Protokoll der Sitzung vom 29.10.2020

(Beifall SPD, CDU und FDP)

Mit der Zweidrittelmehrheit einen solchen Haushalt zu beschließen, gab es in der Geschichte unseres Landes in dieser Form noch nie. Das ist auch im Ländervergleich etwas Besonderes. Über die Details wird morgen die Kollegin Raudies in der Haushaltsdebatte sprechen.

Ich will in aller Kürze sagen, warum wir uns beteiligt haben. Es wird ein Schulbauprogramm geben, das endlich diesen Namen verdient; denn wenn die Fenster im maroden Altbau nicht mehr aufgehen und die Sanitäranlagen abbruchreif sind, ist Infektionsschutz, ehrlich gesagt, Augenwischerei, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir tun etwas für bezahlbaren Wohnraum, wir setzen ein gutes Signal, indem wir die Kurzzeitpflege ausbauen, die für viele Menschen im Land eine große Erleichterung ist, damit Ältere nicht erst im Krankenhaus und dann gegen ihren Willen statt nach Hause dauerhaft in ein Pflegeheim müssen. Das ist eine humanitäre Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD und Katja Rathje-Hoffmann [CDU])

Wir investieren in die Krankenhäuser. Das ist wichtig, weil wir flächendeckend starke Gesundheitsversorgung sichern müssen. Wir dürfen aber nicht ver

gessen, dass wir gerade bei den Pflegekräften auf Intensivstationen einen erheblichen Personalbedarf haben. In diesem Zusammenhang habe ich die letzte Tarifrunde im öffentlichen Dienst als ein gutes Signal für dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege empfunden.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU und FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin froh, dass von engagierten Parlamentarierinnen und Parlamentariern - nicht zuletzt vom Bundestagspräsidenten - eine Debatte darüber angestoßen wurde, wie wir bei der Pandemiebekämpfung von der Dominanz der Regierungen wegkommen. Der Krisenmodus muss auch bezüglich der exekutiven Befugnisse zeitlich begrenzt werden. Die Konferenz der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin findet sich aus guten Gründen nicht im Grundgesetz wieder; Bundestag, Bundesrat und Landtage allerdings schon. Regierungen müssen aber schnell handeln können, und es ist Aufgabe der Verwaltung, die Exekutive im Detail zu regeln. Aber auch in Pandemiezeiten müssen die entscheidenden Debatten in den Parlamenten stattfinden, und die Kontrolle der Regierung bleibt die vornehmste Aufgabe des Parlaments.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU, FDP und Dr. Frank Brodehl [fraktionslos])

Das bietet dann auch den Raum für die Form von kontroversen Debatten, die von einigen vermisst werden. Mit Blick auf den Herrn Präsidenten möchte ich sagen: Wir sind nicht immer einer Meinung, aber das Führen kontroverser Diskussionen ist uns in diesem Haus gemeinsam außerordentlich gut gelungen.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU und FDP)

Ich begrüße den Vorstoß der SPD-Bundestagsfraktion, das Infektionsschutzgesetz so zu überarbeiten, dass das Parlament wieder stärker beteiligt wird und wir von der Generalklausel wegkommen. Bei wesentlichen Entscheidungen muss der Bundestag das letzte Wort haben. Und auch hier in Kiel sollten wir fraktionsübergreifend sehr genau darauf achten, was der Regierung überlassen wird und was in den Bereich des Parlaments gehört.

Ich finde es auch richtig, Herr Ministerpräsident, dass Sie gewürdigt haben, dass im Frühjahr viele wichtige Impulse, zum Beispiel zu den Spielplätzen oder den Elternbeiträgen für die Kitas, aus dem Parlament gekommen sind.

Auf Dauer müssen natürlich auch die zentralen Entscheidungen wieder hierher verlagert werden. Auch

(Dr. Ralf Stegner)

die Information der Opposition, Herr Ministerpräsident, darf wieder intensiver werden - jetzt, wenn die Herausforderungen wieder zunehmen.

Die Anforderung an die Regierenden ist in diesen besonderen Zeiten hoch. Und wenn tagtäglich schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden, passieren auch Fehler. Das ist entschuldbar, und ich glaube, wir gehen als Opposition damit auch angemessen um. Es entbindet uns aber nicht von unserer Aufgabe, Probleme zu benennen, die mehr als ein Ausrutscher sind; das ist die Aufgabe der Opposition, und das sind wir den Menschen im Land schuldig.

Deshalb möchte ich ein paar Worte zum Beherbergungsverbot verlieren, auch wenn wir jetzt ein bundesweites Beherbergungsverbot haben, was so nicht beabsichtigt war. Ich möchte Ihnen sagen, gerade noch im Rahmen parlamentarischen Sprachgebrauchs: Das war schon ziemlicher Mist mit dem Beherbergungsverbot im Land. Ich möchte nicht in der Sache diskutieren, ob das klug war, die Gäste nur mit Test ins Land zu lassen oder nicht und der gebeutelten Gastronomiebranche noch etwas mitzugeben, aber - meine Fraktion hat sich dazu auch geäußert und andere Bundesländer haben es auch gemacht - es war doch ein wenig konfus, wenn der Ministerpräsident das eine und der Wirtschaftsminister das andere sagte. Das erschwert die Akzeptanz für Pandemiemaßnahmen. Das Gericht hat Ihnen am Freitagabend ja auch die Entscheidung abgenommen.

