Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

(Erneutes Niesen - Zurufe - Heiterkeit)

- Hoffentlich geht es in der Fraktion nicht so weiter.

(Lebhafte Heiterkeit - Vereinzelter Beifall)

Es geht darum, die Möglichkeiten für eine effektive Strafverfolgung im Bereich der digitalen Kriminalität zu schaffen.

Meine Damen und Herren, bevor der Präsident mich ermahnt, dass ich in vier Sekunden zum Ende zu kommen habe, darf ich zusammenfassen: Nutzen wir die Zeit, um die Praktikabilität und die Güterabwägungen mit Sorgfalt vorzunehmen. Haben wir auch den Mut, klar zu sagen: Wir haben Werte, und die gelten auch im Netz. Wir sagen dann: Wenn es tatsächlich Änderungsbedarf gibt, sollten wir das Gesetz auch ändern.

(Beifall CDU, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Beifall Volker Schnurr- busch [AfD])

Wir haben Ihren netten Wunsch auf gute Gesundheit nicht auf die Redezeit angerechnet. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Stefan Weber.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich nichts Neues von der AfD. Das denkt man, wenn man sich den Antrag anschaut: ein An

(Werner Kalinka)

trag, der von seiner Ausrichtung her im Grunde aus einem Antragsbaukastensystem zu stammen scheint - so, wie er auch von anderen AfD-Fraktionen in anderen Bundesländern gestellt wird. Im Juni 2016 zum Beispiel hatte die AfD-Fraktion in SachsenAnhalt sogar den Antrag gestellt, dass ein Parlament eine Normenkontrollklage gegen ein Gesetz beschließen sollte, das noch nicht existierte. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht; es war noch nicht in Kraft getreten. - Ein bisher einmaliger Vorgang!

Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, kurz Netzwerkdurchsetzungsgesetz, verpflichtet die Betreiber unter Androhung von Bußgeldern, Hinweise auf strafbare Inhalte zügig zu bearbeiten und diese gegebenenfalls zu löschen. Er verpflichtet Plattformbetreiber, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit den Beschwerden vorzuhalten, das für Nutzer leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar ist.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist die Reaktion des Rechtsstaats auf die zunehmende Hasskriminalität der Verbreitung strafbarer Inhalte oder Falschmeldungen, sogenannter Fake News, im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken.

Ich erinnere daran, dass Justizminister Heiko Maas in der Gesetzesdebatte darauf hingewiesen hatte, dass es vorher langwierige, wenig erfolgreiche Gespräche mit den Plattformbetreibern über freiwillige Maßnahmen gegen Hasskriminalität im Netz gegeben hatte. Währenddessen war diese Kriminalität in Deutschland innerhalb von zwei Jahren um über 300 % gestiegen.

Deshalb ist es notwendig, Recht und Gesetz auch endlich im Netz durchzusetzen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, in dem rassistische Hetze oder sonstige strafbare Äußerungen verbreitet werden dürfen.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Demokratie ist ohne das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht möglich. Es schützt zwar auch missliebige oder sogar hässliche Äußerungen; aber der Grundrechtsschutz endet dort, wo das Strafrecht beginnt. Für strafbare Hetze, für Verleumdung, darf im Netz genauso wenig Platz sein wie im realen Leben.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Viele Menschen nutzen den anonymen Raum des Internets, um ihren Hass und Frust loszuwerden. Dies können wir nicht unter dem Deckmantel der

Meinungsfreiheit dulden. Die Grenze ist da, wo die Rechte anderer verletzt werden.

Die Hasskriminalität in sozialen Netzwerken darf nicht überhandnehmen. Besser ist es, wenn sie sich überhaupt erst gar nicht breitmacht.

Ein Eingriff in Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz liegt auch deshalb nicht vor, weil sich die Verpflichtung zur Löschung bereits aus geltendem Recht - etwa § 10 des Telemediengesetzes - ergibt. Besteht also der Verdacht, dass eine Seite einen rechtswidrigen Inhalt hat, muss entweder sofort der Zugang zu dieser Seite gesperrt werden oder die jeweiligen Informationen müssen unverzüglich entfernt werden. Hier sorgt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz letztlich für eine bessere Erfüllung der Pflichten.

Warum stellt die AfD nun diesen Antrag, der das Ziel hat, eine solche Regelung zu bekämpfen? Steht sie hier als Verteidigerin der Grundrechte gegen eine angebliche Meinungsdiktatur, oder geht es ihr vielmehr darum, dass ihre eigenen Protagonisten weiter ungebremst das im Netz verbreiten dürfen, was sie unter politischer Meinungsbildung verstehen?

