Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie und eröffne die heutige Sitzung. Ich möchte Ihnen mitteilen: Die Abgeordnete Birte Pauls von der SPD-Fraktion und die Abgeordnete Ines Strehlau von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind erkrankt. Wir wünschen ihnen gute Besserung.
Beurlaubt ist von der SPD-Fraktion Regina Poersch. Von der Landesregierung sind wegen auswärtiger Verpflichtungen heute Nachmittag Herr Minister Dr. Habeck und Herr Minister Dr. Garg beurlaubt.
Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums Altenholz und von der Jugend-Bildungsstätte Koppelsberg Lehrer, Lehrerinnen und Jugendliche. - Ganz herzlich willkommen hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Abgeordneten des SSW der Abgeordnete Lars Harms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im neuen Koalitionsvertrag auf Bundesebene haben die Koalitionspartner festgelegt, dass das Grundgesetz in bestimmten Bereichen angepasst werden soll. Leider gibt es dort keine Absprache, dass auch die Minderheiten und Volksgruppen mit in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen. Bezüglich der Minderheiten und Volksgruppen finden sich im Koalitionsvertrag nur sehr wenige unverbindliche Statements. Deshalb ist es vonnöten, hier wieder eine Diskussion zugunsten der Aufnahme der Minderheiten und Volksgruppen in das Grundgesetz anzuschieben.
Die Aufnahme der Minderheiten und Volksgruppen würde der deutschen Verfassungstradition entsprechen, die bisher nur durch das Grundgesetz unterbrochen wurde. Das hat auch schon die Gemeinsame Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates Anfang der 90er-Jahre so gesehen und damals die Aufnahme der Minderheiten und Volksgruppen in das Grundgesetz vorgeschlagen. Damals wurde dieser Vorschlag gerade auch aus Schleswig-Holstein unterstützt. In Zeiten von Separatismus und ethnischen Konflikten in Europa wäre es ein starkes Signal, wenn Deutschland gerade in dieser Situation deutlich machen würde, dass Minderheitenrechte eben auch zur Konfliktbewältigung beitragen können und dass Minderheitenrechte eben nicht gleichbedeutend mit Abschottung oder Abgrenzung der Minderheiten zur Mehrheitsbevölkerung sind, sondern im Gegensatz dazu ein Zeichen der Gleichberechtigung und des Zusammenhalts der Gesellschaft.
Ohnehin hätte eine solche Maßnahme auch eine große Bedeutung für die Mehrheitsbevölkerung, weil sich auch deutsche Minderheiten im Ausland, insbesondere in Ost- und Südosteuropa, für ihre Minderheitenrechte einsetzen und der deutsche Staat die friedliche Weiterentwicklung der Minderheitenrechte für die eigenen Minderheiten unterstützt. Was liegt da näher, als auch selbst einen guten Schritt voranzugehen und den hiesigen Minderheiten und Volksgruppen das zu gewähren, was man sich auch für die deutschen Minderheiten im Ausland wünscht?
Wir haben bewusst darauf verzichtet, im Antrag einen Formulierungsvorschlag zu machen. Unsere Idealvorstellung wäre es natürlich, eine Formulierung wie in unserer Landesverfassung zu nehmen, die den Bund auch zum Schutz und zur Förderung verpflichten würde. Allerdings haben die Beratungen Anfang der 90er-Jahre einen Formulierungsvorschlag auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner vorgesehen, nämlich eine sogenannte Achtensklausel. Selbst eine solche Achtensklausel hätte einen großen Wert für die Minderheiten und Volksgruppen. Würde man eng am Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission von 1993 formulieren, zum Beispiel: „Der Staat achtet die Identität der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe, des sorbischen Volkes und der Minderheit der deutschen Sinti und Roma“, dann würde sich hieraus ein besonderer Schutzmechanismus ergeben. Es wäre dann nicht mehr möglich, dass der
Staat bewusst oder unbewusst Maßnahmen durchführt oder Regelungen erlässt, die diesem Gruppenrecht entgegenstehen würden.
