Protokoll der Sitzung vom 21.09.2011

(Zuruf des Abgeordneten Linsler (DIE LINKE).)

Rechtsgrundlage für das Eingreifen des Staates in die Tarifautonomie ist das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11. Januar 1952, das zwar niemals angewandt wurde, aber in seiner geänderten Fassung von 2009 als Grundlage dient für Mindestarbeitsentgelte in Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt oder nur eine Minderheit von Arbeitnehmern tarifgebunden beschäftigt ist. Dann können Mindestarbeitsentgelte als Rechtsverordnung erlassen werden.

Die Tarifbindung von Beschäftigten und Betrieben, der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die Zahl der Unternehmen, die tarifgebundene Mitglieder in tariffähigen Arbeitgeberverbänden sind, sinkt seit einigen Jahren in Deutschland, und zwar kontinuierlich. Dadurch entstehen immer mehr tarifvertragsfreie Zonen, die die in der Vergangenheit üblichen Spielregeln in der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland zunehmend außer Kraft setzen.

Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz hat die CDUgeführte Koalition ein Prozedere verankert, mit dem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über eine Rechtsverordnung eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit in Kraft setzen kann. Dabei schlagen die Tarifvertragsparteien gemeinsam eine Lohnuntergrenze vor, die auf einem Tarifvertrag über Mindeststundenentgelte basiert. Das ist übrigens § 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Zeitarbeit findet branchenübergreifend statt. Deshalb, glaube ich, ist die Zeitarbeit ein guter Maßstab für eine allgemeine Lohnuntergrenze, die überall dort - und nur dort -, wo es keine Einigung gibt, über alle Branchen hinweg gelten soll. Es bleibt beim Primat der Tarifautonomie, die nur dann ergänzt wird, wenn die Tarifpartner alleine - aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft den ihnen zugeschriebenen Ordnungsrahmen zu gestalten.

Das, meine Damen und Herren, ist Politik, die die Tarifpartner und die Tarifautonomie achtet. Das ist für meine Begriffe Politik mit Augenmaß, das ist Politik für Menschen in prekären Lebenssituationen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Der Antrag der LINKEN ist insofern weder hilfreich noch verhältnismäßig noch trifft er das Problem, weil

(Abg. Ulrich (CDU) )

wir ja in etlichen Bereichen durchaus Tarifpartner haben, die ihre Aufgaben erfüllen. In der Schule hätte der Lehrer gesagt: Rolf Linsler, Thema verfehlt, setzen, sechs!

(Abg. Linsler (DIE LINKE) : Ich habe dich die ganze Zeit geschont.)

Ich weiß, dass die CDU es sich selbst nicht immer einfach macht. Aber der Spagat zwischen den berechtigten Mindestlohnforderungen tariflich nicht gebundener Bereiche und der Achtung der Tarifautonomie ist und bleibt ein schwieriger Balanceakt. Da helfen keine Holzhammerlösungen, und scheinen und seien sie auch noch so populär. Der CDU geht es um den Menschen, der Mensch ist Mittelpunkt, nicht Mittel. Punkt. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Die nächste Wortmeldung kommt vom Abgeordneten Eugen Roth von der SPD-Fraktion.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, mich relativ kurz und prägnant zu äußern, weil am 15. Juni - das ist noch nicht so lange her die SPD-Fraktion einen Antrag eingebracht hat mit dem Titel „Mindestlöhne gesetzlich verankern“. Insofern erspare ich mir, Sie noch einmal mit all diesen Ausführungen, die sehr umfassend waren, zu langweilen.

Ich möchte auf den Punkt kommen. Natürlich spielt bei den Kolleginnen und Kollegen der LINKEN die Aussage der CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidentin, dass sie für einen Mindestlohn eintreten wolle, eine Rolle. Dann will die Opposition natürlich sehen, wie es damit auf dem parlamentarischen Prüfstand aussieht oder ob das nur ein öffentliches Nachdenken war, das ohne Konsequenzen bleibt. Wir haben mittlerweile feststellen können, dass das Thema Mindestlohn im positiven Sinne in der Bevölkerung eigentlich durch ist. Wir wissen, es gibt riesengroße Zustimmung, keine Wackelmehrheiten, sondern quer durch die Parteizugehörigkeiten bis hin - so habe ich mir sagen lassen - zur FDP. Eine Auswertung hat ergeben, dass 54 Prozent der Wählerinnen und Wähler der FDP für einen gesetzlichen Mindestlohn sind.

(Beifall bei der LINKEN.)

Bei den anderen gehen die Quoten entsprechend höher. Die SPD verfolgt das Ziel ebenfalls schon seit einiger Zeit. Ich kenne auch noch das Ringen um die Mindestlöhne aus der gewerkschaftlichen Situation heraus, das aber auch schon im Jahr 2006 beendet wurde. Was nicht zieht, ist das Argument, mit den

Mindestlöhnen beschädigten wir die Tarifautonomie. Das geht am Thema vorbei. Wir wissen, es gibt tarifierte Bereiche, die hinten und vorne nicht auskömmlich sind, wo beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe, bei Friseurinnen und Friseuren oder Floristinnen auch seitens der DGB-Gewerkschaften tarifierte Mindesteinkommen vorliegen von unter 6 Euro brutto die Stunde.

