Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Trotzdem: Meinungsfreiheit muss die andere Meinung ertragen. Meinungsfreiheit hat aber ihre gesetzlichen Grenzen. Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung oder Volksverhetzung und rassistische Äußerungen - wie gesagt, die Beispiele hatten wir -, sind aus gutem Grund Straftaten. Und doch ist die Abgrenzung zu einer zugespitzten Meinungsäußerung manchmal schwierig.

Die heutigen sozialen Medien verbreiten unsere Äußerungen schnell und oft sehr wirkungsvoll; leider auch die unüberlegten, die dummen und auch die strafbaren. Hass, Rassismus, Beleidigungen und Fake News, die ganze Breite des Lebens, gibt es nicht nur bei Facebook und Twitter, das gibt es auch in örtlichen Internetzeitungen und Blogs. Auch gegen ehrenamtliche Kommunalpolitiker wird gern gepöbelt, was das Zeug hält. Ihnen wird Betrug oder Bestechlichkeit vorgeworfen.

Der Bundestag hat in der Großen Koalition das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verabschiedet, um mit Hasskommentaren wenigstens in den großen sozialen Medien fertig zu werden. Es ist ein Gesetz, das nach Meinung vieler jedoch die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Rede, unangemessen einschränkt und das eigentliche Problem, nämlich das fehlende Denken, überhaupt nicht löst.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Schlimmer noch: Es privatisiert die Rechtsdurchsetzung und verweigert Betroffenen rechtliches Gehör.

(Vereinzelter Beifall AfD)

Es verurteilt ohne Verteidigung, ohne angemessene rechtliche Würdigung.

Meine Damen und Herren, es ist Aufgabe der Justiz, zu entscheiden, was recht und was nicht recht ist.

(Rasmus Andresen)

(Beifall Dennys Bornhöft [FDP] und Jörg Nobis [AfD])

Es muss auch jedem, der beschuldigt wird, möglich sein, sich zu verteidigen, Gehör zu finden, Rechtsmittel einzulegen. Die Durchsetzung darf nicht an einer fehlenden Ausstattung der Justiz scheitern. Wir können doch nicht Facebook oder anderen sozialen Netzwerken Entscheidungen über die Einschränkung von Grundrechten übertragen; ohne Rechtswege oder auch nur Auskunftsanspruch der Betroffenen.

Die Beurteilung, ob eine Äußerung strafbar ist, also die Einschränkung der Meinungsfreiheit, wird ja nicht nur an Private übertragen. Zusätzlich werden dem Privaten 50 Millionen € Bußgeld für den Fall angedroht, dass er nicht schnell genug löscht. Man dann das auch anders formulieren: für den Fall, dass er nicht schnell genug verurteilt. Also ist es nur verständlich, wenn der Private nach dem Motto „Lieber löschen als Bußgeld“ vorgeht und im Zweifel lieber gegen den Angeklagten entscheidet. Ein Grundsatz unser Rechtes ist es immer gewesen: im Zweifel für den Angeklagten.

Die Anhörung im Bundestag hat klar ergeben, dass zumindest die meisten Experten das Gesetz zusätzlich noch für verfassungswidrig halten. Eine große Zahl von Organisationen, Verbänden und Initiativen hat bereits im Mai 2017 die „Deklaration für Meinungsfreiheit“ gegen das Netzdurchsetzungsgesetz veröffentlicht. Mit dabei sind unter anderem die Amadeo-Antonio-Stiftung, der Branchenverband Bitkom, der Bundesverband deutscher Startups, der Chaos-Computer-Club, der Verband der Internetwirtschaft, der liberale Verein Netzpolitik LOAD e.V., Wikimedia, Reporter ohne Grenzen und viele andere.

Ich darf vielleicht mit Ihrer Erlaubnis kurz zu zitieren:

„Meinungsfreiheit hat einen essenziellen und unabdingbaren Stellenwert in einer von demokratischen Werten geprägten Gesellschaft. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist als Teil der Kommunikationsfreiheiten wie auch die Presse- und die Rundfunkfreiheit in besonderem Maße geschützt. Das Recht auf Meinungsfreiheit findet seine Grenzen erst dort, wo die Rechte und die Würde anderer verletzt werden. Das Recht auf Meinungsfreiheit, auch seine Einschränkung, gelten dabei online wie offline.“

Meine Damen und Herren, die Haltung der FDP zum Netzdurchsetzungsgesetz ist klipp und klar:

Dieses Gesetz provoziert nicht nur Zensur, es sanktioniert Meinungsäußerung, ohne dass ein Richter hieran beteiligt ist und sein muss. Dieses Gesetz gefährdet das Recht auf freie Meinungsäußerung.

(Beifall FDP und AfD)

Wer Hate Speech wirklich unterbinden will, der muss der Justiz die nötigen Mittel und Ressourcen bereitstellen, muss einen Rechtsweg beschreiben, mit dem Widerspruch möglich ist.

Dieses Gesetz muss daher grundlegend überarbeitet werden. Wenn wir das gemeinsam auf den Weg bringen, würde ich mich darüber freuen. - Danke.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Auch wer sich nur kurz im Netz bewegt, begegnet schnell unflätigen, rassistischen und diffamierenden Bemerkungen. Anonym oder mit voller Namensnennung: Es ist wirklich erschreckend, mit welchen Botschaften man auf Facebook oder Instagram konfrontiert wird.

Seit Langem wissen wir, dass der Facebook-Algorithmus dafür sorgt, dass man, auch ohne es zu wollen, mit Hass-Posts in Kontakt kommt. Man muss diese Texte gar nicht aktiv suchen, sie finden selbst die Nutzer. Das ist eine Schattenseite der Like-Gesellschaft.

