Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Das gilt auch für das Thema Grenzen. Es gibt, so glaube ich, kein anderes Parlament in Deutschland, für das das Thema Schengen eine solche Bedeutung hat wie für dieses Parlament. Für uns ist Schengen nicht einfach irgendein Rechtsbegriff. Für uns ist Schengen ein Ort, mit dem wir konkrete Vorstellungen verbinden. Für uns bedeutet Schengen, dass wir tatsächlich in einem Raum leben, in dem wir uns ohne Grenzen bewegen können. Für uns ist es zum Beispiel auch schwer erträglich, dass, wie am vergangenen Wochenende geschehen, die Extremisten des Front National in Schengen einen Kranz niedergelegt haben, um sich so darüber zu freuen, dass nun diese Binnenfreiheit sozusagen wieder auf der Kippe steht. Das ist nicht erträglich! Das muss unseren Widerspruch hervorrufen.

Um aber Schengen gewährleisten zu können, brauchen wir eine gemeinsame europäische Haltung zu den Ursachen und zur Bekämpfung der Ursachen. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Asylund Flüchtlingspolitik. Und wir brauchen eine gemeinsame Antwort mit Blick auf unsere Außengrenzen. Ohne diese gemeinsamen Antworten wird es sehr schwer sein, die Freiheit im Inneren Europas, die Grenzenlosigkeit im Inneren Europas, aufrechtzuerhalten. Wir wissen, was wir an dieser Freiheit haben. Wir sollten daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, an der Spitze der Bewegung stehen, wenn es darum geht, um diese Reisefreiheit zu kämpfen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Daran wird auch deutlich, dass wir eben nicht nur auf der europäischen Ebene gefordert sind, sondern auch bei uns in Deutschland. Es läuft, ich will das ganz bewusst aufgreifen, zurzeit bei uns in Deutschland auch eine Debatte, eine Diskussion, ob es denn richtig war, an dem bekannten Wochenende in einem humanitären Akt die Grenze zu Österreich, die Grenze aus Richtung Ungarn zu öffnen und die Menschen, die unter unwürdigsten Bedingungen in Ungarn festgesetzt waren, ins Land zu lassen. Es gibt heute viele, auch das will ich nicht wegdiskutieren, die sagen, dass das das falsche Signal war.

Ich, meine sehr geehrten Damen und Herren, glaube nicht, dass diese Menschen recht haben. Ich rate allen, die so denken, sich noch einmal 25 Jahre zurückzuversetzen, einmal die Augen zu schließen, noch einmal kurz nachzufühlen, wie das seinerzeit war, wie dankbar wir waren, als Ungarn damals die Grenze geöffnet hat für die Menschen, die vor dem Unrechtsregime der DDR zu uns flüchten wollten. Erinnern Sie sich bitte, was das bedeutet hat! Das war ein entscheidender Baustein für den Fall des Eisernen Vorhangs. Es steht uns Deutschen gut zu Gesicht, dies nicht zu vergessen, sondern diese Erinnerung in diesen Tagen vielleicht sogar noch lebendiger zu halten als früher, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall von den Regierungsfraktionen und bei der LINKEN.)

Ich frage mich: Welches Bild wollen wir von diesem Europa, von diesem Deutschland in die Welt senden? Ist es das Bild der Menschen, etwa am Münchner Hauptbahnhof, die Flüchtlinge willkommen geheißen haben? Oder ist es das Bild des kleinen kurdischen Jungen, der ertrunken am Strand liegt? Um diese beiden Bilder geht es. Wir haben es in der Hand, welches dieser Bilder unsere Welt bestimmt. Ich für meinen Teil habe meine Wahl getroffen, welches Bild ich sehen möchte. Ich hoffe, dass das die meisten Menschen in Deutschland genauso sehen.

