Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

- Na ja, leider nicht wirklich. Es waren diese vier Fraktionen, die damals über eine Zweidrittelmehrheit verfügten. Die entscheidenden Verhandlungen haben wir durchaus in dieser Vierergruppe geführt. Am Ende hat die SPD zugestimmt, und es war ein gemeinsamer Beschluss.

(Zurufe Beate Raudies [SPD] und Martin Ha- bersaat [SPD])

(Jörg Nobis)

Das war also wirklich eine Parlamentsinitiative, das damals in die Verfassung hineinzuschreiben; das war damals der große Wurf.

Die Schuldenbremse ist bislang ein absolutes Erfolgsmodell. Sie hat sich bewährt. Wir haben während der zehn Jahre, in denen die Schuldenbremse in Kraft ist, zunächst die vorhandenen Defizite abgebaut. Wir haben dann die schwarze Null erreicht und haben in den letzten Jahren sogar Haushaltsüberschüsse erzielt, mit denen wir zum Teil Schulden tilgen konnten, mit denen wir vor allem auch investieren und Sanierungsstaus beseitigen konnten.

(Beifall CDU)

Dann kam die HSH Nordbank. Das war ein ganz schwerer Schlag ins Kontor, wenn man eigentlich Schulden abbauen will und dann auf einmal in dieser Dimension neue Schulden hinzukommen. Die heutigen Kreditaufnahmen erreichen ziemlich genau - das ist paradox - das gleiche Niveau wie bei der HSH Nordbank. Wir haben die 4,5 Milliarden € Notkredit, wir haben die 1 Milliarde € Notkredit, die wir schon im Laufe des Jahres beschlossen hatten, und wir haben die 1,2 Milliarden € konjunkturell bedingte Kreditaufnahmen, um die Steuerausfälle auszugleichen. Zusammengerechnet liegen wir damit bei 6,7 Milliarden €. Das ist, glaube ich, exakt die gleiche Zahl wie damals bei der HSH Nordbank. Weil uns das damals maximal, als Worst-Case-Szenario, drohte, da wusste man bei der HSH Nordbank wenigstens noch, dass anschließend ein Schlussstrich darunter gemacht werden konnte. Heute haben wir die gleiche Summe erreicht, aber es kann immer noch mehr werden, weil wir nicht wissen, wie das mit der Krise weitergeht.

Das ist also eine wirklich ganz schwere Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, wenn man eigentlich das Ziel vor Augen hat, Schulden abzubauen, um zukünftige Generationen zu entlasten.

Trotzdem ist auch die heutige Entscheidung richtig und notwendig. Auch das will ich gerne noch einmal mit drei Punkten begründen.

Es gibt realistischerweise keine Alternative. Zu glauben, dass wir das mit Haushaltskürzungen darstellen können, ist nicht realistisch. Ich durfte 2009/2010 in der legendären Haushaltsstrukturkommission mitwirken, in der wir damals die Kürzungen beraten und beschlossen hatten.

(Beate Raudies [SPD]: Sagen Sie doch ein- mal, wem Sie das zu verdanken haben!)

- Genau. Das wissen Sie jetzt. - Das war auch schon damals nicht einfach. Im Übrigen ist noch eine gan

ze Reihe der damals beschlossenen Kürzungen in Kraft. Das Thema Kürzung des Weihnachtsgelds für Landesbedienstete gilt nach wie vor. Auch die Heraufsetzung der Unterrichtsverpflichtung für Lehrkräfte ist nach wie vor in Kraft. Die Lehrkräfte müssen nach wie vor mehr unterrichten und arbeiten. Auch das Blindengeld ist nach wie vor gekürzt; es stand damals sehr stark in der Kritik, weil das zur Disposition stand.

Sie sehen: Eine ganze Reihe von Kürzungen ist nach wie vor in Kraft. Wenn man den Vergleich mit anderen Bundesländern zieht, dann stellen wir fest, dass wir in fast allen Politikfeldern pro Kopf der Bevölkerung deutlich weniger ausgeben als andere Bundesländer.

Wir haben gar nicht den Speck auf den Rippen; erst recht haben wir keine unnötigen oder überflüssigen Ausgaben, die man mal eben so einsparen und wegstreichen könnte. Das würde nicht funktionieren.

Selbst dort, wo wir in den letzten Jahren die Kürzungen wieder rückgängig gemacht haben - Gott sei Dank konnten wir bei guter Haushaltslage Kürzungen wieder rückgängig machen -, sind die Zuschussempfänger jetzt gerade mal wieder auf dem Niveau, auf dem sie 2010 waren, von dem aus wir runtergekürzt hatten. Jetzt haben wir das lediglich wieder ausgeglichen. Aber es ist eben nur der Stand von 2010, obwohl wir jetzt zehn Jahre weiter sind und das Jahr 2020 schreiben. Erster Punkt sind also die Kürzungen. Damit ließe sich das nicht umsetzen.

