Protokoll der Sitzung vom 12.11.2014

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der Debatte heute Morgen und gerade eben häufig die Wörter „Armutsflüchtlinge“ oder gar „Wirtschaftsflüchtlinge“ gehört. Dabei fällt mir immer ein Satz des berühmten Milieumalers Heinrich Zille ein. Der hat in Bezug auf das Berliner Proletarierelend in den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts insbesondere auf dem Wohnungssektor gesagt:

„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.“

(Lars Harms)

Das bezieht sich darauf, dass es Formen sozialer Verelendung gibt, die asylerheblich sein können und asylerheblich sind. Ich behaupte, dass genau dies in Bezug auf die Roma und Sinti in vielen Regionen des Balkans der Fall ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Sie leben dort buchstäblich auf Müllhalden. Die Kindersterblichkeit ist enorm, die Lebenserwartung ist gering. Die Wasserversorgung, grundlegende Bedürfnisse sind nicht gewährleistet. Diese Verhältnisse sind, wenn sie von staatlicher Seite gezielt gegen eine ethnische Minderheit benutzt werden, ausgrenzende Verfolgung.

Ich bitte darum, dass wir das Gerede von „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „Armutsflüchtlingen“ bezogen auf diese Gruppe von Menschen sehr schnell unterlassen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Stefan Studt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einigen Sachinformationen beginnen. Bereits in der Juli-Debatte wurde deutlich, dass Schleswig-Holstein sowohl auf Landes- wie auch auf kommunaler Ebene seiner humanitären Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien gerecht wird. Dazu zählt die Beteiligung an den zwischen Bund und Ländern abgestimmten Aufnahmeaktionen für insgesamt 20.000 syrische Bürgerschaftsflüchtlinge. 672 Personen bietet Schleswig-Holstein ganz konkret Schutz und Zuflucht.

Für Flüchtlinge, die eine Aufnahme durch ihre in Schleswig-Holstein lebenden Verwandten beantragen, haben wir zudem eine Anordnung zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen getroffen. Eine Grundvoraussetzung zur Aufnahme nach der Familienregelung ist die Abgabe einer sogenannten Verpflichtungserklärung durch die hier lebenden Verwandten. Bei der notwendigen Bonitätsprüfung haben wir unsere Behörden gebeten, den Ermessensspielraum großzügig zu nutzen. Bis Ende September 2014 konnten nach dieser Regelung 265 Personen einreisen.

(Angelika Beer [PIRATEN]: Von 9.000!)

Weiterhin haben wir den Ausländerbehörden ermöglicht, Familiennachzüge zu erleichtern. Nach unserer Beobachtung wird davon rege Gebrauch gemacht. Schleswig-Holstein beteiligt sich also schon sehr aktiv an der Aufnahme syrischer Staatsangehöriger, und wir werden das auch weiter tun.

Schließlich begleiten wir - mit der Forderung des Landtags nach einer unbefristeten Verlängerung des Resettlement-Programms im Rücken - die Diskussionen um ein festes nationales Resettlement-Programm.

Auch die in den weiteren Anträgen aufgegriffenen Themen stehen bei der Landesregierung schon längst auf der Agenda. Die Schleuserkriminalität zu bekämpfen, ist bereits auf der Tagesordnung aller politischen Ebenen angelangt. So hat sich Deutschland gerade im Oktober mit starken Einsatzkräften der Bundespolizei an der gemeinsamen europäischen Polizeioperation „Mos Maiorum“ beteiligt. Ziel war es, Erkenntnisse zur unerlaubten Migration zu gewinnen, daraus ein europaweites Lagebild zu entwickeln, Schleusungsrouten innerhalb und außerhalb der EU aufzuklären sowie Schleusungshintergründe und -netzwerke zu erkennen und zu bekämpfen. Wir setzen uns intensiv für die Bekämpfung der Schleuserkriminalität ein.

