Protokoll der Sitzung vom 23.10.2018

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Digitalisierung schreitet voran. Natürlich tut sie das auch im Bereich der Medizin. Im Bereich der Telemedizin, über den wir hier sprechen, gibt es nun einen gewissen Dissens zwischen der Ärzteschaft auf Bundesebene, Bundesärztekammer, und den Ärzten im Saarland, zumindest n o c h gibt es diesen Dissens. Man kann die Hoffnung haben, dass das abgebaut wird und dass da auch der Fortschritt Platz greift.

Erster Kontakt bei Gesundheitsproblemen sollte der Arztbesuch sein, allein schon um sich kennenzulernen und weil die Beurteilung des Patienten durch den Arzt zum größten Teil nicht verbal abläuft, sondern zum Beispiel durch Blutprobe, Urinprobe, Pulsmessen, Abhören, Blick in die Augen und so weiter. Dennoch wollen offenbar immer mehr Menschen eine Fernbehandlung. Das lässt sich an der wachsenden Zahl deutscher Patienten ablesen, die Fernbehandlung in Anspruch nehmen. Bei einem englischen Internetportal sollen es im vorigen Jahr 400.000 gewesen sein und das telemedizinische Zentrum Medgate in Basel berichtet von mehr als 12 Millionen Anrufen jährlich und rasant steigenden Nutzerzahlen. In Ländern wie Kanada, Skandinavien und Australien ist Fernbehandlung seit Langem etabliert, schon wegen der großen Entfernungen dort. Es scheint zu funktionieren. Von erhöhter Kränklichkeit oder Sterblichkeit in diesen Ländern hat man jedenfalls noch nichts gehört. - Nebenbei und vielleicht zur Auflockerung: Hier wie dort kann es vorkommen, dass die Ursache der Wirkung folgt, wenn einmal ein Arzt hinter einem Sarg hergeht. Davor bewahrt auch nicht die Telemedizin, meine ich. Aber das nur nebenbei.

Telefon, Internet, Digitalisierung und teilweise auch besinnungslose Beschleunigung sind nun einmal in der Welt. Auch die Ärzteschaft sollte sich darauf einstellen, auch weil Telemedizin einer gewissen Bequemlichkeit ihrer Kundschaft, ihrer Patienten, entgegenkommt. Deshalb ist dieser Antrag grundsätzlich sinnvoll als ein Diskussionsbeitrag in modernen Zeiten, die nach modernen Lösungen verlangen. Außerdem liegt es in vielen Fällen nahe, dass der deut

(Abg. Dr. Jung (SPD) )

sche Arzt dann doch noch vor Ort aufgesucht wird nach einem Erstkontakt aus der Ferne, was Richtung Schweiz oder England naturgemäß aufwendiger wäre und bei den Patienten zu Verschiebungen und Verzögerungen notwendiger direkter Behandlung und zu fatalen Folgen führen könnte. Bei den Ärzten dagegen entstehen zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten und es wäre unvernünftig, sie anderen zu überlassen.

Was allerdings nicht passieren sollte, ist eine Verminderung und eine geringere Bezahlung der Ärzte für Hausbesuche bei wenig mobilen Patienten, die noch nicht mit Computer und Internet aufgewachsen sind. Die Begründung könnte dann lauten: Lieber Doktor, anstatt einen Hausbesuch mit viel zu viel Zeitaufwand zu machen, hättest du das auch per Telemedizin machen können, deshalb bekommst du jetzt eine entsprechend geringere Vergütung. - So etwas, meine ich, könnte sich in der Ferne abzeichnen. Das dürfte nicht passieren. Ansonsten, mit diesen Einschränkungen und mit den auch von Ihnen genannten Argumenten, stimmen wir diesem Antrag zu. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD.)

Ich danke Ihnen. - Ich rufe für die saarländische Landesregierung Frau Ministerin Monika Bachmann auf.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke sehr für diese Diskussion, ich danke der Frau Abgeordneten Schramm, ich danke aber auch den Abgeordneten Schäfer und Magnus Jung. Warum tue ich das? Ich tue es deshalb, weil genau auf den Punkt diskutiert wurde. Astrid Schramm hat in ihrer Rede gesagt - dem stimme ich auch voll zu -, dass wir uns der Digitalisierung stellen müssen, aber dass wir dabei nicht vergessen dürfen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, und dass er auch das persönliche Gespräch braucht.