Man kann das ganz gut an einer Diskussion von vor einigen Wochen illustrieren. Die AfD hat im Bundestag einen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes mit dem Text eingebracht, ich zitiere:
explizit ohne Ausnahme für Minderheitensprachen, wie es zum Beispiel die Bundesverfassung in Österreich für Österreich vorsieht. Das heißt, dass nach dieser Formulierung alle landesgesetzlichen Regelungen zur Förderung von Minderheiten- und Regionalsprachen gesetzeswidrig würden. Wir würden hier minderheiten- und sprachenpolitisch auf null gesetzt. Mit der Aufnahme der Minderheitenund Volksgruppen in das Grundgesetz wäre dies aber unmöglich. Man erkennt also den absichernden Charakter einer solchen Bestimmung, und der würde sich natürlich auch auf einzelgesetzliche Regelungen auf Bundes- und Landesebene beziehen.
Sie sehen also, es geht hier auch darum, die Minderheitenpolitik auf Bundesebene weiterzuentwickeln und verbindlicher zu machen. Die Gelegenheit ist günstig, da das Grundgesetz ohnehin durch die Große Koalition geändert werden soll. Deshalb sollten wir rechtzeitig eine Bundesratsinitiative starten, um die Minderheiten und Volksgruppen in das Grundgesetz aufzunehmen, damit wir dann als Land Schleswig-Holstein die Chance haben, mit den anderen Bundesländern, aber auch mit Vertretern des Bundestages ins Gespräch zu kommen, damit die zukünftige Grundgesetzänderung, die sich auch auf Kinderrechte oder auf das Kooperationsverbot beziehen soll, eine runde Sache werden kann.
Meine Damen und Herren, es wäre nämlich ein tolles Zeichen, wenn im Jubiläumsjahr der Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark 2020 der Minderheitenschutz ins Grundgesetz aufgenommen werden würde. Es wäre ein europäisches Signal, das man überall sehen würde und das man in Europa dringend benötigt. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der SSW weist in seiner Antragsbegründung völlig zu Recht darauf hin, dass unsere Landesverfassung Bestimmungen zugunsten der hier ansässigen nationalen Minderheiten und Volksgruppen beinhaltet und wir damit dokumentieren, dass sie integraler Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Das Grundgesetz enthält dagegen derzeit keine spezifische Norm zum Schutz nationaler Minderheiten und Volksgruppen. - Lars Harms, du hast das ausgeführt.
Allerdings ist im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ausdrücklich das Bekenntnis zum Schutz und zur Förderung der vier nationalen Minderheiten in Deutschland - Dänen, Sorben, Friesen sowie Sinti und Roma - festgehalten.
Vor dem Hintergrund, dass Artikel 3 des Grundgesetzes jede Form von Diskriminierung wegen der Sprache oder aufgrund von Heimat und Herkunft verbietet, wird derzeit kein zwingender Handlungsbedarf auf Bundesebene gesehen, den Minderheitenschutz explizit in das Grundgesetz aufzunehmen. Verfassungsrechtlicher Schutz von Minderheiten ist damit bereits gegeben.
Zudem verbietet die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Artikel 21 Absatz 1 Diskriminierungen aufgrund der Sprache oder der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit. Überdies verpflichtet sich die Union in Artikel 22 der Charta zur Achtung der Kulturen, Religionen und Sprachen.
Der Schutz und die Stärkung der Rechte der Minderheiten innerhalb der EU sind allerdings nicht überall zufriedenstellend. Wir setzen uns deshalb auch für eine weitere Stärkung der Minderheitenrechte der europäischen Volksgruppen innerhalb der Europäischen Union ein. Ein wichtiger Bestandteil ist in diesem Zusammenhang unsere Unterstützung für die Minority-SafePack-Initiative. Sie bringt unsere Solidarität mit und den Respekt vor unseren Minderheiten zum Ausdruck.
Wir wissen, dass immer wieder heftige Konflikte in Ländern entstehen, in denen Minderheiten unterdrückt werden und Mehrheitsgesellschaften den Minderheiten keine oder nur ungenügende Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten einräumen. Wir müssen leider auch feststellen, dass dies nicht nur außerhalb Europas, sondern auch innerhalb
Europas zutrifft. Gute Minderheitenpolitik ist deshalb auch und vor allem vorausschauende Friedenspolitik.
