Protokoll der Sitzung vom 21.09.2011

Bundesweit befanden sich im August 1,09 Millionen Teilnehmer in einer geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Das waren 22 Prozent weniger als im gleichen Monat des Vorjahres. Diese reduzierten Eingliederungsbudgets in den Rechtskreisen SGB II und SGB III haben natürlich die gleichen

(Abg. Willger (B 90/GRÜNE) )

Auswirkungen auf unseren Arbeitsmarkt hier im Saarland. Deshalb verringerte sich auch bei uns die Anzahl der Teilnehmer. Die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind im August im Vergleich zum Vorjahr um 20,6 Prozent auf 14.735 gesunken. Damit komme ich zu den konkreten Auswirkungen der Instrumentenreform auf die Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen hier im Saarland. Dazu von uns zum derzeitigen Zeitpunkt folgender Hinweis. Herr Roth, ich betrachte wirklich sehr sorgsam, was Sie in Ihrem Antrag schreiben. Ich komme aber nirgendwo - bei keiner Berechnung - auf diese 367 Millionen Euro. Das müssen Sie uns erklären. Diese Zahlen sind in der Tat, so wie es der Kollege Scharf schon gesagt hat, nicht übersichtlich und insoweit für uns auch nicht durchschaubar.

Ich bestreite überhaupt nicht, dass sich mit der von der Bundesregierung angekündigten weiteren Reduzierung der Eingliederungsbudgets auch eine deutliche Absenkung des Levels arbeitsmarktpolitischer Forderungen fortsetzen wird. Nur die Zahl, die Sie beschreiben, können wir einfach nicht nachvollziehen. Diese Entwicklung, also das, was in Berlin passiert, ist aus meiner Sicht und aus Sicht der Fachleute im Ministerium mehr als kritisch zu bewerten. Der kommende Fachkräftemangel und die intensiveren Förderungsmöglichkeiten erfordern es, für die in Arbeitslosigkeit verbliebenen Menschen ausreichend Mittel für zielgerechte Qualifizierung und Beschäftigung vorzuhalten. Die mit dem Gesetz verbundene Neuordnung der Instrumente wird in vielen Regelungsbereichen von den Ländern nicht mitgetragen. Das ist nicht nur bei uns so, sondern das gilt in allen anderen Ländern auch. Eine Arbeitsmarktpolitik, die auf nachhaltigen Erfolg, auf Teilhabe und Integration aller setzt, erfordert entsprechende Instrumentarien und Finanzmittel. Denn trotz der guten Wirtschaftsentwicklung, die niemand in diesem Haus abstreitet, und dem erfreulichen Rückgang der Arbeitslosigkeit sind die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt besonders groß.

Die Bundesländer setzen sich unter anderem dafür ein, den Gründungszuschuss nicht zu verkürzen. Für ein erfolgreiches Instrument der Arbeitsförderung ist der Gründungszuschuss als Pflichtleistung auszugestalten. Eine Befristung der Einstiegsqualifizierung wird ebenfalls abgelehnt. Als befristetes Instrument im SGB III ist dieses auf Dauer zu halten. Abgelehnt werden von uns darüber hinaus die Finanzierungseinschnitte bei den bewährten Maßnahmen für Berufseinstiegsbegleitung. Vor dem Hintergrund, dass der demografische Wandel einen steigenden Bedarf an Pflegekräften mit sich bringt - der Kollege Scharf hat es eben schon erwähnt -, der in zunehmendem Ausmaß nicht mehr gedeckt werden kann, wird dringend empfohlen, das im Rahmen des Konjunkturpaketes 2 befristet eingeführte dritte Umschulungsjahr in der Altenpflege wieder einzuführen.

Zu den Arbeitsgelegenheiten nach § 16 SGB II wird gefordert, das zusätzliche Kriterium der Wettbewerbsneutralität zu streichen. Ich darf an dieser Stelle betonen, dass ich glücklich bin, dass die SPD das genauso sieht. Ich hatte in der Praxis alle Mühe, den Kolleginnen und Kollegen der SPD damals beizubringen, dass dieses Instrument gut ist. Und wir hatten im Landkreis Saarlouis - - Herr Roth lacht, er weiß das.

