Protokoll der Sitzung vom 21.09.2017

Lassen Sie mich abschließend sagen: Selbstverständlich werden wir neben Wertschätzungssignalen - wie dem Landesstipendium für Pflegekräfte, das wir erstmals einführen, das natürlich auch der sogenannten Imageverbesserung dienen soll - in enger Abstimmung mit der Bundesagentur für Arbeit Überlegungen zu Wiedereinstiegsprogrammen anstellen müssen. Wir werden selbstverständlich auch Menschen, die zu uns gekommen sind und einen Migrationshintergrund haben, für die Pflege begeistern wollen.

Ich finde es schade - an der Stelle hätte ich mir schon mehr von der vorangegangenen Regierung gewünscht -, dass das, was wir zum Ende der 17. Wahlperiode versucht haben, nämlich bei der Ausgestaltung der Förderrichtlinien für den Europäischen Sozialfonds einen besonderen Schwer

(Minister Dr. Heiner Garg)

punkt auf die Pflege zu setzen - das wäre notwendig gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen -, in der vergangenen Legislaturperiode, weil es insbesondere an dem sozialdemokratisch geführten Wirtschaftsministerium gescheitert ist, nicht haben umsetzen können. Es ist sehr schade, dass davon nie Gebrauch gemacht wurde. Das ist bedauerlich, weil man mitten in einer Förderperiode ein solches Programm nur schwer nachsteuern kann. Wir bräuchten aber gerade hier den ESF, um durch besondere Programme Menschen, die mit Migrationshintergrund zu uns gekommen sind, für die Pflege zu begeistern.

Ich bedauere das. Das hält uns aber nicht davon ab, bei der Pflege ordentlich ranzuklotzen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt AfD)

Der Minister hat seine Redezeit um 5 Minuten überzogen. Diese Redezeit steht jetzt allen Fraktionen ebenfalls zur Verfügung. Wird davon Gebrauch gemacht? - Das sehe ich nicht. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, und ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/148, den Änderungsantrag Drucksache 19/204 und den Alternativantrag Drucksache 19/205 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe? - Dann ist die Ausschussüberweisung mit den Stimmen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen von SPD, SSW und AfD abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der AfDFraktion, Drucksache 19/204, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen sehe ich nicht. Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW gegen die Stimmen der AfD abgelehnt.

Ich lasse dann über den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 19/148, abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen von SPD, AfD und SSW abgelehnt.

(Jörg Nobis [AfD]: Wir haben dafür ge- stimmt!)

- Ja, gegen die Stimmen von SPD, AfD und SSW abgelehnt.

Ich lasse schließlich über den Alternativantrag von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Drucksache 19/205, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und AfD gegen die Stimmen des SSW bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.

(Werner Kalinka [CDU]: Die SPD war unter- schiedlich!)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Für ein solidarisches Europa!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/152

Europa zukunftsgerecht und demokratisch gestalten

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/210

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Fraktionsvorsitzenden, Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Europa ist nicht dafür gemacht, stillzustehen“, hat Jean-Claude Junker, der Präsident der Europäischen Kommission, in der letzten Woche in seiner Rede zur Lage der Union gesagt. Er hat völlig Recht damit, denn die Europäische Union steht vor vielfältigen Herausforderungen. Wenn man an die horrende Jugendarbeitslosigkeit im Süden des Kontinents denkt, zeigt sich: Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist nicht überwunden. Noch immer sterben Menschen auf dem Weg nach Europa, fast 2.500 Menschen sind in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken. In zu vielen Ländern werden die nationalen Interessen vor die europäischen Interessen gestellt - wir müssen dafür nicht nach Polen oder Ungarn blicken.

(Minister Dr. Heiner Garg)

„Europa ist nicht dafür gemacht, stillzustehen.“ Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder warten wir zaudernd ab, bis aus der Not Bewegung kommt, oder wir gehen kraftvoll mit einer starken Idee für ein besseres Europa voran. Ein besseres Europa ist für uns ein solidarisches Europa.