Es geht übrigens nicht darum, den Menschen im Land die Politik besser zu erklären, denn die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sind weder besonders begriffsstutzig noch unmündig. Es geht um nachvollziehbare Maßnahmen mit schlüssiger Begründung, die sich auf solide Fakten stützen. Und genau darum ist es ein Problem, wenn wir Unterschiedliches an unterschiedlicher Stelle sagen. Es ist auch ein Stück weit unfair gegenüber denjenigen in Verwaltung und Landesregierung, die in den letzten Monaten einen sehr soliden, zum Teil sogar exzellenten Job gemacht haben. Ich möchte stellvertretend ausdrücklich die Rolle des Gesundheitsministeriums im Einklang mit den Gesundheitsämtern vor Ort anerkennen und mich, Herr Minister Garg, für diese Arbeit ganz besonders bedanken.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Seit gestern haben wir nun eine Einigung von Bund und Ländern, die diesmal hoffentlich länger hält als

bislang. Es kann nicht das Ziel sein, dass die Kanzlerin sich im Nachgang von Ergebnissen distanzieren muss, wobei man mit Blick auf die heutigen Zahlen sagen muss, dass sie das letzte Mal recht hatte. Es kann auch nicht sein, dass man sich Einigkeit zusichert und noch während der Konferenz die Alleingänge in den Ländern beginnen.

Bundeseinheitliche Kriterien und situativ und regional angepasste Maßnahmen der Regierung und Verwaltung - kontrolliert von den Parlamenten -: Darum geht es. Im Übrigen gilt das erst recht für die norddeutsche Zusammenarbeit. Unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in der Metropolregion ist es schlichtweg nicht zu vermitteln, wenn auf der einen Straßenseite in Schleswig-Holstein das eine gilt und auf der anderen Straßenseite in Hamburg das andere. Es hat da ein bisschen gerumpelt in den letzten Monaten. Ich wünsche mir insgesamt möglichst viel Gemeinsamkeit.

(Beifall SPD)

Es ist übrigens auch nicht die Zeit für persönliche Profilierung. Herr Kollege Koch, vielleicht hilft an der Stelle die Vertagung der Personalfragen bei der Union. Wir brauchen nämlich keinen Wettbewerb um die schnellste, härteste, konsequenteste CoronaShow - das ist Krisenmanagement im schlechten Sinne.

(Zuruf Tobias Koch [CDU])

Wir brauchen bundesweite Standards und eine gemeinsame Strategie, nach denen sich die regionalen Maßnahmen richten: für Veranstaltungen, für Masken, für Tourismus, im Zweifelsfall auch für die Bußgelder gegen diejenigen, die vorsätzlich anderen schaden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist nicht glamourös, das ist Erfolg versprechend.

Die Einigung von gestern ist auch eine Chance. Der bevorstehende Monat, der November 2020, wird grau und still werden, noch grauer und stiller als sonst. Das wird eine harte Geduldsprobe für uns alle. Es liegt am Ende nicht an uns, sondern an den Bürgerinnen und Bürgern, ob wir es schaffen, die Infektionsdynamik drastisch zu bremsen. Das können wir nur gemeinsam schaffen. Dafür braucht es eine vernünftige Kommunikation. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Effektivität sind und bleiben die Kriterien, die es braucht, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu wahren. Es geht um Rücksicht, es geht um Vorsicht, es geht um Umsicht, es geht um Einsicht.

Eine breite Mehrheit der Bevölkerung unterstützt die Maßnahmen gegen die Pandemie. Eine große

(Dr. Ralf Stegner)

Mehrheit hier im Parlament macht das. Das ist nicht selbstverständlich. Lassen Sie es uns nicht verspielen, dann werden wir die Krise meistern. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Tobias Koch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die Coronalage ist ernst!“ Mit diesen Worten hat der Ministerpräsident seine Rede begonnen, und so möchte auch ich gern starten. Die Lage ist vor allem weitaus ernster als sie es im Frühjahr gewesen ist. Das ist uns in Schleswig-Holstein vielleicht noch nicht so richtig bewusst, weil die Entwicklung in den letzten Wochen so unglaublich schnell erfolgt und weil unser Infektionsgeschehen nach wie vor deutlich niedriger ist als im übrigen Bundesgebiet.

Wenn wir aber einmal den Vergleich zum Frühjahr ziehen, dann hatten wir am 13. März 2020, als wir das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren haben, als wir Schulen und Kitas geschlossen haben, gerade einmal 46 bestätigte Corona-Fälle im ganzen Land Schleswig-Holstein. Heute sind es aktuell 1.929 Fälle, und damit 50-mal so viele wie im März 2020. Und die Kurve geht steil nach oben, auch bei uns in Schleswig-Holstein.

