Protokoll der Sitzung vom 21.09.2017

besserung der Arbeits- und Versorgungssituation in der Pflege auch sind, wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir diese Berufe nicht schlechtreden. Ich habe gehört, dass Neuntklässlerinnen und Neuntklässler schon jetzt sehr starke Nerven haben und äußerst motiviert sein müssen, wenn sie sich nach all den gegenwärtigen Berichten über Pflegenotstand, Überstunden und Stress überhaupt für ein Praktikum in einem Pflegeberuf entscheiden.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Dabei kann eine Tätigkeit in der Pflege zutiefst befriedigend und eine spannende und abwechslungsreiche Aufgabe sein. Wir vergessen über die unzureichenden Finanzierungsrahmen und die damit einhergehende Arbeitsverdichtung allzu oft, die positiven Seiten der Pflege hervorzuheben. Das möchte ich hiermit nachgeholt haben und Schülerinnen und Schüler auffordern, Praktikum im Pflegebereich zu machen.

(Beifall SSW, Wolfgang Baasch [SPD], Birte Pauls [SPD] und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Tatsache ist, dass nach einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung in den Niederlanden eine Pflegekraft für durchschnittlich sieben Patienten zuständig ist, in Norwegen sogar nur für fünf. Damit wird gute Pflege möglich. In Deutschland liegt dieses Verhältnis bei durchschnittlich 13 Patientinnen und Patienten je Pflegekraft. Wir haben hier also einen enormen Nachholbedarf, und das bei zunehmender Arbeitsbelastung.

Die Patientinnen und Patienten werden nämlich immer schneller entlassen, was die Pflegearbeit kontinuierlich verdichtet. Wer früher drei Wochen Zeit zum Auskurieren hatte, wird heute schon nach fünf oder drei Tagen nach Hause geschickt. Atempausen für die Pflegekräfte gibt es also so gut wie keine. Gespräche mit den Patientinnen und Patienten sind fast nicht mehr möglich. Sogar die Hygiene leidet unter diesen Engpässen. Diese Zusammenhänge sind wahrlich nicht neu, und sie sind leider gut dokumentiert.

Darum haben sich Krankenhäuser und Kassen auch auf verbindliche Personalschlüssel für die Intensivstationen für Neugeborene geeinigt. Seit etwa neun Monaten sollen diese neuen Schlüssel gelten. Ich höre aber aus den Krankenhäusern, dass die Vereinbarung noch gar nicht richtig greift, weil sie durch die Hintertür über Übergangsregelungen ausgehebelt wird. Leider erhöht sich bei fehlendem Personal die Wahrscheinlichkeit für Todesfälle in der

(Dr. Frank Brodehl)

Neonatologie. Entsprechende Vorfälle in Bremen sind ja erst der Auslöser für die Einigung gewesen. Gehetzte Schwestern und Pfleger machen Fehler. Der Grund, dass sogar in hochsensiblen Bereichen kein verbindlicher Pflegeschlüssel vorliegt, liegt natürlich in der Finanzierung.

In dem vorliegenden Antrag wird die Bundesebene bemüht. Das ist richtig. Von dort müssen endlich verbindliche Vorgaben kommen, und zwar klare Zahlen ohne Schlupflöcher! Ich bin davon überzeugt, dass wie bei der Vereinbarung für die Neugeborenen-Intensivpflege Kassen und Krankenhäuser verbindliche Schlüssel einfach nicht hinbekommen werden. Sie sind einfach die falschen Verhandlungspartner. Ich befürchte, dass Kassen und Spitzenverbände auch die nächste Frist nicht erreichen werden. Sie sollen ja bis Mitte nächsten Jahres Untergrenzen für Pflegepersonal in sogenannten patientensensiblen Bereichen wie Intensivstationen oder Nachtdiensten festlegen. Es wird aber so kommen, dass der Bundesgesundheitsminister die Rahmen festlegen muss.

