Fan der Gemeinschaftsschule sind. Ich finde das erschreckend.

(Zuruf Abgeordneter Dr. Ralf Stegner [SPD])

Es ist hier deutlich gesagt worden: Sie sind Bildungsministerin für das Land Schleswig-Holstein, und Sie sind zuständig für alle Schulen. Dazu gehören Regionalschulen, Gymnasien, Grundschulen, Förderschulen, Freie Schulen et cetera. Ich finde es - ehrlich gesagt - eine Frechheit zu sagen, dass die Regionalschule keine Zukunft hat, dass dort nur noch die Hauptschüler seien. Das erinnert mich wirklich an die Zeit von vor 2009, was dort alles gesagt wurde. Sie vergessen bei dieser Debatte völlig, dass es Schüler mit unterschiedlichem Leistungsniveau gibt. Man muss sagen, manch einer schafft halt nur den Hauptschulabschluss. Wenn jedoch die SPD seinerzeit die Hauptschule nicht zugrunde gespart hätte, dann wäre der Hauptschulabschluss auch heute noch etwas wert.

(Martin Habersaat [SPD]: Das glauben Sie nicht!)

- Doch, das glaube ich, und davon bin ich überzeugt. Fragen Sie die Handwerksbetriebe!

Meine Damen und Herren, nach Vorstellung der Ministerin sollen die Regionalschulen einfach eingestampft werden. Die Gymnasien sind, wie es die Ministerin formuliert hatte, zur Zeit noch akzeptabel, weil es einige Eltern noch so wollen.

Frau Klahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Habersaat?

Frau Klahn, habe ich Sie so verstanden, dass die Tatsache, dass der Hauptschulabschluss in allen Bundesländern die gleichen Probleme hat, wie er sie in Schleswig-Holstein hatte, unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass Bayern, BadenWürttemberg und auch alle anderen Bundesländer viel zu wenig in die Hauptschulen investiert haben und dass der einzige und wesentliche Grund dafür ist, dass Sie ein Problem mit dem Hauptschulabschluss haben?

- Ich sehe nicht, dass es diese Probleme in der Form gibt, wie Sie es versuchen, zu suggerieren. Lassen Sie uns bitte einmal schauen: Wer ist wo in welchem Land für welche Politik verantwortlich, mein lieber Herr Habersaat? Lenken Sie nicht einfach ab. Sie hätten seinerzeit die Chance gehabt. Es war politischer Wille, die Hauptschulen ausbluten zu lassen, so, wie Sie es jetzt mit den Gymnasien versuchen.

Sie sagen es nicht offen, Frau Wende, aber ich finde, auf perfide Art und Weise entziehen Sie den Gymnasien hier die Grundlage und knüpfen damit nahtlos an das Werk der sozialdemokratischen Vorvorgängerin an. Es war alte SPD-Politik, den Gymnasien durch schlechte Stellen- und Stundenzuweisungen die Grundlage zu entziehen, Unterricht erteilen zu können, und zwar qualifiziert und gut.

Auch Ihre Ankündigung, 180 zusätzliche Lehrerstellen den Gemeinschaftsschulen sowie 120 Stellen an Grund- und Berufsschulen für den Bereich Inklusion zur Verfügung zu stellen, ist eine deutliche Sprache. Bei Ihnen finden also weder Gymnasien noch Regionalschulen statt. Sonst erklären Sie mir, wie die unterschiedlichen Zahlen der Lehrerwochenstundenzuweisung von 176 bei den Gymnasien in der Sekundarstufe gegenüber den Gemeinschaftsschulen mit über 200 zustande kommen.

Frau Wende, im Gegenteil! Mit Planungen zu weiteren Oberstufen an Gemeinschaftsschulen oder auch Oberstufenzentren erdrücken Sie die Gymnasien, aber auch die Beruflichen Schulen. Wenn Sie dann noch die Verlängerung der Grundschulzeit sowie die Stufenlehrerausbildung einführen, dann gibt es in Schleswig-Holstein bald keine Gymnasien mehr.

Wir lehnen das ab. Es gibt keine wissenschaftliche Studie, die die Vorteile des längeren gemeinsamen Lernens belegt. Ganz im Gegenteil zeigt eine neue

(Anita Klahn)

re Studie, dass gerade die Flexibilität eines gegliederten Schulsystems mit seiner Durchlässigkeit die besseren Bildungschancen für alle Kinder schafft.