Zweitens sollten wir nicht der Versuchung unterliegen, heute hier im Sächsischen Landtag das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der Punkt 2 des Antrages der PDS hat aus unserer Sicht eine völlig sachfremde Gleichsetzung der unterschiedlichsten Modelle vorgenommen: Studiengebühren, Studienkonten, Studienkredite. Wir als Bündnisgrüne halten zum Beispiel Studienkonten mit individueller Abbuchung für einen vernünftigen Weg. Sie sichern einen effizienten Einsatz öffentlicher Mittel, sie sind geeignet, die Rolle der Studierenden zu stärken, und in ihrer individuellen Abbuchungsform sind sie auch ein Mittel, das individuellen Lebensläufen Rechnung trägt.
Mir liegt jetzt noch eine Wortmeldung von den Fraktionen vor. NPD-Fraktion, Herr Gansel. Sie stehen bei mir zweimal auf der Rednerliste. – Gut.
Gibt es noch Diskussionsbedarf von den Fraktionen? – Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich jetzt die Staatsministerin. Frau Ludwig, bitte.
Frau Werner, damit ist das Ziel Ihres Antrages erreicht – zusammen mit der geltenden Rechtslage, die nur zu ändern wäre, wenn die Koalition sich darauf verständigen würde. Sie hat sich darauf verständigt, dass sie sie nicht ändern will. Damit ist Ihr Antrag nicht notwendig. Dennoch gibt er eine gute Gelegenheit, heute das Thema, wie bereits geschehen, zu diskutieren. Denn die Sachlage hat sich verändert, seit das Urteil, auf das viele schon lange gewartet haben, gesprochen worden ist. Am 26.01.2005 war das der Fall.
Wir haben in zwei wesentlichen Punkten nun Klarheit: Über die Einführung oder die Nichteinführung von Studiengebühren entscheiden die Länder in eigener Zuständigkeit. Das ist damit nun klargestellt.
Der Bundesgesetzgeber – das ist der zweite Punkt – wird zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erst dann zuständig – ich zitiere –, „wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“ Ob diese Formulierung wirklich zu einer Rechtssicherheit führen würde, wenn man es darauf ankommen ließe, ist zumindest fraglich.
Nachdem die erste Euphorie der Gebührenbefürworter offensichtlich etwas verflogen ist, ist völlig offen, wann welches Bundesland tatsächlich Studiengebühren einführt. Die angeblich in Bayern und in Baden-Württemberg ungeduldig in den Schubladen schlummernden fertigen Gebührenmodelle liegen noch immer nicht auf dem Tisch. Andere Länder haben bereits ihre ersten Erfahrungen gesammelt.
So ist Hamburg gerade mit einem ersten Versuch in Sachen Studiengebühren gescheitert. Dort bestand seit dem Sommersemester 2004 eine Regelung, dass Studentinnen und Studenten, die nicht aus dem Großraum Hamburg kommen, eine Studiengebühr von 500 Euro zahlen müssen. Vor wenigen Tagen hat nun das Verwaltungsgericht diese Regelung für unzulässig erklärt – wir kennen die Begründung des Urteils nicht –; das ist ein Indiz dafür, dass eine so genannte Landeskinderregelung wahrscheinlich scheitern würde.
Trotzdem wird es – und dies ist nach den großen Ankündigungen zu erwarten – einige Bundesländer geben, die in den nächsten Jahren Studiengebühren einführen werden. Sachsen steht mit der Ablehnung von Studiengebühren für das Erststudium nicht allein da. Neben dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen lehnen diese gegenwärtig – mit einigen differenzierten Positionen – insbesondere auch die neuen Bundesländer ab. Dafür gibt es viele Gründe, die in den neuen Bundesländern besonders wirken. Neben der demografischen Entwicklung sind das besonders soziale Aspekte.
Frau Dr. Raatz ging vorhin bereits darauf ein, dass 40 % unserer Studentinnen und Studenten BAföG-Empfänger
sind. In Baden-Württemberg sind es im Vergleich dazu nur 20 %. Übrigens, 52 % der BAföG-Empfänger in Sachsen sind Frauen. Das heißt, aufgrund der Einkommensverhältnisse in den neuen Bundesländern würden Studiengebühren von ungefähr 500 Euro – und gegebenenfalls auch mehr – pro Semester nicht nur für die so genannten bildungsfernen Schichten, die in der Regel auch ein geringeres Einkommen haben, eine kaum zu nehmende Hürde darstellen. Für eine Kindergärtnerin oder eine Grundschullehrerin in Teilzeit beispielsweise wäre ein Studium ihrer Kinder nicht mehr aus eigener Kraft finanzierbar. Das trifft auch viele andere Berufsgruppen.
