Protokoll der Sitzung vom 19.10.2004

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 3

Aussprache und Beschlussfassung zur Geschäftsordnung des 4. Sächsischen Landtages

Drucksache 4/0002, Entwurf der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages, Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der SPD

Es findet zunächst eine allgemeine Aussprache statt. Dafür weise ich auf die im Vorpräsidium vereinbarten Redezeiten hin. Dort ist vereinbart worden, dass die CDU 25 Minuten, die PDS 20, die SPD 15, die NPD 15, die FDP 10 und Bündnis 90/Grüne ebenfalls 10 Minuten Redezeit haben. Für die Änderungsanträge gilt eine Redezeit von 3 Minuten pro Antrag und Fraktion. Für die Gegenrede gilt Entsprechendes.

Meine Damen und Herren! Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile den Einreichern, der CDU-Fraktion und der SPDFraktion, das Wort. Zuerst Herr Lehmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Chance als erster Redner nutzen und Ihnen ganz herzlich zu Ihrer Wahl gratulieren. Ich hoffe, dass wir in guter Arbeit das leisten werden, was das Volk von uns verlangt. Aber eine Geschäftsordnung ist wie ein Anzug oder ein Kostüm, das seinem Träger oder seiner Trägerin zuallererst gefallen muss. Daneben muss es auch noch passen. Es darf den Träger oder die Trägerin in seiner bzw. ihrer Bewegungsfreiheit nicht einschränken und es muss eine gute Figur machen. Trotz all dieser unbestrittenen Basisanforderungen bleibt die Volksweisheit gültig, die lapidar-ironisch anmerkt: Über den Geschmack lässt sich streiten.

Auf unsere Geschäftsordnung übertragen heißt das: Trotz aller Erfahrungen, trotz allen Sachverstandes und trotz allen guten Willens wird man es nicht jedem recht machen können; man darf es aber versuchen. Der Basiszuschnitt ist eh durch die Sächsische Verfassung vorgegeben. Er ist zeitlos klassisch und hat sich während der abgelaufenen Legislatur bewährt; er hat seine guten Trageeigenschaften nachgewiesen.

Darum basiert der Vorschlag für die Geschäftsordnung der 4. Wahlperiode im Wesentlichen auf der Geschäftsordnung der eben abgelaufenen Legislatur. Er sieht aber in verschiedenen Punkten Anpassungen vor. Zahlreiche Änderungen sollen lediglich Korrekturen ohne große politische Bedeutung sein. Im Wesentlichen geht es dabei um redaktionelle Änderungen, rechtliche Klarstellungen

und Anpassungen des Textes an die tatsächlich geübte Landtagspraxis.

Daneben werden allerdings auch einige grundsätzliche Änderungen vorgeschlagen, die sich aus Problemen ergeben können, die in der Vergangenheit im Vollzug der Geschäftsordnung aufgetreten sind. Wesentliche Änderungen sind dem Umstand geschuldet, dass der Träger an Korpulenz zugenommen hat: Der Sächsische Landtag besteht nun aus 124 Abgeordneten, dem doppelt so viele Fraktionen angehören, als es in der Vergangenheit der Fall war. Die Korpulenz soll dadurch kaschiert werden, dass man an den Schultern etwas aufpolstert. Im § 2 Abs. 4 wird daher vorgeschlagen, künftig drei statt bisher zwei Vizepräsidenten zu wählen. Entsprechend dem Stärkeverhältnis hat dabei die CDU-Fraktion das Vorschlagsrecht für den Präsidenten und für zwei Vizepräsidenten. Für einen der Vizepräsidenten wird ein Mitglied der kleineren, hoffentlich bald regierungstragenden Fraktion der SPD vorgeschlagen werden. Die PDS hat das Vorschlagsrecht für einen Vizepräsidenten.