(Beifall SPD)

Nur mit diesem solidarischen Europa werden wir das nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene großartige Friedensprojekt für die kommenden Generationen bewahren können. Frieden und Wohlstand werden wir nur schaffen, wenn wir das in Zeiten der Trumps, Putins, Erdogans und Orbáns - aber auch der le Pens, Straches und Gaulands - verteidigen. Ich halte das für außerordentlich wichtig.

Europa hat eine Unwucht. Einem weitgehend liberalisierten Markt fehlt das Gegengewicht einheitlicher Sozialstandards. Wir brauchen wirksame Schritte hin zu einer Sozialunion. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort - nicht weniger darf unser Anspruch sein.

(Beifall SPD und SSW)

Dazu gehört die Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit, die ausgebaut werden muss. Dazu gehört auch, dass wir die drastische Jugendarbeitslosigkeit in Portugal, Griechenland oder Italien nicht hinnehmen. Sie raubt jungen Menschen die Chance, zu Europa zu stehen. Sie untergräbt übrigens auch die Demokratie. Wir brauchen einen permanenten europäischen Jugendbeschäftigungsfonds - das ist übrigens auch eine Frage der Klugheit, nicht nur der Solidarität.

Zur Solidarität gehört aber auch, dass wir Lösungen für die Aufnahme von Flüchtlingen finden. Neben sicheren Außengrenzen brauchen wir sichere und legale Wege nach Europa. Nur so setzen wir der Hoffnungslosigkeit, die die Menschen zu Tausenden auf die gefährlichen Routen über das Mittelmeer treibt, etwas entgegen. Wir erleben in Bezug auf die Flüchtlingspolitik, insbesondere den Familiennachzug, bei konservativen und rechten Parteien in Deutschland ein Trauerspiel. Die letzten wahltaktischen Überlegungen der FDP in Bezug auf hier geborene Flüchtlingskinder sind nach meiner Einschätzung ebenso kritikwürdig.

Unseren Wohlstand und unsere Freiheit bringen wir nicht dadurch in Gefahr, dass wir Flüchtlinge aufnehmen. Wir riskieren aber beides, wenn wir die bestehenden globalen Ungerechtigkeiten ignorieren und vergessen, dass eine frühere Generation solche Ungerechtigkeiten nicht klaglos hingenommen hat.

Willy Brandt hat schon vor Jahrzehnten gemahnt, etwas gegen diese Ungerechtigkeiten zu unternehmen. Die Ergebnisse der Nord-Süd-Kommission sind heute so aktuell wie damals. Als Handlungsfelder will ich nur die Stichworte Waffenexporte, Landwirtschaftspolitik oder globale Umweltzerstörung nennen.

Wer sich heute in Libyen, Westafrika oder der Türkei in ein löchriges Schlauchboot setzt, mag nicht in jedem Fall einen nach deutschem Recht legitimen Asylgrund haben, und es gibt weiß Gott keine Veranlassung, den kriminellen Menschenhändlern ihr schmutziges Handwerk so durchgehen zu lassen. Einen Grund zur Flucht hat aber fast jeder dieser Menschen. Deswegen muss auch SchleswigHolstein sein Möglichstes tun, um die Fluchtursachen in den Heimatländern mit bekämpfen zu helfen.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Wir sind in Europa eine Wertegemeinschaft. Man kann nicht nur Fördermittel für Strukturprojekte haben wollen, sondern man muss sich auch gemeinsamen Verpflichtungen stellen. Ich finde, man hat sogar die Pflicht, die gemeinsamen Interessen vor die eigenen zu stellen. Wir brauchen ein einheitliches europäisches Asylrecht, ohne die Standards dabei abzusenken, wie die Konservativen es wollen.

