Protokoll der Sitzung vom 17.07.2015

In der Begründung des Gesetzentwurfs bestätigt die Landesregierung die Herausforderung durch eine steigende Anzahl psychisch kranker Häftlinge. Wenn wir in den Anstalten unterwegs sind, wissen wir, dass dies ein großes Problem ist. Die Landesregierung und auch die Ministerin haben dies in diesem Jahr noch einmal deutlich bestätigt: Gerade die Bediensteten in den Anstalten haben ein großes Problem, diesen Häftlingen gerecht zu werden, insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen Wiedereingliederung.

Aber hierzu findet sich im gesamten Bericht auf Seite 90 ein winzig kleiner Absatz, in dem eine Aneinanderreihung möglicher Lösungsansätze zu finden ist, die uns lange bekannt sind. Dann bleibt die Aufzählung dieser Lösungsansätze in einem Nichts stecken, und gesagt wird - die Ministerin hat es selbst formuliert -: Hier werden wir Lösungen finden müssen.

Aber das Gesetz soll ja nächstes Jahr in Kraft treten. Ebenso wenig finden sich zukunftsorientierte

Konzepte für den Umgang mit der wachsenden Zahl älter werdender Häftlinge. Auch dies scheint mir aus dem Gesetzentwurf komplett ausgeklammert zu sein. Hierzu finden wir schlicht überhaupt keine Lösungsvorschläge.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Ministerin, ich bitte Sie eindringlich, dass wir diesen Gesetzentwurf in angemessener Zeit und in Sachlichkeit miteinander beraten, wie wir es bei der Sicherungsverwahrung und beim Jugendarrestvollzugsgesetz miteinander geschafft haben.

Unter Handlungsdruck stehen wir nicht. Das aktuelle Bundesgesetz gilt aufgrund Artikel 125 a Grundgesetz bis zum Erlass des Landesgesetzes weiter. Es hat sich in der Praxis bis heute bewährt. Denn viele Maßnahmen sind schon heute möglich. Gerade der familienfreundliche Vollzug wird schon in den Anstalten in Neumünster gut gewährleistet.

Auch andere Dinge - Aufschlusszeiten - wären heute schon möglich, wenn wir denn die personellen Ressourcen hätten. Ich spreche damit nicht gegen eine Modernisierung des Gesetzes. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass wir hier nicht in einem zeitkritischen Fenster sind. Wir müssen dringend Antworten darauf finden, wie wir bestehende Probleme im Vollzug lösen, Frau Ministerin. Die Umsetzung des betrieblichen Gesundheitsmanagements - Sie haben es gerade erwähnt - steckt ja noch in den Kinderschuhen.

Es ist richtig: Im Nachgang zu den Vorkommnissen in der Justizvollzugsanstalt Lübeck haben Sie einige wichtige Defizite ausgeglichen und einige Maßnahmen getroffen, die auch für die belasteten Justizvollzugsbediensteten von großem Vorteil sind. Es ist auch richtig, Sie haben endlich intensive Gespräche aufgenommen. Aber die Umsetzung des umfangreichen Maßnahmenkatalogs fängt ja gerade erst an. Wir haben derzeit einen sehr hohen Krankenstand in den Justizvollzugsanstalten. Wenn die Justizvollzugsbediensteten Angebote für Weiterbildungsmaßnahmen oder auch für Sport annehmen, dann führt dies zu weiteren erheblichen Engpässen in den Justizvollzugsanstalten. Wir können das im Moment gar nicht umsetzen, weil es dazu führt, dass weniger Bedienstete vor Ort sind. Dies ist ein Dilemma, das wir erst einmal lösen müssen. Wir müssen die von Ihnen angesprochene Motivation doch erst wecken, damit - sehen Sie es mir nach die Bettkantenentscheidung morgens: „Gehe ich zum Dienst? Sehe ich einen Sinn darin, dahin zu gehen? Werde ich dort wahrgenommen? Kann ich überhaupt etwas leisten?“ für die Anstalt ausfällt, damit wir das vorhandene Personal - ich gebe Ihnen