Schleswig-Holstein hat durch seine vorbildliche Minderheitenpolitik ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Bei uns leben drei der vier nach dem Rahmenübereinkommen des Europarates geschützte Minderheiten. Diese Vielfalt ist für uns kulturell besonders wertvoll; diese wollen wir schützen, fördern und nach Kräften unterstützen.
Wir fordern auch weiterhin den Schutz und die Stärkung aller Minderheiten in Europa durch die Europäische Union. Ich hoffe sehr, dass in diesem Haus auch in dieser Wahlperiode darüber Einigkeit besteht.
In ihrem Wahlprogramm hat sich die CDU klar zu unseren Minderheiten und deren Förderung bekannt und auch die europäische Dimension beschrieben. Im Koalitionsvertrag der Jamaika-Koalition ist diese Unterstützung sehr detailliert festgehalten.
Der Deutsche Bundestag ist im Jahr 1994 nicht der Empfehlung zur Einfügung einer Minderheitenbestimmung gefolgt. Verschiedene Landesverfassungen, insbesondere die aus Schleswig-Holstein, Brandenburg und Sachsen, haben dagegen Verfassungsbestimmungen bezüglich ihrer Minderheiten und Volksgruppen.
Der SSW weist zu Recht darauf hin, dass im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD Änderungen des Grundgesetzes vorgesehen sind und dadurch die Möglichkeit bestehen würde, im Rahmen der Diskussion auch den Minderheitenschutz in das Verfahren einzubringen.
Da ein entsprechender Vorschlag für die Änderung des Grundgesetzes bis Ende 2019 vorliegen soll, sollten wir den Antrag des SSW zunächst zur weiteren ausführlichen Beratung in den zuständigen Fachausschuss überweisen und uns noch in diesem Jahr dazu eine abschließende Meinung bilden, um gegebenenfalls in das Verfahren auf Bundesebene noch eingreifen zu können.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! In der Paulskirchenverfassung von 1848 heißt es - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -:
„Den nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre volksthümliche Entwickelung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, soweit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der inneren Verwaltung und der Rechtspflege.“
In ähnlicher Form fand sich diese Bestimmung auch in Artikel 113 der Weimarer Reichsverfassung. Auch die DDR-Verfassung von 1968 stellte in Artikel 40 die Sorben unter den Schutz ihrer Muttersprache und Kultur. Das Grundgesetz von 1949 - darauf ist schon hingewiesen worden - enthält keine entsprechenden Minderheitenschutzbestimmungen. Es wurden bisher auch keine aufgenommen, auch nicht nach 1990, als mit den Sorben in Sachsen und Brandenburg eine weitere traditionelle Minderheit neben den beiden nur in Schleswig-Holstein vertretenen, also den Dänen und Friesen, dazukam.
Natürlich gehört es zu unserer Verfassungsordnung, dass völkerrechtliche Bestimmungen unmittelbare Geltung haben, also auch solche, die autochthone Minderheiten betreffen.
Es ist aber unseres Erachtens ein besonderes Zeichen, wenn unsere Minderheiten in die Verfassung prominent aufgenommen werden.
Wir erinnern uns noch daran, dass es vor nicht allzu langer Zeit mehrerer Anläufe bedurfte, um die Sinti und Roma als autochthone Minderheit anzuerkennen und insoweit mit den Dänen und Friesen in Artikel 6 unserer Landesverfassung gleichzustellen. In der Praxis bedeutet dies allerdings nicht, dass derselbe Standard auch für ihre Muttersprache gelten würde, weil die Sinti und Roma jedenfalls bisher das Romanes nicht in den öffentlichen Raum, also auch nicht in die Schulen, ziehen wollen.
SSW und SPD haben heute einen Antrag eingebracht, der über eine Bundesratsinitiative der Landesregierung erreichen soll, dass der Schutz und die Förderung von Minderheiten nicht länger als Alleinstellungsmerkmal Sachsens, Brandenburgs und