Da muss man sich die Frage stellen, warum die das überhaupt tarifiert haben. Ganz einfach deshalb, weil man überhaupt mal jenseits von Wildwest einen Tarifvertrag als Einstieg haben wollte. Würden dort Mindestlöhne gezahlt, weil sie gesetzlich verankert sind, wie sie auch in einem Modell in Großbritannien, bei der sogenannten Low Pay Commission, mit den Arbeitgeberverbänden vereinbart wurden, wäre das für eine gewerkschaftliche und tarifliche Bindung mittelbar förderlicher, als wenn Menschen völlig dem Hire and Fire ausgesetzt sind, zu Hungerlöhnen oder zu nicht auskömmlichen Einkommen. Also bitte nicht immer Tarifautonomie gegen den gesetzlichen Mindestlohn ausspielen. Die Gewerkschaften sind aus gutem Grund längst über diese Schiene hinweg. Von daher bitte ich, nicht weiter auf diese Weise zu argumentieren.

Es gibt ein weiteres Argument, das längst überholt ist, Mindestlöhne würden Arbeitsplätze vernichten. Es hat uns leider Zeit gekostet, weil Gutachterstreitigkeiten aufkamen. Die letzte mir bekannte Langzeitstudie stammt von der Universität Berkeley in den USA, die in US-Bundesstaaten untersucht hat, wo es Mindestlohn gibt und wo nicht und wie sich das ausgewirkt hat. Die Universität Berkeley steht nicht im Verdacht, dass sie vom DGB gesponsert wird, lieber Kollege Horst Hinschberger.

(Vereinzelt Heiterkeit.)

Aber dort ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass die Arbeitsplatzwirksamkeit sogar erhöht wurde dort, wo auskömmliche Löhne gezahlt wurden. Ich könnte weitere Gutachten nennen, zum Beispiel von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die feststellt, dass es sogar zu einem erheblichen Arbeitsplatzaufwuchs käme. Verdi hat einmal zusammen mit der heutigen Eisenbahn-Verkehrsgewerkschaft ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben. Lange Rede, kurzer Sinn, eigentlich sind wir auch über das Stadium des Gutachterstreits längt hinweg, es müsste jetzt endlich etwas getan werden.

Im Moment kursiert ja das Modell der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft innerhalb der CDU. Ich habe nicht ohne Grund die FDP-Anhängerschaft erwähnt, sehe aber derzeit in der Partei wenig Bewegung pro Mindestlohn, bei BÜNDNIS 90/GRÜNE ohnehin und bei der CDU geht das in Richtung des CDA-Vorschlages, den der Kollege Egbert Ulrich eben angesprochen hat. Danach gibt

(Abg. Ulrich (CDU) )

es Überlegungen, einen Lohn, zum Beispiel in der Zeitarbeitsbranche, für allgemeinverbindlich zu erklären und als gesetzliche Untergrenze heranzuziehen. Dabei müssen wir sehen, dass durch all die Debatten, die bisher geführt wurden, Zeit verloren ging.

Ich habe erlebt, wie sich der Deutsche Gewerkschaftsbund und parallel die SPD oder umgekehrt die SPD und der Deutsche Gewerkschaftsbund bewegt haben von 7,50 bis mittlerweile 8,50 Euro. Die LINKE ist bei 10 Euro. Wenn wir noch ein bisschen warten, kommen auch wir dorthin, aber dann muss die LINKE wieder anheben. Das ist durchaus alles gerechnet. Das sind keine willkürlich gegriffenen Zahlen, da ist etwas dran. Wir reden immer von Bruttobeträgen. Wenn ich sehe, dass in Luxemburg für Ungelernte brutto 10,16 Euro gezahlt werden, in Frankreich 9 Euro, in den Niederlanden 8,74 Euro, in Belgien 8,58 Euro, in Irland und Großbritannien inklusive Wechselkursumrechnung um die 7 Euro, dann hat sich das alles ganz schön nach oben entwickelt, in Großbritannien übrigens auch verbunden mit Arbeitsplatzgewinnen und nicht mit -verlusten.

Von daher ist die Forderung der LINKEN, für einen allgemein gültigen, gesetzlichen, branchenübergreifenden Mindestlohn einzutreten, etwas, was man vertreten kann. Die Höhe wurde extra weggelassen, weil diese Differenzen, über die wir diskutieren, im Grunde Schräubchenkunde in der Umsetzung ist. Es geht um die politische Grundsatzerklärung und es ist höchste Zeit, dass wir so etwas machen. Unser Credo in der SPD war immer, dass wir das gerade hier in einem Dreiländereck, wo wir mittlerweile die negative Verwerfung sind, angehen müssten.

