Protokoll der Sitzung vom 29.06.2017

- Das lag auch am SSW, definitiv. Das nehmen wir auch selbstkritisch zur Kenntnis. Das ist so.

Allerdings gehört das mit zu einer Demokratie. Ich habe schon am Wahlabend gesagt, dass das eigentlich etwas ist, was mich immer wieder freut, nämlich dass Demokratie auch Wechsel darstellen kann, dass wir hier schon viele verschiedenartige Regierungen gehabt haben. Aber wir haben immer alle in irgendeiner Art und Weise vernünftige Übergänge hinbekommen.

Deshalb sage ich auch ganz deutlich schon im Vorwege: Wir wollen eine konstruktive Oppositionsarbeit leisten. Das heißt nicht, dass wir alles in Bausch und Bogen verdammen. Das werden Sie gleich auch noch an meinen Kommentaren zum Koalitionsvertrag merken. Allerdings werden wir da, wo wir uneinig sind, diese Uneinigkeit natürlich auch deutlich machen. Trotzdem: Gute Vorschläge,

die von der Regierung und von den Regierungsfraktionen kommen, werden wir unterstützen. Wir erwarten natürlich auch, sollten wir einmal einen guten Vorschlag haben - was ja nicht so ganz unwahrscheinlich ist -, dass uns dann auch die regierungstragenden Fraktionen bei unseren Initiativen unterstützen werden.

(Beifall SSW, vereinzelt CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ebenfalls schön ist, dass wir in unserer Gemeinschaft der Demokraten einig darüber sind, dass bestimmte politische Felder auch weitergeführt werden. Jetzt stelle ich mich nicht hier hin und sage, was alles Küstenkoalition 2.0 ist, denn wir haben das - ich bin ja schon länger hier in diesem Landtag - öfter erlebt, dass Regierungen bestimmte Sachen, die andere Regierungen angefangen haben, auch weiterführen.

Ich nenne die Haushaltskonsolidierung, die uns schon seit langen Jahren eint. Ich erinnere immer wieder gern daran, dass wir die Schuldenbremse hier auch gemeinsam beschlossen haben - ohne die Linken, aber sonst mit allen anderen Fraktionen, die hier schon länger tätig sind. Meine Damen und Herren, auch das Programm IMPULS bleibt, MOIN.SH bleibt, die 500 Stellen bei der Polizei werden so fortgeführt, wie wir es auch als Küstenkoalition vorgehabt haben. Der Straßenbau bleibt, wird sogar ausgebaut. Das Kita-Geld bleibt vorerst. Da wird angestrebt, eine neue Finanzierung auf die Beine zu stellen. Die Grunderwerbsteuer bleibt - auch das muss man feststellen. Die Krankenhausförderung bleibt - auch in der gleichen Höhe, was ganz, ganz wichtig ist. Die Planungsverfahren bei der Windenergie bleiben. Die Resozialisierung und der moderne Strafvollzug bleiben. 100 % Unterrichtsversorgung bleibt. Westküsteninitiative bleibt. Der Kulturdialog soll fortgesetzt werden. Selbst - das freut mich persönlich ganz besonders - das Tariftreuegesetz soll bleiben.

Man sieht also: In der Gemeinschaft der Demokraten sind wir durchaus in der Lage, Projekte weiterzuführen. Ich finde, das ist etwas, was unsere Demokratie von anderen Ländern unterscheidet, und es ist es durchaus wert, immer wieder hervorgehoben zu werden.

Aber wenn man sich den Koalitionsvertrag näher anguckt, guckt man natürlich erst einmal ein bisschen kritisch drauf. Man liest, liest und liest, und man merkt dann: Oh Gott, die Jamaika-Koalition arbeitet ein bisschen wie der TÜV. Die Worte „es wird geprüft“, „überprüft“ oder „geprüft werden

(Jörg Nobis)

soll“ finden sich insgesamt 118-mal im Koalitionsvertrag. Es wird also sehr oft geprüft. Wenn man ganz ehrlich ist, ist das ein Zeichen dafür, dass man sich in den drei Wochen, in denen man verhandelt hat, noch nicht auf alles einigen konnte. Überall da, wo steht: „Es wird geprüft“, da ist so richtig Pfeffer drin, da werden noch Diskussionen in der Koalition geführt werden müssen. Wir freuen uns in diesem Parlament darauf, uns an diesen Diskussionen entsprechend beteiligen zu können.

