Protokoll der Sitzung vom 12.09.2014

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen)

Sie haben gesehen, dass auf dem Landeshaus heute Trauerbeflaggung gesetzt ist. In diesen Minuten findet die Trauerfeier für den am 1. September 2014 im Dienst erschossenen Finanzbeamten Wolfgang Bartram statt. Er wurde Opfer eines Verbrechens, das uns alle tief erschüttert hat. Wir trauern um Wolfgang Bartram und fühlen mit seinen Angehörigen, seinen Freundinnen, Freunden und allen, die nun Schmerz und Verzweiflung zu tragen haben. Ich bitte Sie, einen Augenblick innezuhalten und Wolfgang Bartram im Stillen zu gedenken! - Sie haben sich zu Ehren Wolfgang Bartrams erhoben. Ich danke Ihnen!

Meine Damen und Herren, heute sind erkrankt der Herr Abgeordnete Hauke Göttsch sowie die Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn. - Wir wünschen ihnen an dieser Stelle gute Besserung!

(Beifall)

Wegen einer, wie Sie alle wissen, wichtigen Veranstaltung sind Herr Ministerpräsident Torsten Albig und Frau Finanzministerin Monika Heinold heute morgen beurlaubt. Der Herr Abgeordnete Dr. Axel Bernstein hat nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Landtags mitgeteilt, dass er an der Teilnahme der heutigen Sitzung des Landtags verhindert ist.

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir Schülerinnen und Schüler des Bernstorff-Gymnasiums in Satrup. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von Dauerwohnraum (Wohnraumsi- cherungsgesetz)

Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/2108

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich weise darauf hin, dass im Ältestenrat verabredet wurde, dass die Piratenfraktion im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen eine Redezeit von zehn Minuten zu diesem Tagesordnungspunkt bekommt. Das Wort für die Piratenfraktion hat der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Erlauben Sie mir heute, unseren Gesetzentwurf zur Sicherung von Dauerwohnraum in Schleswig-Holstein vorzustellen. Ich denke, ich brauche die Zeit, um auf alle Argumente einzugehen.

Wir haben in Schleswig-Holstein ein sehr unterschiedliches Bild, was die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum angeht. Wir haben leider immer noch zu viele Städte und Gemeinden, in denen Menschen vergeblich nach Wohnraum suchen, der ihren Bedürfnissen gerecht wird. Allein das Innenministerium hat in seiner Untersuchung, die schon sehr harte Kriterien anlegt und zu lückenhaft ist, 24 Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein identifiziert, in denen es an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Das betrifft die Inselgemeinden, das betrifft die Bädergemeinden, das betrifft das Hamburger Umland, aber auch Kiel und Flensburg.

Wenn bezahlbarer Wohnraum fehlt, dann trifft das in erster Linie Menschen, die kleine Wohnungen benötigen. Das fängt bei Studenten an, geht weiter mit den Berufstätigen und endet bei den Menschen, die in Rente sind. Ausgerechnet diese Menschen suchen häufig vergeblich nach bezahlbarem Wohnraum in diesen Regionen.

Besonders hart ist die Lage auf der Insel Sylt. Auf Sylt gibt es praktisch überhaupt keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Die Mieten sind dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Ein Gutachten des ifsInstituts kommt zu dem Ergebnis, dass schon heute 1.700 bezahlbare Wohnungen auf der Insel fehlen. Bis zum Jahr 2025 sollen es 2.800 sein. Schon 36 % des Wohnungsbestands wird touristisch vermietet, weitere 25 % als Zweitwohnungen genutzt. Das heißt, dass nur noch der kleinere Teil der Wohnungen als Dauerwohnraum zur Verfügung gestellt wird.

Die Folge davon ist, dass es auf Sylt immer weniger Menschen gibt, die noch auf der Insel wohnen, dass es vor allem immer weniger junge Menschen und Familien gibt. Und wenn die Nachfrage abnimmt, sinkt auch das Angebot, was die Daseinsvorsorge angeht: Schulen müssen schließen, es gibt

Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 69. Sitzung - Freitag, 12. September 2014 5617

weniger Kitas, die Anzahl der Sportvereine nimmt ab, und auch die Feuerwehr hat Schwierigkeiten, überhaupt noch genügend Nachwuchs zu finden. Das führt aber auch zu einem drastischen Arbeitskräftemangel auf der Insel, und das wiederum kann dazu führen, dass zum Beispiel für die Altenpflege nicht genügend Menschen zur Verfügung stehen, weil die es sich einfach nicht leisten können, auf der Insel zu wohnen, um jemanden zu pflegen. Insgesamt droht wirklich ein Sterben dieser Insel.

