Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

Natürlich soll das Saarland auch in Zukunft eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht sein. Wir wollen, dass in diesem Land niemand im Abseits steht. Wir wollen die Menschen mitnehmen auf unserem Weg in die Zukunft. Wir setzen dabei auch auf das Engagement und die Solidarität der Saarländerinnen und Saarländer. Vor uns liegen viele Aufgaben, die staatliches, aber auch gesellschaftliches Engagement erfordern. Eine dieser Aufgaben besteht in der Bekämpfung der sogenannten neuen Armut.

Zwar liegt die Quote der Bezieher von Leistungen der Mindestsicherung in unserem Land etwas unter dem Bundesdurchschnitt. Dennoch besteht Handlungsbedarf. Auf der Basis der ersten „Sozialstudie Saar“ werden wir eine sozialraumorientierte Konzeption zur Bekämpfung der Armut vor allem bei Kindern entwickeln und gleichzeitig in allen Landkreisen eigene Projekte zur Bekämpfung der Kinderarmut einrichten. Dabei wissen wir, dass Armut nicht nur eine materielle Dimension hat.

Ein belgischer Arbeiterpriester hat einmal gesagt: Arm ist, wer keinen Freund hat. Wir werden angelaufene Programme zur Stärkung der Erziehungs

kompetenz bei benachteiligten Familien weiterentwickeln und ausweiten.

(Zuruf des Abgeordneten Linsler (LINKE).)

Wir streben an, die Schulabbrecherquote auch in den kommenden Jahren zu senken. Es ist uns ja gelungen, in den vergangenen 10 Jahren die Schulabbrecherquote in diesem Land zu halbieren. Das ist eine Entwicklung in die richtige Richtung, die wir fortsetzen wollen.

Im Bereich des SGB II werden wir auf eine Korrektur des bisherigen Bemessungssystems mit dem Ziel drängen, die Regelleistungen für die Kinder an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Wir begrüßen die Pläne der Bundesregierung, das Schonvermögen von 250 auf 750 Euro pro Lebensjahr zu erhöhen.

Die Menschlichkeit einer Gesellschaft erweist sich insbesondere im Umgang mit pflegebedürftigen, älteren oder mit behinderten Menschen. Hier wird die Landesregierung wie bisher nach dem Grundsatz verfahren: So viel selbstbestimmtes Leben wie möglich, so viel Betreuung und Pflege wie nötig. Aus diesem Grund werden wir der ambulanten Pflege in beiden Bereichen Vorrang geben. Wir wollen, dass die Betroffenen möglichst lange in ihrem vertrauten Umfeld bleiben können. Erst, wenn dies nicht mehr möglich ist, soll eine stationäre Unterbringung erfolgen.

Wir werden die Hilfs-, Beratungs- und Fortbildungsangebote für pflegende Angehörige ausbauen und die häusliche Pflege im niederschwelligen Bereich fördern. Zur Unterstützung der Angehörigen werden wir die Möglichkeiten der ambulanten Hilfe erweitern und wohnortnahe Pflegestützpunkte einrichten. Außerdem werden wir uns dafür einsetzen, die Pflegezeit auf drei Jahre zu verlängern.

Für Menschen mit Behinderung werden wir anhand frühzeitig einsetzender innovativer Betreuungskonzepte und behindertengerechter Arbeitsplatzangebote die Chance zur Teilhabe am Erwerbsleben verbessern. Wir verstehen Barrierefreiheit in einem umfassenden Sinn und wollen entsprechend den Leitlinien der UN-Konvention dafür Sorge tragen, dass Menschen mit Behinderung sich möglichst frei und selbstbestimmt entfalten und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

Wir verbinden damit die Grundsätze der Subsidiarität und der Solidarität, weil wir wissen: Verantwortete Freiheit ist Grundlage dieser Gesellschaft. Sie bedarf aber der Ergänzung durch das Prinzip der Solidarität. Nur eine solidarische Gesellschaft ist eine Gesellschaft mit einem menschlichen Gesicht. Dafür wollen wir uns einsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

(Ministerpräsident Müller)

Wir wissen, dass die moderne Gesellschaft eine aktive Bürgergesellschaft ist. Deshalb werden wir den eingeschlagenen Weg zur Stärkung des ehrenamtlichen Engagements konsequent weiterverfolgen. Alle ehrenamtlich Tätigen werden sich weiter auf die Landesregierung als Partner verlassen können.

