Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Alle Kinder in Schleswig-Holstein, die hier leben, sollen zur Schule gehen können. Ich will an dieser Stelle nicht lange darüber sprechen, wie wichtig die profunde Schulausbildung für den Berufsweg, die eigene Selbstständigkeit ist. Da sind wir uns hier einig, wie ich vernommen habe.

Das Thema Beschulung von Heimkindern war bereits in der letzten Wahlperiode auch in meiner Fraktion Thema, untermauert durch die Erkenntnisse aus dem PUA „Friesenhof“ sowie des Runden Tisches „Heimerziehung“. Auch durch die Tatsache, dass in Schleswig-Holstein relativ viele Ein

richtungen für Kinder und Jugendliche sind und wir viele Mutter-Kind-Kur-Einrichtungen haben, ist das Thema von großer Bedeutung.

Tobias Loose hat es schon erwähnt: Ich habe 2012 im Bildungsministerium nachgefragt, wie die Beschulung für diese Gruppen sichergestellt wird und ob alle Kinder, die schulpflichtig sind, in Schleswig-Holstein aber nicht gemeldet und in Heimen untergebracht sind, Unterricht bekommen. Das Ministerium sagte damals, das sei in der Regel der Fall. Es gebe aber auch Absprachen zwischen Erziehungseinrichtungen und der zuständigen Schulaufsichtsbehörde, um in Ausnahmefällen eine heiminterne Beschulung oder Fördermaßnahme zur Wiedereingliederung in die Schule zu ermöglichen.

Nur in besonderen Fällen, hieß es, würden Kinder und Jugendliche, die ihren Wohnsitz woanders haben, nicht unterrichtet. Uns ist klar, dass gerade Kinder und Jugendliche, die in der stationären Heimunterbringung sind, eine ganz eigene Entwicklungsbiografie haben und nicht in jedem Fall unmittelbar in eine Regelbeschulung können, wenn sie hier nach Schleswig-Holstein kommen. Oftmals liegen Schulverweigerungsproblematiken vor, deren Ursachen geklärt werden müssen. Einige Bilder sind hier schon gezeichnet worden. Im Fall der Mutter-Kind-Kur-Einrichtungen sind es oftmals nur kurze Zeitfenster, bei denen man aus der Sicht des Kindes entscheiden muss, ob es nicht doch sinnvoll ist, dass das Kind in der internen Einrichtung der Mutter-Kind-Kur-Einrichtung beschult wird und den bestmöglichen Lernerfolg erzielt, um bei Rückkehr in die Heimatstadt direkt anschließen zu können.

Als Ergebnis des Runden Tisches - das ist hier gesagt worden - gab es dann den Erlass vom 20. Oktober 2017, mit dem gleiche Verfahrensstandards zur Beschulung jedes Kinds und jedes Jugendlichen in Erziehungshilfeeinrichtungen geschaffen wurden. In dem Erlass wird auf den Anspruch zum Besuch einer öffentlichen Schule hingewiesen. Es gibt also die ausdrückliche Pflicht des Trägers der Einrichtung, einen Schulbesuch sicherzustellen - für Kinder aus Schleswig-Holstein genauso wie für Kinder aus anderen Bundesländern. Schulen müssen ein Heimkind aufnehmen, wenn ein freier Platz vorhanden ist.

In diesem Erlass wird ebenfalls deutlich, dass der Heimträger dafür Sorge zu tragen hat, dass Kinder und Jugendliche, die eben noch nicht reif für den Schulbesuch sind, die Förderung bekommen, die nötig ist, damit sie möglichst schnell am Regelunterricht teilnehmen können.