Denn die Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren, welches Gesicht Deutschland in diesen Tagen zeigt, ist eine Frage, die noch nicht endgültig beantwortet ist. Ja, wir sehen die Wärme und die Freundlichkeit im Gesicht der Menschen, die die Flüchtlinge willkommen heißen nicht nur am Münchner Hauptbahnhof, sondern auch bei uns im Saarland. Ich sehe aber auch die Fragen und die Ängste in den Gesichtern vieler Bürgerinnen und Bürger, die angesichts der Bilder und angesichts der Zahlen nicht sicher sind, ob wir diese Herausforderung meistern können, ob wir diese Herausforderung wirklich bestehen können. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sehen auch den Hass in den Augen derjenigen, die Flüchtlingsheime anzünden. Das alles gehört in diesen Tagen in Deutschland zur Realität. Alle diese Gesichter sehen wir in Deutschland. Wir haben es in der Hand, durch unser Verhalten und unsere Politik zu entscheiden, welches dieser Gesichter sich letztlich dauerhaft einprägen wird. Es gilt, hier eine Entscheidung zu treffen, und es muss einfach die richtige Entscheidung sein, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der ehemalige Bundesverfassungsricher Udo di Fabio hat im aktuellen SPIEGEL Folgendes gesagt: „Auch die weltoffene Demokratie kommt ohne Grenzen nicht aus.“ Ja, das stimmt. Deswegen stehe ich dazu, zu sagen: So richtig es war, das humanitäre Signal zu setzen mit Blick auf die Flüchtlinge in Un

(Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer)

garn, so richtig war es auch, die Grenzkontrollen im Rahmen des Schengener Abkommens wieder einzuführen. Wir haben diese Kontrolle gebraucht und brauchen sie nach wie vor, um den Zustrom etwas besser zu kanalisieren, weil wir ja die Menschen, die zu uns kommen wollen, nicht nur einfach am Straßenrand ablegen wollen, sondern wir dafür sorgen wollen, dass sie menschenwürdig untergebracht werden, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, dass sie etwas zu essen haben, dass sie auch medizinisch versorgt werden können. Und um das gewährleisten zu können, brauchen wir auch etwas Luft in den Verfahren. Ansonsten kommen auch wir bei aller Kunst, die wir in Sachen Organisation beherrschen, an unsere Grenzen. Wir brauchen es außerdem als ein klares Signal an Europa, dass es so, wie es im Moment ist, nicht bleiben kann, dass nicht die einen sagen können: „Wir nehmen auf“, und die anderen sagen: „Wir bauen Zäune.“ Hier brauchen wir eine gemeinsame Antwort. Insofern schmerzt es uns natürlich, dass gerade wir hier in Deutschland wieder Grenzkontrollen einführen, aber sie sind unverzichtbar, sie sind notwendig und sie müssen beibehalten werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Zweitens ist es wichtig und richtig, dass wir deutlich machen - und das ist die entscheidende Aufgabe, die wir morgen beim Flüchtlingsgipfel in Berlin vor uns haben -, dass diese Herausforderung eine nationale Herausforderung ist! Diese Herausforderung ist eine nationale Aufgabe! Ich bin froh, dass gerade wir hier im Saarland dies früher thematisiert haben, dies früher eingefordert haben als andere in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Herausforderung kann in Deutschland niemand für sich alleine bewältigen, nicht die Bundesregierung, nicht die Länderregierungen und schon gar nicht die Städte und Gemeinden. Dies geht nur gemeinsam. Auch das müssen wir deutlich machen. Dafür müssen wir kämpfen. Das müssen die Ergebnisse morgen beim Flüchtlingsgipfel auch ganz deutlich belegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Deswegen sind unsere Erwartungen und Forderungen an den morgigen Flüchtlingsgipfel und an die Bundesregierung ganz klar: Wir brauchen eine Aufnahme der Menschen, die Hand in Hand geht. Das beginnt bei den Hotspots, die außerhalb unserer Grenzen eingerichtet werden müssen, und bei einem festen Quotenverteilsystem für Gesamteuropa. Das geht weiter über die Drehkreuze, die wir auch hier in Deutschland brauchen, weil nicht mehr alles über eine Stadt kommen und verteilt werden kann. Das geht weiter über die Erstaufnahmeeinrichtungen bis hin zur dezentralen Unterbringung. Für jede dieser Stufen hat eine Ebene Verantwortung zu tragen - Europa und die europäischen Gremien, Deutsch

