Protokoll der Sitzung vom 21.09.2017

Was aber macht die SPD wenige Tage vor der Bundestagswahl? - Sie benutzt diese Plenartagung für ihren Wahlkampf und unterbreitet uns in ihrem Antrag teilweise wortgleich Auszüge ihres Bundestagswahlprogramms.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Unerhört! - Heiter- keit)

- Genau, Herr Kollege Arp, gespickt mit keinem landespolitischen Bezug. Angesichts der Lage der SPD mag dies nachvollziehbar sein. Der notwendigen Diskussion dient es nur sehr bedingt. Deshalb ist diese Antragstellung bedauerlich.

(Zuruf Thomas Hölck [SPD])

- Das hilft? - Ich weiß, das finde ich auch hervorragend.

Wie ich eben ausgeführt habe, gibt es zwischen den großen demokratischen Parteien in Deutschland in vielen europäischen Grundsatzfragen Übereinstimmung - das ist auch gut so -, aber auch in manch großen Linien deutliche Differenzen. Dies ist keine landespolitische Frage. Die CDU hat eine deutlich andere Auffassung zu einem sozialen Europa als die SPD. Die Möglichkeit, gleiche soziale Standards in der ganzen EU zu setzen, scheitert an erheblichen Unterschieden in der Wirtschaftskraft der Länder. Griechenland und Dänemark, Litauen und die Niederlande oder Portugal und Österreich beispielsweise sind meilenweit von gleichen Standards entfernt. Auch die Schaffung einer Wirtschaftsregierung für den Euroraum entspricht eher einem

(Dr. Ralf Stegner)

Regulierungswahn als einer pragmatischen, realistischen Politik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten uns besser den Punkten zuwenden, bei denen wir konkret gestalten können. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen einen Alternativantrag gestellt, der etliche Punkte aus der Koalitionsvereinbarung aufgreift.

Die EU steht mit den Brexitverhandlungen vor allergrößten Herausforderungen. Schleswig-Holstein hat aus verschiedenen Gründen ein sehr großes Interesse daran, dass die Verbindungen zum Vereinigten Königreich auch zukünftig auf enge Kooperation eingestellt werden. Wirtschaftliche, historische, politische, kulturelle und bildungspolitische Gründe sprechen dafür.

Großbritannien gehört zu Kerneuropa. Uns verbindet eine jahrhundertelange Geschichte. Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie gehören zu den Grundwerten, die wir in der Welt gemeinsam verteidigen. Gegenseitig profitieren wir vom wirtschaftlichen Handeln. Studenten und andere junge Menschen, die im jeweils anderen Land mit- und voneinander lernen und studieren, profitieren vom Austausch.

Wir, die Abgeordneten und die Landesregierung, müssen alle unsere Möglichkeiten über unsere Abgeordneten im EU-Parlament und Bundestag, in Berlin und Brüssel nutzen, damit in den Brexit-Verhandlungen unsere Interessen wahrgenommen werden. Dazu gehört auch ein transparentes Vorgehen, an dem ich zurzeit keine Zweifel hege.

Umgekehrt sollten alle politischen Kräfte, die gute Kontakte nach Großbritannien pflegen, diese nutzen, um die Gemeinsamkeiten auf beiden Seiten zu betonen, herauszuarbeiten und dafür zu werben.

(Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, drei Millionen Europäer, die in Großbritannien leben, eine Million Briten, die in Deutschland leben, sind eine Hausnummer, die wir nicht außer Acht lassen können. Ich sehe die Situation in Irland, Südirland, Nordirland, die bei der Geschichte sehr skeptisch zu betrachten ist. Ich kann mich aus eigener Verbundenheit in der Familie noch an Situationen in Belfast erinnern, wo protestantische Eltern ihre Kinder mit Waffen zur Schule gebracht haben und umgekehrt katholische Eltern auch.