Der Grund ist ein Ungleichgewicht. Verschwörungstheoretiker und Rassisten haben anscheinend viel Zeit. Sie sind von ihrer Botschaft so besessen, dass sie buchstäblich Tag und Nacht vor dem Rechner verbringen, während unsereins ab und zu Familienbilder einstellt oder sich über Veranstaltungen informiert. Diesen Vorsprung wissen diese Leute zu nutzen, von denen es einige sogar zu einem eigenen Spitznamen gebracht haben, nämlich die Trolle, Trolle, die bewusst auf emotionale Provokation setzen. Einschüchterung und Angst sind die Folgen.

Das Netz ist anfällig für diese Machenschaften. Das hat nicht zuletzt der Bundestagswahlkampf deutlich vor Augen geführt. Wir alle haben miterleben müssen, wie eine Handvoll gut organisierter InternetFreaks Themen lancierte oder diesen eine andere Richtung gab.

(Stephan Holowaty)

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist der Versuch, Waffengleichheit zwischen organisierten und nicht organisierten Nutzern herzustellen. Zugegeben, dieses Gesetz ist nicht sonderlich geglückt. Hier hat man das Gefühl, dass man mit diesem Gesetz das Kind mit dem Bade ausschütten möchte. Der Staat tut sich schwer, dem international organisierten Internet mit nationalen Gesetzen beizukommen. Außerdem ist die digitale Technik schneller als jede Strafverfolgungsbehörde. Darum gibt es ja auch die Idee, die Anbieter der Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Bislang erfolgte meines Wissens keine richtige Evaluierung des Gesetzes; dazu ist es ja auch noch gar nicht alt genug. Keiner kennt also die tatsächlichen Wirkungen des Gesetzes. Allerdings nehme ich den vorliegenden Antrag als Indiz dafür, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zurzeit eines erreicht hat: Es ist Wasser auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern, Populisten und Extremisten. Diese posaunen doch jetzt bereits pausenlos herum, dass ihre Weltsicht von einer nicht näher genannten Elite verboten werde. Da passt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz prima ins Weltbild.

Ich mache das auch der Bundesregierung zum Vorwurf; denn sie hat den Entwurf übereilt mit heißer Nadel genäht und dann ohne gründliche Prüfung im Wahlkampf durchs Parlament gejagt. Die Quittung ist eine bundesweite AfD-Kampagne gegen das Gesetz, die ihren Anfang in der sächsischen Landtagsfraktion nahm. Die Verfassungsbeschwerde wird wohl auch folgen; lange genug angekündigt ist sie ja schon.

Tatsächlich verhandeln gerade die Sondierer in Berlin über das Gesetz. Einig ist sich Jamaika derzeit bloß in der Analyse, dass Mängel dringend behoben werden müssen. Aber wie die Neuentwicklung dann aussehen wird, ob es ein neues Gesetz oder lediglich keine Anpassungen geben wird, weiß derzeit niemand.

Aber egal wie, eines möchte ich hier ganz klarstellen: Auch wenn ich das Gesetz kritisiere, habe ich nichts mit irgendwelchen Verschwörungstheoretikern, Populisten oder Extremisten zu tun. Ich möchte mit denen auch in keiner Weise gleichgestellt werden. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor wir fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir gemeinsam Mitglieder und Gäste der Wählerinitiative Graue Panther Dithmarschen und des SPD-Ortsverbandes Brunsbüttel. - Ganz herzlich willkommen!

(Beifall - Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

- Ich bin nicht alleine heute, Herr Kollege Arp.

(Weitere Zurufe - Heiterkeit)

Wir fahren jetzt fort. - Zu einem Kurzbeitrag hat das Wort Frau Abgeordnete Fürstin Doris von Sayn-Wittgenstein von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin hier zweimal ungerechtfertigt angegriffen worden. Ich habe erst durch den Artikel im „Tagesspiegel“ erfahren, dass ich Mitglied in dieser Gruppe bin, und habe mich sofort verabschiedet.

Ich komme aus einer Familie, die über die ganze Welt verteilt ist; ich habe auf der ganzen Welt Verwandte. Nichts liegt mir ferner als Rassismus. Sie werden im Netz nichts Rassistisches und auch keinen Hass von mir finden.

Allerdings stand monatelang nach einer Veranstaltung der AfD in Lübeck, auch während des Landtagswahlkampfes, Folgendes im Netz zu lesen, nachdem man mir auf der Wahlkampfveranstaltung die Reifen meines Autos zerstochen hatte: Doris von Sayn-Wittgenstein ist eine Rassistin. Doris von Sayn-Wittgenstein ging die Luft aus. Doris von Sayn-Wittgenstein fühlt sich sicher. Sie wird sich wundern.

Auf den Seiten von Indymedia habe ich nie irgendwelchen Protest oder Empörung von Ihnen gelesen. Also sparen Sie sich doch Ihre Scheinheiligkeit.

(Beifall AfD)

Zum Schluss möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren:

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

Das steht in Artikel 19 der UN-Charta der allgemeinen Menschenrechte von 1949.

(Flemming Meyer)

Wo sind wir nach dem Krieg seit 1945 mit unserer deutschen Geschichte gelandet? - Darüber sollten wir einmal nachdenken.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rassismus und Diskriminierung im Netz können wir nur wirksam bekämpfen, wenn die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisiert, die gesellschaftliche Akzeptanz von Hassreden reduziert und gegen strafrechtlich relevante Hate Speech im Netz vorgegangen wird, und zwar in all ihren Formen.