land und die Bundesregierung, wir im jeweiligen Bundesland und die Städte und Gemeinden, was die dezentrale Unterbringung anbelangt. Hier sind wir noch nicht gut genug aufgestellt, hier müssen wir besser werden, wenn wir diese Herausforderung meistern wollen.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen schnellere Verfahren. Es kann nicht sein, dass es allein bis zur Registrierung, damit der Antrag auf Asyl in die Bearbeitung gehen kann, schon mehrere Monate dauert. Es gibt heute viele, die sagen, das BAMF hätte schon von Anfang an sehr viel stärker personell aufgestellt werden müssen. Denen will ich nur sagen: Wir haben im letzten Jahrzehnt in Deutschland Jahre gehabt, in denen die Zahl derjenigen, die als Asylbewerber oder Flüchtlinge zu uns gekommen sind, massiv zurückgegangen war. Es gab Forderungen von Rechnungshöfen und auch eine öffentliche Debatte, die gesagt hat: Warum soll man eigentlich Strukturen aufrechterhalten, wenn die Zahl derjenigen, die kommen, so stark zurückgeht? Heute sind diejenigen gut aufgestellt, die auch in diesen Zeiten ihre Strukturen einigermaßen aufrechterhalten haben. Ich bin sehr froh darüber, dass wir es bislang bei allen Debatten immer geschafft haben, über all die Jahre an unserer Erstaufnahmeeinrichtung in Lebach, auch an dem Verbund mit dem BAMF, festzuhalten. Dadurch sind wir heute in der Lage, die Dinge einigermaßen im Griff zu behalten. Hier ist Weitsicht bewiesen worden, und für diese Weitsicht darf ich mich ganz herzlich bedanken.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wir brauchen für diese schnelleren Verfahren mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im BAMF, wir brauchen aber auch einfach bessere Abläufe. Wir sehen in Lebach, wie es funktioniert, wenn das BAMF und die anderen Behörden unter einem Dach Hand in Hand zusammenarbeiten. Wir sehen in anderen Bundesländern, wie schwierig es ist, wenn diese Behörden getrennt voneinander agieren, wenn diejenigen, die registriert oder angehört werden müssen, erst kilometerweit mit Bussen hin und her gefahren werden müssen. Hier brauchen wir Flexibilität, hier brauchen wir auch eine Mentalität, die auch mal Fünf gerade sein lässt. Wir brauchen, so hat es die Kanzlerin formuliert, deutsche Gründlichkeit, aber auch ein gerüttelt Maß mehr an Flexibilität. Dann können wir die Verfahren wirklich beschleunigen, und das ist notwendig.

Es ist notwendig, damit wir die Hilfe, die wir gewähren wollen, auf die konzentrieren können, die ihrer wirklich bedürfen. Das bedeutet, dass die Verfahren insbesondere für diejenigen, bei denen von Anfang an klar ist, dass sie nach unseren Rechtsregeln, aufgrund der Tatsache, dass sie aus sicheren Herkunftsstaaten kommen, keine oder nur eine ver

(Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer)

schwindend geringe Chance haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden, vorrangig behandelt und schnell abgeschlossen werden müssen. Ihre Rückführung muss schnell erfolgen, denn auch das ist wichtig, sowohl für die Menschen, die betroffen sind, als auch für diejenigen, die mit einer Bleibeperspektive hier sind. Wir werden alle Mühe haben, das, was wir zur Verfügung stellen können, bereitzustellen. Und das müssen wir auf die konzentrieren, die nach unseren Rechtsregeln dieser Hilfe bedürfen. Auch das ist eine Aufgabe, vor der wir stehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Das bedeutet auch, dass wir unser Asylrecht konsequent anwenden müssen. Ich begrüße ausdrücklich den Vorschlag, den CDU und SPD in der Großen Koalition in Berlin gemacht haben. Es ist ein ausgewogener Vorschlag, der deutlich macht, wie wichtig es ist, dass Verfahren zügig bearbeitet werden können, dass diejenigen ohne oder mit einer geringen Bleibeperspektive nicht dezentral verteilt werden, sondern in der Aufnahmeeinrichtung bleiben und von dort konsequent zurückgeführt werden.