(Ines Strehlau)

Eine andere Abfrage hat im Übrigen ergeben, dass in Schleswig-Holstein 433 Kinder und Jugendliche leben, die schulpflichtig sind und genau solchen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Wir sprechen also von nicht wenigen Jugendlichen und Kindern, sondern, wie ich finde, einer ziemlich prägnanten Zahl. Das macht deutlich, vor welchen Herausforderungen wir im Bereich der sonderpädagogischen Förderung in Schleswig-Holstein stehen. Die Einigung der Jamaika-Koalition, in den nächsten Jahren 490 neue Stellen für Sonderpädagogen zu schaffen, war daher dringend geboten.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Rechtslage erscheint eindeutig. Schulpflichtige Heimkinder, die keinen Wohnsitz in SchleswigHolstein haben, sollen den Buchstaben der Gesetze und Erlasse folgend eine Schulausbildung bekommen oder zumindest eine Förderung, die sie dazu befähigt. Da die Schulen in der Praxis aus verschiedensten Gründen sehr unterschiedlich damit umgehen, befürworte ich die weitere Diskussion im Bildungsausschuss, auch die Diskussion über die Frage, ob wir eine Schulgesetzänderung auf den Weg bringen sollen. Wir müssen auch einmal in andere Bundesländer schauen, die ganz andere Regelungen haben. Wir müssen auch schauen, welche Auswirkungen das auf den Haushalt hat, ob die Landeskinderklausel noch zeitgemäß ist und in diesen Kontext passt. Das alles sind Fragen, die wir vielleicht auch im Rahmen einer Anhörung stellen sollten.

Zu Kai Vogel muss ich sagen, bei dem Hinweis auf ein Gastschulabkommen habe ich nur gelacht und gedacht: Das hätten Sie doch in Angriff nehmen können. Wir haben darüber gesprochen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion der AfD erteile ich dem Abgeordneten Dr. Frank Brodehl das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! In Schleswig-Holstein leben etwa 6.500 Kinder und Jugendliche in stationären Erziehungshilfeeinrichtungen. Nur die Hälfte dieser Kinder und Jugendlichen hat den Hauptwohnsitz in unserem Bundes

land. Der SSW spricht an, wie es um die Schulpflicht dieser Kinder bestellt ist.

Dazu ein Blick in die Praxis. Natürlich haben auch Kinder und Jugendliche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen ohne melderechtliche Hauptwohnung in Schleswig-Holstein grundsätzlich einen Anspruch auf den Besuch in einer öffentlichen Schule. Der betreffende Erlass aus dem Oktober 2017 wurde schon genannt. Was noch nicht ausdrücklich gesagt worden ist, ist, dass im Einzelfall die Schulleitung nach eigenem Ermessen über die Aufnahme dieser Kinder und Jugendlichen entscheidet. Der Grund dafür ist, dass einige Schüler durch ihre Vorgeschichte derart belastet sind, dass es tatsächlich sein kann, dass ein sofortiger Schulbesuch nicht sinnvoll ist.

Über wen sprechen wir hier eigentlich genau? Über was sprechen wir? Absentismus, innerer Rückzug, Aggression - natürlich als Folgen von oft jahrelang fehlenden Bindungen, Misshandlungen, Missbrauch, fehlender Alltagsstruktur. Für manche Kinder hat sich das so ausgewirkt, dass sie in einem regulären Schulsystem tatsächlich temporär unbeschulbar sind.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Für diese jungen Menschen ist es in dieser Situation unbedingt notwendig, dass sie zunächst einmal emotional und sozial stabilisiert werden, bevor sie eine öffentliche Schule besuchen.

Es gibt in Schleswig-Holstein eine ganze Reihe guter Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen und Schulen. Im Mittelpunkt steht dabei immer das zu beschulende Kind aus der Jugendhilfeeinrichtung. Mit einer stufenweisen Integration, wie sie bereits etwa seit 2010 durch die Schulämter SchleswigFlensburg und Dithmarschen praktiziert wird, wird auf die Schulbefähigung und Eingliederung dieser Jugendlichen hingearbeitet. Mulitprofessionale Teams, Fallkonferenzen legen hier einen Fall zur Integration fest. Die Erziehungseinrichtung, die Schulleitung, die Schulleitung der Regelschule und eine zusätzliche Beratungslehrkraft des zuständigen Förderzentrums entscheiden über die Eingliederung in das Schulsystem. Nach § 43 des Jugendförderungsgesetzes definiert diese Fallkonferenz die Gründe, die eine Beschulung aktuell möglich oder eben nicht möglich machen. Kann der junge Mensch etwa aus erzieherischen Gründen weder eine öffentliche noch eine genehmigte Ersatzschule besuchen, dann ist die Jugendhilfeeinrichtung gefordert.

