Protokoll der Sitzung vom 15.05.2014

In diesem speziellen Fall brauchen wir gar nicht so lange zu warten, denn der UNO-Menschenrechtsausschuss, der das im Zweifelsfall am Ende des Beschwerdeverfahrens klärt, hat bereits am 26. März von sich aus die Praxis der NSA scharf verurteilt, und zwar ganz in Ihrem und auch unserem Sinne.

Und was haben die USA dazu gesagt? Nach ihrer Auffassung entfaltet der UN-Zivilpakt sowieso keinerlei Bindungswirkung für das Handeln der USA außerhalb ihres Territoriums. Das ist nicht neu, die USA sagen seit 1995, dass das ihre Auslegung ist, zum Beispiel immer in Bezug auf Guantanamo.

Damit ist der Punkt des Piratenantrags nicht nur wirkungslos, weil er die Massenüberwachung nicht stoppen kann - ein Bericht stoppt leider keine Massenüberwachung, sonst wäre das längst geschehen, übrigens auch bei anderen Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt -, sondern hat sich damit auch erledigt, da das schon passiert ist und der UNO-Menschenrechtsausschuss die Praxis bereits verurteilt hat.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hört, hört!)

Auch die sonstigen diplomatischen Bemühungen sind wenig von Erfolg gekrönt gewesen. Der Fragenkatalog der Bundesregierung aus dem letzten Herbst wurde nicht beantwortet. Wenn es Äußerungen der USA gab, dann fielen sie in die Kategorie: Heult doch!

Warum soll eigentlich nur gegen die USA eine Beschwerde eingereicht werden? Es gibt 165 andere Unterzeichnerstaaten, die uns ebenfalls ausspähen, wie zum Beispiel Russland, dem ich nun wahrlich keinen größeren Respekt vor unseren Grundrechten zutraue als den USA.

Herr Abgeordneter Dr. Dolgner, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Sehr gern.

Lieber Herr Kollege Dolgner, ist Ihnen bekannt, dass Deutschland und Brasilien über die UNO eine Resolution gegen Massenüberwachung einbringen wollten und dass auf Intervention der USA der ursprüngliche Text so verwässert worden ist, dass am Ende sogar die USA die abenteuerliche Auffassung vertreten haben -

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, bitte schalten Sie Ihr Mikrofon ein. Auf unserem Pult sind Sie sozusagen im Netz, aber Sie sind sehr schlecht zu verstehen.

(Unruhe)

- Klopfen Sie einmal, oder nehmen Sie einfach ein anderes Mikrofon. Ihr Wortbeitrag kommt sonst nicht ins Protokoll.

(Zurufe)

- Stellen Sie sich einfach an Mikrofon Nummer 8, und dann schalten wir Sie um. - Jetzt sind Sie zu verstehen. Bitte schön.

Ist Ihnen bekannt, dass Deutschland der Rechtsauffassung der USA quasi nachgegeben hat und es deswegen sehr wohl einen Unterschied machen würde, wenn wir jetzt Beschwerde einreichen und damit klar sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland genauso wie das Europäische Parlament der Überzeugung ist, dass das Massenüberwachungsprogramm den Internationalen Pakt für bürgerliche Rechte verletzt?

Meine zweite Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass unser Antrag ein zweites Element enthält, in dem es nicht um Artikel 41 geht?

Darf ich gleich beide Fragen beantworten, Herr Präsident? Eigentlich macht man das einzeln.

(Dr. Kai Dolgner)

Ich fange einmal mit der ersten Frage an. Herr Kollege Breyer, abgesehen davon, dass auch die UNOVollversammlung keinerlei Möglichkeiten hat, durch Sanktionen das, was sie beschließt, durchzusetzen - das macht der UNO-Sicherheitsrat, das unterscheidet es übrigens auch von einem wirksamen Rechtssystem, was auch in ganz vielen anderen Fällen ein Problem ist -, ist es mir bekannt. Ich halte es auch nicht für richtig. Es wäre übrigens genauso wirkungslos gewesen.