(Beifall SSW)

Meine Damen und Herren, jetzt aber zu den wirklich vielen konkreten Inhalten und Festlegungen, die sich im Koalitionsvertrag finden. Ich möchte eine - fast schon Orchidee - voranstellen, die noch keiner genannt hat - drolligerweise -, die ist uns aber sehr wichtig, nämlich die Gedenkstättenarbeit. Sie ist im Koalitionsvertrag genannt. Für uns ist es ganz, ganz wichtig, dass wir diese Arbeit weiterführen, dass das erarbeitete Konzept für die Neulandhalle umgesetzt wird, dass wir unsere Gedenkstätten - in meinem Wahlkreis zum Beispiel, in Husum-Schwesing, aber auch Ladelund und die im Hamburger Rand, wo es zahlreiche Gedenkstätten gibt - weiter unterstützen. Wir haben auch die Gedenkstätte in Lübeck-Schlutup, die inhaltlich noch besser aufgestellt werden muss.

Ich glaube, diese Gedenkstätten sind unheimlich wichtig in Zeiten, in denen wir von Radikalismus sowohl von links wie auch von rechts und auch religiös motiviert - und von Fake News umgeben sind. Da ist es wichtig, sich auch immer wieder auf die Fehler der Vergangenheit zu besinnen, diese anzunehmen und diese Fehler entsprechend aufzuarbeiten. Dazu sind unsere Gedenkstätten da. Es ist ganz, ganz wichtig, auch vor dem Hintergrund, dass wir rechten, linken und auch religiösen Fanatismus bekämpfen wollen, dass wir die Gedenkstättenarbeit weiter fortführen.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Frank Bro- dehl [AfD])

Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Programme gegen rechts, gegen links und gegen religiösen Radikalismus. Auch daran muss weiter gearbeitet werden. Ich habe nicht so sehr die große Sorge, dass das nicht so geschehen wird. Wir werden dabei jedoch auch - das ist ein Bild derselben Medaille Polizei und Verfassungsschutz stärken müssen. Auch da sind wir uns einig.

Wir sind uns allerdings uneinig, wenn es darum geht, massiv anlasslos zu überwachen. Auch den

Sinn von Fußfesseln haben wir beim SSW immer noch nicht erfasst. Da wird bei uns noch Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Ich glaube, man muss noch einmal darüber reden, wie man das genau umsetzt. Ich glaube aber, wenn es darum geht, Programme gegen Rechtsradikalismus, gegen Linksradikalismus und gegen religiösen Radikalismus auf den Weg zu bringen, wenn es darum geht, Polizei und Verfassungsschutz personell, inhaltlich und ausstattungsmäßig zu unterstützen, sind wir in diesem Haus sehr breit einig.

Nun kann man sich denken, wenn der SSW spricht, dass er sich auch ein bisschen auf die Minderheitenpolitik stürzt. Das gehört sich so, das erwartet man von uns, und das tun wir auch gern und mit großer Überzeugung. Der Ministerpräsident hat eben in einem Satz kurz dargestellt, dass er die Minderheitenpolitik weiterführen will in dem Sinn, dass Minderheiten weiter geschützt werden sollen. Für uns ist es wichtig, dass die Dinge weitergeführt werden, die in der Vergangenheit gemacht wurden, und auch Perspektiven für die Zukunft in diesem Politikfeld gesetzt werden.

Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir Ziel- und Leistungsvereinbarungen haben. In diesem Bereich gibt es schon einige. Wir brauchen aber auch dringend etwas für die Kulturorganisation der dänischen Minderheit, den SSF. Wir brauchen weiterhin die gerade angelaufenen Sprachangebote in Kitas und Schulen. Dort wird Dänisch, Friesisch und Niederdeutsch gefördert. Das erfolgt dort mit großem Erfolg. Die Anträge aus den Kindergärten sind richtig gut angelaufen. Wir haben jetzt die große Hoffnung, dass diese finanzielle Förderung dazu führen wird, dass die Angebote ausgeweitet werden können. Das ist sehr, sehr wichtig.

Es geht für uns natürlich um die zweisprachige Beschilderung bei uns in Nordfriesland als begonnenes Projekt. Es ist auch wichtig, dass wir bei den Sozialberatern der Sinti und Roma weitermachen. Wir haben da richtig klasse angefangen. Finanzielle Mittel stehen zur Verfügung. Wir müssen da weitermachen, um für die Sinti und Roma noch viel zu erreichen.

