Protokoll der Sitzung vom 19.06.2015

ständig vollzogen, aber wir sind auf dem Weg. Uns kommt auch zugute, dass in einigen Bereichen die Fördersätze der EU angehoben werden, dass also weniger Landesmittel erforderlich sind, um diese Mittel zu aktivieren. Ohne dies - ich glaube, das ist ein offenes Geheimnis - wäre es schwierig geworden, ein Programm zu stricken, das einerseits die Möglichkeiten des EU-Fonds voll ausschöpft, andererseits aber auch keine zu großen Löcher in den Landeshaushalt reißt.

Im Einzelplan 13 ist ein großer Anteil der Landesmittel zur Kofinanzierung der EU-Mittel gebunden. Ohne die EU-Mittel geht also überhaupt nichts. Rechnet man noch die Haushaltsposten hinzu, die zur Erledigung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben gebraucht werden, bleibt nicht viel Gestaltungsspielraum außerhalb dieser EU-Kofinanzierung. Daher die große Bedeutung der EUMittel und die Notwendigkeit, sie klug und intelligent einzusetzen.

Das jetzt von der EU-Kommission für SchleswigHolstein genehmigte Programm mit einer Laufzeit bis 2020 plus drei Jahren, also insgesamt bis 2023, ist für den ländlichen Raum so bedeutsam und wegweisend für diese Legislaturperiode und über die nächste Legislaturperiode hinaus. Daher ist die Phase der Programmierung, die jetzt hinter uns liegt, auch so wichtig gewesen.

Die Landesregierung hat die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Sie sind heute bereits mehrfach genannt worden. Ich will sie an dieser Stelle nur kurz anreißen: Küstenschutz, Hochwasserschutz, Umweltprogramme, Vertragsnaturschutz, Gewässerschutz, Breitbandversorgung, Basisdienstleistungen, insbesondere auch die neue Herausforderung der Bildungsinfrastrukturen im ländliche Raum, die Förderung der AktivRegionen, neue Ansätze bei der Vermarktung, das AFP für bescheidene Leuchttürme und im Grunde auch die neuen Instrumente von EIP, der Vernetzung von Forschung und Praxis.

Ich habe eingangs gesagt, die Förderung des ländlichen Raums sei ein Kind der Agrarpolitik. Zu der Frage, wie es dazu gekommen ist, an dieser Stelle ein ganz kurzer agrarpolitischer Rückblick.

Noch bis Ende der 80er-Jahre war Agrarpolitik hauptsächlich Preispolitik, war Marktstützung. Entstanden war das System in einer Zeit, in der Produktionssteigerung noch das Ziel war, in der die Steigerung der Arbeitsproduktivität das Ziel war, das Freisetzen der Arbeitskräfte, im Grunde der Ausbau des Produktionsvolumens. Mit dem Einset

zen der Überproduktion, mit den mit der Intensivierung verbundenen problematischen Nebenwirkungen in Bezug auf Umwelt, biologische Vielfalt und Entleerung der ländlichen Räume geriet diese Politik immer mehr in die Kritik. Verteidigt wurde die alte Denke aber noch lange mit dem Argument, dass durch diese Form der Intervention in landwirtschaftliche Märkte indirekt etwas vom Wohlstand und von den guten Lebensverhältnissen auch in den ländlichen Raum hineingetragen würde, sodass sich das schon fände.

Daher heute die Vorsicht mit den Instrumenten der Intervention. Sie kosten letztlich alle Beteiligten öffentliches Geld, sie kosten die öffentliche Hand viel Geld, sie kosten das Unternehmen viel Geld, führen zu neuen Butterbergen. Zukunftssichere Markt- und Wettbewerbspolitik sieht anders aus. Entscheidend sind Maßnahmen zur Mengenanpassung, zur Stärkung der Wettbewerbsposition und zum Kartellrecht.