In Anbetracht dieser dramatischen Situation genügt es nicht, Herr Innenminister, wenn Sie mit Ihrem Masterplan einige Millionen zur Wohnraumförderung bereitstellen. Das wird vielleicht - ich habe es einmal ausgerechnet - 400 zusätzliche Wohnungen finanzieren können. Wenn aber heute schon 1.700 fehlen, und der Gutachter Ihnen sagt, bis 2025 werden noch einmal über 900 Wohnungen im Bestand wegfallen, dann reicht es nicht aus, ein paar Wohnungen mehr zu bauen.

Vor diesem Hintergrund haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein neues Instrument vorsieht.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Tietze?

Gern.

Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Kollege, ich bin doch etwas stutzig geworden. Herr Innenminister Breitner hat das Wohnraumkonzept des Landes auf der Insel Sylt vorgestellt. Ich war persönlich dabei. Alle Gemeindevertreter sämtlicher Parteien waren sehr beeindruckt - auch der Vertreter der Piratenpartei, der jetzt Ihr Vorsitzender ist, war anwesend -, und es herrschte eine einmütige Stimmung, dass das Land hier das Richtige tut. Es ist auch zum ersten Mal deutlich geworden, dass hier das Land nur gemeinsam mit den Sylter Gemeinden Hand in Hand arbeiten kann. Es ist unmissverständlich klar geworden, dass dieses Konzept wirklich nachhaltig dazu beiträgt, dass wir junge Familien, die Beschäftigte des Landes sind,

Lehrerinnen, Lehrer, Polizistinnen und Polizisten, auf die Inseln holen. Ich will die Stimmung wiedergeben, die im Sommer vorhanden war: Es wurde einvernehmlich gesagt, dies ist ein gutes Konzept und hilft sehr, die Wohnraumfrage auf Sylt zu lösen.

Herr Kollege, ich will dies gar nicht schmälern oder bestreiten. Diese Initiative hilft sicherlich in der Tat, sie ist ein wichtiger Beitrag und geht in die richtige Richtung, sie reicht aber bei Weitem nicht aus. Wenn der Innenminister selbst ausrechnet, dass in der Gemeinde Sylt dadurch etwa 270 Wohnungen neu gefördert werden können, kommt das nicht annähernd an den Bedarf heran, der wie gesagt auf 2.800 Wohnungen geschätzt wird. Außerdem haben Sie das Problem, dass der Bestand an Dauerwohnraum immer weiter wegbricht, weil es aus finanziellen Gründen viel attraktiver ist, Ferienwohnungen zu vermieten. Die Gutachter schreiben dazu in ihrem Gutachten: Wer neu baut, wird freiwillig keinen Dauerwohnraum bauen. Zudem sorgt das jetzt aufgelegte Programm nur für die Dauer der Bindungsfrist dafür, dass es sich um Wohnraum handelt. Danach kann das weiterhin genutzt werden, wenn man nicht gegensteuert.

Vor diesem Hintergrund ist es richtig, neben Ihrem Programm auch gegen die ausufernde Ferienwohnungsvermietung vorzugehen.

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine weitere Anmerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Tietze?

Vielen Dank, Herr Kollege Breyer. - Ich bitte Sie, auch hierbei nicht mit pauschalen Bewertungen zu kommen. Ich lebe auf dieser Insel und kenne einen großen bekannten Bauunternehmer, der soeben in ein Gewerbegebiet gezogen ist und der nun auf seinem alten Grundstück Mietwohnungen baut.

Es gibt also auch auf der Insel immer wieder Menschen, die sich dazu verpflichtet fühlen, Wohnraum für Sylter zu schaffen. Gleich

(Dr. Patrick Breyer)

wohl haben Sie natürlich Recht, wenn Sie sagen, dass die Situation angespannt ist.

Ich bitte Sie aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass sehr viel Fläche des Inselgrundes Naturschutzgebiet ist. Das heißt, es lassen sich kaum neue Flächen erschließen. Auch das müssen wir bedenken.

Deshalb möchte ich Ihnen sagen, dass es bereits Lösungen auf der Insel gibt, die umgesetzt werden. Wir werden aber nicht umhin kommen, auch einmal wertzuschätzen, dass es Menschen aller gesellschaftlichen Schichten gibt, die sich dem Problem annehmen, Wohnraum auf Sylt zu schaffen. Dies sind übrigens auch Menschen, die ein Haus geerbt, es aber nicht verkauft haben, sondern dem Wohnungsmarkt weiter zur Verfügung stellen. Ich finde, auch das müssen wir wertschätzen. Das ist wichtig. Das ist Wohnraum, den wir dringend brauchen.

(Angelika Beer [PIRATEN]: Das war die Wahlkreisrede!)

