Protokoll der Sitzung vom 25.01.2008

Tatsache ist auch: In kleinen Gruppen und im offenen Vollzug ist die Rückfallquote geringer. Ausbildung und Berufsausbildung sichern ebenfalls vor Rückfall. All dies kostet aber Geld. Wir müssen auch in diesem Hause die Courage haben, darüber zu sprechen, wie viel Geld uns die Verhütung zukünftiger Straftaten wert ist.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Diese Diskussion können und dürfen wir nicht darauf reduzieren, welchen Strafrahmen wir anwenden wollen. Eine bloße Strafverschärfung hilft nicht weiter. So halte ich auch den Vorschlag, die Jugendhöchststrafe von zehn auf 15 Jahre heraufzusetzen, für untauglich. Das ist Symbolpolitik, die wirklich nicht weiterhilft. Sie ist an einigen theoretischen Extremfällen ausgerichtet. Es gibt Menschen, die mit konstruierten Räuberpistolen herumlaufen und von 20-jährigen Auftragskillern fabulieren, um dann die Notwendigkeit zu konstruieren, deswegen den Strafrahmen zu erhöhen. Es ist die Frage zu stellen: Wie viele 20-jährige Auftragskiller hatten wir schon in Sachsen?

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich etwas zum Warnschussarrest sagen. Dieser ist bereits jetzt möglich. Es ist in der Tat nicht nachvollziehbar, dass eine Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird – als härtere Sanktion vom Gesetzgeber so vorgesehen –, vom Betroffenen als Freispruch zweiter Klasse und damit völlig falsch verstanden wird. Wer den Warnschussarrest will, muss aber auch erklären, wie und in welchen Einrichtungen er ihn vollziehen will. Wo sind diese Einrichtungen? Wie kann jemand aus Görlitz oder aus Plauen dort einrücken, wenn wir die Einrichtung beispielsweise in Regis-Breitingen haben? Mit welchem Personalaufwand soll das geschehen? Wann wird er abgeholt? Wie kann vermieden werden, dass er mit anderen Inhaftierten, die ihm möglicherweise noch „anständig“ was beibringen, in Kontakt kommt? Diese Fragen müssen geklärt werden. Dazu sind konkrete

Vorlagen notwendig, nicht nur eine allgemeine Ankündigung.

Etwas anderes ist der Vorschlag des Handyverbotes. Herr Kollege Schowtka, das haben Sie nicht ernst gemeint. Die heutigen Jugendlichen sind in der Lage, mit verschiedenen Typen von Handys umzugehen, nicht nur mit dem eigenen – mühsam gelernt –, sondern sie können auch mit dem Handy des Kollegen telefonieren. Das funktioniert bei denen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Ein Handy ist nicht an der Wand festgeschraubt und benötigt auch kein Kabel, sondern man kann es mitnehmen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Die Vorstellung, dass ein Handyverbot durchsetzbar wäre, ist, mit Verlaub, weltfremd.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Der Führerscheinentzug scheint auf den ersten Blick sinnvoll zu sein. Richtig ist: Nichts ist uncooler, als im Doppelgelenkbus bei der Disko vorzufahren.

(Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Doch, in Muttis Begleitung!)

Aber hier haben wir es mit Tätern zu tun, die jeweils eine hoch unterschiedliche Strafsensibilität aufweisen. Der Jugendliche aus der Großstadt, der noch zur Schule geht, fährt weiterhin mit derselben Straßenbahn zur Schule bzw. der Heranwachsende zur Lehrstelle, während ein Lehrling aus dem ländlichen Raum, der auf sein Auto angewiesen ist, um zur Lehrstelle zu kommen, durch einen Führerscheinentzug nicht nur in seiner privaten Lebensgestaltung, sondern auch in seiner sozialen Integration – in diesem Fall: der Berufsausbildung – erheblich getroffen würde. Das ergibt keinen Sinn.

