Protokoll der Sitzung vom 15.02.2019

Ich finde, gute Arbeit beginnt in der Ausbildung. Wir wollen eine Mindestausbildungsvergütung. Das ist notwendig, das ist richtig. Es findet eine Mehrheit in der Bevölkerung. Reden Sie mal mit den jungen Leuten, dann werden Sie feststellen, dass Sie keine Zustimmung für das finden, was Sie hier vortragen. Die Mindestausbildungsvergütung ist gut und gerecht, und sie wird kommen, egal, was Sie hier vortragen.

(Beifall SPD und Lars Harms [SSW])

Für die Landesregierung erteile ich das Wort dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe das große Vergnügen, die Rede stellvertretend für den Kollegen Dr. Buchholz, der heute im Bundesrat ist, halten zu dürfen. Gestatten Sie mir nach dieser Debatte trotzdem zunächst einige persönliche Bemerkungen, und zwar als ehemaliger FDP-Arbeitsminister, der selbst im Jahr 2011 auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz in Leipzig eine Initiative für allgemeinverbindliche Lohnuntergrenzen angeführt hat. Das habe ich getan, weil für mich soziale Marktwirtschaft auch bedeutet, dass die Löhne, über die wir damals diskutiert haben - beispielsweise im Friseurhandwerk an der polnischen Grenze in Höhe

(Dr. Ralf Stegner)

von 2,58 € -, mit sozial- und marktwirtschaftlichen Grundsätzen wenig zu tun haben.

(Beifall FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen will ich sehr deutlich sagen: Herr Dr. Stegner, die Vorwürfe, die Sie pauschal an bestimmte demokratische Parteien gerichtet haben, weise ich in aller Deutlichkeit von mir.

(Birte Pauls [SPD]: Das war nicht pauschal!)

Sie haben zum Schluss - das können wir gern auch noch einmal im Plenarprotokoll nachlesen; ich meine, ich habe es richtig gehört - von „denen“ gesprochen und sich nicht nur auf den Redner bezogen.

Ich will sehr deutlich sagen, dass, um die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft und ihrer Mechanismen zu stärken, selbstverständlich immer wieder auch soziale Komponenten notwendig sind. Eines will ich außerdem sagen, weil Sie - Herr Stegner, ich meine, Sie waren das im Besonderen - den Vergleich mit der Debatte zum Mindestlohn kritisiert und die Tarifautonomie noch einmal angesprochen haben: Was mich am meisten ärgert, was mich am allermeisten stört, ist, dass wir es seit der strittigen Debatte über den Mindestlohn alle miteinander nicht geschafft haben, die Tarifautonomie zu stärken. Und zur Stärkung der Tarifautonomie würde tatsächlich wieder eine höhere Tarifbindung gehören. Das ist doch -

(Vereinzelter Beifall FDP- Thomas Hölck [SPD]: Das ist doch unglaublich! Das habt ihr doch abgeschafft! - Widerspruch und Zu- rufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gemacht! - weitere Zurufe)

- Sagen Sie mal - - Ich weiß jetzt nicht, wer „wir“ sein soll.

(Zuruf: Die Landesregierung! Das Parla- ment!)

- Was haben wir abgeschafft?

(Thomas Hölck [SPD]: Sie wollen doch die Tarifbindung am liebsten abschaffen! - Unru- he)

Herr Minister -

Ich gestatte die Zwischenfrage des Kollegen Stegner.

(Zuruf SPD: Das ist ja unglaublich! - Zuruf CDU: Man muss nicht alles verstehen!)

Sehr geehrter Herr Minister Garg, ich finde es sehr eindrucksvoll, was Sie gerade vorgetragen haben, und ich begrüße die Aussagen, die Sie gemacht haben. Ich frage Sie nur zwei Dinge. Erstens: Wie verträgt sich das, was Sie gerade zur Tarifbindung gesagt haben, mit Ihrer Haltung zum Tariftreuegesetz? Das verstehe ich nicht so richtig; ich verstehe nicht, wie die Haltung der Mehrheit hier im Haus damit korrespondiert.