(Abg. Roth (SPD) : Er lächelt.)

Aber man kann ja dazulernen. In der Tat: Dieses Instrument war gut. Wir haben es damals eingesetzt, und wir hatten gute Erfolge. Natürlich ist nicht jeder dazu in der Lage. Aber wir hatten in der Tat Erfolge, bei denen wir Menschen in den Arbeitsmarkt wiedereingegliedert haben.

Die Begrenzung der Zuweisungsdauer ist zu beseitigen sowie die Festlegung von Höchstbeträgen für Trägerpauschalen aufzuheben. Durch eine Beteiligung von örtlichen Beiräten soll sichergestellt werden, dass den Unternehmen am Markt für Güter und Dienstleistungen keine Wettbewerbsnachteile entstehen und somit reguläre Beschäftigung nicht verdrängt oder beeinträchtigt wird. Die im Gesetzentwurf vorgegebene Pauschalförderung der Arbeitsgelegenheiten ist zu niedrig, um eine ausreichende fachliche Anleitung und eine sozialpädagogische Begleitung sicherzustellen.

Im August 2011, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren im Saarland 34.095 Menschen arbeitslos gemeldet. In der Kategorie „Unterbeschäftigung“ werden zusätzlich zu den registrierten Arbeitslosen auch die Personen erfasst, die nicht als arbeitslos im Sinne des SGB III gelten, weil sie Teilnehmer eben einer solchen Fortbildungsmaßnahme sind. Die Unterbeschäftigung im Saarland lag im August 2011 bei 49.794; sie ist gegenüber dem Vorjahresmonat um circa 10,2 Prozent zurückgegangen. Im Saarland liegt die Quote der Unterbeschäftigung etwa in Höhe der Quote des Bundesdurchschnitts. Etwas überdurchschnittlich ist, das gebe ich gerne zu, die Unterbeschäftigung bei den U 25; hier liegt das Saarland knapp über dem Bundesdurchschnitt. Die Langzeitarbeitslosigkeit - damit ist gemeint: Anteil der ALG II-Arbeitslosen an allen - hat im Saarland eine Ausprägung von knapp 72 Prozent, der Bundesdurchschnitt liegt bei 71 Prozent. Der Anteil Älterer, damit meine ich die Gruppe der 55- bis 65-Jährigen, an den Arbeitslosen beträgt im Saarland, ebenso im Bund, etwa 17,9 Prozent.

Für die Behauptung einer außergewöhnlich ausgeprägten Problematik auf dem saarländischen Arbeitsmarkt finden sich somit nur wenige Argumente. Auch diese Annahme in Ihrem Antrag, Herr Roth, kann ich nicht nachvollziehen. Zum einen also die deutliche Zahl von 367 Millionen Euro, zum anderen

(Ministerin Bachmann)

diese Annahme der speziell ausgeprägten Problematik in unserem Land, beides kann ich nicht nachvollziehen. Nein, alle sind von dieser Instrumentenreform betroffen. Alle Bundesländer sind betroffen.

Die Anforderungen aus den mittel- und längerfristigen Entwicklungen auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt, auch dem saarländischen Arbeitsmarkt, rechtfertigen aber jedenfalls den Appell an die Bundesregierung - insoweit gebe ich Ihnen sehr gerne recht -, diese Mitteleinsparung vor dem Hintergrund auch der sich wieder erheblich abschwächenden Konjunktur zu überdenken. Dafür haben wir nicht mehr viel Zeit. Die Beratungen sind übermorgen; Mitte Oktober wird das Gesetz verabschiedet, im April kommenden Jahres soll es in Kraft treten.