Dieses Asylrecht ist ja entstanden - ich glaube, das müssen wir uns noch mal vor Augen führen - aus der konkreten Erfahrung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, die selbst erlebt haben, wie es war, flüchten zu müssen, vertrieben worden zu sein, die selbst erlebt haben, dass verfolgte Menschen ihr Leben verloren haben, weil Staaten sich geweigert haben, sie aufzunehmen. Diese Menschen haben gesagt: „Wir gewähren ein höchstpersönliches Recht. Jeder Mensch, der aus politischen Gründen verfolgt ist, hat das Recht, bei uns um Asyl zu bitten, und wenn seine Gründe anerkannt werden, wird ihm dieses Asyl auch gewährt.“ Aber wenn wir dieses Recht - und das ist ein hohes Gut! - auch in Zeiten von hoher Zuwanderung erhalten wollen, müssen wir es konsequent anwenden. Nur so kann es funktionieren, nur so wird es weiter akzeptiert werden. Wir brauchen diese Akzeptanz, um dieses Recht, so wie es ist, weiter beibehalten und verteidigen zu können, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wir fordern beim Flüchtlingsgipfel aber auch, dass Hürden beseitigt werden. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass diejenigen, die eine Bleibeperspektive in diesem Land haben, ganz schnell hier integriert werden müssen. Integration bedeutet, dass sie die Sprache lernen, dass sie sich mit unserer Gesellschaft vertraut machen, vor allen Dingen dass sie für sich selbst sorgen können, dass sie Arbeit finden. Deswegen muss alles auf dieses Ziel hin ausgerichtet werden. Auch hier stellen wir fest, dass wir Systeme haben, die nicht so reibungslos ineinanderpassen, wie das sein sollte. Das sind Systeme, die viel

leicht funktionieren, wenn man eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit hat, die aber jetzt an ihre Grenzen stoßen. Deswegen muss man ganz nüchtern und aus der Praxis heraus fragen, wo wir Hürden haben, mit denen wir uns selbst das Leben schwer machen. Wir stellen dies zum Beispiel fest bei der Frage der Integrationskurse, der Sprachkurse und der Integration in den Arbeitsmarkt; dort haben wir Doppelstrukturen. Es gibt das BAMF, das sich um Integrationsund Sprachkurse kümmert, Ausschreibungen macht, Bewerber aussucht und die Überwachung durchführt. Wir haben aber ähnliche Strukturen, wenn es um die Eingliederung in den Arbeitsmarkt geht, etwa bei der Bundesagentur für Arbeit. Deswegen haben wir als Saarland zu den Verhandlungen morgen den Antrag eingebracht, § 45a so zu ändern, dass die Zuständigkeiten für Sprach- und Integrationskurse vom BAMF in die Bundesagentur für Arbeit übergehen, weil dort gewährleistet ist, dass es wirklich arbeitsmarktorientiert ist. Dadurch könnten wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim BAMF freisetzen, die dann wiederum bei der Registrierung, der Entscheidung und der Bearbeitung der eigentlichen Asylverfahren besser helfen könnten, was zu schnelleren Verfahren führt. Ich hoffe sehr, dass dieser Antrag angenommen wird. Wir werden auf jeden Fall morgen dafür kämpfen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ja, all diese Anstrengungen werden Geld kosten, das müssen wir ganz offen und deutlich sagen. Mit den Mitteln, die zurzeit zur Verfügung gestellt werden, wird das nicht gelingen. Das gilt insbesondere für die 6 Milliarden Euro, die die Bundesregierung, die Große Koalition, festgelegt hat, 3 Milliarden für den Bundeshaushalt, 3 Milliarden für die Länder und die Kommunen. Es gibt dankenswerterweise schon das Signal der Bundesregierung, dass das letzte Wort hier noch nicht gesprochen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kommt aber nicht nur auf die Höhe an, es kommt auch darauf an, wo und wie dieses Geld fließen soll. Was wir nicht akzeptieren werden, nicht als saarländische Landesregierung und sicherlich auch nicht in der Mehrheit der Bundesländer, ist, dass wir irgendeine Summe genannt bekommen, die dann gedeckelt ist. Wir erleben im Moment, wie schnell sich Zahlen ändern, wie schnell Zuzug entstehen kann und Zahlen wieder zurückgehen können. Was wir brauchen, ist zuerst ein strukturelles System, das deutlich macht: Es geht nicht nur um eine einmalige Hilfe aus dem Bundeshaushalt, sondern darum, dass diese Lasten, solange sie andauern, auch vom Bund mitgetragen werden. Es geht darum, ein System zu haben, das so flexibel ist, dass, wenn viele Menschen kommen und mehr Kosten entstehen, diese Kosten stärker vom Bund getragen werden, und wenn es weniger

(Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer)

sind, die Leistungen des Bundes zurückgeführt werden können. Es geht zudem darum, eine faire Lastenverteilung zu haben. Deswegen ist es für uns wichtig, Lösungen zu bekommen, die nicht nur die Bedarfe der Länder zufriedenstellen, sondern in einer späteren Folge, etwa in Bezug auf die Kosten der Unterkunft, auch in den Blick nehmen, dass es strukturelle Lasten, strukturelle Kosten gibt, die bei den Kommunen verbleiben und die die Kommunen ohne Hilfe nicht tragen können. Deswegen kämpfen wir an dieser Stelle auch für die saarländischen Städte und Gemeinden.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Es ist wichtig, deutlich zu machen, sei es bezogen auf den Wohnungsbau, den wir unterstützen und anreizen wollen, sei es bezogen auf den Arbeitsmarkt: Es darf keine Verteilungskämpfe geben! Wir dürfen nicht in eine Diskussion geraten dergestalt, dass es heißt, weil jetzt Flüchtlinge da sind, ist bei uns für diese Arbeitsmarktmaßnahme oder für jene Wohnungsförderung kein Geld mehr da. Das wäre ein Verteilungskampf auf dem Rücken der Schwachen in diesem Land. Diese Konfrontation wollen wir nicht. Diese Konfrontation dürfen wir nicht zulassen. Wir sind stark genug, wir sind reich genug, um uns um beide zu kümmern, die Schwachen in unserem Land und die, die neu dazukommen. Das ist die gesamtstaatliche Aufgabe, vor der wir stehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Die Forderung, die wir auch an uns selbst stellen, betrifft nicht nur die materiellen Fragen, die bürokratischen Fragen, sondern sie betrifft ebenfalls das Thema der Integration. Herr Udo Di Fabio hat recht, wenn er sagt: Auch die weltoffeneste Demokratie kommt ohne Grenzen nicht aus. Das betrifft nicht nur staatliche Grenzen, das betrifft auch Grenzen in unserem gemeinsamen Zusammenleben. Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir sollten uns in anderen europäischen Staaten anschauen, was in Sachen Integration funktioniert und was eben nicht funktioniert hat. Deswegen, das habe ich eben gesagt, bedeutet Integration für mich nicht nur, dass jemand die Sprache lernt, dass jemand hier arbeitet, sondern es bedeutet auch, dass er wirklich aktiver Teil dieser Gesellschaft wird. Das bedeutet nicht, dass jeder kulturelle Unterschied, den es gibt - und den wir Deutschen im Übrigen dort, wo wir ausgewandert sind, auch mit viel Liebe in dem einen oder anderen Land pflegen -, ausgebügelt werden muss. Es bedeutet aber, dass wir uns auf das verständigen, was Grundlage und Regelwerk unseres Zusammenlebens ist. Die Grundlage ich glaube, da sind wir uns hier alle einig - sind die im Grundgesetz verankerten Werte und Regelungen. Diese sind nicht verhandelbar und dürfen

auch nicht verhandelt werden. Das ist ein ganz klares Signal, das wir heute aussenden müssen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Das bedeutet ganz konkret, der säkulare Staat, die weltliche Justiz, die Gesetze unseres Rechtswesens, all das steht über der Religion. Religiöse Vorschriften, Maßgaben und Gebote haben sich diesen Gesetzen und Regeln zu beugen. Die Meinungsfreiheit gilt uneingeschränkt, auch wenn sie in Gestalt der Satire die Religion aufs Korn nimmt. Der Respekt vor Lehrerinnen, Polizistinnen, Richterinnen, vor Frauen überhaupt muss der gleiche sein, wie er Männern entgegengebracht wird. Frauen dürfen sich ebenso wie Männer genauso kleiden, wie sie es wollen und wie es ihrem Geschmack entspricht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, je früher und je verbindlicher wir das deutlich machen, umso besser ist es für das Zusammenleben in diesem Land.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich habe es eben gesagt, das ist eine Aufgabe, die jeder auf seiner Ebene wahrzunehmen hat, auch wir hier im Saarland.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stellen uns in unserem Land diesen Herausforderungen. Es sind massive Herausforderungen. Wenn die Zahlen so bleiben wie bisher, dann werden wir in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren Jahr für Jahr 10.000 Menschen aufnehmen. Das ist ein Riesenkraftakt auch für unser Land. Deswegen ist es wichtig, die Dinge geordnet in der Hand zu haben und deutlich zu machen, dass wir mit dieser Herausforderung fertig werden. Das sind insbesondere die Anstrengungen und die Schlagzeilen des Sommers gewesen, das betrifft in erster Linie und in einem ersten Schritt die Erstaufnahme, bei der es darum geht, dass die Menschen, die zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf haben, etwas zu essen bekommen, medizinisch versorgt werden und ihre Asylverfahren laufen können.