Bliebe also der gegenwärtig diskutierte Weg – er ist bereits erwähnt worden – über ein kreditfinanziertes Studium. Das viel beachtete Modell der Kreditanstalt für Wiederaufbau bedeutet, dass man zur Finanzierung des Lebensunterhalts und der Studiengebühren einen Gesamtkredit von zirka 60 000 Euro mit einer Laufzeit von 25 Jahren aufnehmen müsste. Dann würden die Türme der Weisheit in der Tat zu Schuldentürmen. Wie das sozialverträglich zu machen ist, dafür hätte ich zumindest keine Idee.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Länder stehen nunmehr vor der Aufgabe, die neue Verantwortung, die ihnen das Bundesverfassungsgericht zugesprochen hat, auch verantwortlich wahrzunehmen. Herr Gerstenberg, hier bin ich ganz bei Ihnen. Das ist jetzt auch die Stunde der Bewährung für den deutschen Föderalismus. Während einige Länder bekanntermaßen gegenwärtig an der Einführung von Studiengebühren arbeiten, arbeiten andere Bundesländer an Strategien, wie sie mit einem möglichen Ansturm von Studentinnen und Studenten, die vor den Studiengebühren aus ihren Bundesländern flüchten, fertig werden könnten. Nicht gerade ein Zustand, der den Bildungsund Wissenschaftsstandort Deutschland weiterbringt und qualifiziert!
Deshalb müssen die Länder jetzt aufeinander zugehen und verlässliche Vereinbarungen treffen. Denkbar wäre hier der Rahmen eines Staatsvertrages. Denn wir können nicht immer wieder von der Internationalisierung von Hochschulen sprechen, aber gleichzeitig auf nationaler Ebene neue Grenzzäune ziehen.
Sachsen wird in der Konferenz der Kultusminister darauf drängen, dass es ohne große Verwerfungen und Lastenverschiebungen für die einzelnen Länder möglich sein muss, sich für oder gegen Studiengebühren zu entscheiden. Das heißt beispielsweise, dass die Mobilität der Studenten erhalten bleiben und dass es einen finanziellen Ausgleich geben muss, sollte es zu erheblichen Wanderungsbewegungen aus Ländern mit in Länder ohne Studiengebühren kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun zum zweiten Punkt Ihres Antrages: Frau Werner, es ist in der Tat so – und ich glaube, dass Sie das auch wissen –, dass Studienkonten und Studienguthaben ganz andere Ziele verfolgen. Herr Gerstenberg ist bereits darauf eingegangen. Ein gebührenfreies Erststudium ermöglicht Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildung und Ausbildung. Die Ressourcen allerdings, die dafür vom Staat zur Verfügung gestellt werden, sind wertvoll und finanziell erheblich. Deshalb halte ich es für legitim, dass von
den Studentinnen und Studenten auch erwartet werden kann, dass sie in der Regel ihr Studium in einer angemessenen Zeit abschließen. Wie Sie wissen, sind diese Modelle unter anderem dafür da.
Andere Dinge hat Herr Gerstenberg auch schon erwähnt. Aber in Sachsen stellt sich das Problem so nicht; denn unser Hochschulgesetz schließt vom Prinzip her ein Langzeitstudium aus. Insofern gibt es jetzt hier kaum eine Diskussionsgrundlage. Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der eindeutigen Rechtslage sieht die Staatsregierung keine Notwendigkeit, Vorkehrungen gegen die Einführung von Studiengebühren zu treffen, da diese bereits getroffen sind.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS ist der Auffassung, dass jeder Mensch grundsätzlich ein Recht auf Hochschulbildung hat. Deshalb müssen die Barrieren gesenkt und nicht erhöht werden.