In die gleiche Richtung zielt der § 3. Um der neuen Zusammensetzung des Landtages besser Rechnung tragen zu können und gleichwohl ein angemessenes Stärkeverhältnis der Fraktionen im Präsidium sicherzustellen, wird vorgeschlagen, die Zahl der Präsidiumsmitglieder zukünftig auf 20 zu erhöhen. Entsprechend der Stärkeverhältnisse der Fraktionen wird die CDU danach neun Präsidiumsmitglieder stellen, die PDS-Fraktion fünf, die SPD- und die NPD-Fraktion jeweils zwei Mitglieder, die FDP-Fraktion sowie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jeweils ein Mitglied.

Gleichzeitig wird vorgeschlagen, die weiteren Präsidiumsmitglieder künftig nicht mehr zu wählen, sondern von den Fraktionen benennen zu lassen. Diese Regelung wird übrigens auch an anderen Stellen der Geschäftsordnung – überall dort, wo die Verfassung eine Wahl nicht zwingend vorschreibt – vorgeschlagen. Damit wird der Zwang für das Hohe Haus, Mitglieder von Fraktionen mit einem zweifelhaften Demokratieverständnis in Positionen zu wählen, auf die sie ihrer Stärke nach Zugriff hätten, weitestgehend vermieden.

Ein Anzug muss natürlich auch Taschen besitzen; Taschen stehen aber nur den Fraktionen zu. Das regelt § 8. Nach der alten Geschäftsordnung hätte Bündnis 90/Die Grünen keine Fraktion bilden können, da ihre sechs Abgeordneten nicht die bisher geforderten 5 % der Gesamtstärke des Parlamentes erreichten. Um auch den Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen die Fraktionsbildung zu ermöglichen, wird daher vorgeschlagen, in § 8 Abs. 1 die erforderliche Mindeststärke ausdrücklich auf sechs festzuschreiben.

Dies führt zu zahlreichen Folgeänderungen in der Geschäftsordnung. Überall dort, wo bisher bestimmte Rechte einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Landtages eingeräumt wurden, stehen diese Rechte nun einer Fraktion oder sechs Mitgliedern des Landtages zu.

In § 12 Arbeitsunterlagen soll dem Anzug der nötige moderne Chic verliehen werden. Die Mitglieder des Landtages sollen die benötigten Arbeitsunterlagen künftig sowohl als elektronisches Dokument als auch in Papierform erhalten, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Geschäftsabläufe zunehmend durch die Nutzung der Möglichkeiten der Elektronischen Datenverarbeitung bestimmt werden.

(Beifall des Abg. Lars Rohwer, CDU)

Danke schön, Herr Rohwer.

Das soll und das kann auch zu einer erheblichen Arbeitserleichterung führen. Die Abgeordneten können sich dafür entscheiden, auf die Übermittlung in Papierform gänzlich zu verzichten, und sich die Unterlagen nur als elektronisches Dokument übermitteln lassen. Dies gilt nicht nur für Landtagsdrucksachen, sondern beispielsweise auch für Einladungen zu Ausschusssitzungen; es dient zur Verteilung der Ausschussprotokolle oder auch von Kleinen Anfragen.

Weiteren Veränderungsbedarf sehen wir im § 20. Auch die Ausschussvorsitzenden und ihre Stellvertreter sollen aus den bereits genannten Gründen künftig von den Fraktionen benannt werden.

Eine echte Innovation ist der § 23. Mit ihm soll in der Geschäftsordnung für die 4. Wahlperiode erstmals die Einrichtung einer Enquete-Kommission ermöglicht werden. Insbesondere ist das wichtig bei der Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche, also komplexe und bedeutsame Sachverhalte. Die Mitglieder können sowohl Mitglieder des Landtages als auch externe Sachverständige sein. Die Kommissionen werden bei der Besetzung der Ausschussvorsitzenden selbstverständlich nicht berücksichtigt. Sie wählen sich ihren Vorsitzenden, der aber ein MdL sein muss, selbst. Einer Enquete-Kommission dürfen höchstens 20 Mitglieder plus jeweils ein weiteres externes Mitglied für jede Fraktion, insgesamt also maximal 26 Personen, angehören.