Heute werden aus dem Europäischen Agrartopf noch viele Maßnahmen für den ländlichen Raum finanziert, die nur am Rande mit Landwirtschaft zu tun haben, und auch einige Maßnahmen, die überhaupt keinen direkten Bezug zur Landwirtschaft mehr erkennen lassen. Ist die ländliche Entwicklungsförderung erwachsener geworden? Ist sie zu einer Entwicklungsförderung geworden, die die Wirtschaftskräfte des ländlichen Raums wirklich aufnimmt? Ich würde sagen, bis dieses Kind erwachsen ist, dauert es noch ein bisschen. Es ist auf dem guten Weg, befindet sich aber noch in den Flegeljahren. Wir brauchen eine konsistente Förderung für den ländlichen Raum, am besten eng vernetzt mit kommunalen Investitionen in die Daseinsvorsorge, mit Wirtschaftsförderung im ländlichen Raum und auch mit einer gezielten Sozialpolitik für den ländlichen Raum. Wir brauchen eine Agrarpolitik, die nicht den beiden erstgenannten Bereichen zuwiderläuft und die letztlich eine bäuerliche Struktur erhält und fördert.

Die Debatte um den effizienten Einsatz der Gelder der EU-Agrarpolitik und der Mittel für den ländlichen Raum ist überhaupt nicht neu. Sie wird zu jeder der siebenjährigen Finanzperioden erneut geführt, und das inzwischen seit 30 Jahren nicht mehr allein von den Bauernverbänden, nicht mehr allein von den Konzernen der Lebensmittelbranche. Viele Organisationen, Umweltverbände, Verbraucherverbände, kritische Bauernverbände und auch die Grünen sind dabei. Sie bringen sich frühzeitig ein. Auch jetzt lautet wieder die Devise: Nach der Reform ist vor der Reform.

(Bernd Voß)

Die Kommission hat mit jeder Reform gute Vorschläge aufgegriffen. Das kann man nur immer wieder betonen. Aber Ministerrat, nationale Regierungen und dieses Mal auch das Parlament haben sie wieder kassiert. Die Länder hätten in dieser Reform eine Kappungsgrenze mit Beschäftigungsfaktor ziehen können. Sie hätten Umschichtungen zugunsten kleinerer Betriebe in einer Größenordnung von 30 % machen können. 15 % der Mittel hätten schon von den Direktzahlungen hin zu den Mitteln für ländliche Entwicklung umgeschichtet werden können. Insofern sind diese 4,5 %, die jetzt von der ersten in die zweite Säule umgeschichtet werden, ein Einstieg in einen Systemwechsel, der aus meiner Sicht zur Überführung der großen Direktzahlungsgelder in anspruchsvolle leistungsgebundene Maßnahmen führen könnte.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Die Herausforderungen sind erheblich. Ich nenne nur einige aktuelle Beispiele, die auch SchleswigHolstein betreffen: Heute schon zitiert worden ist der Wissenschaftliche Beirat für Agrarökonomie der Bundesregierung von unserem schwarzen Bundeslandwirtschaftsminister. Im März ist die Stellungnahme zur Zukunft der Tierhaltung vorgelegt worden, die eine grundlegende Reform der Tierhaltung im Sinne der bekannten Tierwohldiskussion fordert. Die Kosten liegen nach dem Wissenschaftlichen Beirat in Deutschland bei jährlich 5 Milliarden €. Das entspricht der Summe der gesamten Direktzahlungen und ungefähr 400 %, also dem Vierfachen aller ELER-Mittel. Dies sage ich, um die Dimension aufzuzeigen. Dies wird natürlich nur auf den Märkten zu erwirtschaften sein. Der Wandel wird aber im Sinne einer zukünftigen Wirtschaftsentwicklung des ländlichen Raums auch von Mitteln aus der ländlichen Entwicklung mitfinanziert werden müssen.

Auch wenn der Einsatz von Glyphosat nach jahrzehntelang steigendem Einsatz massiv wird reduziert werden müssen, wovon inzwischen nicht nur die Grünen ausgehen, brauchen wir im Ackerbau völlig andere Anbauverfahren. Das wird nicht so einfach gehen, auch das ist eine Herausforderung.

Schleswig-Holsteins Grünland und die Milch sind gerade mit Blick auf eine Qualitätsstrategie eine Herausforderung. Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Schleswig-Holstein ist kein Selbstzweck und wird noch viele Geldmittel erfordern. Den Moorschutz und den Klimaschutz werden wir zusammen auch nur dann schnell umsetzen können, wenn wir Alternativen zum vollständigen

Vernässen und zur Nutzungsaufgabe einerseits und dem tief Entwässern und dem intensiven Bewirtschaften andererseits finden. Dann nenne ich noch alle Facetten des demografischen Wandels, den es positiv zu gestalten gilt.

