Von September bis Dezember 1940 kommen bei 57 Nachtangriffen auf London 14 000 Einwohner ums Leben. Die deutsche Luftwaffe kann jedoch die Luftschlacht gegen England, die bis 1941 dauert, nicht gewinnen. Mehr als 2 000 Maschinen gehen dabei verloren.
14. November 1940: 500 Bomber der deutschen Luftwaffe fliegen den bis dahin schwersten Angriff auf eine britische Stadt. 500 Tonnen Sprengbomben und 30 000 Brandbomben gehen auf das Zentrum der mittelenglischen Stadt Coventry nieder. 65 000 der 75 000 Gebäude werden zerstört. Fast 600 Menschen fallen dem Angriff zum Opfer. Die St.-Michaels-Kathedrale wird bis auf die Grundmauern vernichtet. Das gesamte Stadtzentrum liegt in Trümmern.
Damit Sie nicht sagen können, mein Ausflug in die Geschichte des Bombenkrieges sei einseitig und unvollständig, muss ich natürlich auch erwähnen: Was von Deutschland ausgegangen ist, kehrte in furchtbarer Weise nach Deutschland zurück. Neben Berlin sind vor allem Hamburg, München, Mannheim, Köln sowie das Ruhrgebiet Ziele britischer Piloten.
Am 28. März 1942 fallen Bomben auf Lübeck, wenig später auf Rostock und Köln, dann auf Essen. 1943 folgen Angriffe auf Düsseldorf, Bochum, Oberhausen, Krefeld, Mülheim an der Ruhr und Wuppertal-Elberfeld, Gelsenkirchen und zum wiederholten Male auf Köln. Betroffen waren darüber hinaus noch viele andere deutsche Städte.
Insgesamt sterben während des Zweiten Weltkrieges 500 000 Menschen im Bombenhagel und den davon ausgelösten Feuersbrünsten. Auch sächsische Städte waren Ziele von Luftangriffen der alliierten Streitkräfte, das wissen wir natürlich.
Leipzig: Der schwerste Luftangriff ereignete sich am 4. Dezember 1943. Bis April 1945 sind es 38 Angriffe. Man fragt sich, warum gerade Leipzig. Die Leipziger Werke stellen allein ein Drittel der deutschen Jäger Me 109 und 110 her. Hier liegen die Hauptziele der Luftangriffe. Die deutsche Luftabwehr steht allerdings auf verlorenem Posten.
Dresden, 13. Februar 1945: Es kommen zwei Angriffswellen der Royal Air Force mit 800 Bombern mit insgesamt 2 700 Tonnen Bomben über Dresden. Am 14. Februar 1945 folgen über 300 Bomber der US-Airforce mit 700 Tonnen Bomben, am 15. Februar – daran wird relativ selten gedacht – folgen noch einmal 210 amerikanische Bomber mit 400 Tonnen Bomben.
Ich erinnere an Chemnitz: Erste Angriffe gab es ab Mai 1944, dann folgten weitere Luftangriffe am 6. Feb
ruar und am 14. Februar 1945. Der schwerste erfolgte am 5. Mai 1945 mit 700 Flugzeugen und 3 000 Tonnen Bomben. 80 % der Innenstadt wurden zerstört, 3 500 bis 4 000 Opfer waren zu beklagen. – Das ist meine früheste Erinnerung, die ich an meine Kindheit habe. Ich habe gesehen, wie Bomben auf Chemnitz gefallen sind – ich war reichlich drei Jahre alt. Plauen: Angriffe gab es bereits 1944, der Hauptangriff war am 10. April 1945 mit über 300 Bombern. 80 % der Stadt und 45 % aller Wohnungen wurden zerstört. Es gab rund 900 Tote. Zwickau: Die verheerenden Luftangriffe brachten auch den Bewohnern der Städte Zwickau und Planitz Zerstörung und Trauer. Der größte Luftangriff erfolgte am 19. März 1945.
