Jamaika verschließt sich keiner Diskussion und geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Aber für eine Novellierung des Rettungsdienstgesetzes in Sachen Bereichsausnahme müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sein. Das ist heute noch nicht der Fall. Die Entscheidung des EuGH wird im Laufe dieses Jahres erwartet. Bis dahin bitten wir um etwas Geduld. Alles andere bringt nichts.
Herr Präsident! Beim Rettungsdienst reden wir von einer pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe der Kreise und kreisfreien Städte. Die operative Durchführung kann dabei durch zum Beispiel Eigenbetriebe wie Berufsfeuerwehr, Kreisangestellte oder auch Dritte erfolgen, also den freigemeinnützigen Dienstleistern wie ASB, Malteser, Johanniter oder DRK, aber auch von freien privaten Organisationen. All diese Akteure, die in unserem Land arbeiten, leisten einen hervorragenden Job und helfen sprichwörtlich Menschen aus der Not. Vielen Dank dafür.
Im September letzten Jahres haben wir eine Novellierung des Rettungsdienstgesetzes vorgenommen. Diese war in den meisten Teilen auch unstrittig, wie zum Beispiel die Anforderungen an einen leitenden Notarzt oder aber die Qualitätsanforderungen beim Baby-Rettungswagen. Der größte Diskussionspunkt bei der 2018er-Novelle war die Debatte um die etwaige Bereichsausnahme, also ob freigemeinnützige Träger hier bevorzugt behandelt und beauftragt werden sollten. Das verabschiedete Gesetz ohne Aufnahme der Bereichsausnahme ist im Gleichklang mit den Rettungsdienstgesetzen wie beispielsweise in Niedersachsen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen.
Die fachliche Einschätzung zur Ablehnung der Bereichsausnahme ist die gleiche wie damals noch unter SPD-Sozialministerin Alheit und SPD-Sozialstaatssekretärin Langner. Uns wird von der SPD ja häufig vorgeworfen, wir führen die Arbeit der vorherigen Landesregierung einfach fort. Damit kann ich leben, wenn ihre damalige Entscheidung nicht nur zweckmäßig, sondern auch richtig war.
Die im heute vorliegenden SPD-Antrag aufgeworfene Frage ist mehr eine rechtstechnische als eine fachliche. Im § 107 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB - sind Ausnahmeregelungen für die Vergabepraxis festgeschrieben. So sind die Vorgaben über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen in bestimmten
gesetzlichen Fällen nicht anzuwenden; sie sind also vom Bereich der Vergabe ausgenommen. Zu diesen gesetzlichen Fällen können nach § 107 Absatz 1 Nummer 4 GWB Dienstleistungen des Zivilschutzes, des Katastrophenschutzes und der Gefahrenabwehr zählen, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Hier ist vom Gesetzeslaut eine Direktvergabe an eine freigemeinnützige Organisation oder Vereinigung möglich. Das bedeutet wiederum aber auch, dass damit nicht die Leistungen für den alltäglichen Rettungsdienst gemeint sind.
Wir reden nun heute über etwas, was sich in höchstrichterlicher Prüfung auf EU-Ebene beim EuGH befindet. Der Generalanwalt, dessen Einschätzung häufig gefolgt wird, hat die Chancen für eine Bereichsausnahme sehr minimiert. Es wird voraussichtlich bei jeder einzelnen Fahrt abzugrenzen sein, ob der Transport in einem Krankenwagen dies sind bei uns gänzlich Mehrzweckfahrzeuge (MZF) , die sowohl als RTW als auch als KTW genutzt werden - aufgrund eines lebensbedrohlichen Notfalls oder als normaler Krankentransport erfolgt. Dies würde enorme organisatorische als auch finanzielle Aufwände für alle Beteiligten erzeugen und wäre nach meinem derzeitigen Dafürhalten rechtswidrig.
In diesem Frühjahr wird voraussichtlich ein Richterspruch ergehen und dadurch vermutlich mehr Klarheit und Rechtssicherheit bezüglich der Möglichkeit einer Bereichsausnahme im Rettungsdienstwesen schaffen. Gerade für die Kreise und kreisfreien Städte ist die Entscheidung des EuGH bezüglich des Ausschreibungs- und Vergabeverfahrens wichtig, um nicht Klagen ausgesetzt zu werden.
Wir sollten diese Entscheidung abwarten und dann beraten, ob und inwieweit rechtliche Konsequenzen für das derzeitige Rettungsdienstgesetz in Schleswig-Holstein getroffen werden müssen. Hierauf zielt auch unser Alternativantrag ab.