Mindestquoten halte ich allerdings ein bisschen für kontraproduktiv. Untergrenzen sind Notbremsen und keineswegs Garant für eine gute Pflege. Das meint übrigens auch die Expertenkommission, die Minister Gröhe zur Pflegesituation in den Krankenhäusern einberufen hatte. Wir brauchen keinen Fallschirm, sondern ein gutes, stabiles Gerüst.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW], Birte Pauls [SPD] und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So richtig der Verweis auf die Bundesebene ist, so wenig können sich die Länder aus ihrer Verantwortung stehlen. Deshalb müssen wir in SchleswigHolstein über die Investitionskostenfinanzierung der Krankenhäuser nachdenken und diese gegebenenfalls erhöhen. Die Kliniken finanzieren derzeit oftmals nötige Investitionen aus laufenden Betriebskosten. Das sind eben auch die Personalkosten. Schließlich müssen sie den steigenden Anforderungen einer alternden Gesellschaft gerecht werden. Eine auskömmliche Finanzierung würde dieses Schlupfloch schließen.

Wenn Abteilungen in Krankenhäusern aus Pflegemangel geschlossen werden müssen, ist das ein absolutes Alarmsignal. Darum ist klar: Die Zeit für allgemeine Forderungen ist vorbei. Wir sollten gemeinsam im Ausschuss konkrete, zeitlich genau gefasste Forderungen erarbeiten. Damit wäre den Patientinnen und Patienten und den Pflegenden am besten geholfen. - Jo tak.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und AfD)

Zu einem Dreiminutenbeitrag hat sich die Abgeordnete Birte Pauls von der SPD-Fraktion gemeldet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Flemming Meyer sehr dankbar für seinen Beitrag, weil er an das anknüpft, was wir in der Küstenkoalition gemeinsam verabredet und gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Um einmal eine Pflegedienstleitung aus dem nördlichen Landesteil zu zitieren: Noch nie hat eine Landesregierung so viel für die Pflege getan wie die letzte, nämlich die Küstenkoalition.

Ich würde gern mit einem Vorurteil aufräumen: Wir haben natürlich auf Bundesebene auch gemeinsam sehr viel auf den Weg gebracht. Das haben Sie alles dargestellt, Frau Rathje-Hoffmann, das ist auch alles richtig. Trotzdem waren unsere Ansätze andere. Eine Personaluntergrenze ist eben fachlich gesehen nicht das Gleiche.

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Aber ein Anfang!)

- Es ist ein guter Anfang, ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nicht konsequent genug. Selbstverständlich ist es ein Unterschied, was man an Personal und an Fachkräften auf einer internistischen Intensivstation oder auf einer gynäkologischen Reha-Station braucht. All diese Berechnungen liegen auch fertig in der Schublade. Das ist alles fertig. Es ist nichts, was man noch einmal beschließen müsste, wo man sagen müsste, man müsse noch einmal eine Expertenkommission einsetzen, dies und das. Das ist alles fachlich berechnet. Es müsste nur beschlossen werden. Da hat sich das ist das, was ich eben gesagt habe - die CDU gesträubt. Da war das Mindeste, was wir heraushandeln konnten, diese Personaluntergrenze. Darauf wollte ich noch einmal ganz deutlich hinweisen.

Dann haben Sie auf das Pflegestellenförderprogramm hingewiesen. - Richtig, ich habe diesbezüglich eine Kleine Anfrage gestellt. Vielleicht haben Sie die schon gesehen. 17 Krankenhäuser in Schleswig-Holstein nehmen daran teil, 17, aber 30 eben nicht. Warum nicht? - Das hat Flemming Meyer eben sehr wohl herausgearbeitet, nämlich weil es da viel zu wenige Hürden gibt, um eventuell diesen Pflegeförderungsbescheid nicht auf Pflegekräfte,

(Flemming Meyer)

sondern zum Beispiel in der Verwaltung einzusetzen. Da müssen wir eben ganz genau hinschauen, um das weiter zu fördern.

Dann haben Sie die Pflegekammer angesprochen.

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Nein, habe ich nicht!)

- Nein, Sie nicht. - Das finde ich wunderbar. Ich bin der jetzigen Koalition sehr dankbar. Ich bin dankbar dafür, dass die CDU ihr Wahlversprechen an der Stelle gebrochen hat, ich bin sehr dankbar, dass die FDP ihr Wahlversprechen gebrochen hat, und ich bin den Grünen sehr, sehr dankbar, dass wir uns an dieser Stelle auf sie verlassen konnten. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist zunächst ein guter Tag für die Pflege, denn heute Nachmittag um 15 Uhr findet die Examensfeier der Gesundheits- und Krankenpfleger der UKSH-Akademie statt. Da wir hier Präsenzpflicht haben und ich nicht persönlich gratulieren kann, sage ich von diesem Pult aus: Herzlichen Glückwunsch dazu, Sie haben sich für einen ganz wunderbaren Beruf entschieden!

