Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich stelle fest, 51 Abgeordnete sind in den Landtag des Saarlandes gewählt worden. Alle 51 Abgeordneten sind heute anwesend. Der 15. Landtag des Saarlandes ist damit beschlussfähig und konstituiert.
Er hat nun als Erstes über die im Entwurf vorliegende weitere Tagesordnung abzustimmen. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer für die Annahme der Tagesordnung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe? - Die Tagesordnung ist damit einstimmig angenommen.
Wahl und Verpflichtung des Landtagspräsidenten gemäß Artikel 70 Abs. 2 der Verfassung des Saarlandes, § 33 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes und § 11 der Geschäftsordnung des saarländischen Landtages
Nach Artikel 70 Abs. 2 der Verfassung und § 33 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes wählt der Landtag für die Dauer der Wahlperiode seinen Präsidenten. An dieser Stelle bitte ich um Vorschläge für das Amt des Präsidenten. - Der Abgeordnete Meiser hat das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schlage Ihnen Herrn Abgeordneten Hans Ley als Landtagspräsidenten vor. Danke schön.
Vielen Dank. Wir kommen zur Wahl. Für das Wahlverfahren gilt § 67 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes. Erstens. Wahlen können durch Handaufheben erfolgen, wenn kein Abgeordneter widerspricht. Bei Widerspruch wird geheim gewählt. Zur Abgabe der Stimmzettel werden die Abgeordneten mit Namen aufgerufen. Zweitens. Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, kommen die beiden Anwärter mit den höchsten Stimmenzahlen in die engere Wahl. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los durch die Hand des Präsidenten.
Ich frage deshalb zunächst: Erhebt sich gegen die Wahl durch Handaufheben Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Wer wie vorgeschlagen für die Wahl des Herrn Abgeordneten Hans Ley zum Landtagspräsidenten ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest: Herr Abgeordneter Hans Ley ist einstimmig zum Landtagspräsidenten gewählt.
Ich danke Ihnen. - Nach § 34 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes wahrt der Präsident die Würde und die Rechte des Landtages und fördert seine Arbeit. Er leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch. Herr Landtagspräsident, ich bitte Sie, zur Verpflichtung zu mir heraufzukommen.
Herr Landtagspräsident, ich verpflichte Sie hiermit, die Würde und die Rechte des Landtages zu wahren, die Arbeit des Landtages zu fördern und die Verhandlungen gerecht und unparteiisch zu leiten. Herzlichen Glückwunsch im Namen des ganzen Hauses.
Wir wünschen Ihnen, dass es Ihnen in Ihrer Amtsführung wie bisher gelingen möge, das Ansehen des Landtages zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Ich darf Sie, Herr Präsident, bitten, die Leitung der Sitzung zu übernehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich zunächst einmal bei Ihnen allen für die Wahl zum Präsidenten des saarländischen Landtages bedanken. Das einstimmige Votum hat mich - das muss ich sagen - sehr gefreut. Wie in den vergangenen Jahren möchte ich mich auch in dieser meiner vierten Amtszeit nach besten Kräften bemühen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Seien Sie versichert, dass ich das Amt des Landtagspräsidenten weiterhin überparteilich, gerecht und mit der nötigen Achtsamkeit ausführen will und werde. Dazu gehört, dass ich mich auch in Zukunft allen Mitgliedern dieses Hauses in gleicher Weise verpflichtet fühle. Ich biete Ihnen allen eine vertrauensvolle und verlässliche Zusammenarbeit an. Nehmen Sie mich beim Wort, vor allem auch die 14 erstmals gewählten Kolleginnen und Kollegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! An dieser Stelle möchte auch ich es nicht versäumen, Herrn Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann und Herrn Präses Dr. h. c. Nikolaus Schneider zu danken, die heute Morgen mit uns den ökumenischen Gottesdienst gestaltet und gefeiert haben. Der Gottesdienst vor der Konstituierung des Landtages ist bei uns im Saarland eine - wie ich denke - wertvolle Tradition. Er ist dabei mehr als eine protokollarische Pflichterfüllung. Er zeigt uns vielmehr Wege der Orientierung auf, wie und wo wir Kraft und Zuversicht für die Bewältigung unserer Aufgaben schöpfen können.