Aus dem Grund ist es uns, dieser Landesregierung, so wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass die Hausärzte auch noch in zehn Jahren da sind. Wenn man weiß - ich habe es schon oft hier gesagt -, dass wir jetzt schon 36 Praxen besetzen könnten, wenn die Ärztinnen und Ärzte da wären, und wenn wir wissen, wie viele Ärzte, die heute in ihren Arztpraxen praktizieren, weit über 60 sind und auch das Recht hätten, aufzuhören, einfach zu sagen: „Jetzt, wo ich gesund bin, höre ich auf und mache etwas anderes“, dann müssen wir uns Sorgen darüber machen und uns wirklich damit beschäftigen. Das tun wir auch.

Diese Landesregierung ist seit Langem dabei, Programme zu stricken, in denen wir junge Leute, die

ein Medizinstudium machen, auch animieren, nicht nur in Krankenhäuser oder andere Einrichtungen zu gehen, sondern als Hausärzte nach draußen zu gehen. Wir wissen, dass im Saarland jeder Fünfte über 65 Jahre ist - also eine wesentlich ältere Gesellschaft als in anderen Bundesländern -, deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass das Saarland nicht größer und jünger wird, sondern kleiner und auch älter und wir deshalb beispielsweise die Frage zu beantworten haben, ob ein älterer Mensch mit den Medien umgehen kann oder nicht und ob wir plötzlich ein neues Krankheitsbild haben, das Einsamkeit heißt.

Deshalb nehme ich und nehmen wir in der Landesregierung das sehr ernst und sind auch bei diesem Thema jeden Tag mit neuen Gedanken und Diskussionen mit der Ärztekammer, mit der Kassenärztlichen Vereinigung, mit den Rettungsdiensten und allem, was dazugehört, unterwegs. Wir sind unterwegs im Landesgremium gemäß § 90a SGB V, uns Gedanken darüber zu machen, ob wir uns gegenseitig in den Krankenhäusern loben sollten, indem wir immer wieder sagen, von zehneinhalb Tagen Verweildauer sind wir Gott sei Dank endlich herunter und sind bei fünf bis sechs Tagen. Dann werden diese Menschen noch freitagsmittags entlassen und stehen dann da. Wenn es ältere Menschen sind, die zu Hause sind oder in eine Einrichtung kommen, dann stellt das oft für die Angehörigen ein richtiges Problem dar, nicht weil die Oma oder der Opa heimkommt, sondern weil man Angst hat, wie man damit umgehen soll. Hat man Tabletten? - Eben nicht. Und deshalb diskutieren wir dieses Entlassmanagement allen Ernstes und auch nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern das muss zügig vorangehen, damit sich nicht die Situation stellt, dass diese Frau oder dieser Mann nach Hause oder in eine Einrichtung entlassen wird, für einen Tag vom Krankenhaus Tabletten mitbekommt, und dann ist Samstag, dann sagt die Schwester im Pflegeheim oder die Tochter oder der Angehörige zu Hause: Was machen wir denn jetzt? - Der Hausarzt hat geschlossen, also muss man den Notarzt rufen. Der weiß nicht, mit den Akten der Patienten umzugehen. Sie merken, warum ich schon zur Telemedizin überleite und wie wir das alles auch in Zukunft managen wollen.

Wenn wir über Telemedizin reden, dann sind die Skeptiker immer schnell dabei, den Computer in den Vordergrund zu stellen. Ein Computer, der irgendwann eine Person betreut, mit ihr redet, das ist nicht das Ansinnen dieses Antrags. Er beinhaltet etwas ganz anderes. Wir werden nicht umhinkommen, uns weiter mit diesem dominierenden Thema Digitalisierung auch im medizinischen Bereich zu beschäftigen, weil es wichtig ist.

(Abg. Müller (AfD) )

Viele Aspekte sind schon angesprochen worden. Das Gesundheitswesen steht im Bundesvergleich bei der Digitalisierung noch ganz hinten, auf den hintersten Plätzen. Das liegt vor allem an den historisch gewachsenen komplexen Strukturen der unterschiedlichen Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Wer sich ein klein bisschen damit auskennt, weiß, wie schwierig es ist, diese Strukturen aufzubrechen. Dr. Magnus Jung hat eben versucht, das zu erklären. Die einzelnen Akteure an einen Tisch zu bringen und damit den Weg für neue, innovative Entwicklungen freizumachen, das macht sich nicht in zwei Tagen. Da muss man einen langen Atem haben und gut begründen können, warum und weshalb das besser ist, als es so zu belassen, wie es immer war. Es heißt dann oft: Wir haben doch immer so gearbeitet. In den letzten Jahren ist aber trotzdem von allen Gesundheitspolitikern und allen, die mit dem Thema Gesundheit zu tun haben, erkannt worden, dass kein Weg an der digitalen und der telemedizinischen Anwendung im ambulanten und stationären Bereich vorbeiführt.