Ich sehe die Situation in Schottland, wenn Premierministerin Sturgeon an ihrem Plan festhält, dass sie,

wenn Schottland kein separates Abkommen hinbekommt oder gut gestellt wird, ein zweites Referendum durchführen wird. Ich sehe immer noch die Karikatur nach dem Brexit vor mir in den Medien, wo Boris Johnson und Nigel Farage nebeneinandersaßen: „We didn’t expect that we will win, so we don’t have a plan.“ Diese Situation sehe ich im Moment. Da müssen wir erheblich gegensteuern.

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Was wir im Moment in Kiel machen, die digitale Woche, kann ein Beispiel sein, unter Beteiligung von Verbänden, Universitäten et cetera, dass wir das in Europa verbreiten und dort erheblichen Schub reinbringen.

(Beifall Hans-Jörn Arp [CDU] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich beantrage die Überweisung beider Anträge an den Europaausschuss und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Brüssel ergreift die Macht“, „Rettet Europa vor der EU“ oder „Realitätsverlust in Brüssel“ - das sind Zeitungsschlagzeilen aus Deutschland in den letzten zwei Wochen. Die Kritik an der EU kennt anscheinend keine Grenzen, auch bei uns im Land nicht.

Es ist immer einfach, auf die EU zu schimpfen, egal um was es geht. Viele probieren, billig gegen die EU Stimmung zu machen und damit Ängste zu schüren. Das lehnen wir Grüne ab, und wir danken der SPD-Fraktion für den Aufschlag und Antrag, dem wir in weiten Teilen zustimmen können.

Ein völlig anderes Bild als das, das ich gerade durch die Zeitungsschlagzeilen skizziert habe, bekommt man, wenn man mit jungen Menschen über Europa spricht. Das kann man beispielsweise an der

(Hartmut Hamerich)

Europa-Universität in Flensburg, wo sehr viele junge Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt zu europäischen Zukunftsthemen forschen und diskutieren. Da geht es um Klimawandel, da geht es um Arbeitsmarktfragen, da geht es um Migration, um Minderheitenrechte. Sie arbeiten und leben proeuropäisch und sagen Nein zu dem dumpfen Nationalismus, den man von Leuten wie Alexander Gauland, Marine Le Pen oder Geert Wilders hört. Sie wünschen sich ein Europa, in dem zusammengearbeitet statt abgeschottet wird, ein Europa, das für große Fragen wie den Klimawandel oder die Asylpolitik gemeinsame Antworten entwickelt. Ihnen sei gesagt: Wir Grüne stehen an eurer Seite.

Ja, der Reformbedarf in der EU ist groß, aber es gibt keine Alternative zur EU. Oft sind es nicht die EU-Institutionen, sondern die Mitgliedstaaten, die notwendige Reformen blockieren, leider zu oft auch die Große Koalition in Berlin. So geschehen bei der Finanzmarktkontrolle, beim Klimaschutz oder bei Investitionen in Euro-Krisenländer wie Griechenland. Überall da hat die Große Koalition versagt.

Wir Grüne sagen: Wir brauchen mehr Europa, wenn wir Antworten für einen aktiven Klimaschutz, ein soziales Europa für alle Europäerinnen und Europäer und eine humane Asylpolitik entwickeln wollen. Wir brauchen mehr Europa und weniger Nationalstaat. Dazu brauchen wir die Bereitschaft der nationalen Regierungen und Parlamente, mehr Entscheidungsmacht an das Europäische Parlament abzugeben. Wir brauchen eine aktivere Europapolitik im Deutschen Bundestag und in den Landesparlamenten, und wir brauchen eine Stärkung der Zivilgesellschaft.

Europa muss erlebbarer für alle und nicht für einige wenige werden. Dazu können auch wir in Schleswig-Holstein konkret beitragen, beispielsweise durch eine aktive Politik mit unseren Nachbarstaaten. Statt unsinniger militaristischer Grenzkontrollen wollen wir mehr Zusammenarbeit zwischen uns und Dänemark. Wir blicken besorgt auf die Entwicklung in Dänemark und hoffen, dass in den nächsten Jahren die pro-europäischen Kräfte, die es bei unseren Nachbarn zuhauf gibt, gestärkt werden.

