Protokoll der Sitzung vom 11.09.2014

(Glocke der Präsidentin - Serpil Midyatli [SPD]: Das hier ist keine lustige Debatte!)

- Ich weiß, dass es Sie ärgert, wenn man daran erinnert, wie Sie in einer solchen Situation unter anderen politischen Vorzeichen reagiert hätten.

(Beifall FDP und CDU)

(Eka von Kalben)

Halten Sie deshalb den Ball einmal flach, wenn wir uns gegenüber der Landesregierung auch kritisch äußern.

(Serpil Midyatli [SPD]: Ich habe mich auch kritisch geäußert!)

- Sehr gut! Wunderbar! Dann machen Sie das weiter so!

Punkt 1. Die Zeltaktion, Meine Damen und Herren, ist zutiefst beschämend. Ich teile die Auffassung der Kollegin von Kalben, die vor mir gesprochen hat, dass das nicht zu einer speziellen Form schleswig-holsteinischer Willkommenskultur werden darf. Da muss sich alsbald etwas ändern.

(Beifall FDP und CDU)

Punkt 2. Die Entwicklung ist keineswegs überraschend gekommen. Ausweislich des vorliegenden Berichts der Landesregierung, über den wir hier ja diskutieren, ist die Entwicklung der Aufnahmezahlen - auf Seite 6 ist das nachzulesen - in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes wie folgt verlaufen: 2010 waren es rund 1.200. - Ich runde auf.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD]: Es sind ja „nur“ Menschen!)

2011 waren es rund 1.400, 2012 rund 2.100, 2013 rund 3.650 und im ersten Halbjahr 2014 schon rund 3.000, also fast so viele wie im gesamten Jahr 2013, in dem der große Anstieg begonnen hat. Der rasante Anstieg war also spätestens im Verlauf des vorigen Jahres 2013 absehbar. Auch der vor gut einem Jahr gefasste Landtagsbeschluss zeigt ja, dass jedenfalls das Parlament mit allen seinen Fraktionen die Entwicklung damals so dramatisch eingeschätzt hat.

(Beifall FDP, CDU und Angelika Beer [PI- RATEN])

Auch die Tatsache, dass die sozialdemokratischen Länderinnenminister auf ihren jeweiligen Treffen mehrere Beschlüsse gefasst haben, die von der Bundesregierung spezielle Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten fordern, spricht nicht für eine nachlassende Dynamik der Entwicklung. Es ist offensichtlich, dass dies auch in den SPD-geführten Innenministerien der Länder durchaus nicht unbekannt gewesen ist.

Wenn man gleichzeitig im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Zeltaktion liest, das schleswigholsteinische Innenministerium bemühe sich seit Wochen um die Einrichtung einer zweiten Landesunterkunft in einer Kaserne und zwar - Zitat - im Expresstempo, so Staatssekretär Küpperbusch, dann gewinnt man nicht den Eindruck, dass sich

unsere Landesregierung nach dem vor zwölf Monaten gefassten Landtagsbeschluss zeitnah um dessen Umsetzung bemüht hat. Das ist meine Feststellung.

(Beifall FDP, CDU und Angelika Beer [PI- RATEN])

Auf die Herausforderung, vor die uns die Entwicklung auch im Bildungsbereich stellt, hat Frau Kollegin von Kalben eben hingewiesen. Ich möchte ergänzen: Laut Angaben von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, war jeder dritte Flüchtling, jeder dritte Asylbewerber in Deutschland im vorigen Jahr ein junger Mensch unter 18 Jahren. Das heißt, vor allem sind die Kinder und Jugendlichen in unsere Schulen und in unser Bildungssystem zu integrieren. Natürlich gibt es auch einen steigenden Bedarf für die Vermittlung von Deutschkenntnissen an Erwachsene, das ist klar. Aber eine Bildungs- und Lebensperspektive für die jungen Zuwanderer zu schaffen, halte ich für einen ganz zentralen Punkt. Das ist im Übrigen auch eine wesentliche landespolitische Aufgabe. Deshalb ist es richtig, auch das Bildungsministerium in die Diskussion über die Thematik mit einzubeziehen. Es geht darum, dass wir etwa die Angebote in den Zentren für Deutsch als Zweitsprache an die steigenden Bedarfe anpassen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Kollegin Anita Klahn hat ja bereits in einer Kleinen Anfrage zutage gefördert, dass hier die Zahlen in den letzten Jahren steigen, während die Stellenkontingente, die für diesen Bereich zur Verfügung stehen, gleich bleiben. Ich weiß, dass wir die Problematik der Lehrerstellenausstattung haben. Aber hier existiert in der Tat ein unabweisbarer Mehrbedarf, um den wir uns zu kümmern haben.