Herr Präsident! Für den SSW habe ich immer wieder betont, wie wichtig ein gut aufgestelltes Rettungswesen und ein funktionierender Katastrophenschutz ist. Verlässliche und gut organisierte Strukturen können hier im Zweifel den Unterschied machen und Menschenleben retten. Dieser Bereich ist ein ganz wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge. Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass die gesetzlichen Grundlagen sorgfältig und gewissenhaft erarbeitet werden. Es ist fast noch wichtiger, dass dabei die Gesundheit der in Not geratenen Menschen im
Ganz grundsätzlich haben sich die Anforderungen an den Rettungsdienst in den vergangenen Jahren stark verändert. Es gibt bei uns in Schleswig-Holstein zum Beispiel immer mehr ältere Menschen, die oft auch zunehmend medizinisch versorgt werden müssen. Allein durch diese Entwicklung ist die Gesamtzahl der Notarzt- und Rettungswageneinsätze in den letzten 20 Jahren um rund 50 % gestiegen. Aber auch Großschadensereignisse wie Hochwasser oder Unfälle nehmen zu. Auch die qualitativen Anforderungen an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind heute andere, als noch vor 10 bis 15 Jahren. Die Versorgung hat sich natürlich auch hier weiterentwickelt. Rettungsassistenten haben längst eine ganze Reihe von immer anspruchsvolleren Aufgaben.
Deshalb will ich auch mit Blick auf die Debatte zum Rettungsdienstgesetz vor einigen Monaten eins klar sagen: Viele Änderungen sind sinnvoll und notwendig und werden von uns unterstützt. Natürlich müssen wir die gesetzlichen Grundlagen regelmäßig anpassen.
Gleichzeitig ist es aber kein Geheimnis, dass bei einem recht zentralen Punkt des Rettungsdienstgesetzes weiterhin Uneinigkeit herrscht, und zwar bei der Aufnahme der Bereichsausnahme. Hier geht es um die Frage, ob Hilfsorganisationen, die auch Aufgaben im Katastrophenschutz wahrnehmen, bei der Vergabe des Rettungsdienstes besonders berücksichtigt werden sollen. Die Mehrheit der Bundesländer hat diese Frage schon mit ja beantwortet. Wir hatten den entsprechenden Änderungswunsch gemeinsam mit der SPD in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Das wurde abgelehnt. Deshalb ist diese Forderung heute wieder auf der Tagesordnung, was wir vom SSW natürlich unterstützen.
Man mag über den Zeitpunkt dieser Debatte streiten, denn zur Zulässigkeit der Bereichsausnahmen wird noch in diesem Quartal ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erwartet. Aber die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme steht für uns außer Frage. Rückblickend muss ich gestehen, dass mir die Notwendigkeit nicht von Beginn an klar war. Die Einsicht hat sich erst im Laufe des Verfahrens und durch viele Gespräche mit Betroffenen entwickelt.
Weite Teile unseres Rettungsdienstes und damit auch des Zivil- und Katastrophenschutzes basieren auf der Tätigkeit von anerkannten Hilfsorganisationen, und die Arbeit von DRK, ASB, Johannitern und Maltesern wird maßgeblich vom Ehrenamt ge
tragen. Die bevorzugte Vergabe an genau diese Organisationen sichert also nicht nur die Versorgungsqualität für unsere Bevölkerung, sondern sie würde auch sicherstellen, dass die hier tätigen Ehrenamtler weiterhin wichtige Erfahrungen sammeln können und in ihrer Arbeit gestärkt werden.
Mir ist bewusst, dass die Kreise auch einiges über ihre Ausschreibung des Rettungsdienstes steuern können. Neben dem Preis kann zum Glück auch die Qualität der Leistung eine Rolle spielen. Aber durch die Aufnahme der Bereichsausnahme könnte man ihnen eine wirklich sichere Möglichkeit an die Hand geben, um Hilfsorganisationen einzubinden. Genau diesen Wunsch gibt es an vielen Stellen im Land. Dort weiß man, wie wichtig der Zusammenhang zwischen Notfallrettung und Rettungsdienst im Katastrophenfall ist, und man weiß die jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen zu schätzen. Aus Sicht des SSW sollten wir zumindest das EuGH-Urteil zum Anlass nehmen, um noch einmal gemeinsam über das Thema der Bereichsausnahmen nachzudenken.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Was die SPD-Fraktion mit dem vorliegenden Antrag zu erreichen hofft, ist die Möglichkeit einer priorisierten Vergabe der Durchführung des Rettungsdienstes gemäß § 5 Absatz 1 SHRDG an die Hilfsorganisationen durch Kreise und kreisfreie Städte als Träger des Rettungsdienstes.