Wir wollen mehr miteinander kooperieren. Wir glauben, dass dafür beispielsweise - ich schaue einmal den Kollegen Dunckel an - der weitere Ausbau der deutsch-dänischen Studiengänge an der EuropaUniversität in Flensburg vorbildhaft sein kann. Wir wollen mehr europäische Austauschprojekte an Schulen und Hochschulen im Ostseeraum sowie grenzüberschreitende Investitionen beispielsweise in erneuerbare Energien.

Die Nordsee-Zusammenarbeit steht aufgrund des Brexits - Kollegen vor mir haben das bereits erwähnt - vor großen Herausforderungen. Ich möchte das an dieser Stelle und ihrem Geburtstag noch einmal sagen: Wir finden es gut und richtig, dass unsere ehemalige Europaministerin Anke Spoorendonk eine Vereinbarung für regionale Zusammenarbeit im Ostseeraum mit den drei nordniederländischen Provinzen Groningen, Friesland und Drenthe abgeschlossen hat. Das war ein gutes Zeichen. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal in Richtung Anke Spoorendonk erwähnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt FDP)

- Sie guckt sich das an ihrem Geburtstag bestimmt an; das glaube ich auch. - Je mehr konkrete Kooperation, desto besser. Viele Menschen haben den Eindruck, dass Wirtschaftsfragen in der EU zu stark gewichtet werden. Wir müssen deshalb auch konkrete soziale Fragen innerhalb der EU thematisieren. Es ist doch auffällig, dass wir in Bezug auf den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt noch sehr viele Herausforderungen vor uns haben. Wir wollen deshalb die Pendlerberatung ausbauen, wir müssen aber auch an bestehende Lücken in der Sozialgesetzgebung heran. Es kann doch nicht sein, dass Grenzpendlerinnen und -pendler zwischen Deutschland und Dänemark - dafür gibt es aktuell Beispiele - bei Erwerbsunfähigkeit in eine Versicherungslücke rutschen, während Deutschland mit anderen Nachbarländern dazu Regelungen hat. Auch diese Thematik sollten wir angehen, das könnten wir über den Europaausschuss gemeinsam tun.

Lassen Sie uns als pro-europäische Fraktionen im Europaausschuss probieren, einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Ich glaube, dass die Anträge nicht so unterschiedlich sind und wir diesen Versuch wagen sollten. Denn uns eint in diesen Fragen viel mehr, als dass es uns trennt. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Stephan Holowaty das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor allem meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie! Sie erklären uns in diesem Antrag, was in Euro

(Rasmus Andresen)

pa alles gerade nicht funktioniert. Damit haben Sie auch nicht ganz unrecht. Es liegt in der Tat einiges im Argen. Gerade als Pro-Europäer sehen wir das ganz besonders.

Am Sonntag ist Bundestagswahl.

(Zuruf: Wirklich?)

- In der Tat. Wenn Sie nicht wählen gehen - bitte schön. Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schmidt -

(Zuruf SPD: Schulz!)

- Entschuldigung. Das war jetzt gut. Martin Schulz natürlich. Endlich einmal ein guter Versprecher. Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist seit 1994 Mitglied des Europaparlaments. Das sind 23 Jahre. 23 Jahre lang war er einer der Spitzenpolitiker in Europa, als Präsident des Europäischen Parlaments einer der einflussreichsten Politiker in Europa.

(Zurufe SPD)

Das Ergebnis nach 23 Jahren Martin Schulz ist dieser Antrag der SPD-Fraktion.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Jetzt will Martin Schulz Bundeskanzler werden. Ich kann nur sagen: beste Referenzen!

(Zurufe SPD)