Früher erschien der Chefarzt zur Visite, alle sind erstarrt, weil hinter ihm noch vier Oberärzte, drei Assistenzärzte und vier Schwestern zur Tür reinkamen. Früher ging die Tür auf und jeder ist verstummt. Nein, heute kommt der Arzt oft alleine, er hat ein Laptop dabei, dort schaut er hinein und sieht die Akte seiner Patientin oder seines Patienten. Aufbauend auf der technischen Plattform werden künftig elektronische Anwendungen wie die elektronische Patientenakte, ein zentrales Archivierungssystem, der elektronische Medikationsplan mit Arzneimitteltherapie-Überwachung oder das Notfalldatenmanagement und weitere unmittelbare telemedizinische Anwendungen möglich sein, um nur einige zu nennen. Es ist jedoch gerade auf Bundesebene gesetzgeberisch noch einiges zu tun. Auch das dürfen wir nicht verschweigen, wenn wir die Möglichkeiten der Digitalisierung noch effizienter nutzen wollen. Im Laufe des kommenden Jahres 2019 soll daher ein umfassendes Digitalisierungsgesetz auf Bundesebene eingebracht werden, in dem weitere Regelungen zur Umsetzung getroffen werden sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Saarland versuchen wir, gerade durch den Anstoß telemedizinischer Projekte insbesondere in der Notfallversorgung die Möglichkeiten von Fernbehandlungen für die Menschen, für die Bürgerinnen und Bürgern nutzbar zu machen. Mein Ministerium versucht, mit relativ bescheidenen Haushaltsmitteln Projekte zu unterstützen und zu initiieren, die den größtmöglichen Nutzen für die Bevölkerung haben. Als konkretes Beispiel wurde bereits die EKG-Übermittlung angesprochen. Es wurde jedoch vergessen zu sagen, dass das EKG des Patienten, dem schlecht wurde, der im Krankenwagen liegt und dessen EKG bereits gemacht wurde, gezielt an das Krankenhaus über

mittelt wird, in das der Patient gebracht wird. Der Vorteil ist, dass der Patient Minuten spart, wenn er dort wieder vom Arzt untersucht wird. Dieser kennt seinen Namen, das Geburtsdatum und alles, was dazugehört, und er kennt bereits die Beschwerden. Wenn es das Herz ist, ist der Kathetertisch bereits fertig. Dann braucht man nicht noch eine halbe Stunde, um die einzelnen Daten zu übermitteln. Deshalb ist die flächendeckende Ausrüstung von Rettungswagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen im Saarland mit hochmodernen Defibrillator-Monitoreinheiten im Jahr 2017 erfolgt und durch die Implementierung einer Software komplettiert worden. Das ist wichtig.

Wir stehen bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Saarland nicht gut da. Wir haben hier vor allem zwei Krankheitsbilder, die wir im Auge behalten müssen. Das eine sind die Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Deshalb sind wir auch mit Professor Böhm und Professor Özbek im Gespräch, um immer die neusten Erfahrungen einzubringen, was wir tun können. Das zweite Krankheitsbild ist der Schlaganfall. Da haben wir keine Zeit. Wir müssen so schnell wie möglich reagieren, um die Patientinnen und Patienten in die Krankenhäuser zu bringen, wo man wirklich weiß, was getan werden muss und was notwendig ist.

Um dieses Ziel zu erreichen, wird in Zukunft sicherlich neben den bisher im Haushalt 2018 eingestellten Mitteln von 220.000 Euro weiterer finanzieller Bedarf vorhanden sein, Herr Finanzminister. - Er kriegt es jetzt sofort ans Herz! - Weitere Informations- und Kommunikationstechnologien haben ein großes Potenzial zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit. Sie können sicher sein, dass ich mit meinem Ministerium die Entwicklung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, insbesondere die Neuschaffung von Grundlagen, in der nächsten Zeit kritisch, aber auch konstruktiv begleiten werde. Da fühle ich mich in diesem Parlament sehr unterstützt. Wir werden sehr darauf achten, wo sich für die Bürgerinnen und Bürger Chancen eröffnen. Wir werden diese Chancen dann auch beherzt ergreifen.

Ich bin mir aber auch bewusst, dass wir bei allen Chancen, die wir mit der Digitalisierung haben, eine ethische Verantwortung gegenüber den Menschen haben in der Frage, wie wir in der Politik ihre Lebensumstände gestalten. Wir müssen vor allen Dingen mit den persönlichen Daten vernünftig umgehen. Die Menschen haben Angst davor. Ich selbst möchte ja auch nicht, dass jeder sieht, welche Krankheiten ich habe oder ob ich keine habe. Das sind ganz persönliche Dinge. Deshalb müssen wir diese Daten schützen und dürfen technische Errungenschaften nur dann und dort einsetzen, wo sie den Patientinnen und Patienten nützen.