(Beifall)

Auch wenn es reizt, die Debatten der Vergangenheit aufzumachen, will ich mich bemühen, dies nicht zu tun, denn das Thema ist viel zu wichtig. Es gibt auch eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung darüber, wer im Land über Zukunftswerkstätten, Runde Tische und was sonst noch alles stattgefunden hat, in den vergangenen fünf Jahren konkret und erfolgreich auf die Pflege eingewirkt hat. - Sei es drum.

Der vorliegende Antrag stellt fest, dass es einen Zusammenhang zwischen Personalbesetzung, Qualität und Sicherheit in der Pflege gibt. - Ja, wer wollte dem widersprechen!

Mit einer tatsächlichen Ursachenanalyse hält sich der Antrag zurück. Ich glaube, es gibt ganz ent

scheidende Gründe, warum wir gerade vor der Bundestagswahl über den Fachkräftemangel, der ja das hat zum Glück aber auch niemand versucht, anders darzustellen - nicht erst in den letzten vier Monaten entstanden ist, sprechen müssen. Ja, natürlich spielt der demografische Wandel eine Rolle, selbstverständlich spielt die angemessene Bezahlung dieser schweren Arbeit eine Rolle, und selbstverständlich spielt die Frage, ob Arbeitsbedingungen eingehalten werden, eine Rolle.

Aber ich möchte hier das Fass noch ein wenig weiter aufmachen, meine Damen und Herren. Denn wir sollten nicht so tun, als ob in der Vergangenheit bundes- und landespolitische Entscheidungen nicht ganz maßgeblich zu dem Scherbenhaufen, den wir zum Teil heute vorfinden, beigetragen haben. Ich will einmal in den Krankenhausbereich schauen. Der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern durch die Finanzierung des Krankenhausbetriebs über das DRG, also das Fallpauschalensystem, war politisch gewollt. Er ist einhergegangen mit dem schon zitierten bundesweiten Abbau von Pflegestellen in der Höhe von mehreren Zehntausenden. Es sind über 50.000 Pflegestellen nach der Einführung des DRG-Systems abgebaut worden, das im Übrigen die Aufgaben der Pflege bis heute gar nicht gesondert abbildet.

Ich glaube, dass hier nach der Bundestagswahl sehr wohl Nachbesserungsbedarf besteht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Zweitens die zersplitterte Versorgungslandschaft. Ich sage das hier: Ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren - Stichwort Sektorengrenze und dieselbe überwinden - das Thema ist. Eine zersplitterte Versorgungslandschaft führt automatisch zu einem erhöhten Fachkräftebedarf. Auch diese Strukturen sind politisch gewollt, und sie wurden immer wieder durch entsprechende bundesgesetzliche Vorgaben bestätigt. Also: Nur Mut - unabhängig davon, wer nach der Bundestagswahl, im Zweifel gemeinsam, Verantwortung trägt -, nur Mut, endlich Sektorengrenzen zu überwinden und endlich vom Patienten her zu denken! Es geht um eine patientenzentrierte Versorgung. Auch davon haben Pflegekräfte nämlich etwas.

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbstverständlich ist die Frage der Investitionskostenfinanzierung durch die Länder nicht nur durch Schleswig-Holstein, aber eben auch in SchleswigHolstein eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Krankenhäuser dafür, wie sie disponieren.

(Birte Pauls)

Klammer auf: Jeder weiß, dass aus den DRG natürlich auch Investitionskosten gezogen werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Denn dann ist zu wenig Geld für das Personal da. In der Tat ist hier das Land gefragt. Ich bin froh, dass wir uns als Jamaikaner darauf verständigen konnten, hier weiterzugehen und den Krankenhäusern wieder mehr Luft einzuräumen, damit dieses Problem angegangen werden kann.