Darüber hinaus werden wir die Bürgerbeteiligung im Bereich der politischen Entscheidungsprozesse ausbauen. So wollen wir bei Volksbegehren und Volksentscheiden auf Landes- wie auch auf kommunaler Ebene die gesetzlichen Hürden niedriger legen, sodass diese Elemente direkter Demokratie einfacher in Anspruch genommen werden können. Im Bereich des Kommunal- und des Landeswahlrechts werden wir das Zählverfahren nach d’Hondt durch das Verfahren nach Hare/Niemeyer ersetzen. Auf Landesebene wollen wir ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht ebenso prüfen wie die Abschaffung der Stichwahl bei den Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten.

Eine moderne Gesellschaft braucht intakte Familien. Familien sind für uns überall dort, wo Ältere für Jüngere und Jüngere für Ältere nachhaltig Verantwortung übernehmen. Wir werden deshalb die Familien anhand eines flächendeckenden Netzes von lokalen „Bündnissen für Familien“ und durch die Einführung eines Familienpasses stärken. Zudem wird der Ausbau unseres Kinderbetreuungssystems die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie wesentlich verbessern. Familien - davon bin ich fest überzeugt sind Keimzellen unserer Gesellschaft. Wir wollen unsere Familien unterstützen, weil sie für die Zukunft unseres Landes von unverzichtbarer Bedeutung sind.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Zu einer modernen Gesellschaft gehören auch die Freiheit von Diskriminierung und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Aus diesem Grund sieht sich die neue Landesregierung dem Prinzip des Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe verpflichtet. Wir wollen auf die Einrichtung eines Lehrstuhls für Genderforschung hinwirken und in der Landesverwaltung ein ressortübergreifendes Gender-Netzwerk implementieren, um auf diesem Weg die Gleichstellungspolitik voranzutreiben. Unser Ziel ist es, die Frauenquote in öffentlichen Führungspositionen bis 2020 auf 40 Prozent zu steigern.

(Sprechen bei der SPD und der LINKEN. - Unru- he.)

Gleichermaßen wenden wir uns gegen die Diskriminierung aufgrund sexueller Identität und Orientierung. Diesen Grundsatz werden wir nicht nur in der Landesverfassung verankern, sondern auch die Initiative von drei Bundesländern zu Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz unterstützen. Im saarländischen Landesrecht werden wir die Gleichstellung Verpartnerter

beim Familienzuschlag festschreiben. Einer diskriminierungsfreien Gesellschaft fühlen wir uns verpflichtet. Dem stellen wir uns, egal wie viel Unruhe dies bei der Opposition auslöst, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen. - Abg. Maas (SPD) : Die ist begründet.)

Schließlich zeichnet sich eine moderne Gesellschaft durch gelungene Integration und ethnische und kulturelle Vielfalt aus. Um diese Ziele aktiv zu verfolgen, wird die Landesregierung einen Landesintegrationsbeauftragten benennen und eine Stabsstelle Integration/Migration einrichten. Grundlegend für das Gelingen von Integration ist die umfassende Teilhabe von Migranten am öffentlichen Leben einer Gesellschaft, insbesondere aber am Erwerbsleben einer Gesellschaft. Diese Ziele wird die Landesregierung konsequent anhand gezielter Sprachförderungsmaßnahmen und speziell ausgerichteter Instrumente der Arbeitsmarktpolitik verfolgen. Wir werden den interkulturellen Dialog fördern und die Kompetenzen erfolgreicher Migranten nutzen, um Zuwandererkindern anhand von Patenschaften eine besondere Art der Förderung zukommen zu lassen.

