In Schleswig-Holstein kam es erst 2007 durch die Große Koalition zur Einführung. Seitdem ist es der Polizei erlaubt - das wurde schon dargelegt -, sowohl im öffentlichen Verkehrsraum zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, in den sogenannten Gefahrengebieten, als auch im Grenzgebiet, Personen kurzzeitig anzuhalten und mitgeführte Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume und Ladeflächen in Augenschein zu nehmen. Fällt dabei etwas Verdächtiges auf, können weitere Maßnahmen eingeleitet werden, also zum Beispiel Identitätsfeststellung, Festnahme, Einleitung einer Abschiebung.
Im Gegensatz zu Hamburg sind an die zeitweilige Anordnung von Gefahrengebieten in unserem Landesverwaltungsgesetz aber relativ hohe Hürden niedergelegt. Das muss beachtet werden.
Sie dürfen nur von einer Leitungsebene der Polizei angeordnet werden und müssen mit schriftlichen Lageerkenntnissen versehen werden. Nach immerhin 48 Tagen der Anordnung durch die Polizei greift ein Richtervorbehalt.
Das besondere an Schleierfahndungsmaßnahmen ist, dass sie verdachtsunabhängig gegenüber jeder Person in einem angeordneten Gefahrenbiet oder im Grenzgebiet durchgeführt werden können. Sie sind ohne Zweifel ein Grundrechtseingriff mit einer erheblichen Streubreite. Diese Vorfeldmaßnahmen der Polizei wurden in vielen Bundesländern erst im Zuge von 9/11 eingeführt und von Grünen schon immer kritisiert.
Sie knüpfen nicht wie die klassischen Polizeieingriffe an eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an oder an einen hinreichenden Strafverdacht, sondern können jeden Menschen betreffen, nur weil er sich gerade an einem bestimmten Ort aufhält.
Die Ermächtigung für Kontrollen im schleswig-holsteinischen Grenzgebiet ist deshalb besonders problematisch, weil sie permanent gilt und nicht nur eine 30-km-Zone an der direkten Grenze zu Dänemark umfasst. Sie gilt auch in einer Grenzzone von 30 km entlang aller Küsten, also Nord- und Ostsee. Von unserem schmalen Handtuch Schleswig-Holstein bleibt dann relativ wenig übrig, was nicht Gefahrengebiet ist.
Die EU-Kommission hat die Einführung dieser Grenzgebietskontrollen in Deutschland immer wieder kritisiert. Sie vermutet darin eine verdeckte Grenzkontrolle durch die Hintertür, was gegen den Geist der Grenzenlosigkeit in Europa verstößt.
Aus unserer Sicht ist sie vor allem deswegen problematisch, weil sie dem sogenannten Racial Profiling der Polizei in Grenzgebieten Tür und Tor öffnet.
Racial Profiling ist nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz nicht vereinbar.
Es hat uns auch hellhörig gemacht, dass in Neumünster seit über fünf Jahren ein Gefahrengebiet über das gesamte Stadtgebiet eingerichtet wurde, was mit Auseinandersetzungen zwischen den Hells Angels und den Bandidos begründet wird.
Auch die Intention der von den PIRATEN eingebrachten Gesetzesänderung, bei den sogenannten gefährlichen Orten gemäß § 181 Absatz 1 Nummer 1 a Landesverwaltungsgesetz die Hürde für die Anwendung höher zu setzen, sollte ernsthaft geprüft werden. Auch insoweit handelt es sich um eine verdachtsunabhängige Vorfeldkontrolle. Es lässt sich gut argumentieren, sie nicht an Orten anzuwenden, an denen gehäuft Bagatellstraftaten begangen werden, sondern nur an solchen, bei denen Straftaten von erheblicher Bedeutung stattfinden.
Die Gesetzesinitiative der PIRATEN gibt uns im Innen- und Rechtsausschuss die Möglichkeit, die grundsätzlich verfassungsrechtlich problematischen Vorschriften der Schleierfahndung in unserem Polizeirecht im Einzelnen zu überprüfen, insbesondere sieben Jahre nach ihrer Einführung eine Bilanz über ihre Wirksamkeit und Erforderlichkeit zu ziehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gefahrengebiete in Schleswig-Holstein waren für uns bis vor Kurzem undenkbar. Anfang des Jahres wurde die Öffentlichkeit durch die in Hamburg errichteten Gefahrengebiete im Zuge der Ausschreitungen um die sogenannten LampedusaFlüchtlinge zum ersten Mal mit diesem Thema öffentlich konfrontiert. Im Mai dieses Jahres erreichten uns dann Meldungen, wonach es in SchleswigHolstein ebenfalls Gefahrengebiete gibt - große Gebiete, zum Teil komplette Städte, und das seit geraumer Zeit.