(Anita Klahn)

Hier gibt es bereits einige nachahmenswerte BestPractice-Beispiele, an denen wir uns orientieren können. Ich nehme ein Beispiel von mehreren. Die Jugendhilfeeinrichtung St. Nicolaiheim Sundsacker bietet für Kinder und Jugendliche, die aus den unterschiedlichsten Gründen temporär nicht im Regelschulbereich beschulbar sind oder einen Regelschulbesuch verweigern, ein Zusatzangebot. Das nennt sich schulische Integration. Durch die gezielte Unterstützung und Förderung wird in enger Zusammenarbeit mit der Schule, im Förderzentrum und im Elternhaus eine Wiedereingliederung oder eine Ersteingliederung dieser Kinder in die öffentliche Schule erreicht. Die schulische Förderung erfolgt dabei aus pädagogischer Sicht mit einem hervorragenden Stellenschlüssel. Das sieht in der Praxis so aus, dass wir eine Gruppe von sechs Schülern mit einer Dreiviertellehrerstelle und einer zusätzlichen vollen sozialpädagogischen Stelle haben. Dieses Modell ist erfolgreich. Es zeigt zugleich, wie wichtig diese kleine Lerngruppe und dieser gute Personalschlüssel sind.

Meine Damen und Herren, es gibt also bereits gültige und erfolgreiche Verfahrensweisen für die Eingliederung von Kindern und Jugendlichen aus diesen Einrichtungen in unsere öffentlichen Schulen, und zwar unabhängig davon, wo diese jungen Menschen mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Ich denke, dass wir im Bildungsausschuss genau darüber beraten und uns an der Frage orientieren können: Warum arbeiten diese Best-Practice-Beispiele so erfolgreich und warum nicht? Dann wird sich auch klären, ob man das Gesetz insgesamt noch einmal ändern muss oder nicht. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Landesregierung hat das Wort die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits nach jetziger Rechtslage ist sichergestellt, dass jedes beschulbare Kind in Schleswig-Holstein in eine öffentliche Schule aufgenommen wird. Damit werden die in Artikel 10 Absatz 3 Satz 2 der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung garantierten Rechte aller in Schleswig-Holstein lebenden Kinder - Sie kennen das - auf gewaltfreie Erziehung, soziale Sicherheit und die Förderung ihrer

Entwicklung und vor allem auch das Recht auf Bildung gewährleistet.

Es ist von verschiedenen Vorrednern angesprochen worden, in Schleswig-Holstein gibt es zahlreiche Erziehungshilfeeinrichtungen, insbesondere in den Kreisen Schleswig-Flensburg, Nordfriesland, Dithmarschen und Rendsburg-Eckernförde, in denen auch viele Jugendliche leben, die in Schleswig-Holstein nicht ihre melderechtliche Hauptwohnung haben. Diese jungen Menschen sind gemäß § 20 Absatz 1 Satz 2 des Schulgesetzes in Schleswig-Holstein zwar nicht schulpflichtig, das ist herausgearbeitet worden, aber sie haben grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer öffentlichen Schule.

Zu dieser Thematik haben Sie alle in den vergangenen Jahren zu Recht kontroverse Diskussionen geführt. Es hat den erwähnten Runden Tisch zur Heimerziehung und den Untersuchungsausschuss zum Friesenhof gegeben. Deshalb war es mir - deshalb war es der Jamaika-Regierung - wichtig, zum Abschluss dieser Debatte eine Rechtslage zu schaffen, die genau diese Unsicherheit, die vorher entstanden war, beseitigt. Wir haben deshalb im Oktober 2017 den erwähnten Erlass zur schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen in Erziehungshilfeeinrichtungen erlassen und veröffentlicht.