(Barbara Ostmeier)

recht, der Personalschlüssel ist gut - überhaupt motivieren können, wieder hinzugehen. Da bin ich ganz an Ihrer Seite. Aber das Ergebnis der Untersuchungen des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist uns im Landtag noch nicht einmal vorgestellt worden. Wir erfahren das Ergebnis der Untersuchungen erst am Ende der Sommerpause. Sie haben selber betont, wie wichtig es ist, dass wir dieses Problem lösen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Kolleginnen und Kollegen, bevor wir es nicht geschafft haben, Maßnahmen erfolgreich umzusetzen, mit denen diese Herausforderungen wirklich bewältigt werden können, damit wir dieses eine Prozent des Istzustandes - ich hoffe, es ist mehr - überhaupt wieder bewegen, halte ich es für unverantwortlich, neue personelle Anforderungen in einem Gesetz zu verfestigen, die auch Erwartungshaltungen schaffen.

(Beifall CDU und FDP)

Ein Strafvollzugsgesetz, das auf einem brüchigen Fundament fußt, dient weder den Inhaftierten noch unseren Bediensteten. Es dient nicht dem Anspruch an Sicherheit in unseren Vollzugsanstalten und außerhalb und schon gar nicht einer erfolgreichen Wiedereingliederung in unsere Gesellschaft. Ich denke, dass wir - so wie wir es immer gemacht haben - diese Fragen miteinander beraten werden, dass wir uns die Zeit nehmen, um am Ende zu einem von allen getragenen Strafvollzugsgesetz in Schleswig-Holstein zu kommen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Thomas Rother das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem neuen Strafvollzugsgesetz für den Erwachsenenvollzug und dem Justizvollzugsdatenschutzgesetz - das gehört ja auch dazu legt uns die Landesregierung nicht nur weitere Gesetzentwürfe schlicht aufgrund der neuen Ländergesetzgebungskompetenz vor, sondern sie verarbeitet hier Erkenntnisse von sozialer Strafrechtspflege, Vollzug, Kriminologie, Sicherheitsanforderungen und Rechtsprechung in zwei neuen Vorschriften, und das weitgehend im Einklang mit den anderen Bundesländern. Ein Schwerpunkt dabei ist die stärker familienbezogene Vollzugsgestaltung. Wer im Gefängnis sitzt und eine Familie hat, die auch noch

etwas mit ihm zu tun haben will - das ist ja nicht immer der Fall -, soll durch mehr Besuchsmöglichkeiten und eine andere Vollzugsgestaltung diesen sozialen Anker in der straftatenfreien Außenwelt erhalten. Die Familie soll gestärkt und in den Resozialisierungsprozess einbezogen werden.

Dazu sollte allerdings auch gehören, dass schon in Bezug auf die Fahrtkosten zur Haftanstalt finanzielle Hilfen geleistet werden, da die Familien der Gefangenen oft von Hartz IV leben und zudem noch verschuldet sind.

(Unruhe - Glocke Präsident)

Frau Franzen guckt dann auch einmal zur Bewährung in die JVA Lübeck.

Ebenso ist das Thema Internet im Knast noch unzureichend in den Entwurf aufgenommen worden. Hier besteht Handlungs- und Regelungsbedarf, um die Gefangenen nicht von der technischen Entwicklung in der Außenwelt abzukoppeln.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

- Vielen Dank für den Beifall.

Zwei weitere Punkte hat Frau Ostmeier angesprochen, nämlich die Situation älterer Gefangener und psychisch auffälliger Gefangener. Wenn das nicht jetzt geregelt wird, so wird die weitere Diskussion sicherlich zeigen, wie wir das zu einem späteren Zeitpunkt - vielleicht auch auf Grundlage einer Ermächtigung - besser in den Griff bekommen, als es derzeit der Fall ist.

Mehr offener Vollzug ist schon ein wichtiger, richtiger Schritt dazu, zu dem es in der Praxis vor allen Dingen mehr Mut zur Entscheidung und ebenso Rückhalt nach der Entscheidung braucht, insbesondere, wenn einmal etwas schiefläuft.

