Protokoll der Sitzung vom 09.04.2014

- Nein, das ist hier falsch angekommen. Dann hat der Abgeordnete Dr. Dolgner das Wort.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er versteht etwas von der Sache!)

Wir machen jetzt ein anonymes Redekonzept, wir tauschen das einmal aus.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Zurufe)

- Das weiß ich noch nicht; das kann das werte Publikum beurteilen.

Eine Sache geht mir hier ein bisschen zu sehr unter. Gestern war ein historischer Tag, nicht nur weil ganz viele in der Sache gewonnen haben, sondern weil sich der EuGH das erste Mal wirklich als europäisches Verfassungsgericht betätigt hat. Das muss man einmal wahrnehmen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Der EuGH hat eine Abwägung zwischen allen Argumenten getroffen; auch die Argumente der Ermittler sind natürlich gehört worden. Es ist doch gar keine Frage, und das ist keine Missachtung von irgendjemandem oder einer Partei, wenn die Argumente nicht vollständig durchdringen. Wer das reininterpretieren möchte, kann das gern reininterpretieren. Der hat allerdings das Prinzip des Rechtsstaats, der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch Verfassungsgerichte noch nicht ganz sacken lassen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PIRATEN)

Herr Dr. Bernstein, ich finde es schon erstaunlich, dass ausgerechnet diejenigen, die, wenn ihnen nichts anderes mehr eingefallen ist, immer EURichtlinien und Strafzahlungen in den Raum geworfen haben, jetzt sagen: Eine EU-Richtlinie ist

(Dr. Axel Bernstein)

uns vollkommen egal, wir machen lieber einen nationalen Alleingang.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW - Zuruf Serpil Mi- dyatli [SPD])

Aus Sicht der Befürworter ist das natürlich verständlich, denn das Urteil lässt an Deutlichkeit nichts vermissen.

(Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP])

Vielleicht hätte man noch etwas weiter lesen sollen. Zwar hat der EuGH natürlich die grundsätzliche Eignung anerkannt, das ist nicht überraschend -, der EuGH hat aber Folgendes festgestellt - ich zitiere wörtlich:

„Aus der Gesamtheit dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, gezogen werden, etwa auf die Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen … und das soziale Umfeld... “

Deshalb klassifiziert der EuGH das als besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Es ist mitnichten so - ich habe nicht mehr die Möglichkeit, alles zu zitieren -, dass die Speicherung von Metadaten und von Verkehrsdaten von allen in der Debatte, übrigens erst recht nicht aus dem konservativen Bereich, als besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff klassifiziert worden ist, sondern es wurde als leichterer Grundrechtseingriff klassifiziert. Aus dieser Klassifizierung kommt man zu einer gänzlich anderen Abwägung.

Am spannendsten finde ich die nachfolgende Differenzbeschreibung. So bemängelt der EuGH zum Beispiel, dass Berufsgeheimnisträger nicht gegen die Vorratsdatenspeicherung geschützt seien.

(Beifall PIRATEN)

Nun ist das kein ganz neues Argument. Ich frage mich allerdings, wie man das jetzt umsetzen möchte. Wie kann ich mir das vorstellen, wenn Berufsgeheimnisträger bei einer Vorratsdatenspeicherung geschützt werden sollen? Clou bei der Vorratsdatenspeicherung ist, dass die Daten ohne Anse

hen der Person gespeichert werden. Wie stelle ich mir das vor? Alle Berufsgeheimnisträger, also Seelsorger, Anwälte, Schwangerschaftskonfliktberater,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Abgeordnete!)

Abgeordnete, liefern ihre Telefonnummern, ihre Mitteilung über IP-Adressen und so weiter jetzt bei allen Providern ab - das sind ein paar mehr -, und von denen wird dann, sobald eines von diesen Daten auftaucht bei Verbindungsdaten, sofort der Datensatz gelöscht? Wer macht diese Filterlisten, wer pflegt diese Filterlisten? Wer schützt diese Filterlisten vor dem unbefugten Zugriff Dritter? Denn auch das sind entsprechende Daten.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD und FDP)

Aber es ist von verschiedenen Seiten angekündigt worden, man werde einen konformen Entwurf vorlegen können. Darauf bin ich gespannt und auch sehr neugierig. Vielleicht geht das ja.

Aber bei dem nächsten Punkt bin ich besonders gespannt. Der EuGH führt Folgendes aus, und ich glaube, da hat derjenige, der es geschrieben hat, etwas Humor bewiesen:

„… insbesondere beschränkt sich die Vorratsdatenspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraumes und/oder eines bestimmten geografischen Gebietes und/oder eines bestimmten Personenkreises,“

- jetzt kommt es

„der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.“

Tja, wenn die Provider oder Ermittlungsbehörden schon vorher wüssten, welche Verbindungsdaten von speziellen Zeiträumen, aus bestimmen geografischen Gebieten und von bestimmten Personenkreisen zur Aufklärung oder gar Verhütung einer noch nicht bekannten Straftat notwendig sind, hätten diese nicht nur hellseherische Fähigkeiten, es wäre vor allen Dingen keine anlasslose, massenhafte Speicherung auf Vorrat mehr.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, SSW und vereinzelt FDP)

Ich habe das nicht geschrieben, aber völlig unabhängig davon, ob man nun Vorratsdatenspeicherung gut oder schlecht findet, bin ich ehrlich neugierig auf einen Richtlinienentwurf, der es schafft,

(Dr. Kai Dolgner)

anlasslose, nicht personenbezogene, abgespeicherte Daten schon im Moment des Speicherns nach diesen Kriterien zu sortieren, möglichst in Erwartung der Straftat, die dann noch ermittelt werden soll. Da muss ich ganz ehrlich sagen, wenn es da etwas gibt: Chapeau, alle Achtung, große Kreativität!

(Zuruf)

- Ja, das steht da drin. Ich hätte noch bis Absatz 64 weiter zitieren können. Ich habe wörtlich zitiert. Das ist die Differenzbeschreibung, weshalb unter anderem die Richtlinie aufgehoben worden ist, weil diese Richtlinie das nicht vorgesehen hat.

Es gibt noch weitere Dinge, die ich nicht alle aufzählen kann.

Herr Abgeordneter, das glaube ich Ihnen, dass es weitere Dinge gibt, aber Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dann komme ich auch zum letzten Satz. Wir müssen auf eine neue Richtlinie warten, denn es ist vollkommen korrekt: Im Augenblick haben wir keine Richtlinie, das heißt, der EuGH hat keinen direkten Zugriff auf nationales Recht.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Aber in dem Moment, wo es wieder eine Richtlinie gibt, hat der EuGH wieder Zugriff, und er wird sich sehr freuen, wenn das nationale Recht nicht das umsetzt, was er gefordert hat. - Ich danke Ihnen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Das Wort hat der Abgeordnete Rasmus Andresen für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Datenschutz hat gestern massiv an Kraft gewonnen. Für die Vorratsdatenspeicherung hätte es keine größere Klatsche geben können als dieses Urteil des EuGH.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Es ist eine Zeitenwende, dass jetzt auch auf europäischer Ebene der Datenschutz gestärkt wurde und nach dem 11. September 2001 endlich auch einmal wieder die Grundrechte in den Mittelpunkt der Debatte rücken. In allen konkreten Punkten hat sich der Europäische Gerichtshof - im Übrigen noch deutlicher als das Bundesverfassungsgericht