Ich will an der Stelle noch einmal kurz skizzieren, wie dieses Verfahren läuft, weil ich in den täglichen Gesprächen feststelle, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, wie die Abläufe sind und wie das bei uns im Land gehandelt wird. Die Menschen, die Tag für Tag nach Lebach kommen, werden dort vorregistriert und zuerst einmal in den winterfesten Übergangszelten aufgenommen. Von dort aus erfolgt die endgültige Registrierung und damit die Entscheidung, ob sie während der Dauer des Verfahrens im Saarland bleiben oder in andere Bundesländer verteilt werden. Wir haben in Deutschland ja ein Quotensystem, den Königsteiner Schlüssel, wonach jedes Land gemessen an seinen Einwohnerzahlen und seiner Stärke verpflichtet ist, eine gewisse Zahl von Menschen aufzunehmen.

(Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer)

Mit dieser Entscheidung, mit dieser Registrierung, startet das Asylverfahren. Das Landesverwaltungsamt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen die Daten, nehmen Lichtbilder und Fingerabdrücke, damit die Verfahren anlaufen können. Wenn sich im Saarland herausstellt, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, weil zum Beispiel der Betreffende aus einem sicheren Herkunftsstaat ist, dann verbleibt der oder die Betreffende in der Aufnahmeeinrichtung in Lebach und wird von dort, sobald dies rechtssicher feststeht und sobald dies möglich ist, in das Heimatland zurückgeführt und abgeschoben. Bei allen anderen, die eine vernünftige Bleibeperspektive haben, verteilen wir nach zwei bis drei Wochen in die saarländischen Landkreise und in die saarländischen Städte und Gemeinden.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wir werden diesen Vorlauf von zwei bis drei Wochen nur dann halten können, wenn wir auch mit Blick auf die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, ein reguliertes Verfahren bekommen und wenn wir vor allen Dingen mit Blick auf den Wohnraum in den Kommunen dort die entsprechenden Unterbringungsmöglichkeiten haben. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird die Verteilfrequenz sehr viel kurzfristiger werden. Das stellt alle Beteiligten, vor allen Dingen die kommunalen Verwaltungen, vor Riesenherausforderungen. Deswegen ist es unser ureigenes Interesse, dieses erprobte Verfahren, solange es irgendwie geht, in diesem Land auch beibehalten zu können.

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei allen Bürgerinnen und Bürgern des Saarlandes bedanken, die sich in den letzten Wochen und bis in die heutigen Tage hinein in Lebach selbst, aber eben auch in allen anderen Städten und Gemeinden unseres Landes in einem unglaublichen Kraftakt wirklich engagiert haben, um diese Aufgabe zu stemmen. Dieser Dank schließt alle Helferinnen und Helfer, die dies ehrenamtlich tun, mit ein. Ich darf stellvertretend vor allen Dingen das Deutsche Rote Kreuz nennen, das in Lebach über den Sommer die Erstversorgung mit übernommen hat.

Ich darf mich an der Stelle auch bei den Arbeitgebern in diesem Land bedanken, die in großer Zahl bereit waren, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer freizustellen, damit sie hier helfen können. Ich darf an dieser Stelle aber auch ganz deutlich ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung und der kommunalen Verwaltungen sagen. Es wird ja oft auf diese Kolleginnen und Kollegen geschimpft. Aber wer sich das selbst in Lebach angeschaut hat, wer sieht, dass dort Angestellte, Beamte unserer Verwaltungen in einem Dreischichtdienst arbeiten, wer sieht, dass wir Mitarbeiter haben, die selbst bei einem Trauerfall im engsten Familienkreis am nächsten Morgen an ihrem Arbeitsplatz sind, weil sie sagen,

wir müssen uns hier für diese Menschen einsetzen, dem ist klar, dass diese Menschen wirklich mit Herzblut und mit Leidenschaft arbeiten. Dafür ein ganz großes Kompliment und ein ganz herzliches Dankeschön.

(Beifall des Hauses.)