Ich danke ebenso Herrn Abgeordneten Rolf Linsler, der heute bereits zum zweiten Mal als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Landtages eröffnet hat. Vielen Dank, Herr Kollege Rolf Linsler, für die souveräne Sitzungsleitung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in dieser 15. Wahlperiode wird die parlamentarische Arbeit wieder von fünf Fraktionen bestritten, die jeweils gewichtige Teile der saarländischen Bevölkerung repräsentieren und die mit ihren Inhalten, Ideen, aber auch ihren Persönlichkeiten die politischen Meinungen in unserem Land widerspiegeln. Die Saarländerinnen und Saarländer haben durch ihre Wahlentscheidung die Zusammensetzung unseres Landtages merklich verändert. Eine Fraktion wird heute unser Haus verlassen; eine andere Fraktion zieht neu in unser Parlament ein. Ich möchte der FDP für ihre Arbeit in den vergangenen Jahren danken. Auch wenn die Wählerinnen und Wähler die FDP nicht wieder in den Landtag des Saarlandes gewählt haben, so gelten ihr doch unser Respekt und unsere Anerkennung für ihr parlamentarisches Wirken.
Gleiches gilt für alle weiteren ausgeschiedenen Mitglieder, denen ich für ihren Einsatz zum Wohle unseres Landes auf das Herzlichste danke. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Weg in einen neuen Lebensabschnitt mit neuen Freiräumen, Möglichkeiten und Chancen. Dieser Wunsch gilt vor allem den Abgeordneten, die das Ende ihrer parlamentarischen Arbeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhergesehen hatten.
Eine neue politische Kraft in unserem Land - die PIRATEN-Partei - schaffte hingegen erstmals den Einzug in ein Parlament eines deutschen Flächenstaates. Ich begrüße die Mitglieder der Fraktion der PIRATEN sehr herzlich in unserer Mitte.
Ich wünsche Ihnen - wie auch allen anderen neu gewählten Abgeordneten - Freude bei der Arbeit und Erfüllung in Ihrer Aufgabe. Ich will Ihnen gerne Mut machen, Ihre neue Tätigkeit mit Elan und frischem Denken schnell aufzunehmen. Ich bin zuversichtlich, dass sich die zugegebenermaßen recht ungewohnten, rechtlich aber vorgeschriebenen Abläufe schnell einspielen und sich die neuen Abgeordneten bald ganz ihrer Arbeit widmen können. Auch hierbei verstehen sich die Mitarbeiter der Verwaltung des Landtags als Ansprechpartner und Dienstleister für alle Abgeordneten.
Meine Damen und Herren, am 25. März 2012 haben 491.591 Wählerinnen und Wähler den saarländischen Landtag neu gewählt. Dies entspricht einer Wahlbeteiligung von 61,6 Prozent. Erneut haben al
so mehr als ein Drittel aller Wählerinnen und Wähler auf die Ausübung ihres Wahlrechts verzichtet. Das ist gewiss zu einem nicht unerheblichen Teil Ausdruck einer ganz bewussten Abwendung von der Politik aus Unmut und Unzufriedenheit mit unserer Arbeit. Für uns muss dies allerdings auch Anlass genug sein, uns selbst als Volksvertreter kritisch zu hinterfragen und nach den Gründen und Ursachen zu forschen. Über ein Drittel Nichtwähler dürfen uns nicht gleichgültig lassen. In parteiübergreifender Gemeinsamkeit sind wir vielmehr aufgerufen, verlorenes Vertrauen neu zu gewinnen und hierbei keine Anstrengung auszulassen. Auf der anderen Seite müssen wir verstärkt klarmachen, dass Demokratie von der Mitverantwortung aller - eben auch der Wähler - lebt. Wir müssen den Menschen verdeutlichen, dass auch sie mit ihrer Stimmabgabe oder eben auch mit ihrer Wahlenthaltung Verantwortung für unser Gemeinwesen tragen, eine Verantwortung, die sich in ihrem Einfluss auf die Zusammensetzung dieses Parlaments widerspiegelt. Schon einige wenige Stimmen genügen - das haben wir auch bei der letzten Wahl wieder gesehen -, um die Zusammensetzung des Parlaments mit seinen Mehrheitsmöglichkeiten maßgeblich zu verändern und so die Politik des Landes in eine ganz neue Richtung zu lenken. Daran aktiv durch die Wahlhandlung mitzuwirken, sollte, sage ich jetzt einmal, im Idealfall das Bedürfnis eines jeden Staatsbürgers, einer jeden Saarländerin und eines jeden Saarländers sein.