(Beifall SSW, FDP und Birte Pauls [SPD])

Wir können noch viel tun, wenn es darum geht, Unterrichtsmaterialien für die einzelnen Sprachen bereitzustellen und die Lehrpläne für die Regionalund Minderheitensprachen weiterzuentwickeln. Da geht es weniger um Geld, sondern wesentlich mehr um Gehirnschmalz. Genauso ist es im Übrigen bei der Umsetzung der Bestimmungen der Sprachen

(Lars Harms)

Charta, die weniger mit Fördermitteln und Geld zu tun hat, sondern eher mit der Eröffnung von sprachlichen Möglichkeiten für die Minderheiten- und Regionalsprachensprecher. Ich glaube, dass wir da noch viel erreichen können.

Bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit das hat der Ministerpräsident eben schon angesprochen - sind es der Jütland-Korridor, aber eben auch der Fehmarnbelt-Bereich, in dem wir wirtschaftliches Wachstum und - ich nenne es einmal so - kulturelles Wachstum generieren können. Dort können wir uns im wahrsten Sinn des Wortes gegenseitig befruchten.

(Heiterkeit)

Ich glaube, dass das wirklich weiter gefördert werden muss.

Wir brauchen sowohl im Grenzbereich bei der physischen Landgrenze als auch im Fehmarnbelt-Bereich eine gemeinsame Kulturregion. Weil ich diese Region bei uns im Norden schon als eine gemeinsame Kulturregion auffasse, bin ich besonders froh, dass die Koalition, die sich jetzt etabliert hat, ganz klar ein Bekenntnis zu offenen Grenzen im Schengen-Raum und damit auch bei uns im Norden in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Ich glaube, dass das eine gesunde Basis für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist. Wir werden das unterstützen.

(Beifall SSW und CDU)

Im Koalitionsvertrag fehlt ein bisschen die Ostseeund Nordseekooperation. Das muss nichts bedeuten; es kann ja trotzdem sein, dass sie weitergeführt werden. Die Ostseekooperation ist noch da, die Nordseekooperation ist gar nicht genannt. Es ist allerdings dringend notwendig, dass wir diese Bereiche weiter bearbeiten.

(Beifall Klaus Schlie [CDU] und Regina Poersch [SPD])

Wir haben in der Ostseezusammenarbeit wirklich schon viel erreicht. Bei der Nordseekooperation haben wir auch gerade mit den drei niederländischen Provinzen Friesland, Drenthe und Groningen eine Kulturvereinbarung beschlossen - einen Letter of Intent, wie ich es einmal nennen will. Wir können da etwas hinbekommen, das auch vor dem Hintergrund des Brexit Sinn macht. Das ist nämlich auch Nordseekooperation.

(Beifall SSW, vereinzelt CDU und SPD)

Wir müssen darauf achten, dass wir die Briten nicht alleinlassen. Insofern denke ich, dass wir da noch etwas Gehirnschmalz hineinsetzen können.

Meine Damen und Herren, kommen wir nun zu einem etwas Kritischeren, dem Bereich Schule. Wir als SSW waren nicht die größten Fans von G 8. Wir meinten aber schon und sind heute immer noch davon überzeugt, dass es klug gewesen wäre, einfach einmal Ruhe im System zu lassen und dort, wo G 8 ist, G 8 zu lassen, und dort, wo G 9 ist, G 9 zu machen. Nun kommt es anders. Wir werden sehen, wie es enden wird. Wenn man so will, ist das ein klarer Sieg der CDU. Der Kollege Tobias Koch hat es eben bereits dargestellt: Um die 75 % zu erreichen, muss man schon alle Schüler überstimmen. Ich kenne es von meinen eigenen Kindern: Die sind auch lieber entspannt zur Schule gegangen. Insofern werden wir flächendeckend G 9 kriegen.

Viel schwerwiegender ist, wie ich glaube, der Beschluss, die Lehrerbildung wieder auseinanderzuziehen. Es ist eine richtige Krux, jetzt zu sagen, man brauche Gymnasiallehrer, und diejenigen, die an Gemeinschaftsschulen auf Gymnasialniveau unterrichten, müssten irgendwie anders ausgebildet werden, damit man sagen kann: So ein Gymnasiallehrer ist etwas ganz Tolles, und alle anderen Lehrer sind irgendwie Lehrer zweiter Klasse. Ich glaube nicht, dass das richtig ist.

