Protokoll der Sitzung vom 25.01.2008

Wir müssen den jungen Menschen die Chance geben, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Wie unsere Zukunft aussieht, hängt auch von diesen jungen Menschen ab, hängt davon ab, wie deren Zukunft aussieht. Diese jungen Menschen bestimmen unsere Zukunft.

Durch polemische Debatten ändert sich nichts. So werden die Probleme nicht gelöst und das Sicherheitsempfinden und -gefühl der Bürgerinnen und Bürger nehmen so nicht zu.

Für uns ist klar, keiner wird als Krimineller geboren, keiner wird als Straftäter geboren. Es liegt also an der Politik, dafür zu sorgen, dass die Kriminalität in der Gesellschaft abnimmt, denn wir können die Rahmenbedingungen ändern und wir wollen das. Wir werden unsere Vorschläge immer wieder so lange einbringen, bis sie mehrheitsfähig sind, denn steter Tropfen höhlt den Stein.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Was wir brauchen, ist kein Warnschussarrest, sondern eine gesicherte und sicher finanzierte Kinder- und Jugendarbeit, die auf hohem sozialpädagogischem Niveau stattfindet und junge Menschen positiv motiviert.

Wir erwarten von Ihnen eine komplexe Konzeption der Prävention und Intervention. Nur, wenn wir langfristig die Wurzeln des Problems angehen, erledigen sich die polemischen und instrumentalisierten Debatten von selbst.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Herr Minister.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bilder von München haben in den Medien, bei Kriminologen, Soziologen und Juristen eine heftige und kontroverse Debatte über unser Jugendstrafrecht ausgelöst. Während die einen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts oder gar seine Abschaffung fordern, raten andere zur Besonnenheit auch und gerade in Wahlkampfzeiten und sehen keinen Nachbesserungsbedarf. Die Wahrheit liegt, glaube ich, wie immer in der Mitte.

Als Shakespeare vor 400 Jahren sein Wintermärchen schrieb, lässt er darin einen alten Schäfer sagen: „Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen 10 und 23 oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit. Denn dazwischen ist nichts als den Dirnen Kinder schaffen, als die Alten zu ärgern, als Stehlen und Prügeln.“

Schon der englische Altmeister hatte erkannt, dass jugendliche Delinquenz zumeist nur einen vorübergehenden Lebensabschnitt betrifft; denn wie wir heute wissen: 75 % aller angezeigten jugendlichen Straftäter sind spätestens im Alter von 25 Jahren sozial integriert und werden in ihrem ganzen Leben nie wieder straffällig.

Trotzdem aber muss man dem jugendlichen Straftäter mit Entschlossenheit begegnen. Ich möchte einerseits die Grenzen deutlich aufzeigen, in denen er sich in dieser Gesellschaft bewegen kann, ihn andererseits nicht aus dieser Gesellschaft ausgrenzen. Das sagt sich leicht. Wer einfach nur zur Gelassenheit rät, wenn ein älterer Mensch brutal zusammengeprügelt wird, der ist unredlich. Wer wie der Chefredakteur von „Die Zeit“ sagt, der Rentner sei doch letztlich selbst schuld, wenn er die Einhaltung des Rauchverbotes in der U-Bahn erbitte, der weiß nicht, was er sagt. Er macht Opfer zu Tätern.

Das Opfer jedenfalls wird es als zynisch empfinden, wenn es nur darauf hingewiesen wird, dass die Kriminalität ausweislich der Statistik seit Jahren sinkt und die Jugenddelinquenz rückläufig ist. Für das Opfer ist jede Gewalttat eine zu viel. Es gilt daher, die delinquente Entwicklung eines jeden Täters frühzeitig zu beeinflussen, zu stoppen und dem Jugendlichen zugleich einen Weg zurück in die Rechtsgemeinschaft aufzuzeigen.

Die Untersuchungen hierzu, die Vorschläge und Empfehlungen füllen Bände. Was die Kritiker häufig verschweigen: Diese Vorschläge kosten vor allem viel Geld. Auch darauf, glaube ich, können wir stolz sein. Ich darf daran erinnern: Die Jugendwerkhöfe früherer Zeiten waren billiger.

(Dr. Jürgen Martens, FDP: Das mag sein!)

Das geltende Jugendstrafrecht knüpft mit Erziehungsmitteln, Zuchtmitteln und Strafen daran an, dass die Entwicklung eines Jugendlichen noch nicht abgeschlossen ist, und versucht, ihn zu erziehen, ihn zurechtzubiegen. Anders als das Strafrecht der Erwachsenen steht im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke an erster Stelle. Abschreckung und Strafe sind nachrangig.

Doch über eins müssen wir uns vorab im Klaren sein: Das Strafrecht kann nicht das ersetzen, was Eltern und Schule vorher versäumt haben.