(Beifall bei der FDP)

Der Führerscheinentzug ist auch insoweit von Nachteil, als er für den Täter nicht vorhersehbar ist. Wenn jemand in Zusammenhang mit dem Straßenverkehr Straftaten begeht, dann weiß er, dass ihm im Wege der Weisung im Jugendstrafrecht so etwas begegnen kann. Die allgemeine Einführung des Führerscheinentzugs halten wir auch im Hinblick auf den fehlenden Zusammenhang mit dem Verkehr bei der Deliktsbegehung für sachwidrig.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Noch etwas: Die Anwendung des Jugendstrafrechts nur auf Personen bis 18 Jahre wird zwar gern gefordert. Wenn man nach dem Warum fragt, dann erhält man eine „unterschiedliche Anwendungshäufigkeit“ als Begründung. Diese Antwort belegt, dass die Frage nach der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Personen von 18 bis 21 Jahren kein materielles Strafproblem, sondern ein Anwendungsproblem ist. Das muss man dann auch so sagen.

Wenn ich Anwendungsprobleme feststelle, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen, als mit dem Rasenmäher darüber zu gehen und gerade für die Heranwachsenden speziell vorgesehene Möglichkeiten zum Jugendstrafrecht einfach abzuschneiden. Das wird in der Diskussion verschwiegen.

Das Jugendgerichtsgesetz geht natürlich von dem Regelfall der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bei über 18-Jährigen aus. Das haben wir. Ausnahmsweise – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – kann Jugendstrafrecht angewendet werden. Dass es inzwischen in manchen Bundesländern ein anderes Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme gibt, mag sein. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass sich die variablen und differenzierten Sanktionsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts gegenüber dem starren Handlungs- und Sanktionsrahmen des Erwachsenenstrafrechts als überlegen erwiesen haben. Auch das muss man ins Kalkül ziehen.

Meine Damen und Herren! Beschleunigtes Verfahren ist eine sinnvolle Ergänzung. Ein Versuch ist in Sachsen gemacht worden. Wir befürworten das, ebenso den von Frau Kollegin Herrmann angeführten Versuch des Interventionsprojektes für straffällige Kinder und Jugendliche sowie Heranwachsende in Dresden zwischen Polizei und Jugendgerichtshilfe. Das sind richtige Ansätze. Sie führen zu einem intensiveren Verfahren, zu einer Begleitung der Täter, zu einer besseren Sanktionspraxis und Prävention.

Das sind Punkte, über die wir uns sorgfältig und sachlich orientiert unterhalten sollen und müssen, ohne Schaum vor dem Mund.

Meine Damen und Herren! Für manche können kriminelle Karrieren gar nicht früh genug beginnen. Wir, die FDP im Sächsischen Landtag, wollen dagegen, dass diejenigen, die in den Jugendstrafvollzug gelangen, dort später nie wieder auftauchen.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Das ist die Aufgabe von Jugendstrafrecht und Jugendstrafvollzug. Der muss man sich ohne emotionale Befangenheit und ohne Wahlkampfgetöse stellen. Dann bekommt man dort auch die besten Ergebnisse.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Die Linksfraktion, bitte; Frau Abg. Klinger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier im Sächsischen Landtag sicher keinen Grund, uns verspätet am hessischen Wahlkampf zu beteiligen. Wir haben aber ein Problem mit dem sächsischen Justizminister, der die Gelegenheit des Wahlkampfes eben nicht ausgelassen hat, um Law-and-Order-Position auf Stammtischniveau zu beziehen und dieselbe öffentlich zu machen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ihm geht es um die Verschärfung des Jugendstrafrechts. Allerdings geht es ihm nicht darum, nach den Ursachen für Jugendkriminalität zu fragen und sich diesen zu stellen.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Vorsitzenden des deutschen Richterbundes zitieren – Herr Schowtka und Herr Mackenroth, hören Sie bitte gut zu –: „Die Politiker tun gerade so, als ließe sich ein Automatismus abrufen: härtere Strafen, höhere Abschreckung, weniger Kriminalität. Das ist einfach falsch und widerspricht allen Erkenntnissen.“

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU! Sie reden oft davon, dass Sie keine Neuverschuldung wollen, dass Sie sparsam mit den Mitteln, die wir haben, haushalten wollen, aber Sie ziehen auch nicht die finanziellen Konsequenzen einer Verschärfung des Jugendstrafrechtes in Betracht. Herr Dr. Martens hat den Punkt angerissen. Allein bei der Einrichtung des Warnschussarrestes müssten bundesweit 800 bis 1 000 neue Gefängniszellen zur Verfügung gestellt werden.

(Lachen des Staatsministers Geert Mackenroth)

Warum lachen Sie?

(Staatsminister Geert Mackenroth: Weil das nicht stimmt!)