Auch die Zahl der Mitglieder des Notparlamentes nach Artikel 113 der Sächsischen Verfassung soll nach § 24 künftig auf 20 erhöht werden, um die verfassungsrechtlich gebotene Beteiligung aller Fraktionen – auch der kleinen – bei gleichzeitiger Wahrung eines angemessenen Stärkeverhältnisses gewährleisten zu können. Die Mit

glieder des Notparlamentes sollten künftig ebenfalls von den Fraktionen benannt werden.

Um die Arbeit in den Ausschüssen zu erleichtern und eine bestmögliche Berücksichtigung kommunaler Belange zu gewährleisten, wird in § 29 Abs. 4 vorgeschlagen, dass bei Regierungsvorlagen, zu denen die Staatsregierung Stellungnahmen der kommunalen Landesverbände eingeholt hat, diese zwingend der Begründung der Vorlagen beigefügt werden. Eine generell öffentliche Sitzung der Ausschüsse wird von uns dagegen abgelehnt.

Im Abs. 5 des § 32 wird vorgeschlagen, dass eine Fraktion künftig zwingend die abschließende Bearbeitung einer von ihr eingereichten Vorlage im federführenden Ausschuss verlangen kann, wenn der Ausschuss sechs Monate nach Überweisung durch den Landtag noch keine Beschlussempfehlung erstellt hat.

Um die formal einheitliche Gestaltung der Vorlagen in Zukunft zu gewährleisten, soll § 36 Abs. 4 gegenüber der bisherigen Formulierung stringenter gefasst werden. Der bisher lediglich als Möglichkeit vorgesehene Erlass von Richtlinien für die Erstellung von Vorlagen soll künftig zwingend erfolgen. Die Richtlinien sollen dann auch für alle Einreicher verbindlich sein.

Auch der Umgang mit selbständigen Anträgen, die keinen Gesetzentwurf enthalten, soll künftig grundlegend anders gestaltet werden. Mit der Änderung des § 53 werden zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll das bisher sehr regierungsdominierte Verfahren, das erst einmal der Staatsregierung die Möglichkeit zur Stellungnahme gibt, bevor sich der Landtag mit einem Antrag befasst, korrigiert werden. Zum anderen soll versucht werden, die enorme „Halde“ von Anträgen, die sich in der letzten Wahlperiode bei unmittelbar für die Plenarbefassung vorgesehenen Anträgen gebildet hat, möglichst zu vermeiden.

Grundsätzlich werden Anträge ohne Stellungnahme der Staatsregierung künftig sofort in den zuständigen Ausschuss überwiesen. Der Ausschuss holt die Stellungnahme dann bei der Staatsregierung ein, wenn die Antragsteller das so wünschen.

Daneben kann jede Fraktion künftig bis zu drei Anträge einreichen, die ebenfalls ohne vorherige Stellungnahme der Staatsregierung auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung gesetzt werden sollen.

Den Fraktionen wird zudem die Möglichkeit eingeräumt, Anträge, die in einen Ausschuss überwiesen, dort aber nicht beraten wurden, für eine Plenarsitzung anzumelden.

Nun zu § 59 Aktuelle Stunde. Die in der bisherigen Geschäftsordnung vorgesehene Regelung über die Durchführung der Aktuellen Stunde ist bei sechs im Landtag vertretenen Fraktionen so nicht mehr ohne Weiteres praktikabel. Deshalb wird eine grundlegende Neuerung vorgeschlagen. Künftig sollen in einer Plenarwoche maximal zwei Aktuelle Stunden mit jeweils maximal zwei Aktuellen Debatten stattfinden können. Die Dauer einer Aktuellen Stunde soll eine Stunde betragen, sich aber auf zwei Stunden erhöhen, wenn zwei Debatten durchgeführt werden.

Bei der Festlegung der Aktuellen Debatten sollen die Fraktionen künftig entsprechend der Reihenfolge ihrer

Stärke berücksichtigt werden, wobei die Fraktionen, die mit einem Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Debatte in einer Plenarwoche nicht zum Zuge gekommen sind, in der nächstfolgenden Plenarwoche vorrangig berücksichtigt werden sollen.