Der zweite wichtige Punkt, der auch bereits deutlich geworden ist, ist dieser: Mit dieser Kreditaufnahme sichern wir unsere Investitionen ab. Es war aus meiner Sicht der Kardinalfehler in den 90erJahren, als uns damals sinkende Steuereinnahmen zu Haushaltseinsparungen dazu gezwungen hatten und wir zuallererst den Rotstift bei den Investitionen angesetzt hatten. Darunter leiden wir heute noch doppelt und dreifach; denn der massive Sanierungsstau, den wir haben, resultiert gerade aus den Investitionskürzungen in den 90er-Jahren. Alles, was wir heute an Neubauten oder Grundsanierungen machen müssen, ist um Längen teurer, als wenn man regelmäßig Instandsetzungsarbeiten durchgeführt hätte, die notwendig gewesen sind, was damals aber unterlassen worden ist.

Weil unsere öffentliche Infrastruktur derartig verfallen war, haben wir auch beim Wirtschaftswachstum hinter dem Süden hinterhergehinkt. Unsere Einnahmesituation ist dadurch schlechter geworden, weil in die öffentlichen Rahmenbedingungen, in die öf

(Tobias Koch)

fentliche Infrastruktur nicht ausreichend investiert wurde. Auch auf der Einnahmeseite haben wir heute darunter zu leiden. Deswegen finde ich es gut, dass wir mit den jetzigen Kreditaufnahmen Investitionen nicht nur für ein Jahr, sondern auch für die kommenden Jahre absichern, damit wir diesen Sanierungsstau weiter abbauen können und den Hochlauf der Investitionsquote trotz der Krise unverändert fortsetzen können.

(Beifall CDU)

Der dritte Punkt ist die Schuldenbremse selbst; denn die gilt ja nach wie vor. Dass die Schuldenbremse uns dazu zwingt, hier mit einer Zweidrittelmehrheit zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, ist, glaube ich, ein ganz großer Wert an sich. Man stelle sich einmal vor, wir würden uns hier wie die Kesselflicker darüber streiten, ob wir diese Kredite aufnehmen. Was wäre das für ein Signal mitten in dieser Krise? Wie würden die Menschen auf diesen Landtag schauen?

Deswegen noch einmal mein ganz großer Dank an die Opposition, dass wir es gemeinsam hinbekommen haben, dass wir diese Kreditaufnahmen mit einer Zweidrittelmehrheit oder sogar mit einem fast einstimmigen Beschluss hier im Landtag tätigen können. Das zeigt Verantwortung von allen Fraktionen hier im Hause.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Schuldenbremse ist schon erwähnt worden. Wir beschließen zugleich aber auch einen Tilgungsplan. Das kennt jeder Häuslebauer. Wenn ich einen Kredit aufnehme, habe ich auch einen Tilgungsplan. Trotzdem ist es in diesem Jahr das allererste Mal in 70 Jahren schleswig-holsteinischer Landesgeschichte oder auch bundesdeutscher Geschichte, dass wir Kredite aufnehmen und gleichzeitig eine Tilgung vereinbaren. Das klingt trivial, hat es aber tatsächlich noch nie gegeben. Bisher wurden immer nur neue Schulden gemacht. Jetzt vereinbaren wir einen festen Tilgungsplan. Auch das ist doch ein guter Grund, weshalb man den heutigen Kreditaufnahmen zustimmen kann.

(Beifall CDU)

Für mich und meine Fraktion kann ich hier nur sagen: Wir werden das heute tun. Ich bedanke mich noch einmal bei allen Fraktionen in diesem Hause für die erzielte Übereinstimmung.

Wir werden im Anschluss und damit am Ende des Tages auch den Leitantrag zur gestrigen Regierungserklärung „Coronapandemie wirksam eindäm

men“ als einen interfraktionellen Antrag gemeinsam beschließen. Auch das ist ein ganz großes Signal der Geschlossenheit. Es geht hier um Maßnahmen, die alle Menschen draußen im Land schwer treffen. Es ist toll, dass wir das als Landtag gemeinsam so beschließen wollen. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich und auch dafür, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Hause viele Haushaltsdebatten geführt mit großer Leidenschaft, mit sehr vielen Unterschieden in den unterschiedlichsten Rollen. Ich habe hier als Oppositionspolitiker gesprochen, ich habe hier als Finanzminister gesprochen, und ich habe viele Debatten verfolgt.

Wir tun das auch in durchaus unterschiedlicher Erinnerung. Ich bin vom Studium her ja Historiker, Herr Kollege Koch. Deshalb weiß ich, dass die Quellen manchmal doch präzise Quellen sein müssen und nicht nur die subjektive Erinnerung. Aber so ist das manchmal.