Um eine schnellere Integration von neu ankommenden Zuwanderern zu erreichen, werden wir die Situation in der Landesaufnahmestelle Lebach prüfen und eine zügigere Verteilung der Bewohner auf die saarländischen Gemeinden anstreben. Auch werden wir unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben die Rechte der Härtefallkommission stärken und ihre Untersuchungsmöglichkeiten ausweiten. Zuwanderung und Integration gehören zusammen. Zuwanderung ist Bereicherung für alle Beteiligten, wenn die Integration gelingt. Die saarländische Landesregierung stellt sich daher der Aufgabe, ihren Beitrag zu leisten, damit Integrationsprozesse erfolgreich verlaufen. Wer hierher kommt, soll hier integriert werden. Das setzt die Bereitschaft beider Seiten voraus, diesen Weg zu gehen. Wir wollen hierfür neue Möglichkeiten schaffen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Natürlich lebt eine moderne und humane Gesellschaft auch von der Vielfalt des kulturellen Schaffens und der kulturellen Ausdrucksformen. Diese Vielfalt zu fördern und zu bewahren ist unser Ziel. Wir erkennen an, dass sich Breitenkultur und Spitzenkultur gegenseitig bedingen. Allen Formen kulturellen Schaffens werden wir daher bestmögliche Förderung gewähren. Um die breite Vielfalt dieses Schaffens systematisch zu erfassen, werden wir bis zur Mitte der Legislaturperiode einen Kulturbericht vorlegen. Auf dieser Basis werden wir die kulturpolitischen Entwicklungsperspektiven unseres Landes in einer öffentlichen Debatte ausloten und zur

(Ministerpräsident Müller)

Grundlage unseres weiteren kulturpolitischen Handelns machen.

Die kulturellen Leuchttürme des Landes, aber auch die vielen lokalen und regionalen Initiativen werden wir im Rahmen des Möglichen weiter unterstützen. Ungeachtet dessen wollen wir weiterhin zentrale kulturpolitische Leitprojekte, wie den Bau des Vierten Pavillons des Saarland-Museums oder den Bau der geplanten Eventhalle in Saarbrücken, vorantreiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele der bereits angesprochenen Themen haben erkennbar demografische Komponenten. Dennoch möchte ich mit Blick auf die Querschnittsaufgabe des demografischen Wandels noch auf Folgendes hinweisen. Um den Auswirkungen dieses Wandels auf die Siedlungs- und Versorgungsinfrastrukturen Rechnung zu tragen, werden wir den Landesentwicklungsplan entsprechend fortschreiben. Wir werden in den Dörfern und Städten der Innenentwicklung Vorrang vor der Außenentwicklung einräumen. Dadurch werden wir den Flächenverbrauch reduzieren und die Strukturen der Versorgungseinrichtungen an die Gegebenheiten einer schrumpfenden Bevölkerung anpassen. Dies betrifft nicht nur die Versorgung mit Energie und Trinkwasser, die Entsorgung von Abfall und Abwasser, dies betrifft auch die Gesundheitsversorgung mit einem flächendeckenden und wohnortnahen Netz an Kliniken, an Haus-, Fach- und Zahnärzten sowie Apotheken insbesondere im ländlichen Raum.

Insgesamt sind vor dem Hintergrund des demografischen Wandels neue Anforderungen an die Bewahrung und den Schutz der Gesundheit gestellt. Dabei steht heute sehr viel stärker als in früheren Jahren der Grundsatz der Prävention im Vordergrund. Frühzeitige Prävention vermeidet nicht nur spätere Beeinträchtigungen, sondern hilft auch, unser Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen. Aus diesem Grund unterstützen wir die Familien wie auch die Kinderbetreuungseinrichtungen in Ihrem Bemühen um eine gesundheitsbewusste Erziehung, indem wir die Drogen- und Suchtberatung intensivieren und unsere Kampagne „Saarland aktiv und gesund“ ausbauen und mit anderen Präventionskampagnen vernetzen.