Die Reduzierung der Eingliederungsmittel wird auch einen Rückgang der geförderten Qualifizierungsund Beschäftigungsmaßnahmen nach sich ziehen und damit auch die Reduzierung von Personal bei den betroffenen Bildungsträgern. Damit komme ich auch zu dem, was Sie, Herr Roth, vorhin angesprochen haben: das Sterben der Bildungsträger. Aufgrund der Personalstruktur der Träger geht die Landesregierung davon aus, dass es beim Stammpersonal der Träger nicht zu unverhältnismäßig vielen Entlassungen kommen wird. Aussagen über die Gefährdung von Trägerstrukturen insgesamt können zum jetzigen Zeitpunkt auch nur als spekulativ bezeichnet werden. Das Gefährdungspotenzial hängt nicht nur von der Umsetzung dieser Instrumentenreform, wie auch immer sie im Oktober verabschiedet werden wird, ab, sondern auch davon - und darüber, Herr Roth, müssen wir reden -, inwieweit ein Träger in der Lage ist oder die Träger in der Lage sind, sich neu zu orientieren. Soweit dies möglich ist, wird die Fachabteilung bei der Planung der durch unser Ministerium kofinanzierten Maßnahmen darauf hinwirken, dass insbesondere kleine örtliche Träger durch die Kürzungen in ihrer Existenz nicht bedroht werden. Hierzu bedarf es jedoch auch der Unterstützung der kofinanzierenden Jobcenter, der Kommunen und der weiteren Arbeitsmarktakteure.

Meine Damen und Herren, über den Bundesrat wird das Saarland gemeinsam mit anderen Ländern versuchen, Änderungen im Gesetz vorzunehmen, die die Rechtsgrundlagen der aktiven Arbeitsmarktpolitik optimieren und zu einer deutlichen Entlastung des Haushaltes der Bundesagentur für Arbeit führen. Dabei können Sie alle mitwirken! Holen Sie Ihr Telefon, rufen Sie Ihren Abgeordneten auf der Bundesebene an - das haben Sie alle auch schon einmal gemacht - und teilen Sie mit, dass wir heute ordentlich, sachlich und seriös diskutiert haben, wie das Vorgesehene die Länder trifft, wie es das Saarland trifft. Sagen Sie, dass wir diese Fördermaßnahmen brauchen.

Bei der öffentlichen Arbeitsgelegenheit müssen nach unserer Auffassung das zusätzliche Kriterium der Wettbewerbsneutralität gestrichen, die Begrenzung der Zuweisungsdauer beseitigt sowie die Festlegung von Höchstbeträgen für Trägerpauschalen aufgehoben werden. Durch die Beteiligung der örtlichen Beiräte muss dann sichergestellt werden, dass den Unternehmen keine Wettbewerbsnachteile entstehen und reguläre Beschäftigung nicht verdrängt oder beeinträchtigt wird.

Bei der Förderung von Arbeitsverhältnissen nach § 16e muss die Budgetbegrenzung von 5 Prozent der Eingliederungsmittel aufgehoben werden. Herr Scharf, Sie haben das eben schon in Ihrer Rede deutlich gemacht. Die vorgesehene Deckelung schränkt die Möglichkeiten dieses Förderinstrumentes für Langzeitarbeitslose mit mehreren Vermittlungshemmnissen unangemessen ein.

Darüber hinaus fordern wir, das Saarland und andere Länder, die durch öffentliche Beschäftigung erzielte Einsparung passiver Leistungen für die Finanzierung zusätzlicher Beschäftigungsverhältnisse zu nutzen. Der Passiv-Aktiv-Transfer von Mitteln könnte die Handlungsmöglichkeiten der aktiven Arbeitsförderung im SGB II und den Finanzrahmen für öffentlich geförderte Beschäftigung entsprechend erweitern.

Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist im Saarland trotz des deutlichen Rückgangs der AGH die öffentlich geförderte Beschäftigung nach wie vor im Fokus. Die Jobcenter haben zusätzlich zu ihrem Kontingent von 1.103 Plätzen weitere 287 Platzbedarfe beim Bundesministerium angemeldet. Was heißt das? Die Landesregierung geht davon aus, dass noch Gelder verfügbar sind. Und da andere Bundesländer ihr Budget bei Weitem nicht ausgeschöpft haben und auch nicht ausschöpfen werden, glauben wir, dass es zumindest sinnvoll ist, eine Mittelverschiebung anzuregen, und dass es vielleicht auch möglich ist, sie durchzusetzen.

