Protokoll der Sitzung vom 19.07.2017

Klar: Auch diese Regelung wird von einem eigenartigen Gemisch von Klein- und Kleinstparteien beklagt. Schauen Sie auf die Seiten 16 und 17 in der Begründung unseres Gesetzentwurfs, auch wenn es die klagende Sauerländer Bürgerliste wahrschein

(Thomas Rother)

lich noch saurer machen wird: Dort wird noch einmal die Autonomie der Länder im staatsorganisatorischen Bereich aus dem Grundgesetz hergeleitet und dies gilt dann auch für das Wahlrecht und das Wahlsystem. Nur dann, wenn die Sperrklauseln für Landtags- und Bundestagswahlen fielen, was kaum zu erwarten ist, wäre die kommunale Sperrklausel aufgrund der Klageerhebung dieser Organisation hinfällig.

Auch das Argument der Homogenität des Kommunalwahlrechts zieht nicht. Sonst hätten wir nur ein Zählverfahren und nicht drei. Also ist hier Gelassenheit angebracht.

Aufgrund der Eingriffstiefe dieser Regelung haben wir sie natürlich ausführlich begründet. Liebe Frau Nicolaisen, unsere Begründung zur Änderung des Wahlrechts in Bezug auf die Gemeinden Boostedt und Seeth auf den Seiten 20 und 21 der Drucksache 19/79 stellen wir den Koalitionsfraktionen gern zur Verfügung, damit Ihr Gesetzentwurf rechtswirksam werden kann.

Einige Aspekte zur Begründung unseres Gesetzentwurfes möchte ich besonders hervorheben. Die zunehmende Zersplitterung in den Kommunalvertretungen ist eine Tatsache, die uns durch die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage unseres Ex-Kollegen Dr. Breyer in der Drucksache 18/3805 bestätigt wurde. Wir können alles andere als sicher sein, dass hier schon das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Die Folge ist eine Zunahme der Verfolgung von Teilinteressen zulasten des Gemeinwohls. Arbeitsteilung und Informationsverarbeitung oder gar eine Wahlkreisbetreuung ist für Einzelvertreter oder Kleinstgruppen kaum möglich. Stabile Mehrheiten in den kommunalen Vertretungen sind über zeitweilige Zweckbündnisse hinaus immer schwerer zu vereinbaren. Das kann zu Kopplungsabreden führen, die widersprüchliche Beschlüsse der Gemeindevertretung zur Ausführung an die Verwaltungen herantragen.

Damit machen Ratsentscheidungen oftmals immer mehr ratlos - von einer längerfristigen und verlässlichen Haushaltswirtschaft ganz zu schweigen. Hinzu kommt, dass die zeitliche Beanspruchung der ehrenamtlichen Mitglieder einer Gemeindevertretung ins kaum Erträgliche steigt. Das fördert auch die Vergreisung der Vertretungen. Mein Kollege Klaus-Peter Puls, der damals den Gesetzentwurf mit unterschrieben hat, sagte mir ein paar Jahre später: Hurra, wir haben es geschafft, wir haben keinen unter 60 mehr in der Stadtvertretung in Reinbek. Das ist dann natürlich auch eine Folge dieser Zersplitterung.

(Zuruf Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es fördert eben die Vergreisung der Vertretungen, denn Erwerbstätigen mit einem Vollzeitjob sind Marathon-Sitzungen bis spät in die Abendstunden nicht zuzumuten.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eigentlich wäre es mit nur einer Par- tei am einfachsten! - Lars Harms [SSW]: Dann müsste die SPD-Fraktion eigentlich nur noch aus 18-Jährigen bestehen! - Weitere Zu- rufe)

- Liebe Frau von Kalben: Ich kenne Gemeindevertretungen, wenn Sie sich die anschauen, nachdem die Grünen damals noch in den 80er-Jahren oder in den 90er-Jahren eingezogen sind:

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Da haben sich die Sitzungszeiten verdoppelt. Manchmal war das berechtigt. Ob das aber immer so war, ist eine ganz andere Frage.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es kommt immer auch auf die Quali- tät an!)