Ländliche Entwicklungsprogramme sind keine Nice-to-have-Projekte mit Kuschelfaktor, wie die CDU es manchmal darstellt. Ländliche Entwicklung muss raus aus der Logik des Reparatur- und Ausgleichsprogramms für die Fehlentwicklung der herrschenden Agrarpolitik.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Dies gilt auch für die Strukturentwicklung im ländlichen Raum. Dazu sind wir in SchleswigHolstein gut aufgestellt. Ich glaube, dieses Programm ist eine Herausforderung, und diese Herausforderung wird bleiben, aber wir werden sie schon meistern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Oliver Kumbartzky das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Habeck, Sie sagten in Ihrer Regierungserklärung den Satz: Die Landesregierung bekennt sich zum ländlichen Raum. Ich sage: Was selbstverständlich ist, bedarf doch eigentlich keiner Betonung.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU - Zuruf Lars Winter [SPD])

- Herr Winter, die Förderung des ländlichen Raums ist die Kernaufgabe des Umweltministers. Das bleibt sie auch, auch wenn Sie gedanklich schon am Wolf vorbei durch das Jakobskreuzkraut hindurch Richtung Berlin unterwegs sind. Die Förderung des ländlichen Raums bleibt bis 2017 Ihre Aufgabe.

(Beifall FDP)

Gleichwohl: Die Genehmigung von 620 Millionen € Fördergeldern ist gut für unser Land, und hier gebührt Ihnen, Herr Dr. Habeck, Dank für Ihre Anstrengungen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Hauke Göttsch [CDU])

(Bernd Voß)

Auch der Einsatz der Mittel findet, wenn auch nicht uneingeschränkt, aber doch in Ansätzen, unsere Zustimmung. Gerade die Förderung der AktivRegionen, der Ausbau des Breitbands in der Fläche und die Modernisierung der ländlichen Wege sind richtige Maßnahmen. Hier wird der ländliche Raum gefördert. Auch die 68 Millionen € für den Hochwasser- und Küstenschütz sind sinnvoll und zu begrüßen. Es ist wichtig, dass unsere Küsten so gut wie möglich geschützt werden und dass Schleswig-Holstein optimal auf Sturmfluten vorbereitet ist. Mangelnder Küstenschutz kann Menschen, Tiere, Natur und Vermögen in höchste Gefahr bringen. Das wäre unverantwortlich. Deshalb sind die Mittel für den Küstenschutz natürlich goldrichtig eingesetzt.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU)

Es gibt auch unbestritten gute Gründe, den ökologischen Landbau zu fördern. Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln steigt, und ökologischer Anbau trägt zu mehr Artenvielfalt bei. Auf ökologisch bewirtschafteten Flächen leben im Schnitt 30 % mehr Arten als auf vergleichbaren konventionellen Flächen. Ökobauern erbringen Umweltleistungen, und weil diese nun einmal Geld kosten, ist eine Kompensation dafür angemessen. Das sage ich ganz klar, allerdings:

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber, aber!)

Wie nachhaltig sich ökologisches Wirtschaften tatsächlich auswirkt, ist noch nicht klar. Aussagekräftige Messungen von Ressourcenverbrauch und -erhalt gibt es bislang nicht, auch das ist Fakt. Das Problem ist aus unserer Sicht auch nicht die Förderung an sich, sondern die Verteilung der Mittel. Die besondere Schwerpunktsetzung auf die Förderung des Ökolandbaus erscheint eher der politischen Profilierung zu dienen, als wirklich sachlich begründet zu sein.

(Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Problematisch ist schon, ob es bei einer so geringen Anzahl von Förderberechtigten überhaupt zu einem kompletten Mittelabfluss kommen wird. Das ist doch des Pudels Kern: Werden am Ende des Tages sämtliche Mittel verbraucht, oder muss es am Ende wieder Umschichtungen geben?

(Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Schließlich reden wir über 500 Betriebe und 37.000 ha und damit eben nur über 4 % der bewirtschafteten Fläche.