Das Gesamtvolumen des ESF-Programms für den Zeitraum 2007 bis 2013 beträgt rund 86,5 Millionen Euro. Auf die Prioritätsachse C, das ist die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit Erwachsener, entfallen laut Finanzplan 31,5 Millionen Euro. Aufgrund eines erhöhten Förderbedarfs in den zurückliegenden Jahren werden die zur Verfügung stehenden Mittel bis zum Ende dieses Jahres ausgeschöpft sein. Das bedeutet, dass ab dem Jahr 2012 zunächst keine weiteren Projekte mehr gefördert werden können. Da aber in der Prioritätsachse B des ESF-Programms, das ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die vorgesehenen Mittel, etwa 38,5 Millionen Euro, bis zum Ende der Förderperiode für Maßnahmen zugunsten dieser Zielgruppe nicht in Gänze benötigt werden, ist geplant, insgesamt circa 4 Millionen Euro von der Prioritätsachse

(Ministerin Bachmann)

B nach C umzuschichten. Unter Berücksichtigung sinkender Kofinanzierungsmittel der Bundesagentur reichen diese Mittel aus, um den dringenden Förderbedarf in der Prioritätsachse C bis zum Ende der Förderperiode abzudecken.

Fest steht aber auch, dass die verbleibenden Mittel nicht ausreichen werden, um das Förderniveau der vorangegangenen Jahre weiterhin aufrechtzuerhalten. Das Ministerium wird sich im Laufe des Monats September mit mir an der Spitze mit allen relevanten regionalen Arbeitsmarktakteuren über die aktuelle Fördersituation beraten und abstimmen. Ich kann Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, nur bitten, sich an die Telefone zu setzen und alles in Bewegung zu setzen, um die Situation aus Sicht des Saarlandes jedem, den Sie auf Bundesebene kennen, der dort Mitverantwortung trägt, vorzutragen. Dann wären wir ein kleines Stück weiter. Das sollten wir in großer Einstimmigkeit tun.

Herr Roth, Sie sollten die Zahlen vielleicht noch etwas konkretisieren und andere Dinge auch darstellen. Wir müssen dieses Thema sehr seriös behandeln und sollten nicht irgendwelche fiktiven Zahlen in den Raum stellen, die niemand belegen kann.

In der Sache sind wir uns einig. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass wir das Niveau halten können, dass wir immer mehr Menschen fördern und letztendlich in den Arbeitsmarkt bringen können, wo wir sie haben wollen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Das Wort hat nun der Abgeordnete Eugen Roth von der SPD-Landtagsfraktion.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einige wenige Bemerkungen machen. In der Tat, wenn man aufmerksam zuhört, gibt es viele inhaltliche Überschneidungen, beispielsweise was den Gründungszuschuss betrifft. Ich hatte ihn explizit nicht erwähnt. Aber richtig ist, dass er natürlich auch zu den Nachbesserungsbedarfen zählt. Das beachtlichste Argument ist nach meiner Auffassung die Frage, die die Kollegen Willger aufgeworfen hat: Würde es überhaupt etwas bringen, jetzt zu versuchen, bei dem derzeitigen Diskussionsstand nochmals über den Bundesrat konzertiert tätig zu werden? Ich glaube, ja. Am 08. Juli ist dieser sehr umfassende Bericht abgegeben worden. Am 24. August hat die Ministerpräsidentin unseres Landes noch einmal darauf hingewiesen, dass es da immer noch Gesprächsbedarf gibt. Das heißt, vom 08. Juli bis vor drei Wochen - meines Wissens sogar bis

heute - war das aus unserer Sicht noch nicht zur vollen Zufriedenheit gelöst, im Gegenteil. Von daher möchte ich nach dem Motto "Versuch macht klug" dazu aufrufen, auch aus den Ländern heraus zu dieser Problemlage relativ massiv Stellung zu nehmen.

