Protocol of the Session on March 24, 2022

Login to download PDF

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Gesetzestext: Im Sozialausschuss haben wir uns auch im Rahmen einer schriftlichen und einer mündlichen Anhörung intensiv mit dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz beschäftigt. Es ist ein Gesetz, das Inklusion und Teilhabe fördern sowie die UN-Behindertenrechtskonvention in Schleswig-Holstein umsetzen soll.

Die Anhörungen mit den vielen Stellungnahmen, für die wir uns herzlich bedanken, haben bei uns in der SPD-Fraktion dazu geführt, einen Antrag mit 15 konkreten Änderungen am Gesetzentwurf in die Beratung einzubringen. Die Koalitionäre haben eine Änderung des Entwurfs in drei Punkten eingebracht. In zweien dieser drei Punkte sind wir zu ergebnisgleichen Vorschlägen gekommen. Drei weitere Punkte waren Änderungswünsche des Sozialministeriums, die gemeinsam aufgegriffen wurden.

(Andrea Tschacher)

Darum will ich mich auf unsere zehn Änderungsvorschläge konzentrieren, die bei den Koalitionären im Sozialausschuss keine Akzeptanz gefunden haben.

Dabei betrifft ein Großteil unserer Vorschläge Konkretisierungen. Die Menschen mit Behinderung und ihre Interessenvertretungen wünschen sich, dass es konkrete Gesetzestexte gibt - ohne Relativierungen. Sie wollen, dass ihre Rechte ohne Einschränkungen Wirklichkeit werden. So wollen wir für einige Vorschläge verbindliche Formulierungen im Gesetz festschreiben.

(Beifall Birte Pauls [SPD])

Das gilt zum Beispiel für die §§ 2, 7 und 9.

Gezielt will ich auch hier im Plenum noch einmal für unseren weiteren Änderungsvorschlag zu § 9 werben. Mit einem neu formulierten Absatz wollen wir einen Vorschlag der Werkstatträte aufgreifen. Es geht dabei um Kommunikation. Wir wollen die Verpflichtung festschreiben, Kommunikation so zu organisieren, dass Bescheide, Vordrucke und Anträge verständlich formuliert und auch erläutert werden. Uns geht es darum, dass dies nicht nur „nach Möglichkeit“ geschieht. Wir wollen, dass der Rechtsanspruch verankert wird, dass die Behörden für amtliche Schreiben und generell für ihre Kommunikation eine verständliche Sprache nutzen und auf Nachfragen verständliche Erläuterungen geben.

(Beifall SPD und SSW)

Das ist eine Forderung der Werkstatträte, die, wie ich glaube, keiner Erklärung bedarf; denn sie ist richtig und notwendig.

Dann will ich auf unseren Änderungsantrag zu § 18 eingehen. Hier verlangen wir ein Verbandsklagerecht - ein Recht, das die Menschen mit Behinderung stärkt. Es geht aber nicht nur darum, als Einzelner sein Recht zu erstreiten, sondern auch darum, Barrieren grundsätzlich zu überwinden. Ich bin seit vielen Jahren in diesem Bereich aktiv und kenne kaum einen Menschen mit Behinderung, der nicht irgendwann zum Gericht gehen musste, um sein Recht einzuklagen, der sich nicht mit Gutachten auseinandersetzen musste, der als Einzelner nicht für sein Recht streiten musste.

Wenn man über die Verbände etwas machen könnte, damit nicht jeder Einzelne sich durchkämpfen muss, sondern eine Entscheidung erreicht wird, die für alle gilt, dann wäre das vernünftig. Deshalb: Geben Sie sich einen Ruck! Ein Klagerecht für die Verbände von Menschen mit Behinderungen ist sinnvoll, weil es Leben von Menschen mit Behinde

rungen erleichtert. Sie haben es doch schon schwer genug.

(Beifall SPD, SSW und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So weit zu den Änderungsanträgen, die wir heute zur Abstimmung stellen, weil wir sie für exemplarisch und wichtig halten.

Ich muss mich beeilen; ich hatte darauf vertraut, dass der Minister ein bisschen länger redet. Man kann sich nicht immer auf Heiner Garg verlassen.

(Zuruf FDP: Na, na!)

In vielen Bereichen kann man es schon, aber heute hat es einmal nicht geklappt.

(Heiterkeit und Zurufe FDP)

Ich hätte gern noch etwas zu dem Thema „Arbeit für Menschen mit Behinderung“ gesagt. Das haben wir schon im Landesaktionsplan vermisst; in diesem Gesetzentwurf vermissen wir es komplett. Dazu steht leider nichts drin.

