Protokoll der Sitzung vom 19.02.2020

(Claus Christian Claussen)

dieser Stelle aussenden will oder die moralische Billigung von Kampfhandlungen oder die Waffenlieferungen für die YPG meint. Darüber können wir hier nicht entscheiden, und das gehört tatsächlich auch nicht hierher.

Eine Ablehnung dieses naiv formulierten Antrags lässt sich daher gut begründen, selbst wenn angesichts des Kampfes der syrischen Zweigorganisation der PKK, der YPG, eine neue Sympathiebewegung die Anliegen der Kurden aufnimmt.

Bereits 1993 erließ die Bundesrepublik Deutschland ein Betätigungsverbot für die PKK, und das war die Antwort auf mehr als 60 Überfälle auf türkische Einrichtungen im Juli 1993, bei denen eine Person starb. Die EU stufte die PKK als terroristisch ein, und der Bundesgerichtshof - auch das wurde bereits erwähnt - hat erst vor Kurzem bestätigt, dass die PKK eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuchs ist und sich in ihrem bewaffneten Kampf nicht auf völkerrechtliche Rechtfertigungsgründe berufen kann.

Der belgische Kassationshof - das ist in der Begründung angefügt worden - ist lediglich zu dem Ergebnis gekommen, dass die PKK beziehungsweise die YPG Bürgerskriegsparteien nach belgischem Recht sind. Die terroristischen Aktivitäten andernorts blieben außen vor, und die belgische Regierung hat auch bislang nicht die Streichung von der EU-Terrorliste beantragt.

Ungeachtet des Betätigungsverbots und der damit verbundenen Strafverfolgung hat es die PKK immer wieder verstanden, ihre Tätigkeit fortzusetzen. Deutschland ist für die PKK als Rückzugsraum und für die Durchführung von Spendensammlungen von Bedeutung. Die PKK gilt als die bedeutendste Kraft im Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug. Sie verzichtet in Europa zwar mittlerweile auf spektakuläre Gewaltaktionen, verfolgt aber eine Doppelstrategie, und dieses Vorgehen wird von der Überzeugung geleitet, sich europäische Staaten als Rückzugsraum zu bewahren. Trotzdem gibt es innerhalb der PKK nach wie vor eine latente Gewaltbereitschaft, die man an sehr viel mehr Vorfällen, als der Kollege Meyer es hier genannt hat, problemlos nachweisen kann.

Nach Verständnis der PKK umfasst das sogenannte friedliche Protestverhalten auch Straftaten wie Haus- und Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder gefährliche Eingriffe in den Verkehr. Gewalttätige Ausschreitungen werden von PKK-nahen Organisationen in Deutschland ebenso billigend in Kauf genommen wie Sachbe

schädigungen und Brandanschläge gegen türkische Organisationen.

YPG hat in Syrien tatsächlich ein Staatswesen geschaffen, das in den Augen vieler westlicher Beobachter als durchaus demokratisch gilt und sich von den Regimes in der Umgebung - das stimmt positiv abhebt; da hat Flemming Meyer recht. Dennoch, noch 2014 warf Human Rights Watch der YPG systematische Unterdrückung der Opposition und die Rekrutierung von Kindersoldaten vor. Im Oktober 2015 warf Amnesty International der YPG vor, unter dem Vorwand der Bekämpfung des IS mehrere Tausend turkmenische und arabische Zivilisten vertrieben und Dörfer zerstört zu haben. Auch dort gibt es so etwas wie ethnische Säuberung, von der YPG betrieben.

Das Verbot der Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH - das ist noch nicht angesprochen worden erfolgte nicht wegen der Bücher von Abdullah Öcalan, die man natürlich auch in anderen Verlagen kaufen kann, oder des Vertriebs von CDs mit kurdischer Musik. Unter dem Verlags-Tarnmantel kamen tatsächlich sämtliche betriebswirtschaftlichen Aktivitäten der PKK zugute. Zudem diente der Verlag tatsächlich als Auslandsspendenwaschanlage.