Zur Forderung nach einem Konzept für die Integration minderjähriger Flüchtlinge in den Schulalltag weise ich darauf hin, dass wir schon seit Jahren die Kinder in der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster schulvorbereitend fördern. Wir unterstützen ihren Start in die Schule oder ihr Lernen in einem Zentrum für Deutsch als Zweitsprache.

Gestern hat die Landesregierung weitere konkrete Schritte zur Verbesserung der Sprachförderung von Flüchtlingskindern beschlossen. Wir haben dazu schon etwas im Einzelnen gehört. Unter anderem erhöhen wir die Zahl der Lehrkräfte in der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster, damit Kinder und Jugendliche dort eine noch bessere und intensivere Sprachförderung erhalten.

Darüber hinaus werden wir noch in diesem Jahr 30 zusätzliche Vollzeitstellen für die DaZ-Zentren bereitstellen, um Schülern mit sehr geringen Sprachkenntnissen zu helfen. Insgesamt stärken wir die DaZ-Zentren an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen mit 7,7 Millionen €. Damit werden ab dem kommendem Jahr einerseits weitere 125 neue Lehrkräfte an den DaZ-Zentren eingesetzt, andererseits bauen wir mit 2 Millionen € die

(Burkhard Peters)

Betreuungsund Bildungsangebote mit dem Schwerpunkt Sprachförderung am Nachmittag aus.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, dass wir uns schon lange und intensiv in Berlin dafür einsetzen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Personalstärke erhöht, ist auch in diesem Haus gut bekannt. Für das Jahr 2014 sind 300 zusätzliche Stellen angekündigt. Auf die Besetzung der Stellen warten wir noch, allerdings ist vom Bund zugesagt, das noch in diesem Jahr zu realisieren. Das Ziel ist, dann 30.000 bis 40.000 Anträge zusätzlich bearbeiten zu können. Für das Jahr 2015 sind weitere 300 bis 350 Stellen in Aussicht gestellt worden, sodass ich davon ausgehe, dass auch das realisiert wird und wir in eine schnellere Bearbeitung hineinkommen.

Lassen Sie mich ganz kurz etwas zur Frage der Abschiebung ausführen. Ich möchte deutlich sagen: Die Qualität der Zuwanderungsverwaltung bemisst sich wahrlich nicht an der Zahl von Abschiebungen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Die Landesregierung achtet darauf, dass unvermeidbare Abschiebungen im Hinblick auf die persönliche, insbesondere familiäre Situation Betroffener angemessen, aber konsequent und zu jedem Zeitpunkt mit Respekt vor den Menschen durchgeführt werden. Unser Ziel bleibt eine Rückkehr in Sicherheit und Würde.

Wir haben heute viel gehört, sowohl zur Regierungserklärung wie auch eben zu den einzelnen Aspekten und Vorstellungen. Es gibt offenbar Unterschiede in den Bewertungen und Handlungserfordernissen. Aber gerade weil es um Menschen in existenzieller Not, aber auch - und das möchte ich ganz deutlich sagen - um viele engagierte Einwohnerinnen und Einwohner in unserem Land geht, sollten wir alles tun, um kluge Lösungen zu finden. Dabei nutzt es nichts, wiederholt Unerreichbares zu fordern. Wie wir uns diesem Thema zuwenden, sagt auch sehr viel über uns selber in Politik, Parlament und Regierung aus. Unser Verhalten sollte in dieser schwierigen Situation den Menschen und weniger der Profilierung dienen. Von daher lohnt es sich, ganz intensiv und ganz besonders konstruktiv mit Ihnen gemeinsam an Verbesserungen zu arbeiten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Das Beschwören alter Ängste vor Kontrollverlust, Überforderung oder Übervorteilung

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Das hat niemand ge- sagt! Wer hat das hier gesagt?)

spaltet politisch und gesellschaftlich. Hüten wir uns davor. Konstruktives Handeln auf allen Ebenen, von Brüssel über Berlin und Kiel bis auf die Kreisebene und Gemeindeebene, das ist die Herausforderung, der wir uns heute stellen. Wir brauchen daneben ein überspannendes Netzwerk, das das Miteinander und Füreinander in dieser schwierigen Lage trägt und organisiert. Wir werden uns auf MPKund IMK-Ebene Anfang Dezember mit diesen Themen beschäftigen.