(Vereinzelter Beifall CDU - Widerspruch AfD)

So berichtete der „Berliner Tagesspiegel“ am 9. November 2017 unter der Überschrift „Unter Rassisten“, dass sich die AfD-Abgeordnete Frau von Sayn-Wittgenstein aktiv als Mitglied der Facebook-Gruppe „Die Patrioten“ betätigt haben soll, von der ein anderes Mitglied eine Fotomontage mit dem Bild der von den Nazis im KZ Bergen-Belsen ermordeten Jüdin Anne Frank auf einer Pizzaschachtel mit der Aufschrift - ich zitiere mit Erlaubnis - „Die Ofenfrische, locker und knusprig zugleich“, gepostet habe. Was da sonst noch so verbreitet wurde, war offensichtlich so ekelhaft, dass die Bundesgeschäftsstelle der AfD am Montag die Parteimitglieder aufforderte, diese Gruppe zu verlassen.

Wer seinen politischen Meinungsaustausch in solcher Gesellschaft pflegt, hat natürlich allen Grund, dieses Gesetz zu fürchten. Den Antrag der AfD lehnen wir daher ab.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Rasmus Andresen das Wort.

(Stefan Weber)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat, nicht dass Sie mir die Wörter selbst in den Mund legen: Hoffentlich wirst du Linksfaschist bald belästigt und bedroht, besser noch verprügelt, dann weißt du Linksfaschist, wie es zugeht. - Das ist ein Zitat, das mich betrifft, mit dem ich im Internet bei Facebook von einem Mitbürger persönlich angegriffen wurde. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie sich gerade die gesellschaftliche Debatte verändert und dass es anscheinend über bestimmte Umgangsformen keinen Grundkonsens mehr im Netz gibt. Deswegen will ich dieses Beispiel bringen.

Das betrifft viele Menschen in der Politik, die sich hauptamtlich oder ehrenamtlich politisch betätigen. Ich glaube, es gibt hier ein paar Kollegen, die auch ganz viele Beispiele aus der eigenen Kommunikation mitbringen. Das betrifft aber auch ganz viele Menschen, die sich ehrenamtlich gesellschaftlich engagieren oder zu der einen oder anderen Minderheit gehören. Herr Schaffer, ich finde es wirklich unverfroren und entlarvend, wenn Sie sich hier hinstellen und in diesem Zusammenhang von Dramatisierung sprechen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Das zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. Ganz unabhängig davon, was ich gleich noch zum NetzDG sagen will: Für uns Grüne gilt, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen und sehr stark daran interessiert sind, dass diese gesellschaftliche Entwicklung so nicht weitergeht.

Wir können feststellen, dass öffentliche Meinungsbildung seit einiger Zeit schon nicht mehr nur durch Tageszeitungen oder auf dem Marktplatz stattfindet, sondern dass Social-Media-Plattformen immer wichtiger werden und dass uns globale Konzerne wie Facebook noch einmal anders herausfordern, als das die Lokalzeitung von nebenan in der Vergangenheit vielleicht getan hat. Unser Kommunikationsverhalten verändert sich durch Facebook, YouTube, Twitter und andere grundlegend. In den sozialen Medien sind die Hemmungen, andere zu beschimpfen, niedriger als im direkten Gespräch.

Aber es geht nicht ausschließlich um Social Media, sondern um eine gesellschaftliche Entwicklung. In den sozialen Medien wird der Hass, den PEGIDA auf die Straße oder die AfD in die Parlamente trägt, massiv beschleunigt und enthemmter vorgetragen. Wir brauchen darauf gesamtgesellschaftliche Ant

worten, und wir als Grüne glauben nicht, dass das NetzDG dagegen eine hinreichende Antwort ist. Wir glauben, dass es ein politischer Schnellschuss war und rechtlich sehr viele fragwürdige Elemente beinhaltet.

Der Kollege Kalinka hat es erwähnt: Beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz geht es im Kern um die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten. Beide wiegen schwer. Es geht darum, dass Internetkonzerne zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings droht das NetzDG, Facebook und Co. zu Richtern zu machen, und das wollen wir nicht. Facebook ist ein gutes Beispiel dafür, dass solche Konzerne oftmals überfordert sind, darüber zu entscheiden, was gelöscht werden soll und was nicht.

Während historische Kriegsfotos beispielsweise aus dem Vietnamkrieg oder künstlerische Performances aufgrund von nackten Künstlerinnen von Facebook in Rekordzeit gelöscht werden, bleibt unerträgliche Hetze vom rechten Rand monatelang ohne Konsequenz online. Die Balance zwischen Übereifer an der einen und Wegschauen an der anderen Stelle kann keine Antwort sein. Facebook und Co. sind überfordert, das NetzDG hat darauf aus unserer Sicht keine ausreichende Antwort.