In den letzten Jahren wurde der PKK oft ein ideologischer Wandel zugutegehalten, vom Stalinismus zu ökologisch-libertären Ideen. Mag sein, dass das auch hier manche trifft. Tatsächlich gibt es aber keine wirklichen Belege, dass sich das auch über eine taktische Motivierung hinaus in der inhaltlichen Politik der PKK bestätigt.

Für den ausgeprägten Antisemitismus der PKK gibt es hingegen weiter zahlreiche aktuelle Belege. Juden waren für Abdullah Öcalan immer ein Grundübel, und er hat ihnen sogar den Völkermord an den Armeniern angelastet - wie auch immer er das konstruiert hat. Die PKK unterstützt offen die Hamas.

Daher tut der Antrag des SSW im Ergebnis weder der kurdischen Sache noch einer Vorreiterstellung Schleswig-Holsteins in der Minderheitenpolitik einen Gefallen. Ich bitte um Ablehnung oder Zurückziehung des Antrags. Das wäre sinnvoll. Eine Ausschussberatung zum PKK-Verbot auf Grundlage der Selbstbefassung natürlich gern. Der Antrag ist dafür jedoch alles andere als eine geeignete Grundlage. Vielen Dank.

(Beifall SPD, CDU und FDP)

(Thomas Rother)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir zwar an meinem Geburtstag etwas leichteren Tobak gewünscht. - Minderheitenrechte werden in unserem Land traditionell hochgehalten. Unser Land hat bei diesem Thema europaweit eine Vorbildfunktion, und das zu Recht. Deswegen ist es für uns Grüne selbstverständlich, dass wir uns mit diesem Antrag des SSW ernsthaft auseinandersetzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aber wir stimmen nicht in allen Punkten überein.

Wir gehen mit der Forderung d’accord, die Waffenlieferungen an den türkischen Staat einzustellen. Das allseits als völkerrechtswidrig eingeschätzte militärische Agieren der türkischen Regierung im Norden Syriens darf nicht von deutschen Waffen unterstützt werden. Dass das immer noch geschieht, obwohl wir das in der Bundesregierung beschlossen haben, ist der falsche Weg.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Kernanliegen des SSW-Antrags ist es jedoch, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, das Betätigungsverbot der PKK und ihr nahestehender Organisationen aufzuheben. Der Antrag des SSW ist in diesem Punkt deswegen problematisch - Herr Kollege Claussen hat schon darauf hingewiesen -, weil er in seiner Überschrift Solidarität mit den kurdischen Minderheiten einfordert, dabei aber im Subtext die Interessen der kurdischen Minderheit mit denen der PKK gleichsetzt. Diese Gleichsetzung ist im Kern infrage zu stellen.

Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass die PKK in der Vergangenheit auf Grundlage einer marxistischleninistischen Ideologie gegenüber türkischen Sicherheitskräften, gegenüber Zivilpersonen, aber vor allem auch gegenüber Abweichlern in den eigenen Reihen extremen Terror ausgeübt hat. Damit hat sie den berechtigten Anliegen der kurdischen Minderheit aus meiner Sicht nicht genützt, sondern geschadet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, es ist aber auch festzustellen, dass die PKK und die ihr zugerechneten Mitgliedervereine seit einigen Jahren bemüht sind, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland einen moderaten Kurs zu fahren. Wir haben bei anderen militant-gewalttätigen Minderheitenorganisationen in Europa gesehen, dass ein solcher Deradikalisierungsprozess durchaus gelingen kann. Ich verweise auf die Entwicklungen bei der baskischen ETA und bei der irischen IRA.