Und nun, meine Damen und Herren von der NPD, zu Ihrem Antrag. Ihr Antrag kommt im Gewand des Biedermannes daher, aber in der Begründung verraten Sie sich. Sie sprechen vom „singulären Ereignis des Bombenkrieges“ und dem „Jahrhundertverbrechen des alliierten Bombenkrieges“. Was Sie geflissentlich weglassen, ist die Schuld der nationalsozialistischen und militärischen Führung Hitlerdeutschlands, die die deutsche Zivilbevölkerung beinahe schutzlos, ohne wirksame Luftabwehr, ihrem Schicksal überließ, während sie deutsche Soldaten weiterhin in einem erbarmungslosen wie aussichtslosen Bodenkampf gen Osten trieb.
(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN, des Abg. Dietmar Jung, PDS, sowie der Staatsregierung)
Sie, meine Damen und Herren von der NPD-Fraktion, lassen völlig außer Acht, dass nicht nur beim Luftkrieg Hunderttausende umgekommen sind, sondern auch bei anderen Kriegshandlungen. Sie ignorieren bei Ihrem Versuch, Schuld zu verdrängen und Geschichte zu verfälschen, dass ungezählte Städte und Dörfer beim Vormarsch und Rückzug deutscher Truppen durch Artilleriefeuer und Niederbrennen vernichtet wurden – und das, während Bomben auf deutsche Städte fielen, in Gaskammern in den Vernichtungslagern Millionen Juden und Angehörige anderer Völker tatsächlich fabrikmäßig und systematisch umgebracht wurden und die Schornsteine der Verbrennungsöfen Tag und Nacht rauchten.
Das ist das singuläre Ereignis, wofür heute der „Holocaust“ steht, den niemand mehr für die Bezeichnung anderer Ereignisse nutzen darf, und seien sie für die Betroffenen noch so furchtbar gewesen.
Sie schwadronieren vom Jahrhundertverbrechen und wollen das Jahrtausendverbrechen relativieren oder möglichst ganz verschweigen.
Meine Damen und Herren! Was sind die Lehren aus den furchtbaren Geschehen – heute, 60 Jahre danach? – Ich meine, es ist klar: Kriege verursachen Leid auf beiden
Seiten: auf Seiten der Sieger wie der Besiegten, und Schuldige sind nicht nur unter den Verlierern zu suchen. Leid und Schuld lassen sich aber nicht im Nachhinein gegeneinander aufrechnen. Versöhnung ist der einzige Weg, vom blutigen Gegeneinander zum vertrauensvollen Miteinander zu gelangen.
Vergebung und Versöhnung – das wissen wir als Christen – haben immer das Eingeständnis einer Schuld zur Voraussetzung.
Die von der NPD beabsichtigte Relativierung nützt niemandem, schadet aber der Aussöhnung. Am 13. Februar waren die Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und weiterer ehemaligen Kriegsgegner am Gedenk- und Trauerakt für die Opfer der Bombenangriffe auf Dresden vor 60 Jahren beteiligt. Als Zeichen der Versöhnung wurde der „Stiftung Frauenkirche“ das Nagelkreuz von Coventry von Dean John Irving, dem führenden Geistlichen der Kathedrale von Coventry, übergeben. Obwohl die Stadt Coventry und deren Kathedrale zuerst deutschen Bombenangriffen zum Opfer gefallen waren, sprach Irving auch von eigener Schuld: Der Angriff auf Dresden sei Unrecht gewesen. Er sagte: Wir hätten es nicht tun sollen. – „We shouldn't have done it.“
Welcher Wahnwitz steht dagegen hinter den NPD-Parolen vom „Bomben-Holocaust“ und der Leugnung des Zusammenhangs der Angriffe der Alliierten mit der Machtergreifung Hitlers 1933 und dem von Deutschland am 1. September 1939 begonnenen Krieg?!