Wer das Buch von Herrn Kubicki, für den ich jetzt keine Werbung machen möchte, liest, der kann auch sehen: Der Teil, der da über die Niederlage der schwarz-gelben Regierung geschrieben steht, ist sehr knapp geraten. Auch damals gab es schon Gründe, warum es so war, wie es ist und warum man eben nicht nur sagen kann, wir hätten weniger bei den Investitionen sparen sollen; man hätte dramatische, drastische soziale Kürzungen machen müssen. Wenn man das übertreibt, wird man auch abgewählt.

Ich will damit nur sagen: Man kann dazu eine ganz unterschiedliche Haltung haben. Auch bei der Schuldenbremse kann man sie haben. Ich will aber doch festhalten, weil das eben ein bisschen gefehlt hat, dass die Sozialdemokratie der Beschlussfassung hier nicht nur zugestimmt hat, sondern auch an der Erarbeitung beteiligt war. Eben entstand ein bisschen der Eindruck, als ob die Zweidrittelmehrheit ohne uns zustande gekommen wäre. Nein, nein, wir waren schon dabei.

(Zurufe CDU: Oh!)

(Tobias Koch)

Man kann dazu doch unterschiedliche Haltungen haben. Wir sind ja auch unterschiedliche Parteien. Im Gegensatz zu anderen Leuten gehöre ich zu denen, die sagen, die Demokratie wird durch unterschiedliche Profile und unterschiedliche Beschlüsse, die wir fassen, gestärkt. Das hilft meiner Meinung nach auch gegen die rechten Ideologen.

(Beifall CDU und FDP)

Das müssen wir nicht machen. Trotzdem sind das Entscheidende nicht die Unterschiede.

Natürlich hat die Zweidrittelmehrheit dazu beigetragen, dass wir in sehr ernsthafte Verhandlungen gegangen sind. Ich glaube, inhaltlich ist dabei durchaus etwas sehr Gutes entstanden. Ich will gar nicht verhehlen, dass dabei natürlich auch das Vertrauen gegenüber der Kollegin und Finanzministerin Monika Heinold geholfen hat, mit der wir in der Küstenkoalition gemeinsam etwa IMPULS entwickelt haben, damals noch unter anderer Betrachtung durch die damalige Koalition. Wenn man sich lange kennt, dann ist man auch in der Lage, das Vertrauen aufzubringen, dass wir alle miteinander brauchen, damit das auch klappt, was wir hier machen.

Deswegen glaube ich, sind die Unterschiede, die hier deutlich geworden sind, okay. Aber das Entscheidende ist, dass es uns gelungen ist, diesen Kraftakt hier zu vollziehen.

Wir stimmen natürlich nicht dem Haushalt 2021 zu. Das ist auch nicht unsere Aufgabe, zumal wir davon ganz andere Vorstellungen haben. Aber da, wo es nötig ist, etwas gemeinschaftlich auf den Weg zu bringen, insbesondere was den Nachtragshaushalt angeht und die Aufnahme doch erheblicher Kreditmittel, ist das, glaube ich, eine gute Sache.

Konsens ist in wichtigen Krisenzeiten, in denen es um die Handlungsfähigkeit des Staates geht, auch ein wichtiges Signal gegenüber der Bevölkerung, dass wir das hinbekommen.

(Beifall SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da wir, wie die Finanzministerin zu Recht gesagt hat, diese Debatte, die wirklich etwas mit der Krise zu tun hat, führen, müssen wir noch ein paar Sätze zu den Konsequenzen aus der gestrigen Debatte sagen. Anhand der Reaktionen kann man feststellen, dass auf der einen Seite gesagt wird, dass viele Dinge, die wir vereinbart haben, ungerecht, widersprüchlich und für manche enttäuschend seien. Das stimmt. Natürlich ist es für manche enttäuschend, dass jetzt Geschäfte geschlossen werden, obwohl sie ein Hygienekonzept haben. Natürlich ist es nicht

einsehbar, warum man nicht Sport treiben darf, ohne Kontakt zu den anderen zu haben. Ich warne uns allerdings davor, zu glauben, dass wir in der Abarbeitung dieser Punkte vorankommen. Ein Teil besteht auch hier in der Fähigkeit zum Konsens, und zwar zwischen dem Bund und 16 Ländern, gemeinsam einen Kraftakt zu vollziehen, dass wir es im November schaffen, um die größere Katastrophe zu vermeiden, die sonst unvermeidbar kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil das so ist, ist es auch wichtig, dass das, was zugesagt wird, auch eingehalten wird, dass das Geld vom Bund fließt, dass sich nicht die Herren Altmaier und Scholz und wer auch immer noch lange streiten, sondern dass das Geld fließt. Die Entschädigungen sind nämlich eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass man das so mit den Einschränkungen machen kann, ansonsten ist das nicht vertretbar, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD und Kay Richert [FDP])

Ich finde es schwierig, wenn wir gemeinsam Dinge tragen, die wir in schweren Kompromissen entschieden haben, die Bürger aufzufordern, gegen das zu klagen, was wir gemeinsam entschieden haben. Das ist kein Beitrag dazu, der Handlungsfähigkeit des Staates zu vertrauen.