Dazu gehören weitere Dinge. Die Zugangsmöglichkeiten für Asylbewerber und Flüchtlinge auf den deutschen Arbeitsmarkt sind ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen werden müssen. Hier bestehen nach wie vor Schranken, die auf Dauer eine Integration behindern. Ich bin der Auffassung, dass wir hier eine Entwicklung fördern müssen, die die Integration in der Zukunft erleichtert.

Viele der Zuwanderer, der Flüchtlinge und Asylbewerber gerade aus dem Mittleren Osten sind durchaus qualifizierte Menschen, die man in einem Land, das unter Fachkräftemangel leidet, gut in den Arbeitsmarkt integrieren könnte, wenn die entsprechenden Sprachkenntnisse vermittelt werden. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Dr. Ekkehard Klug)

(Beifall FDP und CDU)

Das Thema ist geteilt worden. Die antragstellenden Fraktionen haben sich leider nicht zu einer verbundenen Debatte durchringen können. Deshalb werde ich mich zu der Thematik Irak und Sonderprogramm für Flüchtlinge beim nächsten Tagesordnungspunkt äußern.

(Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank. - Für die Fraktion der PIRATEN erteile ich der Abgeordneten Angelika Beer das Wort.

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Klug hat eben den Beschluss von vor einem Jahr zitiert. Aufgrund der offensichtlichen Zahlen und der Belastungen der Kommunen und Kreise hätten wir uns gewünscht, dass es zu diesem Bereich eine Regierungserklärung gibt, die die Verantwortung in die Hand nimmt und konkrete Schritte aufzeigt, wie wir allen Betroffenen - den Flüchtlingen, den Kommunen, den Kreisen, den ehrenamtlichen Helfern, dem Flüchtlingsrat und vielen mehr - Unterstützung geben und gemeinsames Handeln tatsächlich umsetzen können.

Herr Kollege Breitner, die unnötige Schärfe haben Sie in diese Debatte gebracht

(Beifall PIRATEN)

mit Ihrem Interview vor zwei Tagen, in dem Sie über eine sachliche Kritik an der Nichtumsetzung von Landtagsbeschlüssen von vornherein sagten, Sie seien gegen politischen Streit auf dem Rücken der Flüchtlinge. Das schafft ein Klima der Auseinandersetzung. Ich bedauere das; denn es ist eher eine Diffamierung als der Versuch, jetzt gemeinsame Schritte zu entwickeln, um mit dem Problem umzugehen.

Die Flüchtlingsunterkünfte im Land platzen seit Monaten aus allen Nähten. Die Kommunen wissen nicht mehr wohin mit den in immer kürzeren Zeitabständen zugewiesenen Flüchtlingen. Ein Versiegen des Zustroms - das ist hier schon deutlich geworden -, egal ob aus Syrien, Afghanistan, Irak und später vielleicht auch aus anderen Ländern, ist nicht zu erwarten. Wir wissen: Es werden nicht weniger, sondern mehr werden. Die Forderung der Kreise und Kommunen, dass die Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster erheblich ausgeweitet werden muss, wird seit Monaten erhoben.

Wir begrüßen die Klarheit von Innenminister Breitner, der gesagt hat: Das Boot sei nicht voll - das stimmt: Das Boot ist nicht voll -, Schleswig-Holstein werde seiner Verantwortung nachkommen. Dann erwarten wir aber auch, dass er konkret sagt, wohin diese Menschen aus den Mehraufnahmen sollen, wie und mit welchen Mitteln wir sie umsorgen und was wir genau dafür in die Hand nehmen sollen.

Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, die organisatorischen Probleme, die eine steigende Zahl an Flüchtlingen mit sich bringt, sind zum Teil hausgemacht.

Anträge auf Bewilligung von Gemeinschaftsunterkünften wurden viel zu zögerlich bearbeitet, wurden nicht schnell genug freigegeben, obwohl der Bedarf offensichtlich vorhanden war und ist. Schackendorf ist doch ein Skandal. Schackendorf im Januar zu sagen, die Bewilligung komme, und in der letzten Woche wird die Gemeinde unterrichtet, dass die Bewilligung immer noch nicht da ist - so kann man weder mit Gemeinden noch mit den Flüchtlingen umgehen.