- Genau. In der Tat ist es aber mehr Quantität, die dort erreicht wurde. Kleine Parteien haben die Tendenz, Dinge, die nicht in eine Gemeindevertretung gehören, sondern beispielsweise in den Landtag oder Bundestag, dort zu beraten, weil ja eigentlich jeder - und damit auch die Kommune - betroffen sein könnte.

Bei der Kommunalverfassungsreform vor gut 20 Jahren mit der Abschaffung der Magistratsverfassung hatten die Fraktionen im Landtag ein Regierungs-Oppositionsmodell in den kommunalen Vertretungen befördert, um eine stimmige und verlässliche Politik gestalten zu können. Davon sind wir in der Praxis aber weit entfernt. Alternativen zur Einschränkung der Zersplitterung sind nicht erkennbar. Auch eine Mindestfraktionsstärke hilft letzten Endes wenig - ich hatte es schon angesprochen. In der Praxis führt das nur zur Bildung von Zweckfraktionen, um arbeitsfähig zu sein, damit aber auch zu mehr Aufwandsentschädigung und mehr Geschäftsführerjobs. Daher ist unser Vorschlag einer 2,5-%-Sperrklausel moderat, angemessen und sachgerecht und trägt zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit und zur ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung in den kommunalen Vertretungen bei.

(Thomas Rother)

Hinzu kommt, dass viele kleinere Vertretungen von dieser Regelung gar nicht betroffen sind, weil dort 5 % sowieso nicht für ein Mandat ausreichen. In Nordrhein-Westfalen haben nicht nur die seinerzeit regierende SPD und die seinerzeit regierenden Grünen einer ähnlichen Regelung zugestimmt, auch die CDU war mit dabei. Ich wünsche den hier regierenden Grünen die Einsicht ihrer nordrhein-westfälischen Parteifreundinnen und -freunde, dass es der Demokratie eben nicht dienlich ist, wenn man ihr bei jeder Gelegenheit Knüppel zwischen die Beine wirft. Die altgrüne Haltung, Sand im Getriebe der Politikmaschine zu sein, mag romantische Seelen Burkhard Peters - noch erreichen, ist aber angesichts der grünen Schmiere im Getriebe dieser Regierung wirklich lächerlich.

(Lachen Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Am 1. Juni 2016 kritisierte die Kollegin Nicolaisen die Wahlrechtsreform der damaligen Koalition, die aus ihrer Sicht weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Die Kommunen bräuchten durch die Einführung einer 4-%-Sperrklausel Handlungsfähigkeit in den Kommunalparlamenten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können es jetzt besser machen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Boostedt und Seeth hat die Kollegin Nicolaisen bereits alles Notwendige gesagt. Wir werden morgen im Innen- und Rechtsausschuss klären, wie wir es am besten und auch noch im Laufe dieser Landtagstagung hinbekommen, dass dieses Problem bereinigt wird.

Lassen Sie mich also gleich zum Kern der Debatte kommen:

(Lars Harms [SSW]: Ja!)

Soll es im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht wieder eine Sperrklausel geben?

(Lars Harms [SSW]: Nein!)

Bekanntlich ist sie 2008 abgeschafft worden. Das geschah auf Grundlage eines Bundesverfassungsgerichtsurteils. Da waren die Grünen nicht ganz unbe

teiligt, sie waren nämlich damals die Antragsteller. Ich hatte das große Vergnügen, die Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht zu vertreten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Bereits 2016 startete die CDU mit dem Vorschlag einer 4-%-Sperrklausel. Wir haben das gehört. Jetzt legt die CDU, befreit von irgendwelchen Koalitionszwängen, nach.

(Beate Raudies [SPD]: Wir sind nicht die CDU!)

- Die SPD, Entschuldigung.

(Unruhe)

Große Koalition, und zwar sowohl beim Gemeindeund Kreiswahlgesetz als auch in der Landesverfassung. Ganz schön tricky, aber es ist auch nicht auf eurem Mist gewachsen - dazu später.

Zunächst die Gründe, warum das Bundesverfassungsgericht 2008 der 5-%-Sperrklausel in unserem Kommunalwahlrecht den Garaus gemacht hat. Bekanntlich gelten sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach unserer Landesverfassung - Artikel 4 Absatz 1 - für Wahlen fünf eherne Grundprinzipien: die Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl. Durch eine Sperrklausel wird das Prinzip der Gleichheit der Wahl eingeschränkt, und zwar hinsichtlich der Erfolgswertgleichheit der Stimmen sowie hinsichtlich der Chancengleichheit.

Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht:

„Die Fünf-Prozent-Sperrklausel in § 10 Absatz 1 GKWG bewirkt eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen. … werden die Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswerts ungleich behandelt, je nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, oder für eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Sperrklausel gescheitert ist.... Zugleich wird durch die Fünf-ProzentSperrklausel das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit beeinträchtigt. Dieser Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit ist … nicht gerechtfertigt.“

Sperrklauseln sind nach den Urteilsgründen nur dann hinzunehmen, wenn die zu wählende parlamentarische Vertretung eine Regierung kreiert und stützt. Im Interesse der Stabilität und Funktionsfähigkeit einer solchen Regierung ist es bei Parla

(Thomas Rother)

mentswahlen - also bei Bundestagswahlen oder Landtagswahlen - ausnahmsweise zu akzeptieren, dass eine Sperrklausel bewirkt, dass eine Zersplitterung der Kräfte im Parlament die Bildung einer stabilen und funktionsfähigen Regierung verhindert oder gefährdet.

Weil Kommunalvertretungen keine Volksvertretungen sind, die Gesetze geben und Regierungen wählen, kommt bei ihnen der Rechtfertigungsgrund für eine Sperrklausel nicht zum Tragen. 2014 hat das Bundesverfassungsgericht das in Bezug auf das Europaparlament mit der gleichen Begründung so entschieden.

Eine Sperrklausel im Kommunalwahlrecht könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungen zu erwarten ist. Dabei muss eine konkrete Gefährdung in der realen kommunalen Welt empirisch nachgewiesen werden, und zwar landesweit.

(Zurufe)

Liebe SPD, da liegt der Hase im Pfeffer. In der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf wird zwar über Seiten allgemein das Lamento geführt, wie chaotisch, zeitraubend, teuer und wenig gemeinwohlorientiert das Agieren von Kleinstfraktionen oder Einzelbewerberinnen und Einzelbewerbern in den größeren Kommunalvertretungen ist. Das bleibt aber durchweg auf der Ebene der Behauptung, der Vermutung und der Befürchtung. Wir Juristen nennen einen solchen Vortrag unsubstanziiert, und unsubstanziierte Vorträge sind sowohl vor Gericht als auch in der Politik unerheblich.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Da hilft es auch nicht, dass Sie Ihr verfassungswidriges Begehren dadurch heilen wollen, dass Sie es gleich in die Landesverfassung selbst hineinschreiben. Der Gedanke dahinter lautet: Was in der Verfassung selbst steht, kann ja wohl nicht verfassungswidrig sein. - So hat es 2016 NRW vorgemacht, als es ebenfalls eine 2,5-%-Hürde einzog; Hamburg übrigens auch - in beiden Fällen leider mit Unterstützung der dortigen Grünen. Das will ich gern konzedieren.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Unsubstanziiert! - Weitere Zurufe SPD)

Das NRW-Gesetz ist aktuell von Linken, PIRATEN und sonstigen obskuren Gruppen, die Sie so genannt haben, vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster beklagt worden. Das Gericht wird sich mit

der spannenden Frage befassen müssen, ob damit verfassungswidriges Verfassungsrecht vorliegt. Ich meine ja, weil es auch innerhalb einer Verfassung eine Normenhierarchie gibt. Ihr beabsichtigter Artikel 54 Absatz 3 könnte durchaus gegen das Grundprinzip der Wahlrechtsgleichheit in Artikel 4 Absatz 1 Landesverfassung verstoßen.

Auch Ihre Ausführungen zur angeblich fehlenden Bindungswirkung des Urteils aus dem Jahr 2008 gehen in die Irre. Sie meinen, das Gericht habe sich damals ja gar nicht mit einer 2,5-%-Klausel befasst, sondern nur mit der Fünfprozenthürde. Das stimmt aber nicht. Ich hatte als Prozessvertreter - als Anwalt ist man ja immer vorsichtig - hilfsweise beantragt, wenigstens die Hürde prozentmäßig zu reduzieren, wenn das Gericht meint, 5 % gehe nicht, aber darunter gehe irgendetwas.