Wenn im Zuge des Verbots auch kulturelle Einrichtungen ins Visier geraten und jede politische Betätigung für die Befreiung der Kurdinnen und Kurden zugleich unter dem Damoklesschwert des in dieser Frage überaus harschen Strafrechts steht, wird jedenfalls wenig getan, um den Deradikalisierungsprozess zu unterstützen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist hinzugekommen: Im Kampf gegen den IS haben sich die PKK und ihre Ablegerorganisationen als mutige und schlagkräftige Partner der USA und Europas bewährt. Sowohl die irakischen Peschmerga als auch die PYD in Syrien wurden von der Bundesrepublik mit tausenden Milan-Lenkraketen, mit Panzerfäusten, mit G-36-Gewehren und gepanzerten Fahrzeugen vom Typ Dingo ausgerüstet. Unvergessen ist der Einsatz der Peschmerga zur Rettung von 35.000 Jesiden im Jahr 2014 vor einem drohenden Genozid durch den IS im Sindschar-Gebirge. Jetzt kommt eine besondere Situation: Rückkehrer, die in dem dortigen Konflikt noch mit deutschen Waffen schossen, müssen sich nach Rückkehr in der Bundesrepublik wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verantworten. Ob das besonders sinnfällig ist?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dennys Bornhöft [FDP])

Und die Straferwartungen sind hoch. Bewährungsstrafe gilt da nicht mehr; drei bis vier Jahre sind die Strafen, die da ausgesprochen werden.

Es passt einfach nicht zusammen, dass die Bundesrepublik die PKK in Deutschland als terroristische Organisation deklariert und gleichzeitig die PKKverbundenen Truppen im Ausland mit Waffen aufrüstet, weil sie dort dieselben militärischen Ziele verfolgen.

Aber Vorsicht an der Bahnsteigkante - Thomas Rother hat darauf hingewiesen -: Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten, dass die erwähnten Waffen von kurdischen Kräften auch gegen rivalisierende Minderheitengruppen eingesetzt worden sind. Die grauenhaften Entwicklungen in den Grenzregionen zwischen der Türkei,

Syrien und dem Irak zeigen ein kaum entwirrbares Interessengeflecht zwischen den Akteuren. Klare Eindeutigkeit in der Frage, wer dort Täter und wer Opfer ist, ist - abgesehen von der Rolle des IS - auf diesem Schlachtfeld keineswegs so einfach auszumachen, wie es der Antrag des SSW suggeriert.

Meine Damen und Herren, einig sind wir uns sicher darin, dass das Thema sehr sensibel behandelt werden muss. Denn das Letzte, was wir mit unserer Befassung im Landtag bewirken wollen, ist, dass sich die türkisch- und kurdischstämmigen Communitys in unserem Land zusätzlich entfremden und entzweien. Wir Grünen wollen uns daher im Ausschuss näher mit dem Antrag befassen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jörg Hansen das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Präsidium! Dieser Antrag ist sicherlich kein gewöhnlicher Antrag. Lassen Sie mich zum Antrag des SSW daher einige Vorbemerkungen machen.

Zum einen möchte ich unterstreichen, dass die Lage im Nahen Osten und der noch immer anhaltende Krieg in Syrien mich sehr betroffen machen. Der seit Jahren anhaltende Konflikt mit dem IS und dem Assad-Regime kennt kaum Gewinner, dafür aber Millionen von Verlierern - seien es die vielen Getöteten oder Verletzten oder die Millionen von Menschen, die sich Flucht und Vertreibung ausgesetzt sehen. Die Lage ist unübersichtlich und für Außenstehende oft schwer zu beurteilen.

Zum anderen ist der Antrag des SSW mit seiner in großen Teilen klar außenpolitischen Ausrichtung nicht geeignet, Klarheit zu schaffen, sondern beschert dem Landtag eine außenpolitische Debatte, die nach der Kompetenzordnung unseres Grundgesetzes allein dem Bund zugewiesen ist.

(Beifall FDP)

Ich scheue die Debatte nicht, man muss sich dessen aber bewusst sein.

(Lars Harms [SSW]: Dann machen wir keine Debatte mehr zum Brexit!)

Vorweg sind zwei Punkte klarzustellen.