Es war aber gut, dass wir Zentren geschaffen haben, dass wir dies in den Krankenhäusern auch wei

(Ministerin Bachmann)

terhin versuchen und dass wir unsere Patienten insoweit schützen, als wir - ich möchte ein Beispiel herausgreifen - etwa bei den Schwindelpatienten nicht mehr die Situation haben, dass sie 13 bis 14 Fachärzte aufsuchen müssen. Denn das kostet die Krankenkassen richtig Geld. Irgendwann, wenn das Krankheitsbild dann immer noch nicht erkannt ist, sind die Leute so verzweifelt, dass andere Krankheiten wie Depressionen oder Ähnliches folgen, weil man ihnen nicht glaubt und weil kein Arzt die Zeit hat, mit ihnen vernünftig umzugehen.

Deshalb haben wir gesagt, wir wollen das Ganze so angehen, dass wir an einer Klinik, der Uniklinik, einen Stützpunkt haben. Dort haben wir alle Fachärzte vor Ort, gleichzeitig haben wir eine Dependance an der CTS, denn dort ist mit Professor Bumm wirklich jemand, der diese Patienten behandeln kann, und zwar nicht stationär, sondern in der Tagesklinik. Warum sage ich das? - Weil all diese Daten, wenn die Kapazitäten bei der CTS nicht mehr ausreichen, weitergeleitet werden an die Uniklinik und dort nicht alle Untersuchungen noch einmal neu gemacht werden müssen. Auch das ist ein Stück Telemedizin zum Wohle der Patientinnen und Patienten.

Wir haben also noch einen steinigen Weg vor uns. So einfach, wie wir uns das alle wünschen, wird das nicht. Ich glaube, dass wir auf der Bundesebene in der Gesundheitsministerkonferenz diesen Tagesordnungspunkt mit Sicherheit nicht in einer Viertelstunde ausdiskutiert haben. - Ich danke Ihnen für die großartige Unterstützung.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen Drucksache 16/589.

Wer für die Annahme des Antrages Drucksache 16/589 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Ich stelle fest, dass der Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden ist.

Wir kommen zu Punkt 9 der Tagesordnung:

Beschlussfassung über den von der AfDLandtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Lehrmethode „Lesen durch Schreiben (LDS)“ (Drucksache 16/586)

Zur Begründung des Antrages erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Josef Dörr das Wort.

(Abg. Dörr (AfD) : Diesmal spricht Herr Müller!)

Diesmal also Herr Müller. Damit hat Herr Müller das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem Ergebnis einer internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung, sogenannte IGLU-Studie, geht hervor, dass jeder fünfte Grundschüler im Alter von zehn Jahren nicht so lesen kann, dass er einen altersgemäßen Text auch versteht. Nach einem Bericht des IQB, Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, erreichen nur 55 Prozent der Viertklässler in Deutschland die orthografischen Regelstandards. Im Saarland sind es war 62,5 Prozent, aber das ist natürlich auch viel zu wenig. Denn das bedeutet, dass mehr als ein Drittel der Schüler diese Regelstandards nicht erreicht. Mehr als ein Drittel! Diese Zahlen wurden vor etwa einem Jahr bekannt und sind in der täglichen Informationsflut eher achselzuckend zur Kenntnis genommen worden. Dennoch fragte und fragt man sich, wie es denn so weit kommen konnte, wo es doch früher in Klassen mit 40 Schülern oder mehr nicht so viele Ausfälle und Mängel gab.

Nun wurde vor einigen Wochen - im September - eine Studie der Universität Bonn bekannt, die der Sache auf die Spur kommt und gleichzeitig einen offensichtlichen Unsinn bekannt macht, von dem viele noch gar nichts wissen. Gemeint ist die Lehrmethode des Schreibens nach Gehör.

(Sprechen bei der SPD.)

Sie wissen es vielleicht, das ist schon gut. - Auch etwas undeutlicher und vernebelt wird sie bezeichnet als Lesen durch Schreiben. Kernelement dieser Methode ist, dass den Kindern zuerst Buchstaben vorgestellt werden und Beispielworte, in denen diese Buchstaben vorkommen. Anhand der so eingeführten Buchstaben sollen die Kinder selbst Worte und Texte schreiben. Das alleine wäre schon problematisch, denn die so von den Kindern nach Gehör zusammengesetzten Worte und Texte sind naturgemäß oft falsch und können sich schon einmal falsch einprägen. Aber dann sollen die so zustande gekommenen Fehler weder von Lehrern noch von Eltern während der ersten zwei Schuljahre korrigiert werden, denn das könnte die Kinder frustrieren und ihrer Motivation schaden. Das ist die Begründung dieser eigenartigen Methode.

