Protokoll der Sitzung vom 15.06.2011

Zur Auskömmlichkeit. Wenn man sich die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Oktober 2010 anschaut, so haben wir im Saarland rund 59.000 erwerbsfähige Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SBG II. Davon sind 14.700 - die Zahlen sind gerundet - abhängig beschäftigte ALGII-Bezieher. Von diesen sind 2.500 in einem sozialversicherungspflichtigen Teilzeitverhältnis, 8.100 gehen einer geringfügigen Beschäftigung nach. Diese beiden Gruppen zusammen machen die Mehrzahl derjenigen aus, die Aufstockerleistungen erhalten. Für diese Gruppen ist der Lösungsansatz auch nach Ansicht des IAB vor allen Dingen eine Erhöhung im Arbeitszeitvolumen. Wir haben dort häufig die Situation, dass weitaus weniger als 15 Stunden in der

(Abg. Willger (B 90/GRÜNE) )

Woche gearbeitet wird, und mit weniger als 15 Stunden kann man kein auskömmliches Erwerbseinkommen haben. Deswegen muss man bei dieser Gruppe genau hinschauen, wie die persönliche Situation ist, was jemand daran hindert, Vollzeit zu arbeiten. Ist es die gesundheitliche Situation, sind es die familiären Verhältnisse, ist es die Qualifikation? Dort muss man zielgerichtet hinschauen. Für diejenigen muss man über die Aufstockung des Arbeitszeitvolumens zu einer verbesserten Situation kommen.

Wir haben aber im Saarland in der Tat rund 4.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen und dennoch Leistungen nach dem SGB II erhalten, sogenannte Aufstocker. Es sind Menschen, die Vollzeit arbeiten und trotzdem aufstocken müssen. Von diesen 4.000 sind wiederum 777 Auszubildende. Es verbleiben also rund 3.230 Menschen im Saarland, für die die Diskussion um den Mindestlohn wichtig und interessant ist. Man hat heute gesehen, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen über die Auswirkungen des Mindestlohns gibt, die gibt es auch auf wissenschaftlicher Ebene. Bei einem Punkt ist man sich in der Wissenschaft jedoch einig: Nicht die Tatsache allein, dass man einen Mindestlohn hat, bringt positive oder negative Wirkungen, sondern die Frage, wie sich dieser Mindestlohn in der Relation zum allgemeinen Lohnniveau verhält. Ist er zu hoch, dann laufen wir in der Tat Gefahr, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Ist er zu niedrig, dann bringt er im Grunde genommen nichts, wie der Kollege Wegner es angesprochen hat, weil er die Menschen trotzdem im Bezug von SGB-II-Leistungen hält.

Es gibt unterschiedliche Wege, an dieses Problem heranzugehen. Ein Weg ist der, den die SPD-Landtagsfraktion heute in ihrem Antrag beschreibt, der einheitliche, gesetzliche und flächendeckende Mindestlohn. Ein anderer Weg ist der flächendeckende Mindestlohn unter Berücksichtigung der Branchen. Das ist der Weg, den die SPD-Bundestagsfraktion 2008 vorgeschlagen hatte, in Nutzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes, um zu einer entsprechenden Regelung zu kommen.

Es sind eben positive und negative Auswirkungen angesprochen worden. Da kann man nur feststellen, es gibt für beides Belege, und es gibt die unterschiedlichsten Studien. Die neueste vorliegende Studie ist die Prognos-Studie von Mai 2011, die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Berechnung auch bezogen auf die Entlastung der öffentlichen Haushalte durchgeführt hat. Eine Studie von Knabe und Schöb der Freien Universität Berlin aus dem Jahr 2010 kommt ausgehend von einem Mindestlohn von 7,50 Euro zu dem Ergebnis, dass bis zu 840.000 Arbeitsplätze vernichtet würden. Diese beiden Wissenschaftler setzen sich auch kritisch mit

der Prognos-Studie auseinander und sagen, dass diese in Teilen Negativaspekte nicht mit einrechnet und deshalb bezogen auf die positive Wirkung zu einem anderen Ergebnis kommt. Das Institut Arbeit und Technik der Fachhochschule in Gelsenkirchen errechnet im Fall eines Mindestlohns Zusatzkosten von 10 bis 12 Millionen für Unternehmen und geht davon aus, dass dies größtenteils kleinere und Kleinstunternehmer mit weniger als fünf Mitarbeitern treffen würde. Sie sagen auf der anderen Seite aber auch, dass insbesondere Geringqualifizierte und Frauen von einem Mindestlohn profitieren würden. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das ifo Institut Dresden sehen ebenfalls die Gefahr, dass mit einem Mindestlohn die Einkommenserhöhung für einige Arbeitnehmer mit Arbeitsverlusten anderer Geringverdiener teuer erkauft werden würde. Es ist außerdem bekannt, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung eher das Thema Arbeitsplatzverlust in den Vordergrund stellt.