(Beifall des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion, und der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Eine Resozialisierung einzuleiten, wo noch nie eine Sozialisierung stattgefunden hat, ist schwer, manchmal nahezu unmöglich.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Enrico Bräunig, SPD)

Um diese Legalbewährung, diese Resozialisierung dennoch zu erreichen, muss dem Jugendrichter ein Instrumentarium an die Hand gegeben werden, um erfindungsreich und genau da anzusetzen, wo der einzelne Delinquent noch beeinflussbar erscheint. Rein dogmatische Überlegungen – ich komme darauf zu sprechen – passen nicht in dieses System. Es sind Mittel und Wege zu suchen, die letztlich den jugendlichen Delinquenten nachhaltig beeinflussen.

Dazu gibt das geltende Recht dem Jugendrichter nach Eingriffstiefe abgestufte Maßnahmen in die Hand, wie Erziehungsmaßregeln, zum Beispiel den auch bereits im Jugendstrafrecht möglichen Täter-Opfer-Ausgleich; ferner Zuchtmittel wie zum Beispiel die Verwarnung oder den Arrest bis zu vier Wochen und als schärfste Klinge eben die Jugendstrafe mit einem Strafrahmen von mindestens – darunter geht nicht – sechs Monaten bis zu fünf Jahren, bei bestimmten Verbrechen bis zu zehn Jahren.

Damit ist – und auch das wurde schon gesagt – Deutschland in der EU beispielhaft. Denn die meisten europäischen Staaten kennen kein eigenes Jugendstrafrecht. Sie wenden allgemeines Erwachsenenstrafrecht an. Nur

wenige Länder sind dabei, die Empfehlung der Ministerkonferenz des Europarates aus dem Jahre 2003 umzusetzen, in der ein eigenes Strafrecht für Jugendliche gefordert wird.

Wir haben das schon seit Jahrzehnten und – richtig, Herr Dr. Martens – darauf können wir stolz sein. Noch einmal: Niemand will das abschaffen.

Das Jugendstrafrecht ist aber wie jedes Recht nicht statisch. Es hat sich den Veränderungen der Gesellschaft anzupassen. Es hat auf besondere Formen der Kriminalität zu reagieren. Zum einen tritt die körperliche Reife bei Jugendlichen immer früher ein, ohne dass die sittliche Reife immer damit Schritt halten könnte. Zum anderen verschieben sich die Selbstständigkeit und damit das Verantwortungsbewusstsein auf spätere Lebensjahre.

Um sich dieser Entwicklung anzupassen, hat Sachsen schon im Jahre 2003 – deutlich vor der Arbeitsaufnahme unserer heutigen Koalition – eine Reformgesetz zum Jugendstrafrecht auf den Weg gebracht, das den Jugendrichtern neue Instrumente zur Hand geben sollte, um die fehlgelaufene Entwicklung eines Jugendlichen zu beeinflussen. Der damalige Gesetzentwurf Sachsens, den wir in unserer jetzigen Koalition noch nicht abschließend beraten haben, der aber auch von den Bundesländern Bayern, Hessen, Niedersachsen und Thüringen damals unterstützt wurde, sieht vor, Jugendstrafverfahren zu beschleunigen, die Belange der Opfer der jugendlichen Straftäter zu stärken, die regional unterschiedliche Ahndung von Straftaten Heranwachsender zu korrigieren und für schwerstkriminelle Heranwachsende – nicht Jugendliche, Herr Bartl, – das Höchstmaß bei der Verhängung von Jugendstrafe auf 15 Jahre heraufzusetzen.

Die meisten dieser Forderungen sind bekannt. Sie wurden vom Deutschen Juristentag in Berlin im Jahre 2002 bewertet, von der 2. Jugendstrafrechtsreformkommission grundsätzlich begrüßt, aber später im Detail abgelehnt.

Der damalige Gesetzentwurf sieht vor, Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel als erzieherische Maßnahmen zusammenzuführen und nach deren Eingriffsintensität zu strukturieren: erstens in unterstützende Maßnahmen, zweitens in ahndende Maßnahmen und drittens in Arrest. Dem haben damals auch die Kritiker zugestimmt. Abgelehnt haben sie aber den von vielen Praktikern in diesem Zusammenhang und auch hier schon diskutierten Vorschlag, ein Fahrverbot von bis zu drei Monaten als eigenständige Reaktion einzuführen.

Für viele Jugendliche ist die Fahrerlaubnis, für die sie übrigens schon mit 18 Jahren und unter besonderen Voraussetzungen sogar früher als reif angesehen werden, der Ritterschlag zum Eintritt ins Erwachsenenalter. Der Besitz des eigenen Autos hat hohen Prestigewert. Mit ihm kann man in der Peergroup und bei der Freundin Eindruck machen. Fahrrad und Doppelgelenkbus vor der Disco sind uncool, Herr Dr. Martens. Kaum ein anderes Mittel ist daher besser geeignet, den jugendlichen Straftäter zu beeindrucken, als dass man ihn für einige Zeit wieder zum Fußgänger herabstuft.