(Beifall FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Personalmindestvorgaben: Ich will mich darüber gar nicht streiten, ich halte das für richtig, aber sie müssen vor allem eingehalten werden. Ja, es gibt das Argument, im Moment gebe der Arbeitsmarkt das nicht her. Die spannende Frage aus meiner Sicht ist, und für uns ist das doch die politische Herausforderung, wie wir aktuell darauf reagieren, wenn der Arbeitsmarkt das nicht hergibt. Haben wir dann möglicherweise den entgegengesetzten Effekt? Werden die Patientenzahlen dem vorhandenen Personal angepasst? Der Kollege Bornhöft hat geschildert, was ganz aktuell passiert, wenn Stationen geschlossen, wenn Stationen sozusagen vom Netz genommen werden. Wir haben übrigens sogar die Abmeldung der Notfallversorgung und Teilschließungen im Städtischen Krankenhaus in Kiel, aber auch am UKSH schon gehabt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fand es schade, dass in dem Ursprungsantrag der Sozialdemokraten ausgeblendet wurde, dass es seit dem 1. Januar 2017 einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff gibt. Seine Einführung ist aus meiner Sicht überfällig und richtig gewesen. Aber er bringt natürlich auch neue Herausforderungen für die Pflege mit sich. Bei der Personalbemessung in der vollstationären Pflege haben die Rahmenvertragsparteien insofern verbesserte Personalrichtwerte vereinbart. Damit hat die Selbstverwaltung im Land dem Anspruch der Politik Rechnung getragen, dass sich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht nur durch Leistungsverbesserungen bemerkbar macht, sondern auch durch das notwendige Mehr an Personal.

Die Pflegekassen schätzen in der Folge einen Bedarf von rund 800 zusätzlichen Vollzeitstellen in den Pflegeeinrichtungen. Es ist gut, dass diese Stellen kommen - wenn diese Stellen kommen. Politisch aber auszublenden, dass es nicht einfach sein wird, diese Menschen für die Pflege anzuwerben, wäre mir an dieser Stelle zu anspruchslos und auch zu einfach.

Was ist also zu tun? - Als allererster Schritt haben sich die Koalitionäre im Bereich der Altenpflege im Hinblick auf die Fachkräftesicherung darauf verständigt, dass wir in der Übergangsphase, bis also die Pflegeberufereform mit den Finanzierungsregelungen tatsächlich greift, die Zahl der landesgeförderten Schulplätze noch einmal auf dann insgesamt 2.100 Plätze aufstocken, damit auch in der Übergangsphase niemand, der diesen Beruf erlernen möchte, Schulgeld mitbringen muss.

(Vereinzelter Beifall FDP, CDU und AfD)

Gleichzeitig werden wir zur Sicherung der Ausbildungsqualität eine Erhöhung der vom Land finanzierten Schulplätze vornehmen. Durch die Erhöhung des monatlichen Förderbetrags wollen wir die Altenpflegeschulen dabei unterstützen, sich auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Pflegeberufereform vorbereiten zu können. Wir wollen dafür im Haushalt 2018 1 Million € zusätzlich zur Verfügung stellen.

Sie wissen, vor Ihnen steht einer, der nicht gerade der größte Anhänger einer generalistischen Ausbildung gewesen ist - das eint die Kollegin Bohn und mich -, aber ich will auch sagen: Wir werden die Pflegeberufereform so umsetzen, dass es keine Verunsicherung bei den Auszubildenden und in den Ausbildungsstätten gibt. Alles andere fände ich wirklich Humbug, um das einmal unministrabel zu sagen. Es muss eine klare Ansage geben. Wir werden damit umgehen, und wir werden darauf achten, dass keiner hinten runterfällt. Wir werden darauf achten, dass insbesondere auch die Altenpflege genau den Stellenwert bekommt, der ihr zusteht.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Selbstverständlich werden wir neben Wertschätzungssignalen - wie dem Landesstipendium für Pflegekräfte, das wir erstmals einführen, das natürlich auch der sogenannten Imageverbesserung dienen soll - in enger Abstimmung mit der Bundesagentur für Arbeit Überlegungen zu Wiedereinstiegsprogrammen anstellen müssen. Wir werden selbstverständlich auch Menschen, die zu uns gekommen sind und einen Migrationshintergrund haben, für die Pflege begeistern wollen.