Auch Konten und Kredite erhöhen diese Barrieren. Wir sind der Meinung, dass diese Barrieren bundesweit gesenkt werden müssen. Darüber ist sich übrigens die PDS in allen Bundesländern einig. Ich möchte aus einer Presseerklärung des wissenschafts- und wirtschaftspolitischen Sprechers der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zitieren. Dort wird zum Thema Studienkonten gesagt: „Es gibt einen PDS-Parteitagsbeschluss und der gilt. Wenn die SPD Studiengebühren einführen will, dann sind wir raus!“ – So Benjamin Hoff.
Meine Damen und Herren, Ihr Versprechen, in Sachsen sei alles okay, ist mir einfach zu wenig. Wir müssen über den sächsischen Tellerrand hinausblicken. Studiengebühren sind für ganz Deutschland das falsche Signal. Sie wirken überall selektiv, auch auf Studierwillige in Sachsen. Wir wollen Mobilität. Wir wollen, dass sich Stu
dierende umschauen, dass sie nicht nur in andere europäische, sondern auch in andere Bundesländer gehen, dass sie dort Erfahrungen sammeln. Ich muss sagen, 16 Bundesländer mit 16 verschiedenen Regelungen sind dabei einfach unproduktiv.
Darauf zielt auch Punkt 2b des Antrages. Wir fordern die Staatsregierung und ihre Mitglieder auf, sich auf Landes- und Bundesebene solcher Initiativen in Richtung Studiengebühren zu enthalten. Ich denke da ganz speziell auch an unseren Ministerpräsidenten, der sich ja öffentlich anders äußert.
Zu Punkt 1 unseres Antrages: Wir sind von der Ankündigung der SPD und der CDU enttäuscht, diesem Punkt nicht zuzustimmen. Wir hatten die Behandlung dieses Antrages seit langem angekündigt, und zwar auch deshalb, um Ihnen eine Brücke zu bauen, eventuell einen Änderungsantrag zu stellen, dem wir zustimmen können.
Ich muss Ihnen auch Folgendes sagen: Die Studierenden waren auch enttäuscht, dass im Koalitionsvertrag nichts von einem Studiengebührenverbot auftaucht. Frau Ludwig, wenn Sie sagen, es gebe eine Verständigung innerhalb der Koalition, frage ich: Wo ist sie denn? Wo ist sie für uns öffentlich einsehbar? Wo können die Leute das nachlesen?
Herr Dulig, auf der Demo in Leipzig sagten Sie: Nehmen Sie uns beim Wort, mit uns wird es keine Gebühren geben! – Was hindert Sie denn dann daran, sich heute, am Beginn einer neuen Legislaturperiode, öffentlich klar und deutlich und eben auch parlamentarisch dafür auszusprechen?
Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich rufe den PDS-Antrag in der Drucksache 4/0167 auf.
Ich rufe zuerst den Punkt 1 auf. Wer möchte dem Punkt 1 die Zustimmung geben? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Trotz einer Reihe von Stimmen dafür ist Punkt 1 mehrheitlich abgelehnt worden.
Ich rufe jetzt den Punkt 2 des PDS-Antrages auf. Wer möchte die Zustimmung geben? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist Punkt 2 mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Damit erübrigt sich auch die Gesamtabstimmung.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: CDU, SPD, PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen. Benjamin Franklin hat schon im 18. Jahrhundert geahnt, dass in Deutschland im 20. Jahrhundert das duale System der Berufsausbildung entwickelt wird; denn gerade dieses System hat für Deutschland in den letzten 50 Jahren die fettesten Zinsen abgeworfen. Ohne dieses hervorragende System der Berufsausbildung junger Menschen wäre der Aufstieg Deutschlands zur industriellen Weltmacht nicht gelungen. Meine Damen und Herren, das duale System hat nach 1990 auch in Sachsen Fuß gefasst. Allerdings setzt dieses System eine starke Wirtschaft voraus und gerade diesbezüglich haben wir in Sachsen noch unsere Probleme. Weil wir aber von den Zinsen einer guten Ausbildung gemeinsam profitieren wollen, weil wir den jungen Menschen hier im Lande eine Perspektive bieten wollen, haben wir uns im Sächsischen Landtag schon immer sehr intensiv um das Thema berufliche Erstausbildung gekümmert. Die heutige Debatte setzt also Begonnenes fort.
Aber, meine Damen und Herren, von Entwarnung im Bereich der Berufsausbildung kann leider auch in diesem Ausbildungsjahr keine Rede sein. Deshalb bleibt das ein Topthema auf der Tagesordnung der politischen Debatten.