- Meine Wertschätzung findet das durchaus, wie ich es bereits ausgedrückt habe, Herr Kollege Dr. Tietze. Wie Sie es bereits gesagt haben, besteht das Problem aber auch im Bereich des Naturschutzes. Es gibt nicht beliebig viele Flächen. Das kann man nicht durch Neubau ausgleichen. Das geht allein wegen der Flächenproblematik schon nicht. Ein Neubau nutzt auch nichts, wenn gleichzeitig der bestehende Dauerwohnraum immer weiter abnimmt. Das Gutachten, das im Übrigen von Sylt in Auftrag gegeben worden ist, bescheinigt Ihnen ja, dass die Zahl der Wohnungen, die als Dauerwohnraum überlassen werden, in den vergangenen Jahren ständig abgenommen hat und weiter zurückzugehen droht. Daher wird dieses Konzept allein nicht reichen.

Wir sagen: Wenn eine ganze Insel vor dem Aussterben steht oder wenn dieses Problem in geringerem Maße auch in anderen Regionen vorhanden ist, dann brauchen wir Vorfahrt für die Menschen vor Ort, die dort leben und arbeiten wollen.

Deswegen sieht unser Gesetzentwurf Folgendes vor: Die Städte und Gemeinden sollen das Recht erhalten, durch eine Satzung festzulegen, dass Wohnungen nicht mehr ohne Genehmigung zu anderen Zwecken umgenutzt, leer stehen gelassen oder gar abgerissen werden dürfen. Nach unserem Vorschlag soll jede Gemeinde und jede Stadt selbst darüber entscheiden, ob sie von diesem Instrument Gebrauch machen will. Das heißt letztendlich, Ihre

Kolleginnen und Kollegen in den Kommunalparlamenten sollen das in der Hand haben. Wir wollen das niemandem aufzwingen. Ich glaube aber, wir sollten allen Gemeinden und Städten die Möglichkeit geben, vor Ort selbst zu entscheiden, ob dieses Instrument für sie Sinn macht.

Wir haben Ausnahmen vorgesehen. Nicht tangiert wird zum Beispiel die Nutzung als Zweitwohnung. Hierbei ist die Zweitwohnungssteuer meines Erachtens das bessere Instrument. Es bleibt möglich, Wohnungen weiterhin zu anderen Zwecken zu verwenden, wenn dies zum Bestreiten des Lebensunterhalts gegenwärtig oder im Alter notwendig ist. Auch sonst können überwiegende private Interessen eine Ausnahmegenehmigung ermöglichen.

Dieser Gesetzentwurf ist ausdrücklich verfassungskonform. Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon vor Jahrzehnten mit einer entsprechenden Bundesregelung befasst und festgestellt, dass dadurch kein Eingriff in das Eigentum gegeben ist, sondern dass dies eine zulässige Ausgestaltung ist. Dies ist jedenfalls so, wenn die Eigentümer durch Dauervermietung ihr Eigentum einsetzen können und wenn für Sonderfälle Ausnahmegenehmigungen möglich sind. Genau das sieht unser Gesetzentwurf vor.

Solche Gesetze haben sich bereits in vielen Bundesländern bewährt. Dies gilt etwa für unser Nachbarland Hamburg, aber auch für Berlin, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es sind durchaus auch Länder mit SPD-, CDU- oder CSUFührung dabei. Das ist also keine Frage der Parteizugehörigkeit.

Der Neubau von Wohnungen wird durch dieses Gesetz nicht erschwert. Wenn Sie Wohnraum neu bauen wollen, bleibt das nach unserem Gesetzentwurf voll und ganz möglich. Wenn Sie Ferienwohnungen neu bauen wollen, bleibt das nach unserem Gesetzentwurf möglich, weil dies keine Zweckentfremdung ist. Bei unserem Gesetz geht es darum, dass Wohnraum, der als Wohnraum genehmigt und gebaut worden ist, nicht mehr ohne Genehmigung zu anderen Zwecken entfremdet werden darf.

Auch die Unterhaltung von solchen Gebäuden bleibt voll umfänglich möglich. Angesichts der Tatsache, dass die Mieten auf Sylt dreimal so hoch sind wie sonst im Land, kann niemand bestreiten, dass es sich lohnt, dort dauerhaft Wohnraum zu vermieten. Viele tun das ja.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Alternative wird diskutiert, neu zu bauen. Das nützt

(Dr. Patrick Breyer)

aber nichts, solange der Bestand an Dauerwohnraum in größerem Umfang abnimmt, wie dies zum Beispiel auf Sylt der Fall ist.

Außerdem wird diskutiert, mithilfe des Baurechts gegen die Ferienwohnungsvermietung vorzugehen. Es ist gerichtlich nicht geklärt, ob das möglich ist. Außerdem kann man so nicht gegen Leerstand vorgehen. Das Baurecht hilft an dieser Stelle nicht.