(Beifall CDU)

Ich habe schon den Eindruck, dass diese Kritik notwendig ist, weil die Landesregierung offensichtlich überfordert ist; denn sonst würde uns ein anderer Bericht heute vorliegen und als Grundlage der Diskussion dienen.

Erinnern wir uns an 1995. Die Zahlen haben Sie selbst in der Antwort auf die Große Anfrage genannt. Auch ich bedanke mich für die Arbeit der Mitarbeiter in den Ministerien. 1995, nach dem zweiten Golfkrieg und mitten in den Jugoslawienkriegen auf dem Balkan, sind in unserem Land 3.559 Flüchtlinge untergekommen. Das waren genauso viel wie 2013 bei uns in Schleswig-Holstein. Das heißt, es gibt Erfahrungen, damit umzugehen. Ich glaube, ich brauche gerade die SPD nicht daran zu erinnern, dass damals die SPD in der Regierungsverantwortung war, das heißt, das ganze Problem schon einmal miterlebt hat, und seit 1996 dann in der Koalition zusammen mit den Grünen dieses Problem gemeistert hat.

Und heute? - Es werden Verbesserungen vorgeschlagen. Auch ich halte eine Zeltlösung wirklich nicht für eine Lösung. Es ist allenfalls eine Notlösung, die schnellstmöglich beendet werden muss. Ich sage aber fairerweise auch, denn ich habe für Hilfsorganisationen im Irak und in manchen anderen Ländern gearbeitet: Ein Mensch, der diese Not dort überlebt, der es schafft, zu uns zu kommen, der

(Dr. Ekkehard Klug)

wird - das ist heute auch in der „KN“ nachzulesen erst einmal für wenige Tage, vielleicht für wenige Wochen, froh sein, ein solches Zelt zu haben, weil es besser ist, in einem Zelt zu überleben und Hilfe zu bekommen, als in einer Krisenregion zu sterben.

(Beifall PIRATEN und Peter Lehnert [CDU])

Gleichwohl können auch Container in der Zukunft keine Lösung für die Unterbringungsprobleme sein. Wir wissen: Sie kosten viel Geld, und die Container sind auch eine Notmaßnahme. Trotzdem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass einige Kreise und Kommunen Notfallpläne zumindest analysieren, um im Zweifel bei weiteren Zuweisungen aus Neumünster auch Sporthallen als Flüchtlingsunterkünfte zu nutzen. Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bekannt und sollte auch dem Innenminister bekannt sein.

Herr Breitner, ich sage Ihnen auch: Der Ruf nach einem Krisengipfel in Berlin reicht nicht aus. Es reicht nicht aus, wenn wir Herrn Kauder als Unionsfraktionschef hören, der vor Kurzem gesagt hat - ich zitiere:

„Ich finde, dass wir weitere Flüchtlinge aufnehmen müssen, wenn sie es bis zu uns schaffen.“

Ist das eine Regierungspolitik der humanitären Verantwortung? - Ich sage: Nein!

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Wir dürfen keinen Kotau vor der Großen Koalition in Berlin machen, die sich einen schlanken Fuß macht, wenn es um die Gestaltung der Flüchtlingspolitik in Deutschland geht. Herr Breitner, deswegen begrüße ich Ihre Ankündigung, dass Sie endlich in Schleswig-Holstein alle zusammenholen wollen. Ich begrüße auch, dass Sie ankündigen, in die Kreise zu fahren. Ich kann Ihnen da hervorragende Unterlagen anbieten, denn ich habe das bereits gemacht. Wir haben aufgrund einer Umfrage aus dem Juni bei allen Kreisen und Gemeinden Antworten zur Situation und zur Problemlage bekommen. Ich denke, dass sich der Minister schleunigst auf den Weg machen sollte, denn dann weiß er auch, dass die heutige Kritik an uns - in dem Fall an der Opposition - vollkommen unangemessen war.

Dann wüssten Sie auch, wie es ist in einer Gemeinde wie Boostedt. Das ist meine Gemeinde. Ich danke unserem Bürgermeister und den Kommunalvertretern für ihre Bereitschaft, auch Flüchtlinge in

Gebäuden der Bundeswehr unterzubringen. Wir werden das schaffen.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)