Um diesem Ideal näherzukommen, muss unser Wirken die Lebenswirklichkeit der Menschen draußen vor Ort widerspiegeln. Drei Punkte erscheinen mir daher für die Arbeit unseres Parlaments wichtig. Erstens müssen wir immer von Neuem darauf bedacht sein, die Themen und Gegenstände in unsere Arbeit aufzunehmen, die die Menschen draußen vor Ort bewegen. Die Diskussionen, die außerhalb des Parlaments stattfinden, müssen auch hier bei uns die Beratungen bestimmen. Zweitens: Bei der Wahrnehmung unseres Gestaltungsauftrags, den wir haben, dürfen wir den Themen nicht nur hinterherlaufen, sondern wir sind geradezu verpflichtet, in einem bestimmten Rahmen die Themen der öffentlichen Debatte zu bestimmen. Dabei müssen wir allerdings alles dafür tun, dass die politische Debatte, die hier stattfindet, auch die Menschen in unserem Land erreicht. Und drittens: Das offene und öffentliche Ringen um die beste Lösung muss für den Bürger nachvollziehbar und durchschaubar sein. Ich werde nachher noch kurz darauf zurückkommen.
An dieser Stelle gilt aber schon vorab mein Dank den saarländischen Medien, ganz bewusst dem Saarländischen Rundfunk, der Saarbrücker Zeitung und allen Mitgliedern der Landespressekonferenz. Mit ihrer, wie ich denke, für unser Parlament umfangreichen Berichterstattung leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag zur öffentlichen Wahrnehmung
unserer Debatten. Ich gehe davon aus, dass den Medien diese große Verantwortung weiterhin bewusst ist, dass sie ihr gerecht werden und uns kritisch-konstruktiv begleiten werden. Eine ergänzende Bemerkung habe ich allerdings noch: Bitte geben Sie in Ihrer Berichterstattung auch in Zukunft nicht nur den schlagzeilenträchtigen Kontroversen Raum, sondern berichten Sie auch über die alltägliche Parlamentsarbeit im Kleinen:
die Sacharbeit in den Ausschüssen, den Einsatz der Abgeordneten für Einzelschicksale, das Engagement für in Schieflage geratene Unternehmen oder auch die konstruktive Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg in unspektakulären Sachthemen. Diese Arbeit, denke ich, verdient Beachtung, auch wenn sie sich für uns alle viel schwerer medienwirksam darstellen lässt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu Beginn der neuen Legislaturperiode einige Aufgabenfelder und Herausforderungen beschreiben, denen wir uns als Parlament besonders zuwenden sollten. Ich möchte in diesem Zusammenhang gern auch Bezug auf meine Antrittsrede vor knapp zwei Jahren nehmen. Die dort beschriebenen Herausforderungen für unser Land und die aufgeführten Fragestellungen von grundsätzlicher Natur gelten nach wie vor, jetzt vielleicht pointierter und dringlicher.
Erstens: Dreh- und Angelpunkt nahezu aller Entscheidungen und unserer Diskussionen hier im Haus wird die Zukunftssicherung unseres Landes sein. Deshalb werden - davon bin ich fest überzeugt - die Haushaltsnotlage unseres Landes sowie die Erfordernisse und Auswirkungen der Schuldenbremse die politische Debatte in den nächsten Jahren bestimmen. Die Zahlen und Fakten zur Verschuldung aller staatlichen Ebenen in Deutschland - also auch unseres Landes, des Saarlandes, und unserer Kommunen - sind uns bekannt. Für mich ist die Einhaltung der Schuldenbremse - egal wie man sie angehen will - ein zwingendes Gebot der Generationengerechtigkeit. Als politische Verantwortungsträger sind wir mehr denn je gefordert, mit Weitblick angemessene Entscheidungen zu treffen, um nachfolgende Generationen zu schützen. Es wäre unverantwortbar, zulasten derjenigen zu leben, die sich heute noch nicht zu Wort melden und gegen eine solche Lebensweise Einspruch erheben können. Auch wenn die Verschuldung in der Vergangenheit begründet liegt, so ist sie für das Saarland doch die entscheidende Zukunftsfrage.