Zum Selbstbestimmungsstärkungsgesetz, dem zweiten Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, will ich nur sagen, dass der Anhörungsprozess nicht so gut, sondern eher holprig gelaufen ist. Wir glauben, dass dieser Anhörungsprozess nachgeholt werden muss. Das wird die neue Regierung nach dem 8. Mai 2022 auf den Weg bringen. Dann wird es hoffentlich auch dazu einen gemeinsam getragenen Gesetzentwurf geben können. Aber ich glaube, es ist bereits deutlich geworden, dass wir in diesem Bereich noch genauer hinschauen müssen.

Die „unwesentliche Überziehung“ ist langsam ausgenutzt.

Ich sehe es, Frau Präsidentin; es blinkt wie verrückt. Ich setze an dieser Stelle den Punkt und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich bitte aber Sie, die Koalitionäre, doch noch einmal genau auf unseren Änderungsantrag zu schauen und sich den Ruck zu geben, den dieses Gesetz wirklich verdient. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

(Wolfgang Baasch)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun die Abgeordnete Dr. Marret Bohn.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Schleswig-Holstein leben etwas mehr als 570.000 Menschen mit Behinderungen und etwa 130.000 Menschen mit einem anerkannten Pflegegrad. Zusammen sind das mehr als 700.000 Personen, die ganz konkret von diesen Gesetzen betroffen sein werden. Deshalb freue ich mich sehr, dass wir in den letzten Monaten intensiv daran gearbeitet haben und diese beiden Gesetze jetzt in der vom Ausschuss geänderten Fassung beschließen können.

Alle Menschen mit Behinderung haben dieselben Rechte wie wir alle. Sie alle haben das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Teilhabe und das Recht auf Unterstützung, wenn sie ihre Rechte alleine nicht wahrnehmen können. Es ist eben von der Kollegin Andrea Tschacher schon gesagt worden: Inklusion ist ein Menschenrecht. Deshalb ist es unsere Aufgabe, dass wir jeden Tag dafür arbeiten, dass dieses Menschenrecht auch umgesetzt werden kann. Das ist uns Grünen, mir persönlich und - ich habe den Eindruck - auch allen Kolleginnen und Kollegen im Sozialausschuss ein großes Anliegen.

(Vereinzelter Beifall FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt ein allgemeines Verbot, Menschen mit Behinderungen zu benachteiligen. Das wollen wir hier im Gesetz konkret festhalten, damit sich alle Menschen mit Behinderung auch darauf berufen können. Ich finde, das ist im Alltag ganz wichtig, wenn es zu schwierigen Situationen kommt, dass das im Gesetz festgehalten ist.

(Zuruf Birte Pauls [SPD])

Es ist das Kernstück des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes, Menschen mit Behinderungen genau hier zu unterstützen. Ich denke, das ist wichtig und richtig, dass wir das gesetzlich festhalten.

Wichtig ist auch die Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden. Gucken Sie sich einmal in den Rathäusern und in den sonstigen städtischen Einrichtungen an, wie schwierig das teilweise ist. Es hat sich viel getan, und es ist schon vieles besser geworden, aber insbesondere im Bereich der Kommunikation haben wir noch einen langen Weg vor uns. Auch in dem

Punkt wollen wir mit den beiden Gesetzen weiterkommen.

Wir haben die Gesetzessystematik klarer, übersichtlicher und anwendungsfreundlicher gestaltet. Das Landesbehindertengleichstellungsgesetz ist moderner geworden. Es macht wieder einen Schritt nach vorn und spiegelt die geänderten gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen wieder.

Neu - und darüber freue ich mich ganz besonders ist eine Schlichtungsstelle für die Situation, in der es zu Fragen kommt, wo sich Menschen mit Behinderung nicht gut genug behandelt fühlen. Dafür gibt es ein niedrigschwelliges, kostenfreies Schlichtungsverfahren. Das ist doch viel besser, als wenn Menschen mit Behinderung zur Bürgerbeauftragten gehen oder vor Gericht ziehen und lange warten müssen. Deshalb bin ich eine große Anhängerin von diesen Schlichtungsverfahren und freue mich, dass wir das heute beschließen können.