Wir nehmen die Befürchtungen von vielen Journalistenverbänden und anderen sehr ernst, dass das Gesetz dazu führen kann, dass Facebook präventiv mehr löschen würde, als rechtlich nötig wäre. Wir sehen aber natürlich auch einige positive Aspekte in dem Gesetz, beispielsweise den inländischen Zustellungsbevollmächtigten, der im Gesetz verankert ist. Er wird dazu führen, dass die Zusammenarbeit zwischen global agierenden Konzernen wie Facebook auf der einen Seite und unseren Strafbehörden auf der anderen Seite sicherlich besser wird.

Das reicht uns allerdings nicht aus. Deswegen sind wir so froh darüber, dass wir es geschafft haben, uns in der Jamaika-Koalition auf einen Antrag zu einigen, der den Bund auffordert, zumindest noch einmal das NetzDG zu überprüfen. Wir glauben, dass wir darüber hinaus ein gesamtgesellschaftliches Maßnahmepaket gegen Hass im Netz brauchen. Wir müssen über die Rechtsabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Regulierung sprechen, wir müssen unsere Strafverfolgungsbehörden für diese Auseinandersetzung stärken, wir müssen über Medienkompetenz reden und über eine Stärkung der Medienanstalten. Das alles müssen wir machen. Deswegen darf die Debatte nicht zu Ende sein.

Lieber Werner Kalinka, auch ich sehe das auch so. Auch in diesem Punkt könnten die Kollegen, die sich in Berlin gerade die Köpfe einschlagen, sehr viel davon lernen, wie wir uns hier auf diesen Antrag geeinigt haben. Er enthält sehr viele Lösungsansätze.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt CDU)

Kollegen der AfD, das, was Sie machen, ist allerdings etwas ganz anderes. Sie wollen das Recht auf Online-Hetze.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Ihnen ist es völlig egal, dass in den sozialen Medien widerliche Hetze verbreitet wird. Das hat Herr Schaffer deutlich gemacht. Es ist sogar Teil Ihres Geschäftsmodells, um Stimmung gegen Minderheiten und gegen andere Parteien zu machen. Hass, Hetze und Fake News im Netz sind oftmals direkt mit Ihnen als Partei verbunden.

Das Beispiel von Frau von Sayn-Wittgenstein ist schon vom Kollegen Weber genannt worden. Ich könnte andere nennen und will dies ganz kurz tun. Es geht um AfD-Politiker aus Sachsen-Anhalt, die Fotomontagen mit Obama am Galgen bei Facebook gepostet haben. Es geht um AfD-Politiker aus Berlin oder auch wieder aus Sachsen-Anhalt - das scheint eine Hochburg für Rechtsradikalismus in der AfD zu sein -, die Gewaltaufrufe von Nazis gegen Journalisten bei Facebook teilen. Damit sollten Sie sich einmal kritisch auseinandersetzten, und dazu hätten Sie hier in dieser Debatte auch einmal etwas sagen können, wenn es Ihnen wirklich wichtig wäre. Aber nein, Ihnen geht es um plumpe Stimmungsmache.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW, vereinzelt CDU)

Die lehnen wir ab. Wir wollen das NetzDG überarbeiten. Dazu gibt unser Antrag einen Anlass, und ich würde mich sehr freuen, wenn die demokratischen Fraktionen der Opposition uns dabei vielleicht unterstützen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und FDP, SSW)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Stephan Holowaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Besucher! Meinungsfreiheit lebt davon, dass wir auch der Meinung des Andersdenkenden zuhören. Sicherlich, oftmals ist die andere Meinung für den einen oder anderen von uns schwer erträglich. Wir können sie gar als widerlich empfinden, als politisch nicht korrekt, als engstirnig, als polemisch oder als nicht angepasst genug. Manch einer rutscht in den sozialen Medien gern mal auf der Tastatur aus, wie wir wissen. Das Motto „Erst denken, dann posten“ ist nicht jedermanns Sache. Den einen oder anderen wirklich widerlichen Fall haben wir eben sehr eindrucksvoll geschildert bekommen. Das haben wir gesehen.

Trotzdem: Meinungsfreiheit muss die andere Meinung ertragen. Meinungsfreiheit hat aber ihre gesetzlichen Grenzen. Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung oder Volksverhetzung und rassistische Äußerungen - wie gesagt, die Beispiele hatten wir -, sind aus gutem Grund Straftaten. Und doch ist die Abgrenzung zu einer zugespitzten Meinungsäußerung manchmal schwierig.