(Beifall Barbara Ostmeier [CDU])

Die Arbeitspflicht für Gefangene bleibt - anders als in mehreren Ländern - laut Gesetzentwurf erhalten. Dies dient nicht nur der Vorbereitung auf das Arbeitsleben in Freiheit, sondern hat auch die Aufgabe, Gefangene aus einer selbst gewählten Isolation - denn auch das ist oft der Fall - im Vollzug herauszuführen.

Kernpunkte sind für mich allerdings die Ausweitung der Behandlungs- und Beratungsangebote sowie ein wirkungsvolleres Übergangsmanagement. Nur wenn wir diese Themen in den Blickpunkt stellen, kann ein Drehtürvollzug, wie wir ihn oftmals

(Barbara Ostmeier)

haben, vermieden werden. Eine wirkungsvolle Resozialisierung darf nicht nur ein schöner Anspruch sein - das stimmt -, sondern muss beispielsweise auch durch tatverarbeitende und tatausgleichende Maßnahmen begleitet sein. Ebenso ist ein planvoller, vorbereitender und nahtloser, auf den zu entlassenden Gefangenen zugeschnittener Übergang aus der Haft zwingend erforderlich, um das Risiko des Rückfalls zu vermeiden und damit man nicht nach vier Jahren Haft quasi von heute auf morgen ohne jegliche Vorbereitung vor der Tür steht und nicht weiß, wie es weitergeht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, SSW und vereinzelt CDU)

Dazu gehört allerdings auch - da gibt es sicherlich das eine oder andere Problem - eine Regelung des Datenaustauschs der beteiligten Stellen, um Brüche in der Betreuung und ein Verschwinden der hilfebedürftigen Ex-Häftlinge in die Hilflosigkeit zu vermeiden und um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Ein entscheidender Punkt bleibt, ob alle diese guten und richtigen Ansprüche - da hat Frau Ostmeier recht - auch in die Tat umgesetzt werden können. Für die dafür erforderlichen Maßnahmen in Bezug auf Bauten, Sachmittel und vor allem Personal braucht es schlichtweg Geld. In der Summe werden 13,1 Millionen € Bauinvestitionen, Sachmittel von jährlich bis zu 710.000 € sowie rund 1,9 Millionen € mehr für Personalausgaben genannt. Um es deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um einen Hotelvollzug oder ein kuscheliges Umfeld für Straftäter. Es geht darum, die Erkenntnisse der Vollzugspraxis und der kriminologischen Forschung umzusetzen und während des Vollzugs die Voraussetzungen für ein Leben ohne Straftaten zu schaffen.

(Beifall SPD)

Für eine bessere Übersichtlichkeit der Maßnahmen und um sie besser nachvollziehen zu können - ich glaube, das sage ich bei fast jedem Gesetzentwurf -, wäre es sicherlich sinnvoller gewesen - so wie es auch viele andere Länder machen -, in einer tabellarischen Übersicht darzustellen, zu welchem Zeitpunkt die einzelnen Maßnahmen durchgeführt werden sollen und wie sie finanziert werden.

(Barbara Ostmeier [CDU]: Das kann ja noch kommen!)

Ich werde das Ziel auch weiterhin verfolgen und hoffe, dass diese Kritik irgendwann einmal ankommt.

Unabhängig davon ist allerdings bemerkenswert, dass der Personalbedarf weitgehend aus dem Etat des Justizministeriums erwirtschaftet werden kann. Alles andere sollte uns ein fortschrittlicher, menschenwürdiger und erfolgreicher Strafvollzug auch wert sein. Es wird uns auch in den Haushaltsberatungen begegnen, wie beispielsweise die zehn Stellen für den allgemeinen Vollzugsdienst; die Ministerin hat darauf hingewiesen.