Ich kenne den Einwand, dass dieser Maßnahme der innere Zusammenhang mit einer Tat im Straßenverkehr fehle. Er ist dogmatisch nicht ganz von der Hand zu weisen, überzeugt mich letztlich aber überhaupt nicht. Es kommt mir darauf an, ideenreich und gezielt den einzelnen jugendlichen Straftäter zu beeindrucken. Das ist mit einem Fahrverbot ohne großen Verwaltungsaufwand möglich.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Der ländliche Raum, für den wir immer massiv eintreten, kann dabei auch schon nach geltendem Strafgesetzbuch und bei Erwachsenen berücksichtigt werden. Da gibt es Ausnahmetatbestände. Sie kennen die. Davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht. So ist es.

Auch der, meine Damen und Herren, von mir geforderte und für richtig gehaltene „Warnschussarrest“ ist keine härtere Strafe, sondern nur ein weiteres Mittel, das ich dem Jugendrichter an die Hand geben möchte, um einen straffälligen Jugendlichen zu beeinflussen.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Stellen Sie sich folgende Situation vor – das ist übrigens kein Theoriebeispiel, sondern ein Praxisbeispiel –: Zwei Jugendliche brechen ein Auto auf, entwenden es und fahren es bei der anschließenden Spritztour zu Schrott. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass einer der beiden schon mehrere schwere Diebstähle begangen hat, der Zweite aber ein mehr zufälliger Mitläufer war und mitging, um nicht als feige vor seinen Freunden dazustehen.

Der Ersttäter bekommt einen Wochenarrest, den er in einer Jugendarrestanstalt in seinen Ferien abzusitzen hat. Der andere, bei dem der Jugendrichter schädliche Neigungen feststellt, bekommt die ganze Härte des Jugendstrafrechtes zu spüren und wird mit einer Jugendstrafe von – sagen wir einmal – neun Monaten bestraft, die, weil zum ersten Mal, zur Bewährung ausgesetzt wird. Er verlässt grinsend den Gerichtssaal, geht als freier Mann nach Hause, brüstet sich, dass er im Gegensatz zu seinem Mitläufer noch einmal straffrei davongekommen sei; denn eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe wird von Jugendlichen oft nicht als echte Strafe empfunden.

Genau an dieser Stelle – und nur da – setzt der „Warnschussarrest“ an, der es ermöglichen soll, neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe auch einen Dauerarrest bis zu vier Wochen zu verhängen. Ich erwarte mir davon, dass der Jugendliche in dieser Zeit zwangsläufig darüber nachdenken wird, ob der von ihm eingeschlagene Weg der richtige gewesen sein kann.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Gestatten Sie die Zwischenfrage?

Ja.

Bitte, Frau Herrmann.

Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, wenn es so ist, dass die Bewährungsstrafe sozusagen als Laisser-faire angenommen wird, dass es daran liegen würde, an der Ausgestaltung genau dieser Bewährungsstrafe zu arbeiten – diese Möglichkeit haben wir ja –, damit Bewährungsstrafe dann auch wirklich als Strafe aufgefasst wird und nicht unter dem Motto „Da bin ich noch mal davongekommen“ abgehakt wird? Diese Möglichkeit bleibt uns ja.

Frau Herrmann, der Richter wird es sicher versuchen, oft gelingt es ihm auch. Aber die Ergebnisse sind leider nicht so, dass in der Peergroup, in der Gruppe der Freunde, die einer solchen Hauptverhandlung beiwohnen – das sage ich auch aus meiner Erfahrung als Jugendrichter –, diese Erklärungen zusammen mit der Rechtsmittelbelehrung immer so ankommen, wie sie ankommen müssten. Das Ergebnis ist ein anderes in den Sälen der deutschen Jugendgerichte.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Herr Bartl, bitte.

Herr Staatsminister, gibt es im Justizministerium überhaupt Erhebungen dazu, dass es nahezu keine Bewährungsaussetzung gibt, die nicht mit weiteren Auflagen verbunden wird? In der Regel wird das mit vielen Stunden zu leistender gemeinnütziger Arbeit verbunden. Meinen Sie nicht, dass es auch eine deutliche Warnfunktion hat, dass bereits unmittelbar danach, kontrolliert vom Bewährungshelfer oder dem sozialen Dienst des Landgerichtes, die Realisierung dieser Auflage der gemeinnützigen Arbeit wirksam wird?

Ich sage es Ihnen noch einmal: Die Praxis in den Sälen der deutschen Jugendgerichte zeigt, dass in manchen Fällen dieser von mir geschilderte Effekt eintritt. Deshalb bin ich dafür, in den Werkzeugkasten der Jugendrichter dieses zusätzliche Instrument hineinzulegen. Sie müssen es ja nicht benutzen, aber sie sollen es auf jeden Fall haben.

Zu sagen, dass damit eine Verschärfung des Jugendstrafrechts vorgeschlagen werde, geht wirklich zu weit. Es ist eine differenzierte Möglichkeit, die dem Jugendrichter in die Hand gegeben werden soll. Ihre Auffassung, dass wir die Möglichkeit der Arbeitsstunden haben, mag richtig sein, aber sie mag in manchen Fällen nicht ausreichen.