Ich erläutere Ihnen noch einmal das Artikel-41Verfahren und was danach passiert. Es beschwert sich Deutschland bei den USA: Hört mal zu, ihr habt die Menschenrechte meiner Bürger verletzt. Man kann sich übrigens auch darüber beschweren, dass die eigenen Menschenrechte verletzt werden. Der ganze Bericht hat über 20 Punkte, die man sich durchlesen kann. Da stellt man fest, dass auch andere Sachen moniert werden, nicht nur Massenüberwachung. Bleiben wir bei der massenhaften Überwachung oder Ausspähung.

Dann antworten die USA: Sorry, wir erklären seit 20 Jahren, dass sich der Pakt, auf den ihr euch bezieht, nach unserer Rechtauslegung und unserer Erklärung, die wir dazu abgegeben haben, gar nicht auf Menschen außerhalb der USA bezieht.

Dazu kann die Bundesrepublik sagen: Die Auslegung finden wir nicht toll.

Dann geht das Ganze zur UNO-Menschenrechtskommission. Das ist der nächste Schritt. Dann wartet man so seine sechs Monate ab. Dann hört die UNO-Menschenrechtskommission beide an. Deutschland sagt, man finde das doof, die USA antworten, der Pakt betreffe sie in diesen Punkten gar nicht. Dann sagt die UNO-Menschenrechtskommission: USA, deine Auffassung ist nicht richtig. - Und das war‘s.

Übrigens hat die UNO-Menschenrechtskommission das bereits am 26. März gemacht. Was soll dann Ihr Verfahren an der Stelle in irgendeiner Weise mehr bringen, als dass man sich das alles noch einmal anhört? Das war es. Es ist völlig sanktionsfrei. Keiner muss das machen. Wenn es nicht so wäre, wären auch nicht 165 Staaten beigetreten. Sie können jede Menschenrechtsverletzung zur Beschwerde bringen, und meiner Meinung nach gibt es in der Welt auch noch ein paar schlimmere. Da mögen Sie den Kopf schütteln, aber so ist das Verfahren. Damit stoppen Sie keine Massenüberwachung. Sie tauschen nur schon bekannte Rechtspositionen aus. Mehr machen Sie nicht. Sie suggerieren hier, dass man mit dem Beschwerdeverfahren die USA dazu

bringen könnte, das zu stoppen. Dann hätten sie es aber schon längst gemacht.

(Sven Krumbeck [PIRATEN]: Machen Sie einen besseren Vorschlag!)

- Ich komme noch dazu.

Zum zweiten Punkt: Das, was Sie zum Thema Vereinigtes Königreich vorschlagen, steht nicht in der Resolution des Europäischen Parlaments, passt also nicht zu Ihrer Überschrift. Aber es stehen eine ganze Masse anderer Dinge in der Resolution des Europäischen Parlaments.

(Zuruf)

- Doch, natürlich ist es ein Diskussionsgremium, Frau Kollegin. Das glaube ich jedenfalls. Es ist ein Parlament.

Dort sind aber eine Menge anderer Punkte an die Adresse des Vereinigten Königreichs gerichtet. Ich empfehle Ihnen wirklich, einmal die restlichen 130 Punkte durchzugehen. Interessanterweise sind aber auch ganz viele Punkte dabei, die auch Deutschland betreffen. Dazu komme ich übrigens noch. Ich finde es - ehrlich gesagt - jedenfalls im Binnenverhältnis - und das Europäische Parlament ist ein Binnenverhältnis - wichtig, dass, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt, erst einmal richtig, entsprechend der Selbstverpflichtung, die man als Europäisches Parlament eingegangen ist, vor der eigenen Tür kehrt; denn fast jeder Punkt, der bei Großbritannien kritisiert wird, trifft auch auf Deutschland zu. Auch das können wir im Ausschuss sicherlich noch vertiefen. - Ich würde jetzt gern fortfahren.

Interessanterweise könnte sich übrigens gerade Nordkorea mit dem gleichen Argument über uns beschweren - nach dem gleichen Pakt -, hat der BND doch 2011 beklagt, dass die nachrichtendienstliche Beschaffungslage bei Nordkorea extrem schwierig sei. Da wir also selbst fleißig spionieren, hat so ein Beschwerdeverfahren also durchaus auch eine heuchlerische Komponente.