Dennoch ist es so - da danke ich der Ministerin für ihre offenen Worte -, dass wir in Bezug auf die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vollzugsanstalten Probleme haben. Das ist, glaube ich, offenkundig. Die Befragung im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements hat insbesondere für den allgemeinen Vollzugsdienst ergeben, dass die Burnout-Gefährdung für diese Personalgruppe besonders hoch ist, dass man von Arbeitszufriedenheit weit entfernt ist, Führung und Wertschätzung kaum wahrgenommen werden und der eigene Gestaltungspielraum als gering wahrgenommen wird. Für alle Justizvollzugsanstalten werden daher Maßnahmenpläne zur Veränderung und Verbesserung dieser Situation erörtert und auf die jeweiligen Bedürfnisse passgenau übertragen. Das ist keine einfache Aufgabe. Aber, meine Damen und Herren, es war diese Landesregierung, und es war diese Justizministerin, die diese Befragung und diese Maßnahmen auf den Weg gebracht haben. Ich glaube, das ist aller Anerkennung wert.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es passiert also weit mehr als nur die Erhöhung der Eingangsbesoldung, um die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu verbessern und damit die Voraussetzungen für einen besseren Vollzug zu schaffen.

Alle im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf stehenden Fragen zu erörtern, ist in der knappen Zeit ein bisschen schwierig. Daher freue ich mich auf eine ausführliche Beratung im Innen- und Rechtsausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Herr Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

(Thomas Rother)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns in der Grundsatzdebatte. Deswegen erlauben Sie mir bitte, dass ich mit ein paar ganz grundsätzlichen Bemerkungen zum System Strafhaft anfange. Freiheitsstrafe ist das schärfste Schwert unseres Rechtssystems. Die Idee lautet wie folgt: Ein Quantum Böses soll mit einem möglichst äquivalenten Zeitquantum Freiheitsverlust bezahlt werden. Ein Übel wird mit einem anderen Übel aufgewogen. Seit der Aufklärung heißt die Gleichung nicht mehr Auge um Auge, Zahn um Zahn, sondern im Sinne der austeilenden Gerechtigkeit: Jedem das Seine an Freiheitsbuße.

Der erzwungene Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt ist ein Übel. Das wissen alle, die schon einmal die Gelegenheit hatten, eine Haftanstalt von innen zu sehen. Kuschelvollzug für Verbrecher ist dort wahrlich nicht angesagt. Hässliche Gebäude innerhalb von hohen Mauern mit Stacheldrahtrollen gesichert, enge Zellen mit Latrinen hinter einem Paravent, ein durchgetakteter Tagesablauf, kaum Rückzugsraum, ständige Kontrollen, Zwangsgemeinschaft mit Menschen, denen man sich nur bei Zelleneinschluss entziehen kann, ein rüder Umgangston und der bis auf wenige Stunden im Monat reduzierte Kontakt mit vertrauten Menschen; die Liste der Einschränkungen und Widrigkeiten ist damit noch nicht vollständig aufgezählt.

Meine Damen und Herren, Strafhaft ist der fast vollständige Verlust persönlicher Autonomie. Sie ist ein Zustand weitgehender Entmündigung. Selbstverantwortliches Handeln geht weitestgehend verloren, und genau darin liegt das Dilemma der Strafhaft. Wer will, dass Haft nicht nur Wegschließen ist, sondern auch Raum für Besinnung und die Erarbeitung eines straflosen Lebens in Freiheit sein soll, der muss der persönlichen Autonomie und Selbstverantwortung auch in der Haft mehr Raum geben,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

sonst bleibt der Ansatz der Resozialisierung auf der Strecke, denn Änderungen der persönlichen Handlungsoptionen und der Aufbau individueller Zukunftsperspektiven können unter reinen Zwangsbedingungen nur sehr schlecht reifen. In der Psychologie spricht man von intrinsischer Motivation. Diese ist deshalb besonders tragfähig, weil sie sich aus innerer Überzeugung speist, nicht aus extern gesetzten Faktoren. Deswegen verhindern die Auf

hebung von Autonomie und die Reduzierung der Selbstverantwortung in der Haftzeit eher die Resozialisierung, als dass sie nützen.