Wir haben dies zwar erst vor wenigen Wochen bei der Verabschiedung des Rettungsdienstgesetzes ausgiebig auch hier im Plenum besprochen, aber ich will die Rechtslage - darauf zielt ja auch der Antrag der Koalitionsfraktionen ab - gern noch einmal erläutern.
Die einschlägige Regelung in § 5 Absatz 2 SHRDG schreibt eine Beauftragung Dritter als Dienstleistungsauftrag vor, wobei insbesondere das Vergaberecht zu beachten ist. Deshalb gilt, dass bei einer Vergabe an einen Dritten die Möglichkeit eines Auswahlverfahrens unter Beachtung der Chancengleichheit für weitere Bewerberinnen und Bewerber bestehen muss. Keinesfalls kann und wird die Bereichsausnahme dazu führen, dass der Rettungsdienstträger eine Beauftragung einer Hilfsorganisation dauerhaft vornehmen kann.
Die Frage, ob also eine Bereichsausnahme für die Vergabe von Rettungseinsätzen an Dritte zulässig ist und wenn ja, mit welcher konkreten Ausgestal
tung, unterliegt - auch das hatte ich in meiner letzten Rede dazu bereits betont - europarechtlichen Vorgaben. Mehr noch, liegt diese Frage in einem aktuellen Rechtsstreit dem EuGH zur Entscheidung vor. Inhaltlich geht es darum, ob die Bereichsausnahme vollumfänglich auch auf die deutschen Hilfsorganisationen im Regelrettungsdienst ohne weitere Kriterien anwendbar ist und sich sowohl auf Europäisches Sekundär- als auch Primärrecht erstreckt.
Der Generalanwalt der EU plädiert jedenfalls für eine nach Einsatzart differenzierte Beantwortung der aktuellen aus Düsseldorf stammenden Vorlage. Dem-nach wäre der Transport von Notfallpatienteninnen und -Patienten in einem Rettungswagen bei Betreuung und Versorgung durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter als „Einsatz von Krankenwagen“ anzusehen. Eine solche Fälle betreffende öffentliche Auftragsvergabe unterläge nicht der Richtlinie 2014/24, sofern die Leistung von einer gemeinnützigen Organisation oder Vereinigung erbracht wird.
Wenn hingegen die Beförderung von Patienten im Krankentransportwagen keinen Notfall darstellt, ist dies als „Transport eines Patienten in einem Krankenwagen“ anzusehen. Diese Transportart wiederum unterliegt der Richtlinie 2014/24. Mit anderen Worten: Beim „Notfalleinsatz von Krankenwagen“ ist eine Bereichsausnahme - dem Generalanwalt zufolge - möglich, beim bloßen „Transport in einem Krankentransportwagen“ nicht.
Was bedeutet das für Schleswig-Holstein? - In Schleswig-Holstein werden im Rettungsdienst Mehrzweckfahrzeuge - § 12 Absatz 3 SHRDG
eingesetzt. Diese können sowohl in der Notfallrettung als auch im Krankentransport eingesetzt werden. Dies geschieht auch bei ausnahmslos allen Rettungsdienstträgern im Land. Dies bedeutet, dass einem Rettungswagen, der nach einem Notfalleinsatz am Krankenhaus wieder einsatzbereit ist, als Folgeeinsatz ein Krankentransport aus dem Zielkrankenhaus zugewiesen werden kann. Dieses Vorgehen ist unter dem Aspekt des Flottenmanagements im Rahmen einer wirtschaftlichen und effizienten Aufgabenwahrnehmung sinnvoll und auch von den Kostenträgern gewollt.
Die vom Generalanwalt beim EuGH zugrunde gelegte klare Trennung von Rettungs- und Transportfahrten ist also angesichts der multifunktionalen Nutzung der RTW in Schleswig-Holstein nicht möglich. Das wiederum bedeutet: Wenn der EuGH der Linie des Generalanwalts folgt, ist für eine Anwendbarkeit der sogenannten Bereichsausnahme im Rettungsdienst in Schleswig-Holstein kein Raum.
Wie der EuGH entscheiden wird, ist derzeit offen. Der Beschluss wird jedenfalls für 2019 erwartet. Deshalb ist zumindest der jetzige Zeitpunkt denkbar ungeeignet, um auf Landesebene an den Modalitäten der Rettungsdienstvergabe „zu drehen“.
Wie auch bereits in meiner Rede hier im Plenum des Landtages zur Debatte des Rettungsdienstgesetzes am 5. September 2018 betont: Sollte sich durch die ausstehende Entscheidung des EuGH eine neue europäische Rechtslage ergeben, werden wir darüber erneut diskutieren müssen. Daher bin ich den Koalitionsfraktionen für ihren Antrag dankbar, der genau dies noch einmal betont.