Europa ist nur gemeinsam stark: Deswegen ist es falsch, töricht und gefährlich, den Euroskeptikern das Wort zu reden. Wer das tut, verantwortet am Ende einer globalisierten Welt Massenarbeitslosigkeit. Wir sind dies von der hochgehypten Partei gewöhnt, deren Abkürzung „Arbeitslosigkeit für Deutschland“ bedeutet und die „Grenzen hoch“ und „Euro weg“ fordert. Stattdessen brauchen wir einen engagierten europäischen Kampf gegen Steuerhinterziehung. Wir brauchen gemeinsame Mindeststeuersätze, die dem Dumping einen Riegel vorschieben.

Beim Kampf gegen Briefkastenfirmen und sogenannte Steueroasen sitzen die Bremser bei Union und FDP. Wir brauchen hier ein umfassendes europäisches Investitionsprogramm, das Europa aus der Wachstumsschwäche hilft. Wir brauchen nicht ein deutsches Europa - auch wenn Herr Kauder gesagt hat, er sei froh, dass in Europa wieder deutsch gesprochen wird -, sondern ein europäisches Deutschland.

(Beifall SPD, Jette Waldinger-Thiering [SSW] und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Dr. Ralf Stegner)

Auch wenn es nicht jedem angenehm ist, sage ich trotzdem: Wir werden Wohlstand und Frieden nur erhalten, wenn wir teilen lernen.

Kritik ist notwendig. Wer Russland mit scharfen Tönen kritisiert, darf aber über die antidemokratischen Bestrebungen eines Viktor Orbán nicht hinwegsehen. Herr Kollege Koch: Den lädt man auch nicht zur Erheiterung, oder um sich Orientierung zu holen, zu den eigenen Parteitagen ein, wie dies Ihre bayerische Schwesterpartei tut.

(Beifall SPD)

Ich füge hinzu: Wer eine massive Steigerung der Rüstungsausgaben im eigenen Land fordert 30 Milliarden € möchte Angela Merkel im Jahr mehr dafür ausgeben -, darf sich nicht wundern, wenn nationale Egoismen zunehmen. Wir finden, diese 30 Milliarden € sollten viel lieber in Bildung, Familie und Zukunft investiert werden.

(Beifall SPD, Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Wir brauchen also ein gemeinsames Europa. Man darf den Skeptikern nicht im vorauseilenden Gehorsam entgegenkommen und Schritt für Schritt Zuständigkeiten an die Nationalstaaten zurückgeben. Dieses „America first“, das Trump für Amerika vertritt und das schlimm genug ist, dürfen wir nicht auch noch auf die europäischen Nationalstaaten übertragen. Europa braucht Leidenschaft, Überzeugungskraft und Handlungsstärke, denn es ist nicht dafür gemacht stillzustehen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hartmut Hamerich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von der internationalen Asylpolitik kehren wir wieder ein kleines Stück zurück zum Tagesordnungspunkt „solidarisches Europa“. Die Lage in Europa bietet gerade in dieser Zeit einen bunten Strauß von Themen, die einen erheblichen Handlungsbedarf aufzeigen und diskutiert werden müssen. Die Stichworte hierzu kennen wir alle:

Brexit, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Griechenland, Flüchtlingspolitik, Nationalismus und so weiter. In diesem Haus hat sich die große Mehrheit immer zu den Grundwerten der Europäischen Union bekannt. Das tun wir auch heute. Wir stehen zu einem geeinten Europa und zu den Grundwerten, die im Lissaboner Vertrag festgeschrieben worden sind. In großer Dankbarkeit sind wir uns bewusst, dass wir den Gründervätern der Europäischen Union eine historisch lange Phase des Friedens in Europa verdanken.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Freizügigkeit sind für uns selbstverständlich. Neben diesem grundsätzlichen Bekenntnis sind der Schleswig-Holsteinische Landtag und die Landesregierung gefordert, an denjenigen Punkten aktiv mitzuwirken, die unser Land in besonderer Weise betreffen. Wir sollten an den Stellschrauben drehen, an denen wir mitwirken können.

Was aber macht die SPD wenige Tage vor der Bundestagswahl? - Sie benutzt diese Plenartagung für ihren Wahlkampf und unterbreitet uns in ihrem Antrag teilweise wortgleich Auszüge ihres Bundestagswahlprogramms.