Für mich gibt es dank Edward Snowden allerdings zwei wichtige Erkenntnisse. Durch den technischen Fortschritt ist eine Massenüberwachung ungeahnten Ausmaßes möglich, und das übrigens nicht nur durch die USA. Die USA sehen uns als lohnenswertes Spionageziel - wie fast alle anderen Länder auch. Es gibt da keinen transatlantischen Freundschaftsbonus, der unsere Bürger vor Ausspähung schützt. Es wird ihn übrigens auch nicht geben. Was würde er auch nützen? Ich finde, dass meine persönlichen Daten in China auch nicht besser aufgehoben sind. Besser wäre es also, geeignete Ge

(Dr. Kai Dolgner)

genmaßnahmen einzuleiten, die unsere Bürger besser schützen.

(Beifall Dr. Ekkehard Klug [FDP] und Uli König [PIRATEN])

Da enthalten die restlichen 134 Punkte des Beschlusses des Europäischen Parlaments viele bessere Anregungen und Selbstverpflichtungen als ein etwas larmoyantes Beschwerdeverfahren, wie zum Beispiel zukünftig keine widerrechtlich gesammelten Daten von Drittstaaten mehr anzunehmen, keine SWIFT-Daten oder Daten gemäß Safe Harbor in die USA zu übermitteln,

(Beifall PIRATEN)

die Zustimmung zu TTIP zu verweigern, wenn die Grundrechte nicht geschützt sind, IT-Soft- und Hardware sicherer machen gegen Angriffe von außen eingebauter Backdoors, Verwendung quelloffener Software und Verschlüsselung im öffentlichen Bereich und die Einführung eines digitalen Habeas Corpus.

(Beifall PIRATEN)

Angesichts der gestrigen eCall-Diskussion ist allerdings die Forderung Nummer 62 nach Produkten mit eingebautem Datenschutz - Privacy by Design von unfreiwilliger Komik. Auch das EU-Parlament sollte vielleicht zunächst einmal seine eigenen Beschlüsse ernst nehmen, bevor es mit dem Finger auf andere zeigt.

(Beifall PIRATEN, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Burk- hard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Edward Snowden hat uns das Update für unsere Wahrnehmung geliefert. Unser Handeln müssen wir selbst updaten. Damit können wir im Europaausschuss und mitberatend im Innen- und Rechtsausschuss sicherlich anfangen. Dann können wir auch über Dinge sprechen, die wirksamer sind als internationale Abkommen, die seit über 40 Jahren existieren und sicherlich wichtige Standards für Regierungen gesetzt haben, die gewillt sind, sich an Menschenrechte zu halten. Aber, Herr Kollege Breyer, ich sage Ihnen eines, und das sage ich - ehrlich gesagt - auch in Richtung der USA, an denen ich auch so meine Kritikpunkte habe. Sie gehen aber durchaus robuster als andere demokratische Rechtsstaaten mit Menschenrechten um. Solange Guantanamo nicht geschlossen ist, habe ich wenig Hoffnung, dass wir uns dadurch verteidigen, dass wir uns darüber beschweren, dass die USA für sich Menschenrechte in der Anwendung tatsächlich nur auf dem Gebiet der USA sieht. Das ist so. Deshalb

kann Guantanamo nach USA-Rechtsauffassung auch weiterhin aufrechterhalten bleiben.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich befürchte, dass eine anderslautende Mitteilung des Landtags in Schleswig-Holstein an der Praxis der Obama-Regierung in dieser Hinsicht nichts ändern würde. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Wolfgang Kubicki [FDP])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich haben die PIRATEN mit ihrem Antrag insofern Recht, als es ein Unding ist, dass sich die Bundesregierung in diesem Datenschutzskandal von schier unermesslichem Ausmaß wegduckt und nichts tut.

(Beifall PIRATEN und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Anlasslos werden in den USA und in Großbritannien ohne jede Einschränkung im Dienste des allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstands beziehungsweise der nationalen Sicherheit Milliardenetats dafür eingesetzt, Telekommunikationsdaten von Bürgerinnen und Bürgern, egal welchen Staates, in unglaublichem Ausmaß zu durchsuchen und zu horten. Noch einmal zur Erinnerung ein paar Zahlen, die ich der letzten Ausgabe der „Zeit“ entnommen habe: 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NSA - 40.000! -, 10,6 Milliarden $ Etat im Jahr und Billiarden von Datensätzen.