Zum einen schädigt es den Standort der Universität Flensburg. Ich sehe das wirklich als eine Bedrohung an. Zum anderen glaube ich, dass es ein Problem werden kann, wenn es darum geht, die Durchgängigkeit der Studiengänge zwischen Flensburg und Kiel hinzubekommen. Das war als Küstenkoalition unser Ziel, das wir umgesetzt haben. Das wird jetzt wieder schwieriger gemacht. Ich glaube nicht, dass man sich irgendwann hinstellt und sagt: Na ja, so ein Gemeinschaftsschullehrer, das ist nun genau der gleiche Lehrer wie der Gymnasiallehrer, die Studiengänge an den Hochschulen heißen nur anders, und deswegen können die von einem Studiengang zum anderen wechseln. - So wird es nicht sein.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Es wird wirklich schwierig werden. Ich glaube, dass das wirklich ein Rückschritt ist. Es ist vor allem teuer, wenn man an beiden Universitäten eine größere Infrastruktur vorhalten muss.

(Beifall SSW und SPD)

Wirklich schade ist, dass im Koalitionsvertrag die Gleichstellung der Grundschullehrer nur mit dem

(Lars Harms)

Hinweis erwähnt wird: Wenn alle Welt in irgendeiner Art und Weise mitmacht, dann werden wir uns darüber auch eine Rübe machen, ob wir Grundschullehrer gleich besolden können, wenn es möglich gewesen wäre, das finanziell zu wuppen. Wir gehen davon aus, dass das ab 2020 möglich sein wird, es ist ja sogar jetzt schon möglich, nachdem auf Bundesebene der Länderfinanzausgleich entsprechend beschlossen worden ist -, hätten wir uns vorgenommen, sämtliche rechtlichen Regelungen zu schaffen, um die Grundschullehrer tatsächlich mit A 13 zu besolden. Ich glaube immer noch, dass es möglich ist. Nehmen Sie das ein bisschen als Wunsch und Aufforderung, sich noch einmal Gedanken darüber zu machen, ob es nicht vielleicht doch für das Land Schleswig-Holstein schöner sein könnte, dies als erstes Bundesland einzuführen und an der Spitze der Bewegung zu stehen, als abzuwarten, bis andere damit anfangen.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD)

Ein nächster Punkt sind die Kindertagesstätten. Das Kita-Geld bleibt erst einmal. Es war auch nicht anders zu erwarten. Nun möchte man ein einheitliches Verfahren bei der Verteilung der Landesmittel und eine Regionalentlastung bei den Elternbeiträgen. Wie das laufen soll, weiß ich noch nicht. Die Elternbeiträge liegen zwischen knapp über 90 € und weit über 500 €. Es ist gar nicht so einfach, da eine Angleichung hinzukriegen. Es wäre aber toll.

Für uns ist es ganz wichtig, es wirklich hinzukriegen, dass im ganzen Land die Kindergartenbeiträge einheitlich sind. Ich spreche nicht davon, dass alles kostenlos wird. Wir wissen alle, dass das eine Vision ist und es uns alle möglicherweise auch eint, dass wir da irgendwann einmal hinkommen wollen. Ich fände es aber schon gerecht, wenn die Kindergartenbeiträge überall gleich wären und nicht in einer Region abgesenkt würden, in einer anderen aber nicht, sondern dass man dort zu einem gerechten Schlüssel käme. Der Maurermeister wird nämlich im Regelfall überall ähnlich bezahlt. Es wäre schade, wenn der Maurermeister in Norderstedt immer noch richtige Schwierigkeiten hätte, seinen Kindergartenbeitrag zu zahlen, und auf eine Sozialstaffel angewiesen wäre, der Maurermeister bei mir in Dagebüll es aber nicht wäre. Da muss man vielleicht noch einmal genau gucken, wie man Gerechtigkeit hinbekommt.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Kommen wir nun zu dem Bereich Wirtschaft und Infrastruktur. Straßenbau - Sie kennen mich -:

(Heiterkeit)

Ich mag Straßen. Es ist wirklich zu begrüßen, dass dort noch mehr geschehen soll. Das ist okay und wirklich gut. Ich glaube allerdings, dass es auch für die neue Koalition eine große Herausforderung sein wird, die Planungskapazitäten aufstocken zu können. Ich sage Ihnen ganz klar, dass es nicht einfach wird. Wir haben es versucht und uns daran die Zähne ausgebissen: nicht nur am Besoldungsrecht, sondern auch, wenn man es auslagert, an den Planungskapazitäten der jeweiligen Planungsbüros. Das ist nicht so einfach. Insofern sage ich aus unserer Sicht ganz klar: Wir würden es gern sehen. Wenn es aber so nicht klappt, wie man es sich idealtypisch vorstellt, stelle ich mich hier nicht hin und sage, das ist alles Käse, denn wir haben es auch fünf Jahre lang versucht. Es war nicht ganz einfach.