Bestürzte Reaktionen aus dem Landeshaus folgten. Kollege Koch reagierte gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ vom 8. Mai 2014 vielsagend:
„Dass wir in einem polizeilich ausgewiesenen Gefahrengebiet wohnen, war mir bislang nicht bewusst … Diese drastische Maßnahme beweist eindeutig, dass die Polizei mit ihrem bestehenden Personal nicht in der Lage ist, die Menschen ausreichend zu schützen.“
Frau Kollegin Damerow, das ist die Alternative: Mehr Personal bei der Polizei statt dauernd neue gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen, deren Wirkungslosigkeit von vornherein feststehen,
um zu kaschieren, dass die Ausdünnung des Personalapparats der Polizei die Maßnahmen überhaupt nicht möglich machen, die notwendig sind, um in den Gebieten präventiv tätig zu werden.
Herr Koch, die Landespolizei handelt und nutzt einen Spielraum, der auf eine Reform des Polizeirechts zurückgeht, den die Fraktionen von CDU und SPD hier im Jahr 2007 beschlossen haben. Sie mag in Ihren Augen drastisch sein, der Großteil Ihrer Fraktion aber dürfte das anders sehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir eine kleine Zeitreise zurück in die Jahre 2006 und 2007. Auf Initiative des damaligen Innenministers Dr. Ralf Stegner - damals noch nicht sechster stellvertretender Bundesvorsitzender und noch kein Linker, sondern eher ein Rechter - wurde das Polizeirecht modernisiert. Oder wie es der damalige Innenminister in seiner Rede am 22. Februar 2007 formulierte:
„Wir passen das Polizei- und Ordnungsrecht unseres Landes an den technischen Fortschritt und an die veränderten Bedrohungslagen an.“
Die heutige Justizministerin Spoorendonk äußerte sich in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung am 23. März 2006 wie folgt:
„Vielmehr wird, dadurch ein Überwachungsapparat in Gang gesetzt, wodurch der Polizei... die Befugnis erteilt wird, Sicht- und Anhaltekontrollen im öffentlichen Verkehrsraum und im Grenzgebiet durchzuführen. Auf welcher Lageerkenntnis diese Kontrollen stattfinden sollen, blieb bisher völlig unbeantwortet. Das führt aus unserer Sicht zu einer Jedermannkontrolle ohne festgelegte Kriterien, wodurch insbesondere unschuldige Bürgerinnen und Bürger belästigt werden.“
„Hier wurde mehrfach gesagt, man müsse jetzt neue Methoden und insbesondere die Rasterfahndung und Schleierfahndung einführen. Es ist allerdings kein Beweis dafür gebracht worden, was diese neuen Verfahren zur Kriminalitätsbekämpfung beigetragen haben. Das sind schlicht und einfach Behauptungen.“
Behauptungen sind es nach wie vor. Es liegen keine Erkenntnisse vor, wonach es irgendwelche positiven Effekte auf die Einbruchszahlen in den ausgewiesenen Gefahrengebieten gegeben hätte - im Gegenteil, die Zahlen steigen. Die Polizei sieht die ganze Aufregung verständlicherweise pragmatisch.
Rainer Wetzel von der Polizeidirektion Neumünster kommentierte die Aufregung am 13. Mai 2014 im „Hamburger Abendblatt“ wie folgt:
Das ist ja auch schon etwas, aber in einem Rechtsstaat muss man sich andere Fragen stellen als die, ob es die Polizeiarbeit erleichtert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin weit davon entfernt, der Polizei einen Vorwurf zu machen. Sie wendet nur ein in Teilen - wie ich finde - miserables Gesetz an. Zugegeben handelt es sich bei dem hier angesprochenen § 180 Absatz 3 Landesverwaltungsgesetz um einen kleinen Teil der damaligen Anpassung, doch so manch einer in dieser Runde wird sich vielleicht noch an die fachliche Auseinandersetzung im Innenund Rechtsausschuss erinnern.
Die FDP-Fraktion hatte im Januar 2007 aufgrund der zahlreichen kritischen Stellungnahmen einen Änderungsantrag, Umdruck 16/1716, eingebracht, der unter anderem die Streichung des § 180 Absatz 3 LVwG vorsah, also den Vorschlag, den die PIRATEN nun in einem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu merken, dass die FDP-Fraktion diesen Gesetzentwurf selbstverständlich unterstützen wird.
- Herr Kollege Stegner, das ist in der Sache tatsächlich eine schöne Koalition. Wir koalieren in der Sache. Das verstehen Sie wahrscheinlich nicht, aber vielleicht kommen auch Sie noch einmal dahin.
Ich freue mich angesichts des damaligen Stimmungsbildes über Befürworter aus den Reihen der regierungstragenden Fraktionen. Ich bin sicher, dass wir bei der entsprechenden Anhörung im Ausschuss auch die Stellungnahmen unabhängiger Sachverständiger von außen einholen können, um festzustellen, dass vieles von dem, was Herr Dr. Breyer, dem ich sonst nicht immer zustimme, in seiner Rede ausgeführt hat, zutreffend ist und wir im Rahmen der prioritär freiheitsliebenden Auffassung unseres Grundgesetzes diesen Paragrafen streichen sollten. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank. - Bevor wir weitermachen, bitte ich Sie, mit mir gemeinsam Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Elmschenhagen auf der Tribüne zu begrüßen. - Herzlich willkommen euch und Ihnen hier im Kieler Landtag!