Deutlicher geworden sind die Ansprüche auf kommunikationsunterstützende Hilfen, zum Beispiel in Form von Gebärdendolmetschung und Leichter Sprache. Die Leichte Sprache wird in den letzten Jahren hier im Parlament auch viel mehr umgesetzt. Das ist besonders für diejenigen, die die komplizierten Texte sonst nicht verstehen können, eine große Hilfe.

Klargestellt wird, dass die elektronische Verwaltungskommunikation barrierefrei gestaltet werden muss. Auch das ist ein wichtiger Schritt. Wir haben einige Fachleute aus dem IT-Bereich hier im Plenum gehört. Das war in der Anhörung ein wichtiger Punkt, dass wir dort weiterkommen.

Neben dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz haben wir das Selbstbestimmungsstärkungsgesetz überarbeitet. Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, befinden sich in einer besonderen, einer in vieler Hinsicht sehr sensiblen Situation. Ihr Lebens- und Wohnort ist nicht selbstbestimmt, sondern wird von anderen für sie organisiert. Das bringt gewisse besondere Situationen mit sich, die immer wieder an die Grenzen der Persönlichkeitsrechte der Menschen mit Behinderungen stoßen. Deshalb ist es wichtig, dass auch in diesem Spektrum nachgebessert wird und dass die Menschen, die in Einrichtungen leben und die einen besonderen Schutz und eine besondere Unterstützung von uns brauchen, die auch bekommen. Genau das regeln wir jetzt mit dem Selbstbestimmungsstärkungsgesetz.

Wir nähern uns damit Schritt für Schritt der Inklusion in Schleswig-Holstein an. Betroffen sind hiervon

ganz konkret weitere 65.000 Menschen und weitere 35.000 Menschen, die in Einrichtungen leben. Sie sehen, die beiden Gesetze, die wir Ihnen hier vorgelegt haben und an denen wir in den letzten Monaten gearbeitet haben, betreffen viele Menschen in Schleswig-Holstein. Alle sollen so gut und so selbstbestimmt wie möglich leben, auch wenn sie pflegebedürftig sind oder in Einrichtungen leben oder mit besonderen Handicaps auskommen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich beim Minister und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns den Gesetzentwurf zur Verfügung gestellt haben. Ein ganz besonderer Dank geht an die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen und an alle diejenigen, die uns bei der Anhörung noch einmal mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Ich freue mich über die Zustimmung zu beiden Gesetzentwürfen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen geht die Jamaika-Regierung einen weiteren wichtigen Schritt, um die Lebenssituation von Menschen mit Handicap und die Qualität in der Pflege in Wohnpflegeformen langfristig sicherzustellen und zu verbessern. Ich bin sehr froh, dass wir dieses Vorhaben noch vor Ende der Wahlperiode beschließen können. Dafür möchte ich mich ausdrücklich beim Sozialministerium bedanken.

(Beifall FDP und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Selbstbestimmungsstärkungsgesetz - das haben wir schon gehört - hat sich in den vergangenen zwölf Jahren grundsätzlich bewährt. In dieser doch langen Zeit haben sich jedoch an unterschiedlichen Stellen in der Praxis Anpassungsbedarfe gezeigt.

So unterliegt auch die Wohnpflegelandschaft, die wir haben, einem kontinuierlichen Wandel. Das ist prinzipiell auch gut. An vielen Stellen haben sich neue Wohnformen entwickelt, die auf dem Modell der ambulanten Pflege fußen. Grundlegend begrüßen wir solche innovativen Wege, denn sie bieten

Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderungen oftmals eine individuellere Pflege. Die starre Trennung von stationär und ambulant halten wir überwiegend für überholt. Mit den Angeboten kann auf die oftmals sehr unterschiedlichen Bedarfe des Einzelnen besser eingegangen werden. Diese Vielfalt unterstützen wir ausdrücklich.

Es ist aber auch so, dass dadurch Regelungslücken im Hinblick auf die Qualität der Pflege entstanden sind, weil es das bislang nur im stationären Bereich gab. Gerade die Intensivpflegewohngemeinschaft ist dafür ein aktuelles Beispiel. Es handelt sich bei diesen Wohngemeinschaften der Definition nach nicht um eine klassische stationäre Einrichtung, obwohl das, was dort im Alltag geschieht, von Art und Umfang schon das ist, was man häufig im stationären Intensivpflegebereich sieht. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die dort leben, können häufig aufgrund ihrer kognitiven Verfassung oder ihres Krankheitsbildes ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben selber nicht uneingeschränkt wahrnehmen. Das heißt, dass andere für sie ihre Wünsche und Belange feststellen und artikulieren müssen.