Der Jamaika-Regierung war es wichtig, dass mit diesem Erlass alle in einer Erziehungshilfeeinrichtung untergebrachten Kinder und Jugendlichen in der Regel umgehend in einer öffentlichen Schule oder einer Ersatzschule beschult werden. Eine etwaige Unklarheit der Rechtslage vorher haben wir damit beseitigt.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Nun geht es natürlich aber auch darum, die Umsetzung sicherzustellen. Es ist von Einzelnen erwähnt worden, dass es bei den Schulämtern unterschiedliche Praktiken gibt. Deshalb haben wir in diesen Erlass auch Mechanismen aufgenommen, um die Umsetzung sicherzustellen. Es gibt eine unverzügliche Anzeigepflicht der Erziehungshilfeeinrichtung über die Aufnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen im schulpflichtigen Alter. Unsere Schulämter wissen also, wenn Kinder zu uns ins Land kommen, dass in einem weiteren Verfahren in enger Abstimmung insbesondere mit der zuständigen Schulaufsichtsbehörde und mit dem Förderzentrum die Klärung der weiteren Beschulung des Kindes oder des Jugendlichen erfolgt. Über die Aufnahme in die

(Dr. Frank Brodehl)

Schule entscheidet die Schulleitung nach pflichtgemäßem Ermessen. Ich kann Ihnen als Juristin aber sagen: Dieses Ermessen ist in den Fällen auf null reduziert, in denen das Kind erstens beschulbar ist und die Schule zweitens einen Platz hat.

Eine Ausnahme für die unverzügliche Beschulung des Kindes oder des Jugendlichen besteht nur dann, wenn zu dem entsprechenden Zeitpunkt keine Beschulbarkeit besteht. Dann aber besteht die Verpflichtung, eine passende Übergangsmaßnahme, die ausdrücklich auf den Schulbesuch vorbereitet, vorzunehmen. Es liegt also dann beim Träger der Einrichtung, im Einvernehmen, das betone ich, mit der zuständigen Schulaufsichtsbehörde dafür zu sorgen, dass diese Kinder und Jugendlichen einen anderweitigen Schulunterricht erhalten und nach § 43 Jugendförderungsgesetz eine besondere pädagogische Förderung erhalten, die sie wiederum auf den regulären Schulbesuch vorbereitet.

Die Träger von Erziehungshilfeeinrichtungen sind in der Pflicht, eine Konzeption über die Umsetzung dieser Vorgabe vorzulegen, und wir kontrollieren dies auch. Sonst bekommen Sie keine Betriebserlaubnis. Auch das ist natürlich eine Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem Friesenhof.

Eine andere, zum Beispiel eine einrichtungsinterne Vorbereitung auf den Schulbesuch kann ausdrücklich nur noch vorübergehend sein. Dies gewährleistet der Erlass durch ein transparentes, einheitliches Verfahren unter Einbeziehung aller relevanten Akteure. Entscheidend ist also in Schleswig-Holstein nicht die Frage nach dem melderechtlichen Hauptwohnsitz, sondern ausschließlich die Frage, ob das Kind oder der Jugendliche beschulbar ist. Die Beschulbarkeit ist, anders als die Frage des Hauptwohnsitzes, ein Kriterium, das im Interesse aller Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen eine sachgerechte Entscheidung ermöglicht.

Heimkinder mit Hauptwohnung in anderen Bundesländern bleiben also nicht unbeschult, sondern werden entweder - und zwar im Regelfall - unmittelbar

in eine Schule aufgenommen oder ansonsten zielgerichtet auf eine Wiedereingliederung in die öffentliche Schule vorbereitet. Mit welchen großen Herausforderungen das verbunden ist, ist hier dargestellt worden.

Aus meiner Sicht besteht kein Anlass für eine Änderung der Rechtslage. Ich denke, wir würden gut daran tun, diese neue Erlasslage, die erst seit einigen Monaten in Kraft ist, erst einmal auf ihre Umsetzung hin zu überprüfen. Ich glaube, für Aktionismus gibt es da im Moment keine Veranlassung. Das Ziel des Gesetzentwurfs ist selbstverständlich richtig, und ich finde es auch gut, wenn dieses wichtige Thema in den Ausschussberatungen noch einmal näher beleuchtet wird. Dennoch ist nach Auffassung des Ministeriums eine Änderung der Rechtslage im Augenblick nicht erforderlich. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 19/670 an den Bildungsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche die Tagung und schließe die heutige Sitzung bis morgen 9 Uhr. Wir setzen die Tagung morgen früh um 9 Uhr fort. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:47 Uhr

(Ministerin Karin Prien)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenografischer Dienst