Lassen Sie mich deshalb abschließend noch mal auf eine Initiative der Christlichen Gewerkschaft in Belgien hinweisen, der CSC. Die macht eine Kampagne unter dem Motto: Das deutsche Wunder Heinrich verdient 4,18 Euro die Stunde, helft Heinrich, lasst Europa nicht dem deutschen Beispiel folgen! So ist der Slogan dieser Kampagne, nachzulesen unter www.helpheinrich.de. Wir sollten uns also nicht weiterhin lächerlich machen, gerade auch gegenüber unseren Nachbarn in der Großregion.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Ich glaube, eine CDU, die jetzt auch einen CDA-Vorsitzenden im Landtag sitzen hat, die auch eine Ministerpräsidentin hat, die öffentlich über einen Mindestlohn nachgedacht hat, sollte endlich springen, denn es gilt der alte Grundsatz: Worte begeistern Taten reißen mit. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Nächste Wortmeldung: Frau Willger von B 90/GRÜNE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Hinblick darauf, dass der Antrag, über den wir zu entscheiden haben, kurz gefasst ist, möchte auch ich mich kurz fassen und mitteilen, dass unter dem gesetzlichen Mindestlohn alles und gar nichts verstanden werden kann. Sie kennen unser Modell mit seinen Nuancen. Es gibt Modelle -

(Zuruf der Abgeordneten Ries (SPD).)

Nein, Frau Kollegin Isolde Ries. Es gibt Mindestlöhne, die sind vielleicht so hoch, dass es unter Umständen gar nicht den Effekt hat, den wir haben möchten, nämlich, dass Arbeitsplätze entstehen und gesichert werden können. Es gibt Mindestlöhne, die zu niedrig sind. Dann haben sie keinen Effekt. Das sind Gratwanderungen. Weil wir nicht genau wissen, welchen Mindestlohn die LINKE meint -

(Sprechen und Lachen bei der LINKEN.)

Weil die LINKE unser Modell sehr genau kennt, das wir schon öfters hier dargestellt haben, verzichte ich darauf, es Ihnen noch einmal vorzustellen. Wenn Sie allerdings unbedingt wollen, dass ich es tue, dann kann ich das gerne machen.

(Fortdauerndes Sprechen.)

So sieht das grüne Mindestlohnmodell im Wesentlichen aus: Wir wollen einen generellen Mindestlohn festschreiben. Er soll von einer Mindestlohnkommission festgelegt und jährlich angepasst werden; er muss mindestens 7,50 Euro betragen. Die festgelegte Grenze muss für alle verbindlich sein und darf von keinem Betrieb und in keinem Beschäftigungsverhältnis unterschritten werden. Mit dieser Untergrenze wird zukünftig Lohndumping zulasten der Beschäftigten und Steuerzahler wirksam verhindert. Das ist der eine Punkt.

Zum Zweiten wollen wir eine Mindestlohnkommission nach dem Vorbild der Low Pay Commission in Großbritannien einrichten und im Mindestarbeitsbedingungsgesetz verankern. Sie soll sich aus Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft zusammensetzen, die die Höhe des Mindestlohnes unter umfassender Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen festlegen würden. Wir wollen weiterhin die Einführung von branchen- und regionalspezifischen Mindestlöhnen, die immer über der allgemeinen Lohnuntergrenze liegen müssen, erleichtern und erweitern. Dazu sollen alle Branchen ins Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden, sodass Branchenmindestlöhne zukünftig einfacher und unbürokratischer allgemeinverbindlich

(Abg. Roth (SPD) )

1 Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt als Anlage bei

erklärt werden können. Zuletzt wollen wir die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung von regionalen Tarifverträgen schaffen.

Das sind die grünen Modelle. Dazu habe ich des Öfteren hier gesprochen. Das ist das, was wir durchsetzen wollen. Wenn Sie ein grünes Modell genauso abschreiben, dann werden wir zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Weitere Wortmeldungen sind nicht eingegangen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 14/575. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführerinnen, die Namen der Abgeordneten aufzurufen.

(Namentliche Abstimmung) 1 Ich frage, ob ein Mitglied des Hauses nicht aufgerufen worden ist. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Stimmabgabe und bitte die Schriftführerinnen, mir das Abstimmungsergebnis zu übermitteln. (Die Schriftführerinnen zählen die Stimmen aus.)

Kolleginnen und Kollegen, die Stimmen sind ausgezählt. Ich gebe Ihnen das Ergebnis bekannt. Es sind 51 Stimmen abgegeben worden; davon entfielen 24 auf Ja und 27 auf Nein. Es gab keine Enthaltung. Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 14/575 mit Stimmenmehrheit abgelehnt ist.

Wir kommen nun zu Punkt 14 der Tagesordnung:

Beschlussfassung über den von der CDULandtagsfraktion, der SPD-Landtagsfraktion, der DIE LINKE-Landtagsfraktion, der FDPLandtagsfraktion und der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: AMNOG korrigieren, Arzneimittelkosten für Patientinnen und Patienten senken, Arbeitsplätze sichern (Drucksache 14/563)

Zur Begründung des Antrags erteile ich Herrn Abgeordneten Tobias Hans das Wort.