Zweitens möchte ich die Herausforderungen infolge des demografischen Wandels nennen. Die Einwohnerzahl des Saarlandes, die gegenwärtig noch bei über einer Million liegt, wird bis 2030 auf knapp
900.000 fallen. Es gibt zahlreiche Institute, die die künftige Zahl noch deutlich niedriger ansetzen. Die Zahl der Geburten hat sich von 21.000 im Jahr 1963 auf heute 7.000 reduziert. Der Anteil der Personen über 80 Jahre an der Gesamtbevölkerung wird sich in den nächsten 25 Jahren verdoppeln. Das sind nur wenige Zahlen, die Folgendes zeigen: Wir müssen heute entschlossen handeln, um gut auf die kommenden Jahrzehnte vorbereitet zu sein. Dieser bedeutsamen gesellschaftlichen Aufgabe müssen wir Parlamentarier uns mit vollem Ernst und dem nötigen Weitblick in dieser Legislaturperiode noch entschiedener annehmen, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Dritter Punkt. Eine weitere zukunftsweisende Herausforderung sehe ich in dem Thema Europa. Das Saarland ist in Deutschland ein starkes Stück Europa. Das europäische Bewusstsein ist im Denken und Leben der Saarländer tief verwurzelt. Das Saarland ist aufgrund seiner geografischen Lage und seiner Geschichte wie kein anderes Bundesland dem europäischen Gedanken verpflichtet. Deswegen waren wir auch das erste Land, das den Europagedanken in die Verfassung aufgenommen hat. Aus dieser Tradition heraus ergibt sich für uns auch ein besonders starkes Engagement für die Großregion und in der Großregion. Als Abgeordnete leisten wir im Rahmen des Interregionalen Parlamentarierrates Unverzichtbares für das Zusammenwachsen unserer Großregion. Vieles konnte für die Menschen diesseits und jenseits der Grenzen schon erreicht werden. Dennoch kommen wir nicht um eine ehrliche Bestandsaufnahme dessen, was der Interregionale Parlamentarierrat leisten kann und was eben nicht, herum. Die Unterschiede zwischen den Ländern, den staatlichen Ebenen, den Kompetenzfeldern und den jeweiligen administrativen Besonderheiten setzen uns Grenzen, die auch mit bestem Bemühen nicht aus dem Weg geräumt werden können. Dennoch ist nirgendwo sonst in Europa der grenzüberschreitende Austausch zwischen immerhin vier Nationalstaaten so intensiv wie in unserer europäischen Kernregion. Darauf können wir, denke ich, mit gutem Recht stolz sein.
Viertens: Eine wichtige Herausforderung sehe ich für uns als Parlamentarier auch in unserer alltäglichen Arbeit selbst. Die Erwartungen an die Politik nehmen ständig zu. Neue, zusätzliche Aufgaben werden uns gestellt. Die europäischen Verflechtungen unserer Entscheidungen werden immer dichter. All dies erfordert von uns Abgeordneten hier im Haus großes Engagement sowie hohe und effektive Arbeitsleistungen.