Zweifelhaft ist auch, ob die Förderung selbst nachhaltig ist. Die Förderung allein schafft keine unternehmerische Entwicklungsperspektive, sondern führt die Betriebe direkt in die staatliche Abhängigkeit. Sie machen die Betriebe vom Staat abhängig, Sie machen die Betriebe abhängig von Legislaturperioden. Tatsächlich liegt der durchschnittliche Gewinn von Betrieben mit ökologischem Anbau in der Regel über dem von konventionellen Vergleichsbetrieben, das aber nur aufgrund der staatlichen Förderung. Im Übrigen werden schon heute die positiven Einkommenseffekte teilweise durch die gestiegenen Preise für Betriebsmittel überlagert. Hinzu kommt der Aspekt, dass die Betriebe, die jetzt die Förderung über das Land erhalten, auch den Landesmindestlohn von 9,18 € zahlen müssen. Auch hier haben wir im Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen der Mindestlohn von 9,18 € nicht fällig wird, einen Nachteil.

Hinzu kommt: Nur zu fördern, ist zu kurz gedacht. Eine Garantie auf eine Förderung für den Rest des Betriebslebens, das wissen Sie auch, kann es nicht geben. Nach einer Studie des Thünen-Instituts in Braunschweig steigen jedes Jahr 606 Landwirte aus dem Ökolandbau aus. Auch das muss man sich vor Augen führen: Zwei Drittel von diesen Landwirten kehren zurück zu konventionellen Anbaumethoden. Man muss sich die Frage stellen: Warum wechseln so viele Biolandwirte zurück? Die Gründe sind neben den geringen Erträgen vor allem die strengen Bio-Richtlinien sowie die umfassenden Dokumentationspflichten und Kontrollen und die unzureichenden Vermarktungsmöglichkeiten.

Die Ausdehnung der ökologischen Landwirtschaft ist von Ihnen als Koalition politisch gewollt, das nehmen wir natürlich zur Kenntnis. Wenn das aber wirklich so ist, dann ist eine Politik, die allein auf finanzielle Förderung setzt, zu kurz gesprungen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Frau Eickhoff-Weber, man muss sich auch mit den Höfen beschäftigen, die aufhören. Das sollte man wirklich einmal prüfen. Es sollte doch gerade für einen grünen Minister ein Anliegen sein, hier ein nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten. Die geplanten 6 Millionen € für Direktverarbeitung und Vermarktung reichen hier sicherlich nicht aus.

Natürlich sind Vermarktungsmöglichkeiten und wettbewerbsfähige Wertschöpfungsketten primär

(Oliver Kumbartzky)

Aufgabe der Wirtschaft, doch kann sich die Politik hier durchaus für faire Marktbedingungen einsetzen. Genau das haben Sie, Herr Minister, früher von anderen eingefordert. Jetzt müssen Sie sich gerade an diesen Themen messen lassen. Die Zusammenarbeit zwischen Einzelhandel und Landwirtschaft - auch der konventionellen Landwirtschaft in der Initiative Tierwohl kann hier als Beispiel dienen.

Fördermittel verteilen, ist das eine, aber die Rahmenbedingen zu schaffen, ist das andere. Zumindest fragwürdig ist es auch, nur den Ökolandbau zu fördern, während die konventionelle Landwirtschaft in weiten Teilen von Ihnen außer Acht gelassen wird. Politik ist immer eine Frage der Prioritätensetzung, und die Verteilung der ELER-Mittel zeigt eines ganz deutlich: Priorität genießt die konventionelle Landwirtschaft bei Ihnen definitiv nicht.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist auch gut so!)

- Das ist auch gut so, das war gerade ein Zwischenruf von den Grünen. Wir nehmen diesen Zwischenruf zur Kenntnis.

Meine Damen und Herren, der ökologische Landbau wird massiv gefördert, und die konventionelle Landwirtschaft, die immerhin 95 % der Flächen stellt, steht bei Ihnen hintenan; und das, obwohl sich gezeigt hat: Betriebswirtschaftliche Eigenverantwortung der Landwirte kann zum Naturschutz beitragen und so gesellschaftlichen Fortschritt bringen. Vertragsnaturschutz, Allianz Gewässerschutz, Initiative Tierwohl: Überall arbeiten Landwirte zum Wohl der Allgemeinheit konstruktiv mit. Die konventionelle Landwirtschaft trägt unmittelbar zum Naturschutz bei.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)