Schließlich wird vorgeschlagen, den Fraktionen, die es wünschen, einen zusätzlichen Beitrag von fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Redezeit zu ermöglichen, wenn ein Mitglied der Staatsregierung die Redezeit von zehn Minuten überschreitet.

Bei der Behandlung von Großen Anfragen wird vorgeschlagen, die Antwortfrist der Staatsregierung künftig in Wochen statt wie bisher in Sitzungswochen zu berechnen.

Aktuelle Debatten und Fragestunden werden nach § 81 in der Reihenfolge der zu behandelnden Vorlagen künftig nach den Gesetzentwürfen eingeordnet. Für die Gestaltung der Tagesordnung bei Anträgen und Großen Anfragen ergeben sich aus der Tatsache, dass nun sechs Fraktionen im Landtag vertreten sind, und aus den Änderungen in § 53 einige Konsequenzen, die helfen sollen, die Praktikabilität zu gewährleisten.

Zunächst soll festgeschrieben werden, dass die Fraktionen bei Anträgen und Großen Anfragen künftig im Wechsel entsprechend der Reihenfolge ihrer Stärke sprechen. Außerdem soll möglichst sichergestellt werden, dass jede Fraktion in einer Plenarwoche künftig zumindest mit drei Anträgen in gesonderten Tagesordnungspunkten zum Zuge kommt. Das sind bei sechs Fraktionen also 18 Tagesordnungspunkte.

Daneben können aber weitere Anträge, die thematisch zu bereits aufgenommenen Anträgen passen, mit in die Tagesordnung aufgenommen werden, um eine sinnvolle Bündelung der Beratungsgegenstände zu gewährleisten.

Für Wahlen, die vom Landtagsplenum durchgeführt werden, wird im neuen Abs. 4 des § 101 vorgeschlagen, eine eindeutige Regelung über die Zulässigkeit wiederholter Wahlvorschläge zu treffen, um dem aufgrund der Verfassungsrechtsprechung aufgetretenen Konflikt zwischen dem freien Wahlrecht der Abgeordneten einerseits und den Rechten der vorschlagsberechtigten Fraktionen andererseits Rechnung zu tragen.

Schließlich noch eine kleine Veränderung bei der Behandlung der Ausschussprotokolle. Die Richtlinie zur Behandlung der Ausschussprotokolle galt bereits bisher, war aber für die zu Ende gegangene Wahlperiode nur vom Präsidium erlassen. Sie soll nunmehr ausdrücklich als Anlage zur Geschäftsordnung aufgenommen werden.

Meine Damen und Herren! Zusammenfassend kann ich Ihnen bestätigen, dass sich insbesondere die Designexperten der CDU und der SPD intensiv mit der Gestaltung des neuen Outfits für die kommenden fünf Jahre beschäftigt haben.

(Dr. André Hahn, PDS: Und was ist herausgekommen?)

Neben den von mir dargestellten Anpassungen wurden auch modische Extravaganzen, Herr Dr. Hahn, ge

prüft und schließlich als doch nicht up to date verworfen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Man sieht gar nichts bei Ihnen!)

Dazu zählen auch die aus der parlamentarischen Mottenkiste herausgekramte Zählweise nach Hare/Niemeyer, das Kurzinterventionsrecht und das jederzeitige Rederecht für Fraktionsvorsitzende. Das erreichte Ergebnis wurde schließlich von der Landtagsverwaltung formalrechtlich geprüft.

Der heute zur Begutachtung vorliegende Anzug ist auch von unabhängigen Modeexperten als gut befunden worden; er ist funktional, modern und gefällig. Zusätzliche Änderungen könnten dem gelungenen Ensemble nur schaden.

Ich bitte Sie daher, der Kreation des Jahres Ihre Zustimmung nicht zu verweigern.

Herzlichen Dank.