Mein ganz ausdrücklicher Dank - und da möchte ich mich dem anschließen, was wir in Richtung der Kommunen schon gehört haben - gilt an dieser Stelle aber den Einwohnerinnen und Einwohnern in unserem Land, die sich ganz außerordentlich für die Aufnahme von Flüchtlingen engagieren, die ganz außerordentlich viel leisten, um das, was wir als Willkommenskultur bezeichnen, auch erfahrbar zu machen. Ich heiße auch all die ausdrücklich willkommen, die sich heute und künftig diesem anschließen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Ich glaube, wenn wir das im Blick behalten, wenn wir das Gemeinsame an dieser schwierigen Herausforderung im Blick behalten, gewinnen alle betroffenen Menschen und auch die politische Kultur hier im Land. Ich sehe den weiteren Beratungen in den Ausschüssen und auch hier im Landtag mit großem Interesse entgegen. Lassen Sie uns gemeinsam für die Sache arbeiten. - Danke.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen und schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung. - Herr Dr. Garg, bitte.

Frau Präsidentin, ich beantrage im Namen der FDPFraktion die abschnittsweise Abstimmung des Antrags der Fraktion der CDU.

Ja.

(Minister Stefan Studt)

(Zurufe)

- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Arp, es gibt sehr verschiedene Anträge, abschnittsweise, nicht abschnittsweise abstimmen oder auch im Hinblick auf Überweisungen, sodass wir alle miteinander sehr konzentriert durch diese einzelnen Anträge gehen und diese abstimmen sollten. Ich suche gerade den CDUAntrag, mit dem wir dann beginnen.

Ich habe zunächst vernommen, das war der Antrag der Kollegin Damerow, dass sie den Änderungsantrag der Piratenfraktion in der Drucksache 18/2449 in den Ausschuss überweisen möchte. Das habe ich am Anfang Ihrer Rede so verstanden, Frau Damerow. Können Sie mir bitte ein Zeichen geben, ob dieser Überweisungsantrag weiterhin besteht?

Frau Präsidentin, das war unser ursprünglicher Vorschlag, aber wir können jetzt ebenso auch dem Vorschlag der antragstellenden Fraktion folgen, hier einen Absatz separat abzustimmen.

Okay, alles klar. - Dann habe ich keine weiteren Anträge auf Ausschussüberweisung vorliegen. Aha, da kommt jetzt die Kollegin Herdejürgen. Bitte.

Wir beantragen, den kompletten Antrag zu überweisen.

Den kompletten Antrag der Fraktion der PIRATEN?

Ja. Wir können selbstverständlich abschnittsweise abstimmen, aber wir beantragen, den kompletten Antrag zu überweisen, ebenso wie unseren Antrag.

Gut, das ist dann sozusagen der weitergehende Antrag.

Dann lasse ich zunächst darüber abstimmen, wer seine Zustimmung erteilen möchte, dass der Antrag in der Drucksache 18/2449, das ist der Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN, und der Ände

rungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 18/2457, federführend in den Europaausschuss und mitberatend in den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen werden sollen. - Okay. Wenn ich das richtig gesehen habe, ist das einstimmig. Da stimmen Sie mir zu.

Jetzt hatte der Kollege Garg darum gebeten, den Antrag der Fraktion der CDU in der Sache abzustimmen, und zwar abschnittsweise. Dann machen wir das jetzt. Das ist der Antrag in der Drucksache 18/2382. Wer dem ersten Abschnitt seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, ich glaube, wir können nicht nur Änderungsanträge in den Ausschuss überweisen und den Ursprungsan- trag in der Sache abstimmen! Ich glaube, das geht nicht!)