Herr Scharf, Sie haben von Zuspitzung gesprochen. Natürlich ist es ein Stück weit das Recht der Opposition zuzuspitzen. Aber es ist nicht nur das klassische „Oppositionsgeklingel“, sondern nach dem, was wir auch aus den Trägerstrukturen heraus gehört haben, ist diese Situation im Moment dramatischer, als sie es vorher war. Der Arbeitsmarkt hat sich scheinbar gut entwickelt. Das Problem ist aber die Zweiteilung! Der Aufschwung geht an einem bestimmten Teil der Bevölkerung völlig vorbei, und dieser ist bei uns nicht klein.

Die Frau Ministerin hat dankenswerterweise die Unterbeschäftigung erwähnt. Es nützt ja nichts, sich froh zu machen und so zu tun, als wären die Leute gut versorgt. Die sind ja morgen wieder auf dem Arbeitsmarkt, wie es immer so heißt, freigesetzt. Das heißt, wenn die Maßnahmen auslaufen, sind die ganz normal als arbeitslos registriert. Da darf man sich nichts vormachen. Die Problematik besteht insbesondere auch bei jungen Menschen. Es gibt diese Entwicklung aber auch bei den sogenannten Lebensälteren ab 50, bei denen sich kaum was bewegt hat, von denen insgesamt im SGB II immer noch 10.500 Frauen und Männer registriert sind. Das sind trotz dieser konjunkturell positiven Rahmenbedingungen, die sich aber leider wieder abkühlen, nur ungefähr 200 weniger als im Jahr zuvor. Dieser Punkt muss einem Sorge bereiten.

Was die Zahlen betrifft: Ich bin gern bereit, die Zahlen mit den Fraktionen auszutauschen. Ich habe mir diese Zahlen nicht einfach so einfallen lassen, sondern diese Zahlen hat die Bundestagsfraktion der SPD ausgerechnet, die ja in diesem Gesetzgebungsprozess drin ist. Sie hat für das Saarland ausgerechnet, dass uns unter dem Strich insgesamt Sozialkürzungen in den Jahren 2012 bis 2015 in Höhe von 367 Millionen drohen. Nun mag man sagen: „Das hat Ihre Fraktion gemacht, das muss man nachrechnen.“ Das sehe ich ja ein. Aber selbst wenn die sich vielleicht um 20 Millionen verrechnet hätten, wäre das immer noch ein immenser Betrag, der uns Sorge bereiten muss.

Er muss uns deshalb Sorge bereiten, weil wir ja hier eine Umstellung hatten. In den Jahren 2005/06 hat damals Hanspeter Georgi, wie Sie alle noch wissen, die klassischen Mittel für Landesarbeitsmarktpolitik um 23 Millionen verringert. Das war eigentlich eine riesige Sparaktion. Man hat es aufgefangen über ESF-Mittel, aber das ist eine heikle Sache, das wissen alle. Das rächt sich jetzt, weil wir in Zeiten der Schuldenbremse kaum die Möglichkeit haben werden, die Verluste aus Landesmitteln auch nur annä

(Ministerin Bachmann)

hernd auszugleichen. Also ist es den Schweiß aller Edlen wert, dafür zu streiten, zumal - ich will das nicht weiter ausführen, ich möchte ja nicht als Kassandra in die Geschichte eingehen - die Konjunktur sich abzukühlen droht! Was wir bisher diskutieren, steht unter dem Vorbehalt relativ guter Konjunkturbedingungen. Aber was, wenn sich die Konjunktur wirklich weiterhin abkühlt? Es darf nicht passieren, wie wir es aus der Bundestagsfraktion hören, dass das Gesetz dem Haushalt angepasst wird, wie es nun einmal oft passiert.