Das Zweite: Ich bin gern bereit, zuzugestehen, dass Sie sich für das einsetzen, was Sie gerade vorgetragen haben. Aber mich würde sehr interessieren, ob Sie das denn inhaltlich teilen, was der Kollege Richert hier vorgetragen hat. Das würde mich sehr interessieren. Wenn Sie das nämlich teilen sollten, dann wäre mein Vorwurf berechtigt; andernfalls würde er nur dem Redner gelten.

- Herr Oppositionsführer, Sie werden die Position der Landesregierung von mir gleich vorgetragen bekommen. Mich würde interessieren, ob Sie die Position Ihres Fraktionskollegen teilen, der hier mit völlig absurden Zwischenrufen kommt, wir hätten irgendwelche Gewerkschaften abgeschafft, hätten die Tarifbindung abgeschafft.

(Birte Pauls [SPD]: Die Tariftreue! - Zuruf Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] - Weitere Zurufe)

- Es muss doch darum gehen, dass es eine höhere - - Herr Hölck, das ist doch albern. Entschuldigen Sie, Herr Dr. Stegner, das ist einfach albern, was da an Vorwürfen kommt.

(Beifall FDP)

Wir setzen uns seit Jahren - von mir aus mit unterschiedlichen Intonationen - dafür ein, dass Gewerkschaften, dass das Prinzip der Tarifautonomie wieder gestärkt werden, weil dies ein gutes Prinzip ist, das zur sozialen Marktwirtschaft gehört. Es ist ein gutes Prinzip, Macht und Gegenmacht zu organisieren, auch auf den Arbeitsmärkten. Denn nur so funktionieren sie.

(Beifall FDP und CDU)

Ich will Ihnen sehr deutlich sagen - das mag dann Ihre konkrete Frage beantworten -: Ich habe nicht ohne Hintergedanken meinen Redebeitrag mit einer persönlichen Bemerkung begonnen. Denn ich bin in

(Minister Dr. Heiner Garg)

der Tat der Auffassung, dass es in einer sozialen Marktwirtschaft auch soziale Schutzmechanismen, und zwar auch auf dem Arbeitsmarkt, geben muss.

(Vereinzelter Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie sind ein hohes Gut in unserem System. Aus diesem Grund ist es richtig, wenn sehr engagiert - so, wie das in Teilen ja passiert ist - über einen möglichen Eingriff genau in ein solches System der Tarifautonomie gestritten wird. Angesichts des hohen Fachkräftemangels, der heute in vielen Branchen zu spüren ist und der laut den vorliegenden Prognosen in den kommenden Jahren noch kräftig zunehmen wird, muss sich jede Branche, die Probleme hat, genügend ausbildungsinteressierte junge Frauen und Männer zu finden, selbst fragen, wie man die Ausbildung attraktiver gestalten kann, um mehr junge Menschen für die eigene Branche zu gewinnen.

Ich sage auch sehr deutlich: Dazu gehört auch die Frage der Ausbildungsvergütung und deren Höhe. Das ist selbstverständlich. Dazu gehören aber auch andere Faktoren. Ein Blick auf die Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren zeigt, dass es zumindest nur einen eher geringen kausalen Zusammenhang zwischen der Höhe der Vergütung und dem Interesse gibt, eine Ausbildung aufzunehmen. Obwohl die tarifliche Ausbildungsvergütung zwischen 2007 und 2017 um durchschnittlich 39,5 % gestiegen ist, sank die Zahl der Auszubildenden um 11,2 %; in Kleinstbetrieben mit bis zu neun Beschäftigten sank sie sogar um bis zu 31 %.

Wichtig für die Entscheidung für eine duale Ausbildung sind neben der Frage der Ausbildungsvergütung ein positives Betriebsklima, gute und engagierte Ausbilderinnen und Ausbilder, vor allem attraktive Anschlussperspektiven in dem gewählten Ausbildungsberuf

(Beifall Andreas Hein [CDU])

und die Sicherheit des künftigen Arbeitsplatzes nach erfolgter Übernahme.

Das sind - um das sehr deutlich zu sagen - keine Faktoren, die sich die Landesregierung ausdenkt, sondern das sind Ergebnisse von Befragungen der Auszubildenden selbst. Deshalb sollte man, finde ich, gerade in Schleswig-Holsteins Wirtschaft - die ja sehr geprägt ist von kleinen und mittleren Betrieben - so, wie es der Wirtschaftsminister immer wieder tut, die Betriebe auf die Notwendigkeit dieser

Faktoren hinweisen und thematisieren, wie die Ausbildungsbedingungen verbessert werden können.