Also, die Geschichtsfälschung setzt sich fort. Niemand bestreitet, dass die Bombardierung Dresdens – –
(Starker Beifall bei allen Fraktionen – Holger Apfel, NPD: Sie sollten eine passende Brille aufsetzen! – Klaus-Jürgen Menzel, NPD: Das war ich, der das gesagt hat!)
Meine Damen und Herren! Niemand bestreitet, dass die Bombardierung Dresdens unendliches Grauen erzeugt, Zehntausenden unschuldiger Zivilisten das Leben gekostet und unwiederbringliche Kulturgüter vernichtet hat. Die Überlebenden des Feuersturms und die Nachkommen der Opfer haben ein Recht auf Trauer und würdiges Gedenken. Dass dieses von
Linksautonomen und anderen Chaoten infrage gestellt wird, dürfen wir ebenso wenig zulassen wie das provokante Gedröhne der Unversöhnlichkeit und Ignoranz rechtsextremer Gruppierungen.
Jede der betroffenen deutschen Städte hat ihre eigene, seit vielen Jahren gepflegte Erinnerungskultur. Dazu brauchen sie nicht die Nachhilfe derer, deren geistige Ziehväter die Hauptschuldigen am Inferno von 1945 gewesen sind.
Die Bürgerinnen und Bürger von Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen, Zwickau und vielen anderen bombardierten Städten wollen 60 Jahre nach dem Krieg nicht Hass und Vergeltung, sondern Frieden und Versöhnung.
Die Koalitionsfraktionen werden den Antrag der NPD ablehnen. Wer dafür noch eine weitere Begründung braucht, der lese die Stellungnahme der Staatsregierung.
(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)
Ich danke Herrn Dr. Hähle. – Die PDS-Fraktion hat das Wort. – Die PDS-Fraktion verzichtet. Die FDP-Fraktion? – Verzichtet ebenfalls. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? – Herr Dr. Gerstenberg, bitte.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mich jetzt auf die sachliche Beschäftigung mit dem vordergründigen Antragstext der NPD beschränken würde, dann wäre durch meinen Vorredner Herrn Hähle und die Stellungnahme der Staatsregierung fast alles gesagt. Es ist so, dass der Opfer des Luftkrieges und insbesondere der Luftangriffe auf Dresden am 13./14. Februar 1945 in vielfältigster und umfassender Form gedacht wird. Auf Gedenkfeiern, auf wissenschaftlichen Symposien, Kulturveranstaltungen, an Mahndepots und Erinnerungsstellen. Es gibt seit Jahrzehnten eine Zeitzeugenforschung, die in besonders aktiver Form von der Dresdner „IG 13. Februar 1945“ um Matthias Neutzner, aber auch von vielen anderen Institutionen geleistet wird. Und es gibt eine kaum noch zu überschauende Zahl von abge
schlossenen oder noch laufenden Forschungsprojekten zum Kriegsende und zu den Opfern des Luftkrieges.
Alles das wird von der NPD-Fraktion willentlich nicht zur Kenntnis genommen. Das ist auch nicht überraschend; denn es geht den Nazis im Parlament darum überhaupt nicht. Ihr Anliegen ist vielmehr ein ganz anderes.
Die NPD versucht zum einen, die Ereignisse vom 13./ 14. Februar 1945 aus dem historischen Zusammenhang zu lösen und so den Blick auf die deutschen Leiden zu verengen. Zum anderen will sie diese Ereignisse sowohl hinsichtlich des zerstörerischen Ausmaßes als auch hinsichtlich der Ursache und des Ablaufs als einzigartig darstellen. Der Redner der NPD sprach gerade wieder vom „größten singulären Kriegsereignis seit Menschengedenken“. Ein Blick auf die historischen Zusammenhänge zeigt ein ganz anderes Bild.
Herr Kollege Gerstenberg, es ist Ihnen hoffentlich nicht entgangen, dass ich gesagt habe: „… das größte singuläre Kriegsereignis in Sachsen seit Menschengedenken …“ Das müsste auch so im Protokoll stehen.