Das ist die Brutalität, die sich dahinter verbirgt: Vor dem Hintergrund scheinbar guter Arbeitsmarktzahlen werden ganze Kohorten von Menschen abgeschrieben, die keine Chance haben. Ich glaube, das will in diesem Hause keiner. Deswegen bin ich noch ein letztes Mal hier ans Mikrofon getreten. Vielleicht kann ja doch noch eine Zustimmung erfolgen. Ich finde, der Antrag ist sehr argumentativ aufgebaut, er ist nicht radikal. Die Überschrift bringt die Problematik auf den Punkt. Die Zahlen sind seriös. Sollten Sie doch nicht zustimmen, hoffe ich, dass zumindest in den berühmten informellen Gesprächen mit aller Vehemenz diesem Problem zu Leibe gerückt wird. Wir können die Dimension, die da über uns hereinbricht, wirklich nicht stemmen. Der Antrag ist kein Oppositionsgeklingel, sondern es steckt ein riesiges Problem dahinter.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Roth. Weitere Wortmeldungen sind nicht eingegangen. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme der Drucksache 14/577 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag mehrheitlich abgelehnt ist. Dafür gestimmt haben die Oppositionsfraktionen, dagegen die Koalitionsfraktionen.

Wir kommen zu Punkt 13 der Tagesordnung

Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn (Drucksache 14/575)

Zur Begründung des Antrages erteile ich Herrn Abgeordneten Prof. Dr. Heinz Bierbaum das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Über den Mindestlohn ist ja hier in diesem Hause schon sehr

oft gesprochen worden. Wir hatten das Thema im Zusammenhang mit prekärer Arbeit, es hat auch etwas mit dem Thema Arbeitsmarktpolitik zu tun. Die Argumente sind in hohem Maße hier schon ausgetauscht worden. Ich möchte nur noch einmal an die Dimension des Problems erinnern und auch an die Wirkungen des Mindestlohns. Ich möchte darauf hinweisen, dass in der Bundesrepublik Deutschland 1,2 Millionen Menschen mit einem Lohn unter 5 Euro auskommen müssen. 3,6 Millionen erreichen gerade mal 7,50 Euro. Die Zahl derjenigen, die 8,50 Euro erhalten, liegt bei 5 Millionen. Das Problem ist sehr groß. Wir haben nach wie vor die Situation, dass viele Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können, mit allen Auswirkungen, die das hat bezogen auf Versicherungssysteme, die Frage der Rente und dergleichen mehr.

Inzwischen ist es auch völlig unbestritten, dass die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes erhebliche positive Effekte hätte. Dies gilt natürlich insbesondere in sozialer Hinsicht, weil damit Menschen überhaupt erst ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht wird, aber auch in gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht. So hat das Unternehmen Prognos in seiner jüngsten Studie sehr deutlich gemacht, welche positiven fiskalischen Auswirkungen das hätte: Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro wären es 7 Milliarden Euro und bei einem Mindestlohn von 10 Euro sogar 13 Milliarden Euro an positiven Effekten in fiskalischer Hinsicht, also im Hinblick auf Einkommenssteuer, Sozialversicherungsbeiträge und Einsparungen bei den Sozialtransfers. Bezogen auf die wirtschaftliche Leistung wäre das ein Einkommensplus von 14 Milliarden Euro bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro und sogar von 26 Milliarden Euro bei einem Mindestlohn von 10 Euro. Das heißt, die wirtschaftlichen und fiskalischen Vorteile des Mindestlohnes liegen auf der Hand - gerade in einer Situation, auch wirtschaftlich gesehen, in der zur Stärkung der Binnennachfrage mehr Einkommen benötigt wird.

(Beifall von der LINKEN. - Vizepräsident Jochem übernimmt den Vorsitz.)

Deshalb scheint es mir völlig klar zu sein, dass der Mindestlohn eingeführt werden muss.

Ich stelle außerdem fest, dass sich in der politischen Landschaft diesbezüglich einiges verändert hat. Wenn ich mir die Situation von vor ein oder zwei Jahren anschaue, waren wir damals noch die einsamen Rufer in der Wüste!

(Abg. Spaniol (DIE LINKE) : Genauso ist es!)

Inzwischen wird der Mindestlohn ganz breit aus der Gesellschaft heraus gefordert, und dies gilt auch für die Parteien. Auch dort, wo man bisher den Mindestlohn abgelehnt hat, öffnet man sich und spricht sich dafür aus. Ich erinnere beispielsweise an unsere Mi