Waren es zu Beginn der zweiten Welle vor allem jüngere und damit gesündere Menschen, die sich mit dem Coronavirus infizierten, so hat das Virus mittlerweile auch die Alten- und Pflegeheime wieder erreicht - mit aller Dramatik, die damit verbunden ist.

Es ist deshalb nicht allein die hohe Zahl der positiven Testergebnisse, die besorgniserregend ist, auch die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten geht wieder nach oben. Wir können froh sein, dass wir aufgrund der aufgestockten Anzahl von Intensivbetten und von Beatmungsgeräten noch ausreichend Platz bei uns in Schleswig-Holstein haben. In anderen Regionen des Bundesgebietes sieht auch das schon wieder deutlich kritischer aus. Das alles lässt sich im Übrigen nicht allein damit erklären, dass jetzt mehr getestet wird als im Frühjahr und dass dabei eine Fehlerquote von 1 bis 2 % besteht. Diese Fehlerquote gilt schließlich für positive und negative Test gleichermaßen. Es wäre deshalb ab

surd zu glauben, dass die hohe Zahl von positiven Testergebnissen allein auf dieser Fehlerquote beruht. Vielmehr ist wirklich davon auszugehen, dass bei den über eine Million negativen Testergebnissen pro Woche bundesweit weitere 10.000 bis 20.000 Erkrankte unerkannt bleiben und das Virus anschließend ohne Quarantänemaßnahmen und ohne Kontaktnachverfolgung im Land verbreiten.

Meine Damen und Herren, die gesundheitliche Lage ist deshalb um ein Vielfaches besorgniserregender als im Frühjahr. Eine Kontaktnachverfolgung ist in weiten Teilen der Bundesrepublik nicht mehr zu bewältigen. Die Pandemie ist bereits außer Kontrolle geraten. Eine Überlastung des Gesundheitssystems mit fehlenden Intensivbetten und Beatmungskapazitäten ist damit nur noch eine Frage von wenigen Wochen, wenn wir nicht eingreifen. Deshalb muss jetzt konsequent und entschlossen gehandelt werden.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, die gestern beschlossenen Maßnahmen kommen dabei dem Lockdown vom Frühjahr sehr nahe. Das ist überaus schmerzlich. Wir hätten uns sicherlich alle gewünscht, dass wir einen zweiten derartigen Einschnitt vermeiden können. Daran haben wir in Schleswig- Holstein in den letzten Monaten hart gearbeitet. Gerade, weil diese Hoffnung jetzt enttäuscht wird, möchte ich aber doch auf einige wesentliche Unterschiede gegenüber dem Frühjahr hinweisen, die allesamt dazu dienen, die negativen Folgen dieser Einschränkungen möglichst zu minimieren.

Schulen und Kitas bleiben weiter offen. Alle mit einer Schließung verbundenen Belastungen für die Familien bei der Kinderbetreuung werden damit vermieden. Und auch die Lerndefizite werden verhindert, die wir im letzten Schuljahr in der Zeit des sogenannten „Homeschooling“ erlebt haben. Ich finde, dass das ein ganz entscheidender Unterschied ist, mit dem wir eine wichtige Lehre aus den Erfahrungen des Frühjahrs ziehen.

Zweiter großer Unterschied: Alle Geschäfte bleiben weiterhin geöffnet. Das reduziert die wirtschaftlichen Folgen erheblich und ist mit der zwischenzeitlich eingeführten Maskenpflicht im Einzelhandel, die es im März und April 2020 ja noch nicht gab, auch vertretbar.

Drittens bleibt eine Vielzahl von Aktivitäten weiterhin erlaubt, die im März 2020 zunächst einmal allesamt verboten waren. Individualsport, Gottesdienste, Büchereien, Physiotherapie und Volkshoch

(Dr. Ralf Stegner)

schulen bleiben jetzt zulässig beziehungsweise geöffnet.

Das sind alles Bereiche, die wir im April/Mai 2020 als Erstes wieder geöffnet haben, weil wir ganz schnell gemerkt haben, dass es hier Probleme gibt, dass die Regelungen nicht wirklich sinnvoll oder unverhältnismäßig waren. Auch hier ziehen wir also Lehren aus den gemachten Erfahrungen.

Bevor wir deshalb jetzt von einem zweiten Lockdown sprechen, sollten wir uns schon bewusst sein, dass es diese erheblichen Unterschiede gibt. Andere europäische Länder erfahren dagegen derzeit einen Lockdown, der noch weit über das hinausgeht, was gestern beschlossen wurde und was wir im Frühjahr erlebt haben.

Für 46 Millionen Franzosen gilt derzeit eine Ausgangssperre zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens. Während dieser Zeit dürfen sie nicht auf die Straße gehen, sie dürfen nicht joggen, nicht mit dem Hund Gassi gehen, sondern müssen alle Aktivitäten so rechtzeitig beenden, dass sie pünktlich um 21 Uhr wieder zu Hause sind. Was derartige Eingriffe für die menschliche Psyche, für Themen wie häusliche Gewalt, aber auch für die wirtschaftliche Entwicklung bedeuten, kann noch niemand wirklich absehen.

(Zurufe)