Meine Damen und Herren, das ist haarsträubend, nicht nur für jeden Pädagogen, sondern auch für jeden vernünftigen Menschen, der mit Kindern umgeht. Von so angeregten Kindern werden natürlich Schreibweisen nach Gehör erfunden, die ebenso natürlich in sehr vielen Fällen ganz einfach falsch sind. Solche Fehler werden noch nicht einmal vom Lehrer berichtigt. Unglaublich ist das! Das ist nicht

(Ministerin Bachmann)

nur pädagogisch absolut falsch. Das ist geradezu unterlassene Hilfeleistung.

Zum Glück halten sich nicht alle Eltern und Lehrer an dieses perverse Nichtkorrigieren. Von einem Großvater, der zuerst gar nicht glauben konnte, was da im Gange ist, habe ich gehört, dass seine Enkelin für ihr Alter zwar sehr ordentlich spricht, aber sehr viele Schreibfehler macht - Fehler, die in der Schule gemacht, nicht korrigiert wurden und damit falsch eingeübt wurden.

Nun haben nicht alle Eltern die Zeit und die Möglichkeit, diesen schulischen Murks zuhause zu berichtigen. Auf der Strecke bleiben die, deren Eltern nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht mehr die Energie aufbringen, um den in den Schulstunden angerichteten Schaden zu reparieren. Auch Kinder von Eltern, die als bildungsfern bezeichnet werden, sind benachteiligt. Kinder mit starker Dialektprägung ebenso. Und natürlich Kinder von Migranten, die sich oft besonders wenig in der deutschen Sprache und insbesondere in der Schriftsprache auskennen. Die angeblich bei den Kindern eintretende Frustration, wenn man ihre Fehler berichtigt, kommt dann unweigerlich, wenn plötzlich Noten für Rechtschreibung vergeben werden, wenn das falsch Eingeübte auf einmal anders, nämlich richtig, geschrieben werden soll und muss und berufliche Chancen durch mangelhafte Orthografie vernichtet werden.

Die Bonner Studie, die ich eben genannt habe, ist sehr ausführlich. Sie wurde über Jahre angelegt und erweist zweifelsfrei, dass die frühere sogenannte Fibel-Methode eindeutig nicht nur wenig besser ist -

(Abg. Renner (SPD) : Haben Sie die Studie?)

Ich habe sie gelesen. - Diese Methode ist nicht nur wenig besser, sondern führt zu deutlich besseren Ergebnissen, was auch keinen vernünftigen Menschen wundert. Sie vielleicht nicht, aber vernünftige Menschen wundert das überhaupt nicht.

Während der Studie wurden übrigens je nach Erhebung jeder Schule zu jedem Kind einzeln eine Rückmeldung über dessen Leistungsstand und Art der Fehler gegeben und somit gezielte Hilfestellung ermöglicht. Ohne diese Hilfestellungen wären die Ergebnisse wahrscheinlich noch schlechter ausgefallen. Das sagen die Professoren, die diese Studie initiiert und begleitet haben.

Jetzt fragt es sich nur noch, wie die Verantwortlichen in den Kultusministerien solchen offensichtlichen Unsinn überhaupt zulassen konnten beziehungsweise nicht längst gestoppt haben. In einigen Bundesländern ist diese Methode in den Grundschulen inzwischen ausdrücklich verboten, denn selbstverständlich müssen Fehler am besten sofort berichtigt werden, damit sie sich gar nicht erst einprägen und weiteren Schaden verursachen.

Es käme ja hoffentlich auch kein Fahrlehrer auf die Idee, seinen Fahrschüler zunächst einmal ganz frei und ohne Frustration fahren zu lassen anstatt nach Regeln, damit seine Motivation nicht abnimmt. Im Bildungswesen aber werden zuerst Lehrer mit unsäglichen Methodenlehren verunsichert und dann Experimente mit unseren Kindern gemacht.

Man könnte hier spekulieren über tiefer liegende politische Absichten gemäß einem Kalauer aus früheren Zeiten, der da lautet: Sagt der Fürst zum Bischof: „Halte du sie dumm, ich halte sie arm.“ - Die Rolle des Bischofs hätte danach unsere heutige Kultur- und Bildungsindustrie. Den Verdacht kann man auch aus anderen Gründen durchaus haben.