Um auch in Zukunft für das Saarland eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können, werden wir unsere Krankenhausstruktur auf der Basis des im kommenden Jahr vorliegenden Krankenhausplanungsgutachtens anpassen. Zudem wollen wir dem sich abzeichnenden Hausärztemangel durch die Einrichtung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Universität des Saarlandes entgegenwirken und die Aus- und Weiterbildung des Pflegepersonals im Sinne einer Integration von Alten- und Krankenpflegeberufen fortentwickeln. Dazu will ich Folgendes sagen. Natürlich gehört unsere

Aufmerksamkeit den Krankenhäusern. Natürlich gehört unsere Aufmerksamkeit den Ärztinnen und Ärzten. Wir wollen dabei aber das Pflegepersonal nicht vergessen. Auch die Situation des Pflegepersonals ist entscheidend wichtig für die Qualität unseres Gesundheitswesens. Deshalb werden wir uns darum in besonderer Weise kümmern.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Selbstverständlich werden wir bei all unseren Maßnahmen immer auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Partnern der Großregion im Blick haben. Die europäische Integration eröffnet die große Chance für unser Land, aus einer nationalen Randlage in eine europäische Zentrallage zu rücken. Wir wollen auf dem Weg zu einer Modellregion im Herzen Europas weiter voranschreiten. Wir wollen gemeinsam mit unseren interregionalen Partnern Vorreiter sein, wenn es darum geht, das Europa der Regionen zu schaffen. Wir wollen Vorreiter sein, wenn es darum geht, nationale Barrieren zu überwinden und eine gemeinsame grenzüberschreitende Identität aufzubauen. Hierzu werden wir in dieser Legislaturperiode neue Akzente setzen und neue Projekte anstoßen.

Richtschnur wird dabei das Zukunftsbild 2020 sein, das seine Aktualität unverändert nicht verloren hat. Die Universität der Großregion, grenzüberschreitende Verkehrsprojekte oder die Aufarbeitung der verbliebenen Probleme von Grenzgängern sind Beispiele für Themen, die unmittelbar den Alltag der Menschen in der Großregion betreffen. Das Saarland ist unsere Heimat, aber Europa ist unsere Zukunft. Die Landesregierung ist daher entschlossen, ihren Beitrag zu leisten, damit die sich aus der europäischen Entwicklung ergebenden Chancen für unser Land konsequent genutzt werden.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich komme damit zur Finanzpolitik, die ich bewusst an das Ende meiner Ausführungen gestellt habe.

(Sprechen bei den Oppositionsfraktionen.)

Die Situation der öffentlichen Finanzen hat sich in den letzten Wochen und Monaten dramatisch zugespitzt.

(Abg. Pauluhn (SPD) : Ganz überraschend. - Erneut Sprechen bei den Oppositionsfraktionen.)

Dies gilt für Haushaltsnotlageländer - zu denen auch das Saarland gehört - in besonderer Weise. Dennoch bekennt sich die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Landesregierung in aller Deutlichkeit zu den Leitprinzipien der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit. Hierzu gibt es keine Alternative. Alles andere würde bedeuten, dass man den Marsch in den grenzenlosen Schuldenstaat dauerhaft akzeptiert. Dies wäre mit Blick auf nachfolgende

(Ministerpräsident Müller)

Generationen schlicht unverantwortlich. Wer Schuldenbremsen ablehnt, will immer neue Schulden machen. Das ist nicht akzeptabel, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall von den Regierungsfraktionen. - Lautes Sprechen bei den Oppositionsfraktionen. - Abg. Linsler (LINKE) : Wer macht denn den Selbstbedienungsladen?)

Deshalb ist die saarländische Landesregierung bereit, alle zumutbaren Eigenanstrengungen zu unternehmen, um die Finanzlage des Landes zu verbessern.

(Sprechen bei den Oppositionsfraktionen.)

Wir bekennen uns zu einer restriktiven Haushaltspolitik und freuen uns auf die konstruktiven Vorschläge der Opposition in diesem Zusammenhang.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

In der Vergangenheit durften wir erfahren, dass die Opposition in diesem Hause regelmäßig die steigende Verschuldung beklagt hat,

(Abg. Maas (SPD) : Meinen Sie die GRÜNEN oder die FDP?)