Hinzu kommt eine Besonderheit des saarländischen Landtages. Unser Landtag ist das kleinste Parlament in Deutschland mit den wenigsten Abgeordneten. Gleichzeitig ist es das sparsamste mit den we
nigsten Mitarbeitern. Dennoch sind unsere Aufgaben, Kompetenzen und Rechte identisch mit denen in anderen Bundesländern, gleich welcher Größe, ob 1 Million, 3 Millionen, 7 Millionen oder 18 Millionen Einwohner. Die Gesetze, die wir in diesem Hause verabschieden, sind nicht weniger zahlreich oder gar weniger anspruchsvoll. Sie müssen genauso von Expertenmeinungen durchdrungen und auf unsere saarländische Situation heruntergebrochen werden. Sie sind also nicht weniger anspruchsvoll als in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, nur weil wir weniger Einwohner haben. Wir leisten also das Gleiche mit weitaus bescheideneren Bordmitteln. Das heißt nichts anderes, als dass man als einzelnes Mitglied des saarländischen Landtages in besonderem Maße gefordert ist - und das nicht nur in einem Ausschuss, wie das in vielen Landesparlamenten der Fall ist, sondern gleichzeitig in mehreren Landtagsausschüssen.
Zudem sind die Abgeordneten nirgendwo sonst in Deutschland so stark mit ihrer Heimat verbunden wie bei uns im Saarland. Nirgendwo sonst sind die Abgeordneten so stark in ihren Parteien vor Ort, in den Vereinen, Verbänden, Vereinigungen, Kirchen und Gewerkschaften engagiert, wie das hierzulande der Fall ist. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es einen solch hohen Organisationsgrad der Menschen in den jeweiligen Organisationen. Diese Präsenz vor Ort und die ständige direkte Ansprechbarkeit von uns Abgeordneten garantieren intensive Bürgernähe und Bürgerbeteiligung.
Dennoch hat auch bei uns das Bild des Politikers gelitten. Wer könnte dies angesichts der rückläufigen Wahlbeteiligung bestreiten? Daher sollte sich jeder einzelne von uns seiner Verantwortung bewusst sein, die er für das Erscheinungsbild der Politik als Ganzes und ihrer Wahrnehmung in der Bevölkerung trägt. Es ist unser aller Aufgabe, an diesem Erscheinungsbild zu arbeiten und so eine Trendwende in der Wahrnehmung von Politik durch die Öffentlichkeit einzuleiten. Das darf jedoch nicht heißen, dass wir jedem blinden Populismus verfallen und uns jedwede Meinungsäußerung aus der Bevölkerung zu eigen machen müssen. Das gilt für meine Begriffe besonders in Bezug auf unser System der repräsentativen Demokratie, in dem wir leben.
So sehr es an der Zeit ist, plebiszitäre Elemente in unserer Verfassung breiteren Raum zu schenken, so sehr der Anspruch auf mehr Teilhabe an und mehr Transparenz in der Politik auch berechtigt erscheint, so sehr sollten gerade wir als Parlamentarier doch zu unserem repräsentativen System stehen und dieses System auch nach außen vertreten. An guten Gründen und guten Argumenten für das repräsentative System mangelt es wahrlich nicht. Der Weg Deutschlands zu einer verlässlichen und stabilen Demokratie, der Aufstieg Deutschlands aus den
Trümmern des Zweiten Weltkrieges zu einer hoch industrialisierten Wohlstandsgesellschaft, der Aufbau leistungsfähiger sozialer Sicherungssysteme, die solidarische Übernahme von Verantwortung für die Entwicklungschancen anderer Regionen in dieser Welt, die Durchsetzung eines wirksamen Umwelt- und Klimaschutzes, all das sind Leistungen nicht zuletzt auch unserer parlamentarischen repräsentativen Demokratie. Deshalb ist unser parlamentarisches System auch Vorbild für die zahlreichen jungen Demokratiebewegungen weltweit.
Ein Weiteres müssen wir uns immer wieder klarmachen. Plebiszitäre Elemente und plebiszitäre Entscheidungen sind längst kein Garant für eine humane Gesellschaft. Das Allgemeinwohl ist mehr als die Summe aller Einzelwünsche. Auch Minderheiten, Schwache, Behinderte und Benachteiligte müssen zu ihrem Recht kommen. Sie haben oftmals keine Lobby. Ihre Möglichkeiten, sich in der öffentliche Debatte wahrnehmbar zu Wort zu melden, sind oftmals - was auch in der Natur der Sache liegt - begrenzt. Vielleicht könnten sie im plebiszitären Entscheidungsverfahren ins Hintertreffen geraten. Das darf und sollte man nicht unterschätzen.