Erstens: Minderheiten haben bei uns gleiche Rechte und Pflichten. Neben den in der Verfassung ausdrücklich geschützten autochthonen Minderheiten gibt es keine Minderheiten erster oder zweiter Klasse.

Zweitens: Die PKK spricht nicht für die Gesamtheit der Kurden in Deutschland. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Mehmet Tanriverdi, sagte in einer sehr empfehlenswerten Dokumentation: Sicherlich bestehe auch diese gewaltbereite Seite, so wie in jeder Gesellschaft. Aber das Bild sei schief. Anschließend führt er aus, wie gering der Rückhalt der PKK in Deutschland sei, vielleicht 2 % oder 3 %.

Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie wissen, war ich Leiter des Brennpunktdienstes im Bahnhofsrevier Lübeck. Auch hier hatten wir eine Demonstration von 400 Menschen, darunter ein hoher Prozentsatz Kurden, zu schützen. Bei diesem Thema war eine hohe Sensibilität gefragt. Vorangegangen waren Auseinandersetzungen zwischen Erdogan-Gegnern und -anhängern auf offener Straße in Lübeck. Bereits bei der Aufstellung des Demonstrationszuges war daher eine angespannte Nervosität deutlich spürbar. Die große Sensibilität hatte darin zu bestehen, dass ein Konflikt, der seine Wurzeln nicht in Deutschland hat, auf deutschem Boden ausgetragen wurde.

Es ist ein Konflikt, der seit Jahrhunderten mit schrecklichen Auseinandersetzungen und grausamen Bildern verbunden ist. Er ist hochkomplex. Das Siedlungsgebiet von circa 500.000 km2 verteilt sich auf vier Staaten: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Seit Langem wird durch die Kurden der Traum eines autonomen Staates geträumt. Die PKK hingegen sieht sich seit den späten 70er-Jahren als militärischer Arm im Kampf um die kurdische Freiheit. USA und Europa haben die PKK aus Gründen, die uns allen bekannt sind, als Terrororganisation eingestuft. 1984 rief die PKK zum Kampf gegen die Unterdrückung auf und attackierte in der Türkei Polizei- und Militärposten.

Der seit Jahrhunderten schwelende Konflikt, die Lage in der Türkei und der Vormarsch des IS im Jahr 2014 waren für die Lagebeurteilung bei der Demonstration, die wir zu schützen hatten, von hoher Relevanz, und zwar ohne dass wir in Lübeck darauf überhaupt Einfluss nehmen konnten. Der Schutz des Demonstrationsrechts stand selbstverständlich im Vordergrund. Allerdings - das sage ich ganz persönlich - machten dieser Hintergrund, die Bilder und Grausamkeiten diesen Einsatz für mich zu einer sehr hohen persönlichen Belastung.

(Burkhard Peters)

Der Antrag hat ein klares Urteil zur PKK getroffen. Auch nach intensiver Vorbereitung auf diese Rede kann ich das nicht nachvollziehen. Auch die Sicherheitsbehörden stützen die Haltung des SSW ausdrücklich nicht. Vielmehr scheint die PKK ihre Strategie in Europa lediglich geändert zu haben, Herr Rother hat darauf hingewiesen. Der Antrag vernachlässigt diese öffentlich zugänglichen Erkenntnisse. Ich ergänze zwei Faktoren, die noch nicht angesprochen worden sind: die Rekrutierungsmaßnahmen und Spendenaufrufe sowie die Veranstaltungen, die man hier mit berücksichtigen muss. Man darf dies nicht wegwischen oder wegformulieren, es gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Eine öffentliche Debatte zur Bedrohungslage durch die PKK ist hochsensibel und differenziert zu führen. Lassen Sie uns im Innen- und Rechtsausschuss unemotional und seriös über die schleswig-holsteinischen Bezüge der Debatte diskutieren. Wichtig ist, dass wir hierzu ein aktuelles Lagebild aus Schleswig-Holstein erhalten. - Vielen Dank.