Es sind noch Untersuchungen aus dem englischsprachigen Raum, zum Beispiel aus Berkeley, angeführt worden. Es gibt eine Übersicht, zugegebenermaßen aus dem Jahr 2003, über alle existierenden Untersuchungen im englischsprachigen Raum zur Beschäftigungswirkung von Mindestlöhnen. Ich trage nur das Gesamtergebnis vor: In dieser Übersicht bestätigen 24 Studien mit ihren Ergebnissen, dass es zu Arbeitsplatzverlusten kommt. Sieben Studien zeichnen ein widersprüchliches Bild. 15 Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es zumindest keine negativen oder positiven Beschäftigungseffekte gibt. Also auch hier relativ wenig Hilfreiches, man kann sich die Studie aussuchen, die die vertretene Position bestätigt.

Mir zeigen diese Untersuchungen, dass der Mindestlohn weder der Untergang der sozialen Marktwirtschaft ist noch das Allheilmittel für alle und jede Frage, die sich in unserer Gesellschaft stellt. Sie zeigen aber auch, wie schwierig es ist, eine sachgerechte Diskussion zu führen und aus den Positionen herauszukommen, die jetzt schon verfestigt sind und in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werden. Ich glaube, und dabei bleibe ich, dass wir uns im Blick auf diese 3.230 Menschen im Saarland, die trotz Vollzeitbeschäftigung aufstocken müssen, diesem Thema sowie folgenden Grundsatzfragen und folgender Problematik stellen müssen: Wie verhindern wir auf der einen Seite, dass es Unternehmen gibt - das sind die schwarzen Schafe -, die ihre Löhne weiter absenken, weil es ja über die Aufstockerleistungen eine gewisse Ausfallbürgschaft des Staates gibt? Ab wann führt eine Mindestlohnregelung zu Arbeitsplatzverlusten? Für mich immer noch sehr erschreckend ist das Beispiel der Charité in Berlin: Die Wäscherei wurde privatisiert und es wurden Mindestlöhne eingeführt; die Wäscherei wurde nach Po

(Ministerin Kramp-Karrenbauer)

len verlagert und weg waren die Arbeitsplätze! Das ist ein Effekt, den wir alle miteinander nicht wollen.

Deswegen war mein Ansatz, dass wir dem, was sich in der Vergangenheit immer bewährt hat, nämlich einer tarifvertraglichen und einer branchenspezifischen Lösung, auf jeden Fall den Vorzug geben sollen. Dafür gibt es im Moment Instrumente, nämlich das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, mit dem ein gesetzlicher flächendeckender und branchenspezifischer Mindestlohn festgelegt werden kann. In dem Hauptausschuss, der dafür zuständig ist, ist zum Beispiel der Kollege Sommer vom DGB vertreten. Was wir uns sicherlich alle miteinander wünschen würden, wäre, dass dort die Entscheidungen schneller fallen. Zurzeit wartet zum Beispiel die CallcenterBranche seit über einem Jahr auf eine Entscheidung des Hauptausschusses, ob ein solcher flächendeckender Mindestlohn für die Branche eingeführt wird oder nicht.

(Abg. Roth (SPD) : Die Frage stellt sich: „Warum?“.)

Es gibt in der Tat einen Vorschlag der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, der genau der Versuch ist, die festgefügten Positionen ein Stück weit aufzubrechen, indem man nämlich sagt, Lohnuntergrenze könnte ein Lohn sein, der tarifvertraglich ausgehandelt ist, nämlich für die Zeit- und Leiharbeitsbranche. Das ist bekanntlich eine Branche, die sich über mehrere Berufsfelder erstreckt.

Ich bin der Meinung, dass man sich vorurteilsfrei mit konstruktiven Vorschlägen befassen sollte, um die festgefahrenen Positionen und Diskussionen aufzubrechen. Genau dies werden wir ganz intensiv und vertieft im zweiten Halbjahr tun, auch hier in Saarland im Rahmen der Diskussion innerhalb der Christdemokraten des Saarlandes. Liebe Kolleginnen und Kollegen - auch der SPD -, das, was Sie heute vorgeschlagen haben, ist keineswegs etwas Neues zu den Positionen, die Sie bisher vorgetragen haben. Wir haben dazu schon immer erklärt, dass

wir nicht mitgehen können und dass es kein Weg ist, bei dem wir eine Bundesratsinitiative starten. Deswegen ging es heute, wenn man ehrlich miteinander ist, weniger um eine weitere sachgerechte Diskussion zum Thema Mindestlohn, sondern es ging um das eine oder andere politische Spielchen. Der geneigte Betrachter hat es gemerkt, er ist noch nicht einmal verärgert darüber, sondern eher gelangweilt. Ob wir alle miteinander dem Thema und den betroffenen Menschen damit einen Gefallen getan haben, das wage ich zu bezweifeln.