Dann können Sie nachher darauf eingehen. Es fließen immer mehr Millionen Euro in die Häuser mit den Gitterfenstern.

Die Kosten eines Haftplatzes in einer sächsischen Jugendstrafvollzugsanstalt belaufen sich derzeit auf 91 Euro pro Tag. Ein Sozialpädagoge oder Sozialarbeiter kostet den Freistaat anteilig 40 Euro am Tag. Wenn also ein Sozialarbeiter dafür sorgt, dass ein Jugendlicher weniger straffällig wird, dann hat er dem Staat schon seine Kosten eingespielt. Dieser Sozialarbeiter erreicht aber nicht nur einen Jugendlichen, sondern viele, und er leistet damit wertvolle präventive Arbeit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Im vergangenen Jahr saßen 84 Jugendliche in einer sächsischen Jugendstrafvollzugsanstalt. Im Vergleich zu 1996 ist das ein Anstieg von 17 %. Auf der anderen Seite wurden genau in diesem Zeitraum die Mittel für die Jugendhilfe um 40 % gekürzt. Da soll kein Zusammenhang bestehen? Ich meine, ja. Jugendhilfe statt Knastplätze, das ist unsere Alternative.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es wird sicher nicht dazu kommen, dass es keine straffälligen Jugendlichen mehr gibt. Doch klar ist auch, wir haben in Sachsen zu wenig Streetworker und Sozialarbeiter. Es kann doch nicht sein, dass wir Jugendhilfe reduzieren und in Gefängnisse investieren.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Um jeden Cent für die Jugendhilfe im Haushalt müssen wir kämpfen: Frau Orosz mit dem Finanzminister, Herr Krauß mit CDUFinanzpolitikern, die Opposition mit der Koalition. Doch wenn es zu Mehrkosten im Jugendstrafvollzug kommt, dann kann Herr Mackenroth einfach einen Antrag auf überplanmäßige Ausgaben stellen, und schon hat er seine Millionen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Für mich ist klar, härtere Strafen sind nicht zielführend, sie sind nur teuer. Gewalt – und gerade Gewalt, die von Jugendlichen ausgeht – kommt nicht aus dem Nichts. Sie hat ihre Ursachen. Warum greifen denn Jugendliche zum Mittel der Gewalt?

Herr Schowtka, Sie sprachen von verantwortungsvoller Politik und verantwortungsvollen Politikern. Diese verantwortungsvollen Politiker fragen nach den Ursachen.

Festzustellen ist – das haben auch Sie, Herr Minister Mackenroth, in der Debatte zur Großen Anfrage zu Jugendkriminalität und -strafvollzug getan –, es werden nicht mehr Jugendliche gewalttätig oder kriminell. Allerdings sind die Gewalttaten extremer und brutaler. Das ist richtig. Aber das ist auch eine Antwort, eine Reaktion auf die Lebensbedingungen, denen sich die jungen Menschen gegenübergestellt sehen. Ich glaube nicht, dass Computerspiele oder Gewaltdarstellungen im Film als eigentliche Ursachen der Gewalt angesehen werden können. Jugendliche werden nicht gewalttätig, wenn sie Schläger im Fernsehen sehen, sondern weil sie frustriert sind. Es gibt viele Gründe, frustriert zu sein. Sie sind frustriert, weil sie arm sind und ständig Reichtum und Konsum um sich herum wahrnehmen. Sie sind frustriert, weil ihnen das Gefühl vermittelt wird, in dieser Gesellschaft fehl am Platz und nicht gebraucht zu sein. Sie sind frustriert, weil sie in der Schule nicht entsprechend gefördert werden und sich oftmals vergeblich zum Beispiel um einen Ausbildungsplatz bemühen. Sie sind frustriert, weil sie ausgegrenzt sind. Deshalb brauchen wir Integrationsangebote. Wir brauchen gleiche und vor allem gute Bildungschancen und Bildung für alle. Wir brauchen eine gut ausgestattete und bedarfsgerechte Jugendhilfelandschaft, um junge Menschen von Anfang an zu befähigen, einen gewaltfreien Lebensweg zu wählen und diesen dann auch konsequent zu gehen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir müssen den jungen Menschen die Chance geben, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Wie unsere Zukunft aussieht, hängt auch von diesen jungen Menschen ab, hängt davon ab, wie deren Zukunft aussieht. Diese jungen Menschen bestimmen unsere Zukunft.