Vielleicht darf ich mir noch eine Bemerkung erlauben: Das tun einige Kolleginnen und Kollegen ja auch. Das gilt zum Beispiel auch im Pflegebereich; denken wir etwa an die Umsetzung der generalistischen Pflegeausbildung und an die Einkommensunterschiede zwischen examinierten Altenpflegerinnen und Altenpflegern und examinierten Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern. Auch hier ist es Aufgabe der Politik, darauf hinzuweisen, dass es noch on top einen selbst gemachten Fachkräftemangel geben wird, wenn diese Einkommensunterschiede in Zukunft nicht aufgehoben werden.

(Birte Pauls [SPD]: Jawohl! - Vereinzelter Beifall FDP und SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der aktuelle Entwurf des Berufsbildungsmodernisierungsgesetzes lässt, meine ich so, noch viele Fragen bei der Umsetzung offen. Es ist weder geklärt, wie sich die Gesetzesänderung auf bestehende Ausbildungsverhältnisse auswirken wird, noch wird deutlich, mit welchen Konsequenzen Betriebe bei Zuwiderhandeln eigentlich rechnen müssen. Deshalb glaube ich, dass es eine gute Portion Skepsis in Bezug auf diesen Entwurf geben wird, der ja seit kurzer Zeit im Verfahren ist.

Ziel muss es vielmehr sein, die duale Ausbildung zu stärken, sie attraktiver zu machen, mehr Betriebe für sie zu gewinnen und mehr junge Menschen für diesen Weg in den Beruf zu begeistern. Das heißt, es muss an vielen Stellschrauben gedreht werden, um die Situation zu verbessern. Ich habe das angeführt. Minister Dr. Buchholz wird nicht müde, bei zahlreichen Betriebsbesuchen landauf, landab mit den Inhaberinnen und Inhabern, den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, aber auch mit den Auszubildenden in Schleswig-Holstein ins Gespräch zu kommen und immer wieder auch an die Inhaberinnen und Inhaber der Geschäfte beziehungsweise an die Betreiber der Geschäfte zu appellieren, nicht mehr nur mehr auszubilden, sondern dies auch mit besseren Konditionen zu tun.

Das Land unterstützt gern dabei. Es lässt mittelständische Betriebe nicht allein. Gerade haben wir die Förderung in der Regionalen Ausbildungsbetreuung verlängert. Das ist eine konkrete Unterstützungsmaßnahme, die sowohl den Auszubildenden als auch den Betrieben zugutekommt, weil sie genau dort Hilfe anbietet, wo sie individuell benötigt wird, wenn Auszubildende zum Beispiel mit ihrem Aus

(Minister Dr. Heiner Garg)

bildungsberuf hadern oder es zwischen Auszubildendem und Betrieb knirscht.

Für insgesamt neun Träger zwischen Niebüll und Geesthacht hat der Arbeitsstaatssekretär gerade erst am vergangenen Freitag in Eckernförde Förderbescheide von rund 1,63 Millionen € überreicht. Auf diesem Weg wird die Landesregierung weitergehen. Sie sagt ein klares Ja zur Stärkung der dualen Ausbildung, und das mit Augenmaß und mit konkreten Maßnahmen, die helfen. - Ich bedanke mich fürs Zuhören.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat die vereinbarte Redezeit um rund 3 Minuten erweitert. Diese Zeit stünde jetzt noch allen Fraktionen zu, bisher habe ich jedoch nur die Meldung zu einem weiteren Kurzbeitrag

(Thomas Hölck [SPD]: Was heißt „nur“? - Heiterkeit SPD)

- des Abgeordneten Hölck.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Garg, Sie haben eben davon gesprochen, dass die Tarifbindung gestärkt werden müsse. Das habe ich aufgenommen, und ich finde es auch richtig. Ich habe mich sehr gewundert, dass Sie das so sehen; denn dieses Parlament hat vor Kurzem ein Vergabegesetz beschlossen, das die Kopplung der Vergabe an die Tariftreue nicht zwingend vorsieht.