Wenn Sie bereit sind, so wie die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, an Ihrer Position etwas zu verändern und sich zu überlegen, wie Sie aus Ihrem Schützengraben herauskommen, dann sind wir jederzeit bereit, Diskussionen zu führen. Aber so macht es relativ wenig Sinn und hat eigentlich nur dazu geführt, dass wir die Plenarsitzung um eine Stunde verlängert haben, was sicherlich so nicht nötig gewesen wäre. - Vielen Dank.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der SPD-Landtagsfraktion Drucksache 14/516. Wer für die Annahme der Drucksache 14/516 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 14/516 mit Stimmenmehrheit abgelehnt ist. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen, die Oppositionsfraktionen dafür gestimmt.

Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung angelangt. Ich schließe die Sitzung.

(Ministerin Kramp-Karrenbauer)

Anlage

N a m e n t l i c h e A b s t i m m u n g

1. Abg. Becker, Günter (CDU) nicht anwesend 2. Abg. Biendel, Silke (SPD) Nein 3. Abg. Prof. Dr. Bierbaum, Heinz (DIE LINKE) Ja 4. Abg. Commerçon, Ulrich (SPD) Nein 5. Abg. Eder-Hippler, Elke (SPD) Nein 6. Abg. Ensch-Engel, Dagmar (DIE LINKE) Ja 7. Abg. Georgi, Ralf (DIE LINKE) Ja 8. Abg. Hans, Tobias (CDU) Ja 9. Abg. Dr. Hartmann, Christoph (FDP) Ja 10. Abg. Heib, Dagmar (CDU) Ja 11. Abg. Heinrich, Günter (CDU) Ja 12. Abg. Hinschberger, Horst (FDP) Ja 13. Abg. Huonker, Birgit (DIE LINKE) Ja 14. Abg. Jacoby, Peter (CDU) Ja 15. Abg. Jene, Hans Gerhard (CDU) Ja 16. Abg. Jochem, Karl-Josef (FDP) Ja 17. Abg. Jost, Reinhold (SPD) Nein 18. Abg. Dr. Jung, Magnus (SPD) Nein 19. Abg. Kolb, Gisela (SPD) Nein 20. Abg. Kramp-Karrenbauer, Annegret (CDU) Ja 21. Abg. Kugler, Heike (DIE LINKE) Ja 22. Abg. Kühn, Christoph (FDP) Ja 23. Abg. Kuhn-Theis, Helma (CDU) Ja 24. Abg. Kütten, Edmund (CDU) Ja 25. Abg. Lafontaine, Oskar (DIE LINKE) Ja 26. Abg. Ley, Hans (CDU) Ja 27. Abg. Linsler, Rolf (DIE LINKE) Ja 28. Abg. Maas, Heiko (SPD) Nein 29. Abg. Meiser, Klaus (CDU) Ja 30. Abg. Müller, Peter (CDU) Ja 31. Abg. Pauluhn, Stefan (SPD) Nein 32. Abg. Rauber, Karl (CDU) Ja 33. Abg. Rehlinger, Anke (SPD) Nein 34. Abg. Ries, Isolde (SPD) Nein 35. Abg. Rink, Gisela (CDU) Ja 36. Abg. Roth, Eugen (SPD) Nein 37. Abg. Scharf, Hermann-Josef (CDU) Ja 38. Abg. Schmidt, Volker (SPD) Nein 39. Abg. Schmitt, Christian (FDP) Ja 40. Abg. Schmitt, Markus (B 90/GRÜNE) Ja 41. Abg. Schmitt, Thomas (CDU) Ja 42. Abg. Schnitzler, Lothar (DIE LINKE) Ja 43. Abg. Schramm, Astrid (DIE LINKE) Ja 44. Abg. Schumacher, Wolfgang (DIE LINKE) Ja 45. Abg. Spaniol, Barbara (DIE LINKE) Ja 46. Abg. Theis, Roland (CDU) Ja 47. Abg. Toscani, Stephan (CDU) Ja 48. Abg. Ulrich, Hubert (B 90/GRÜNE) Ja 49. Abg. Waluga, Günter (SPD) Nein 50. Abg. Wegner, Bernd (CDU) Ja 51. Abg. Willger, Claudia (B 90/GRÜNE) Ja

Z u s a m m e n s t e l l u n g :

Abgegebene Stimmen: 50 Davon Ja: 37 Davon Nein: 13 Enthaltungen: